(F) Gezeitenwechsel

Kadira

Mitglied
Hmm, ich bin nicht ganz sicher ob es wirklich hier hingehört oder eher nach Erotisches, aber meinem Gefühl nach ist es Fantasy. Und da es auch als das geschrieben wurde und es auch der Mittelpunkt ist, veröffentliche ich es einfach mal hier.

Gezeitenwechsel

Er sah sich um. Das Meer lag verlassen vor ihm, ebenso der Strand. Dunkle Wolken verdeckten den Mond. Sie sahen aus wie normale Gewitterwolken, aber er wusste, dass noch viel mehr in ihnen steckte. Sie waren ein Vorbote dessen was passieren würde. Bedrohlich und dunkel. Hoffnungslos. Aber noch nicht einmal sie regten sich. Wäre da nicht, zu seiner Rechten, die beleuchtete Stadt in der Ferne gewesen, von der er wusste das sie mit Leben pulsierte, hätte er fast glauben können, dass es bereits zu spät war. So wusste er aber, dass immer noch Zeit war. Nicht um das was bevorstand abzuwenden, dafür war er schon einige Jahrtausende zu spät, aber um die letzten Stunden noch auszukosten.

Melancholie überkam ihn, als sein Blick auf die große Stadt fiel. Er hatte mittlerweile so lange dort gelebt, dass er sie als sein Zuhause ansah, und der Gedanke das es sie bald vielleicht nicht mehr gab, nahm ihn mehr mit als er jemals freiwillig zugeben würde.

»Eine Schande, nicht?«

Eine seiner Augenbrauen hob sich, aber er drehte sich nicht um. Er wusste auch so mit wem er das Vergnügen hatte. Es war eine Stimme, die er unter tausenden wieder erkennen würde. »Regt sich etwa dein schlechtes Gewissen?«, fragte er.

»Wenn ich eines hätte, würde das vielleicht der Fall sein. Aber auch ich weiß solche Wunderwerke zu schätzen und würde sie gerne am Leben erhalten.«

»Das kannst du ganz einfach haben. Du bist einer der wenigen, die dem noch ein Ende setzen könnten.«

Leises , warmes Lachen erklang. »Du weißt genauso gut wie ich, dass es nicht mehr in meiner Hand liegt. Es ist ganz alleine ihre Entscheidung«, sagte er und zeigte auf die Stadt.

Er seufzte, sehr wohl wissend, dass sein Gegenüber Recht hatte, egal wie er es drehte und wendete. Am Ende waren sie beide nicht mehr als ein Werkzeug. »Und wie schätzt du ihre Widerstandskraft ein?«

»Ich weiß es nicht. Es hat schon seit einiger Zeit gebrodelt, aber manchmal können sie einen tatsächlich noch überraschen.« Er schüttelte seinen Kopf als wenn er den Gedanken, dass doch noch alles ein gutes Ende nehmen könnte, abschütteln wollte. »Sie waren schon einige Male an diesem Punkt. Du kennst die Ergebnisse«, setzte er noch hinzu.

»Aber es war niemals so verheerend wie diesmal! Sie hatten noch nie die Kraft sich selbst zu zerstören.«

»Vielleicht nicht die Kraft, aber sicherlich den Willen. Es ist ihre Natur. Und vielleicht ist es wieder Zeit für einen Wechsel ...«

Seine Verstimmung war ihm wohl deutlich anzusehen als er sich letztendlich doch umdrehte, denn sein Gegenüber hob seine Hände in einer beschwichtigenden Geste. »Aber sie haben die Wahl. Es ist ihre Entscheidung. Sie müssen nur Widerstehen. Niemand zwingt sie nachzugeben. Es ist ein Test.«

»Es ist ein Spiel! Nicht mehr und nicht weniger. Eines von dem sie noch nicht mal wissen, dass es existiert! Noch weniger, dass sie die Spielfiguren sind!«

Er blickte sein Gegenüber, ein unscheinbar aussehender Mann, Anfang dreißig, finster an als dieser laut auflachte. Streng genommen war nichts an seinem Erscheinungsbild herausragend, alles war Durchschnitt. Jahrelanges Training um in der Masse nicht aufzufallen. Er hatte das sicherlich perfektioniert. In soviel Durchnittlichkeit würde keinem Menschen der tiefe Blick auffallen, noch das besondere Lachen das ihm immer durch Mark und Bein ging, noch der besondere Humor oder der scharfe Verstand. Als wenn der andere seine Gedanken gelesen hätte, kam er auf ihn zu.

»Immer noch genauso melodramatisch wie vor ... wie lange ist es mittlerweile her?« Er schüttelte seinen Kopf. »Viel zu lange.«

Dem konnte er nur zustimmen. Soviel verschenkte Zeit ... Wäre er nur für einen Augenblick in der Haut des anderen gewesen, hätte er laut geflucht. Da dies aber nun mal nicht in der Natur für einen von seiner Seite lag, war Bedauern alles was ihm blieb. Für einen Augenblick beneidete er den anderen Mann für eine Freiheit, die ihm immer versagt bleiben würde.

Er erlaubte dem anderen Mann in seine Privatspähre einzudringen, und sich selbst den Kontakt zu genießen als Arme sich um seinen Körper wanden. Es war in der Tat viel zu lange her, stimmte er leise zu als er die Umarmung erwiderte.

Aber trotz der Zeit die sie getrennt gewesen waren, und trotz aller äußerlichen Veränderungen, schien dies für sie immer noch genauso bekannt zu sein wie eh und je. Alle Probleme und Fragen die sie jemals getrennt hatten, waren unwichtig geworden. Jetzt zählte nur noch das hier und jetzt.

Er seufzte als ihre Lippen sich zu einem ersten, vorsichtigen Kuss trafen.

Das war es. Nun ja, es war zumindestens ein kleiner Teil des Grundes der sie immer wieder zusammen führte. Gefährten, Freunde, Liebhaber. Seit ihrer Erschaffung. Und nichts, noch nicht einmal der große Graben der Dunkelheit, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte, hatte das verhindern können. Sie waren zwei Hälften eines Ganzen. Schwarz und weiß, die nur zusammen wirklich stark waren.

Wie eins sie waren, wie sehr sie zusammengehörten, zeigte jeder noch so flüchtige Blick, jede noch so kleine Berührung zwischen ihnen. Es gab kein Zögern, keine Furcht, nichts was sie trennte.

Er konnte die Halsschlagader des anderen Mannes beben fühlen, als er seine Lippen daran entlangwandern ließ, bis er die weiche Stelle zwischen Hals und Schulter erreichte, und leicht biss. Sein Gegenüber erschauderte und in seinen Augen konnte er die gleiche Lust sehen, die auch er selber verspürte.

Sein Herz schlug schneller als sein Mantel von den Schultern glitt, und Finger sich an den kleinen Knöpfen seines Hemdes zu schaffen machten.

Mit jedem Stück Kleidung das sie verloren, nahmen sie ihre ursprüngliche Identität an. Hier gab es keine Menschen, keine Seiten, keine Verpflichtungen die sie voneinander trennten. Hier waren sie nur sie selber.

Er schloss die Augen als die letzte Hülle gefallen war, und konzentrierte sich. Ein Kribbeln wanderte seine Wirbelsäule hinauf bis zu seinen Schultern wo es an Stärke zu nahm. Er seufzte in einer Mischung aus Erleichterung, Erregung und Freude als die Transformation endlich vollzogen war und er wieder er selber war.

Er öffnete seine Augen als weiche Lippen sich gegen seine pressten und Finger durch seine Haare strichen. Er zog die Luft hörbar ein als der andere Mann ihn los ließ und einen Schritt zurück trat so das er ihn das erste Mal seit langer Zeit wieder richtig ansehen konnte. Nicht das was er vorgab zu sein wenn sie unter den Menschen weilten, sondern so wie er wirklich war. Da war nichts mehr unscheinbar an ihm. Nicht das lange, dunkle und glänzende Haar, nicht der wohlgeformte Körper, nicht die markanten Gesichtszüge, nicht die geschmeidigen Bewegungen, und ganz gewiss nicht die Stimme die sich über ihn legte und ihn den Schmerz der Trennung und die Einsamkeit vergessen ließ, die die letzten Jahre mit sich gebracht hatten. Das ganzes Erscheinungsbild seines Gegenübers sprach von Herrlichkeit. Nicht die Möchtegern-Herrlichkeit irgendwelcher selbsternannter Despoten, sondern eine natürliche. Sie war gepaart mit dem leichten Anflug von Arroganz die Leute ausstrahlten die tatsächlich Macht und Charisma besaßen und sich dessen auch bewusst waren.

Zwangsläufig lang unterdrückte Lust mischte sich mit Leidenschaft, und er erlaubte seinen Instinkten ihn zu leiten. Und bevor er sich dessen überhaupt bewusst war, hatte er einen Satz nach vorne gemacht. Sein Gegenüber war zu überrascht um zu reagieren, und so fanden sie sich beide auf dem Sand wieder. Arme und Beine miteinander verschlungen, Hände und Lippen die versuchten jede noch so versteckte Stelle nackter Haut zu erreichen verloren sie sich ineinander.

***

»Du kannst immer noch die Seiten wechseln, weißt Du? Schließe dich uns an und Du wirst nicht vernichtet werden. Sie wollen dich hier. Ich will dich.«

Der flehende Blick brach ihm fast das Herz. Er bezweifelte, dass jemand anders seinen Gegenüber jemals so gesehen hatte. Und für einen klitzekleinen Augenblick war er verführt nachzugeben. Dann:

»Ich kann nicht.«

Er hatte seine ganze Willenskraft gebraucht um das zu sagen. Vielleicht war es gut das es bald vorbei war, wie auch immer das Ende aussehen würde, wer auch immer der Gewinner sein würde. Er wusste das er sonst schwach werden und zum Verräter an seiner eigenen Seite werden würde.

Der Andere nickte nur als wenn er nichts anderes erwartet hätte. Was wohl auch so war, denn es war die Antwort die er immer gab.

»Ich muss gehen.«

Noch ein Nicken, dann stand er vor ihm. Weiße Federn umhüllten ihn komplett. Hell, schützend, strahlend, hoffnungsspendend, tröstend. Ein starker Kontrast zu dem wofür der andere Mann stand.

Ein letzter Kuss, eine letzte innige Umarmung, ein letzter Blick. Dann war es vorbei. Mit einem lautem wusch war der Andere verschwunden.

Nach einem Augenblick kniete er sich in den Sand und ließ die Körner geistesabwesend durch seine Finger gleiten.

In ein paar Stunden würden sie sich wiedertreffen, direkt an der Front. Jeder von ihnen verkleidet in einer anderen Form, jeder von ihnen auf einer Mission unterwegs. Der Engel der Zerstörung, und er selbst als Gegengewicht in dem Versuch die Katastrophe zu vermeiden. Nicht mehr als Partner oder Team, sondern gegeneinander. Und je nachdem wie es laufen würde, war dies ihr letztes Treffen gewesen. Wenn er seinem Gefühl trauen konnte, war es sogar ziemlich sicher der Fall.

Er ignorierte den bitteren Beigeschmack der diesen Gedanken begleitete, schluckte die letzten Tränen, stand auf, und drehte sich um um sich ebenfalls zurückzuziehen. Es gab keinen Grund verbittert zu sein. Es war immerhin das endgültige Ziel, das wofür sie überhaupt erst erschaffen worden waren und worauf sie seitdem sie denken konnten hingearbeitet hatten.

***

Viele Jahre später, in einer Welt so ähnlich wie ihre Vorgänger, genauso unperfekt aber noch von Unschuld geprägt, stolperten Kinder über einen alten Mann. Er saß in dem kleinen Wäldchen direkt am großen Wasser, dessen Existenz sich niemand erklären konnte, aber dessen Bäume, Tiere, und alles was er hergab als heilig galten.

Sie folgten seiner Einladung und setzten sich um ihn herum. Fasziniert hörten sie ihm zu als er ihnen erklärte, dass der erste Baum des Waldes aus Engelstränen entstanden war. Sie rutschten unruhig hin und her als er ihnen von dem alten Volk erzählte, das einmal auf diesem Planten, den er Erde nannte, gelebt haben soll, und dessen Gier ihnen zum Verhängnis wurde, das alles ein ewiger Kreislauf war, und wie schmerzhaft es war Mensch zu sein. Sie versuchten zu verstehen als er ihnen von einem letzten Beisammen sein erzählte, denn es schien ihm sehr wichtig zu sein. Die Augen, die zuvor so stumpf und tot schienen wie die der Älteren in ihrem Stamm von denen man wusste das der große Geist sie bald zu sich holen würde, schienen auf einmal mit einem inneren Feuer zu leuchten.

Als er begann von dem großen Untergang zu erzählen, von Schmerz und Leid und Tod an dessen Ende das Nichts aller Existenz stand, wurde aus der Faszination erst Grauen, und dann Entsetzen. Ohne sich zu verabschieden, standen sie auf und verließen den merkwürdigen Mann als dieser auf einmal stoppte und einfach ins Nichts starrte. Es schien, als wenn er etwas beobachtete, das niemand außer ihm sehen konnte.

Die plötzliche Leere in seinen Augen ängstigte sie mehr als seine unverständlichen Erzählungen, und die Kleinen unter ihnen weinten noch als sie ihn schon weit hinter sich gelassen hatten und die vertrauten Holzhütten in Sicht kamen.

Ihr Stammeseltern, denen sie sich anvertraut hatten, suchten ihn noch am selben Tag auf.

Was sie jedoch auffanden war kein alter, verwirrter Mann, sondern ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren und Flügeln wie ein Vogel, der tot um den Baum im Zentrum des Waldes gerollt lag, ein Lächeln der Erleichterung auf seinen Lippen.

Das Geheimnis des Vogelmannes hielt ihren Stamm noch so lange in seinen Bann, bis sie ihn verbrannt hatten und dafür gesorgt hatten, dass der große Geist seine Seele bei sich aufnehmen würde. Danach hatten sie keine Zeit mehr über ihn nachzudenken. Es gab zu leben, und zu viel Neues zu entdecken als das sie lange irgendwo stehen bleiben konnten.

~-~-~
 



 
Oben Unten