(F) Das Ritual - Prolog zu einem ungeschriebenen Roman

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Schweige

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Das Ritual

Prolog zu einem ungeschriebenen Roman

Seit sie das alte Gemäuer betreten hatten, schienen ihm seine Arme und Beine nicht mehr zu gehorchen. Der Junge wäre am liebsten auf und ab gehüpft, immer wieder stopfte er seine geballten Fäuste in die Taschen der Robe, nur um kurz darauf festzustellen, daß er schon wieder die Finger am Mund hatte. Die weit geöffneten Augen und das schmerzhafte Pochen im Hals hätten dem sprichwörtlichen Vogel im Angesicht der Schlange alle Ehre gemacht. Er rieb sich über die Lippen, zupfte an dem dünnen blonden Bart, der sein Kinn bedeckte, und schaute aufgeregt um sich.
Quinn wollte sich nicht lächerlich machen, wollte nicht feige erscheinen; Lestor hatte immer wieder versichert, es war nur ein Spiel, doch andererseits proklamierte er immer wieder lautstark, wie wichtig es sei, den Feind zu kennen. Den Feind zu kennen? Quinn schauderte. Er wußte genau, wenn irgend etwas herauskam, würden sie sich glücklich schätzen, wenn sie nur von der Schule flogen. Seit Jahren gingen unter den Schülern Gerüchte über geheimen Rieten um, doch normalerweise handelte es sich um alberne Spiele in den Schlafräumen, und schon dort tobten die Priester, wenn sie etwas davon mitbekamen.
Jetzt hatte Lestor auch noch diesen kleinen Kerl angeschleift. Gerade betrat er den Raum, sein Gesicht war spitz, wie das einer Ratte und die kleinen dunklen Augen blitzten schelmisch, als lache er insgeheim über einen Witz, den keiner sonst begriff.
In Begleitung des Kleinen kam ein hochgewachsenes wunderschönes Mädchen. Ihre Haare waren schwarz und ihr schlanker Leib wurde von einem dunklen Umhang verhüllt.
Quinn geriet ins Schwitzen und es war nicht nur der Anblick des Mädchens und die sündigen Gedanken, die sich ihm aufdrängten, die dies bewirkten. Quinn, an dem jegliche Magie abperlte wie Wasser von Öl, spürte eine unheilige Präsenz.
Nein, das war kein Spiel!
Auch die anderen Ordensschüler schienen etwas zu bemerken, doch keiner rührte sich, nur das Scharren ihrer Füßen verriet sie. Den Feind und seine Methoden kennen? Quinn fürchtete, daß sie bald mehr als genug davon kennen würden. Doch er schalt sich, ruhig zu bleiben: Ich bildete mir das alles ein; Lestor ist ein Musterschüler, er wird bald geweiht, er weiß sicher was er tut.
Der Kleine hieß sie, näher zu treten, sein Blick glitt über das knappe Duzend Halbwüchsiger, kurz verharrte sein Blick auf Quinn und diesen meinte ein spöttisches Lächeln auf seinem Rattengesicht zu erkennen. Doch der Blick wanderte weiter und Quinn entspannte sich ein wenig.
Sie hatten einen Halbkreis gebildet. An dem Pentagramm hatten sie schon seit Tagen gearbeitet; überall standen Tiegel und Schalen, Steine glitzerten im Fackellicht. Auch jetzt huschte der Fremde geschäftig am Boden umher, murmelte unverständliche Worte, malte furchterregende Zeichen und entzündete die mit seltsamen Kräutern gefüllte Tiegel.
Bald war die Luft geschwängert von betäubenden Gerüchen, die Fackeln warfen Schatten an die feuchten Wände, die Schatten huschten zitternd umher und entwickelten ein beängstigendes Eigenleben.
Schweiß lief ihm in die Augen, er zwang seinen Blick zurück zu dem Geschehen vor sich.
Lestor nahm dem Mädchen den Umhang ab, und dieses legte sich nackt und bloß, rücklings auf den bereitgestellten niederen Tisch.
Quinn wurde von einem schmerzhaften Begehren gepackt, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Er schaute zu seinen Nebenstehenden und sah, daß es ihnen ähnlich ging. Doch Quinn war nicht zum Lachen zumute.
Lestor reihte sich jetzt in den Halbkreis ein, während der Fremde hinter das Mädchen trat. Aus den Falten seines Umhangs kamen eine kleine Glasphiole und ein fleckiges altes Buch zum Vorschein. Schlagartig war Quinns Lust verflogen, im wurde geradezu übel: von dort kam die unheilige Präsenz. Der Kleine öffnete das Buch auf dem Bauch des Mädchens, benetzte ihre Lippen und Lenden mit einer roten Flüssigkeit, begann Worte zu murmeln.
Quinn verstand die Worte nicht, doch seine Mitschüler begannen, sie mitzusprechen, dann wurde ihm klar, daß auch er die Lippen bewegte, seine Zunge formte Laute, die er nie zuvor gehört hatte. Alles verschwamm vor seinen Augen, dröhnend pochte das Blut in seinen Schläfen.
In der Mitte des Kreises schien sich die Luft zu verdichten, ein rötliches Leuchten, die Schatten wanden sich wie Schlangen, Quinn bekam keine Luft mehr, seine Zunge klebte am Gaumen, er würgte und keuchte, das Ritual stockte, die schreckgeweiteten Augen des Beschwörers richteten sich auf ihn, alle wandten sich ihm zu, Quinn taumelte.
"Nicht in den Kreis!" Die Stimme hallte blechern in seinem Kopf.
"Herr! Hilf!" hörte er sich noch rufen, dann stürzte er nach vorne, eisiges Grauen umfing ihn und er verlor das Bewußtsein.

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Anmerkung:

Dies war, wie gesagt, das Vorwort zu einer längeren Erzählung, die inzwischen im Müll gelandet ist.
Viellicht werde ich das Thema irgendwann wieder aufnehmen, aber ich denke, die Geschichte steht auch für sich alleine.

Ich danke schon jetzt für Kritik und Anregungen

Schweige
 

Gilmon

Mitglied
Hallo Schweige,

ich bin mir nicht sicher, ob man dieses Stück als Prolog für einen Roman bezeichnen kann, für mich liest sich der Text, der mit der Bewußtlosigkeit von Quinn endet, eher wie ein Kapitelanfang, der noch weitergeführt werden muss. Ich erwartet bei einem Prolog mehr einen markanten Bruch, worauf etwas neues beginnt, wobei ich mir hier kein vollständiges Urteil machen kann, da ich ja den Aufbau des Romans nicht kenne.

Der Text selbst ist schön zu lesen, nur zu kurz um sich ein Bild über deine Geschichte zu machen, aber Du kannst ja jeder Zeit weiter schreiben, die Leselupe hat ein eigenes Forum für Fortsetzungen aus dem Bereich Fantasy und SF.

Grüße, Gilmon
 



 
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