Er stand am Ufer des Sees und blickte gedankenverloren auf die mondbeschienene, glitzernde Oberfläche. Seine dunkle Robe wehte im frischen Wind der Nacht, verbarg ein Wesen, das pure Dunkelheit sein mochte, reine Finsternis, in düstere Gewänder gehüllt und von düsteren Gedanken heim gesucht. Er besaß weder Substanz noch Aussehen. Da er kein Gesicht hatte, trug er keinen Namen.
Manche nannten ihn einfach nur den Dunklen oder den Kalten. Er war vor vielen Jahren wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte die Zerstörung mit sich gebracht wie ein Priester das Wort Gottes. Sein unheiliger Zorn hatte fast das gesamte Leben vom Antlitz des Landes getilgt. Seine Macht umhüllte ihn wie eine Aura des Bösen, sein Blick streute Vernichtung und in seine Fußstapfen trat der Tod. Die schwarze Magie war sein Verbündeter. Sie machte ihn unangreifbar und mächtig. Einige flüsterten, er wäre nicht nur mit den dunklen Mächten der schwarzen Magie vertraut, sondern bestünde vollkommen aus ihnen.
Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht war er tatsächlich nicht mehr als eine Ausgeburt der Magie, dazu verdammt, Leben zu vernichten – und nichts weiter.
Doch insgeheim wusste er, dass es mehr gab. Da waren … Erinnerungen. Manchmal kamen sie an die Oberfläche, wie kleine Luftblasen vom Grunde eines tiefen, dunklen Sees. Aber wie Bläschen zerplatzten sie sofort wieder, zu schnell, um mehr zu enthüllen als einen raschen Blick auf die Vergangenheit. Zu kurz, um Vergangenes wieder aufleben zu lassen.
Seine erste wache Erinnerung zeigte ihm die Höhle, in der er erwacht war. Die dort herrschende Dunkelheit war angenehm gewesen, aber es hatte nicht lang gedauert, bis er lernte, im Licht zu wandeln. Doch auch im Schein der hellsten Sonne wurde sein Körper von tanzenden Schatten umspielt, als würde er die Finsternis in seinem Herzen tragen. Diese Erscheinung lehrte die meisten Wesen, mit denen er zu tun hatte, das Fürchten. Die wenigen Rassen, die in seiner Gegenwart nicht kläglich und wimmernd zusammenbrachen, hatte er seinem Willen unterworfen und um sich geschart, eine gewaltige Armee geschaffen, die ihm das Land Untertan machte.
Und nun, wie schon so oft zuvor, fragte er sich, welchen Ursprung der ungebändigte Zorn in seinem Leib hatte. Er blickte wieder auf den See hinaus und spürte die innere Leere, die ihm dieser Ort schenkte. Die seichten Wellen wirkten beruhigend. Nur hier konnte er sich ungetrübten Gedanken widmen. Die Stimme des Hasses verstummte und ließ nur Nachdenklichkeit zurück. Es tat gut, von seinen schlimmsten Gefühlen verschont zu werden.
Er trat näher an das Ufer und hörte das leise, knirschende Geräusch, mit dem das Wasser zu Eis wurde. Allein seine Anwesenheit barg tödliche Kälte.
Der Schatten im düsteren Umhang kniete sich neben einige Schilfrohre und lauschte dem spröden Knacksen des Eises. Bis auf diesen einen Laut war es vollkommen ruhig am kleinen See. Solange er sich hier aufhielt, verharrten die Tiere in Stille, und die Welt schien den Atem an zu halten. Selbst die Grillen unterbrachen ihr zirpendes Spiel und warteten darauf, dass die Dunkelheit vorüber zog.
Seine Gefühle berichteten ihm, dass heute Nacht noch jemand an diesen See gekommen war.
Ein plötzliches Zischen durchtrennte die stehende Luft und wurde zum huschenden Schemen eines Pfeils. Das Geschoss durchschlug die Kapuze des Dunklen, drang durch seinen schattenhaften Leib, trat wieder aus und fuhr geräuschlos in das Wasser. Er richtete sich auf und wandte sich um. Ein zweiter Pfeil kam aus der Schwärze der Nacht, traf ihn und hinterließ dort ein Loch in seinem Gewand, wo bei den meisten Lebewesen das Herz saß. Der Schütze war zum einen äußerst treffsicher, zum anderen wusste er offenbar, dass der See den einzigen Ort darstellte, den der Dunkle allein aufsuchte.
Ohne einen Laut streckte der Schatten eine dunkle Hand aus und ballte sie zur Faust, wobei Schwärze um ihn herum brodelte. Ein dritter Pfeil raste auf ihn zu und blieb mitten in der Luft hängen, in der Bewegung eingefroren. Achtlos zerbrach er ihn, fegte ihn bei Seite und sprach ein Wort der Macht. Im selben Augenblick tauchte aus der Dunkelheit eine Gestalt auf, rollte über die Wiese und blieb reglos vor ihm liegen. Sie war, ebenso wie er, in ein düsteres Gewand gehüllt, das sie in der Nacht fast unsichtbar machte.
Üblicherweise entledigte der Dunkle sich Attentätern, ohne einen einzigen Gedanken an sie zu verschwenden. Doch die unmittelbare, beruhigende Nähe des Sees zerstäubte seinen Zorn und schuf Platz in seinem Leib für andere Gefühle. Eines davon war die Neugierde.
Mit einem Fingerzeig schob er die Kapuze des Angreifers zurück. Darunter kam ein braunhäutiges, schmales und weibliches Gesicht zum Vorschein, aus dem zwei dunkle und zutiefst erschrockene Augen zu ihm auf blickten.
Mit einem bloßen Gedankenbefehl nahm er die Starre vom Körper der Frau. Sie begann, schnell und flach zu atmen, wobei sich ihr Brustkorb wie bei einem gefangenen, in Panik geratenen Tier hob und wieder senkte. Angriffslustig reckte sie das Kinn und spuckte dem Dunklen vor die Füße. Ihre Lippen gefroren bereits.
„Du bist sehr mutig, kleine Schützin“, sagte der schwarze Schatten anerkennend. „Deine menschliche Abstammung ist unübersehbar, doch es fließt noch anderes Blut in deinen Adern. Wer hat dich beauftragt, mich umzubringen?“
„Ihr seid kein lebendes Wesen!“, stieß die Frau hervor und schüttelte den Kopf. „Ihr müsstet längst tot sein.“
Der Dunkle gewährte ihr, seine Frage nicht zu beantworten. „Es waren die letzten Überreste des Menschenvolks in diesem, meinem Land, nicht wahr? Sie denken tatsächlich, sie könnten mich von Meuchelmördern beseitigen lassen.“
„Ihr werdet schon bald sterben.“
„Ist das so?“ Der Dunkle lachte hohl. „Sage mir deinen Namen, kleines Wesen. Ich möchte wissen, welche meiner Gefolgsleute sich bei seinem Klang durch ihre Gedanken verraten.“
„Niemals!“
„Du wirst ihn mir sagen. Jetzt.“ Seine Stimme hatte einen gefährlichen, fordernden Klang angenommen, dem kein Wesen sich widersetzen konnte.
„Er … er lautet …“, stotterte die Frau mit hörbarem Widerstreben. „Er … lautet … Laviana.“
Der Name traf den Dunklen wie ein Schlag ins Gesicht.
„Laviana“ wiederholte er heiser und taumelte nach hinten. „Laviana …“
Wieder und wieder zuckten die Worte durch seinen Kopf, entrangen ihm ein Stöhnen. Erinnerungen strömten auf ihn ein wie ein reißender Fluss, spülten seine Gefühle fort und ertränkten sein Denken. Ein Gesicht blitzte vor ihm auf – ihr Gesicht, im zarten Schein einer Kerze. Ein Bild, für immer in seinem Geist konserviert. Ihre Liebe, so zerbrechlich, während ihre Zungen sich beim Kuss berührten, und ihre Wärme, als sie ihn umarmte.
Verdrängte, vergessene Gefühle durchbrachen gewaltsam einen Damm, den die Zeit errichtet hatte. Er erinnerte sich wieder, wer er einst war. Erinnerte sich, was damals passierte. Wie sehr er doch liebte ...
„Laviana …“ flüsterte er und kämpfte um seine Fassung.
Als er sich wieder gefangen hatte, fühlte er sich verändert. Der Hass war stärker als jemals zuvor, der Zorn saß so tief, dass er ihn niemals würde abschütteln können. Er suchte kurz nach der davon rennenden Schützin, entdeckte sie und tötete sie mit der Bewegung eines Fingers.
Nun hatte er diese Laviana ausgelöscht, wie er einst für den Tod der anderen verantwortlich gewesen war.
Er beruhigte sich etwas und sah zum schimmernden, eisigen See. Jetzt wusste er, wohin sein Weg ihn führte. Aus dem Land über den Flüssen war er gekommen. Dorthin musste er zurück kehren.
Er würde das Land zerstören und alles, was ihn zu dem gemacht hatte, was er war.
Bereits im Morgengrauen des nächsten Tages marschierten die Armeen des Dunklen gen Norden und brachten den Tod mit sich.
Manche nannten ihn einfach nur den Dunklen oder den Kalten. Er war vor vielen Jahren wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte die Zerstörung mit sich gebracht wie ein Priester das Wort Gottes. Sein unheiliger Zorn hatte fast das gesamte Leben vom Antlitz des Landes getilgt. Seine Macht umhüllte ihn wie eine Aura des Bösen, sein Blick streute Vernichtung und in seine Fußstapfen trat der Tod. Die schwarze Magie war sein Verbündeter. Sie machte ihn unangreifbar und mächtig. Einige flüsterten, er wäre nicht nur mit den dunklen Mächten der schwarzen Magie vertraut, sondern bestünde vollkommen aus ihnen.
Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht war er tatsächlich nicht mehr als eine Ausgeburt der Magie, dazu verdammt, Leben zu vernichten – und nichts weiter.
Doch insgeheim wusste er, dass es mehr gab. Da waren … Erinnerungen. Manchmal kamen sie an die Oberfläche, wie kleine Luftblasen vom Grunde eines tiefen, dunklen Sees. Aber wie Bläschen zerplatzten sie sofort wieder, zu schnell, um mehr zu enthüllen als einen raschen Blick auf die Vergangenheit. Zu kurz, um Vergangenes wieder aufleben zu lassen.
Seine erste wache Erinnerung zeigte ihm die Höhle, in der er erwacht war. Die dort herrschende Dunkelheit war angenehm gewesen, aber es hatte nicht lang gedauert, bis er lernte, im Licht zu wandeln. Doch auch im Schein der hellsten Sonne wurde sein Körper von tanzenden Schatten umspielt, als würde er die Finsternis in seinem Herzen tragen. Diese Erscheinung lehrte die meisten Wesen, mit denen er zu tun hatte, das Fürchten. Die wenigen Rassen, die in seiner Gegenwart nicht kläglich und wimmernd zusammenbrachen, hatte er seinem Willen unterworfen und um sich geschart, eine gewaltige Armee geschaffen, die ihm das Land Untertan machte.
Und nun, wie schon so oft zuvor, fragte er sich, welchen Ursprung der ungebändigte Zorn in seinem Leib hatte. Er blickte wieder auf den See hinaus und spürte die innere Leere, die ihm dieser Ort schenkte. Die seichten Wellen wirkten beruhigend. Nur hier konnte er sich ungetrübten Gedanken widmen. Die Stimme des Hasses verstummte und ließ nur Nachdenklichkeit zurück. Es tat gut, von seinen schlimmsten Gefühlen verschont zu werden.
Er trat näher an das Ufer und hörte das leise, knirschende Geräusch, mit dem das Wasser zu Eis wurde. Allein seine Anwesenheit barg tödliche Kälte.
Der Schatten im düsteren Umhang kniete sich neben einige Schilfrohre und lauschte dem spröden Knacksen des Eises. Bis auf diesen einen Laut war es vollkommen ruhig am kleinen See. Solange er sich hier aufhielt, verharrten die Tiere in Stille, und die Welt schien den Atem an zu halten. Selbst die Grillen unterbrachen ihr zirpendes Spiel und warteten darauf, dass die Dunkelheit vorüber zog.
Seine Gefühle berichteten ihm, dass heute Nacht noch jemand an diesen See gekommen war.
Ein plötzliches Zischen durchtrennte die stehende Luft und wurde zum huschenden Schemen eines Pfeils. Das Geschoss durchschlug die Kapuze des Dunklen, drang durch seinen schattenhaften Leib, trat wieder aus und fuhr geräuschlos in das Wasser. Er richtete sich auf und wandte sich um. Ein zweiter Pfeil kam aus der Schwärze der Nacht, traf ihn und hinterließ dort ein Loch in seinem Gewand, wo bei den meisten Lebewesen das Herz saß. Der Schütze war zum einen äußerst treffsicher, zum anderen wusste er offenbar, dass der See den einzigen Ort darstellte, den der Dunkle allein aufsuchte.
Ohne einen Laut streckte der Schatten eine dunkle Hand aus und ballte sie zur Faust, wobei Schwärze um ihn herum brodelte. Ein dritter Pfeil raste auf ihn zu und blieb mitten in der Luft hängen, in der Bewegung eingefroren. Achtlos zerbrach er ihn, fegte ihn bei Seite und sprach ein Wort der Macht. Im selben Augenblick tauchte aus der Dunkelheit eine Gestalt auf, rollte über die Wiese und blieb reglos vor ihm liegen. Sie war, ebenso wie er, in ein düsteres Gewand gehüllt, das sie in der Nacht fast unsichtbar machte.
Üblicherweise entledigte der Dunkle sich Attentätern, ohne einen einzigen Gedanken an sie zu verschwenden. Doch die unmittelbare, beruhigende Nähe des Sees zerstäubte seinen Zorn und schuf Platz in seinem Leib für andere Gefühle. Eines davon war die Neugierde.
Mit einem Fingerzeig schob er die Kapuze des Angreifers zurück. Darunter kam ein braunhäutiges, schmales und weibliches Gesicht zum Vorschein, aus dem zwei dunkle und zutiefst erschrockene Augen zu ihm auf blickten.
Mit einem bloßen Gedankenbefehl nahm er die Starre vom Körper der Frau. Sie begann, schnell und flach zu atmen, wobei sich ihr Brustkorb wie bei einem gefangenen, in Panik geratenen Tier hob und wieder senkte. Angriffslustig reckte sie das Kinn und spuckte dem Dunklen vor die Füße. Ihre Lippen gefroren bereits.
„Du bist sehr mutig, kleine Schützin“, sagte der schwarze Schatten anerkennend. „Deine menschliche Abstammung ist unübersehbar, doch es fließt noch anderes Blut in deinen Adern. Wer hat dich beauftragt, mich umzubringen?“
„Ihr seid kein lebendes Wesen!“, stieß die Frau hervor und schüttelte den Kopf. „Ihr müsstet längst tot sein.“
Der Dunkle gewährte ihr, seine Frage nicht zu beantworten. „Es waren die letzten Überreste des Menschenvolks in diesem, meinem Land, nicht wahr? Sie denken tatsächlich, sie könnten mich von Meuchelmördern beseitigen lassen.“
„Ihr werdet schon bald sterben.“
„Ist das so?“ Der Dunkle lachte hohl. „Sage mir deinen Namen, kleines Wesen. Ich möchte wissen, welche meiner Gefolgsleute sich bei seinem Klang durch ihre Gedanken verraten.“
„Niemals!“
„Du wirst ihn mir sagen. Jetzt.“ Seine Stimme hatte einen gefährlichen, fordernden Klang angenommen, dem kein Wesen sich widersetzen konnte.
„Er … er lautet …“, stotterte die Frau mit hörbarem Widerstreben. „Er … lautet … Laviana.“
Der Name traf den Dunklen wie ein Schlag ins Gesicht.
„Laviana“ wiederholte er heiser und taumelte nach hinten. „Laviana …“
Wieder und wieder zuckten die Worte durch seinen Kopf, entrangen ihm ein Stöhnen. Erinnerungen strömten auf ihn ein wie ein reißender Fluss, spülten seine Gefühle fort und ertränkten sein Denken. Ein Gesicht blitzte vor ihm auf – ihr Gesicht, im zarten Schein einer Kerze. Ein Bild, für immer in seinem Geist konserviert. Ihre Liebe, so zerbrechlich, während ihre Zungen sich beim Kuss berührten, und ihre Wärme, als sie ihn umarmte.
Verdrängte, vergessene Gefühle durchbrachen gewaltsam einen Damm, den die Zeit errichtet hatte. Er erinnerte sich wieder, wer er einst war. Erinnerte sich, was damals passierte. Wie sehr er doch liebte ...
„Laviana …“ flüsterte er und kämpfte um seine Fassung.
Als er sich wieder gefangen hatte, fühlte er sich verändert. Der Hass war stärker als jemals zuvor, der Zorn saß so tief, dass er ihn niemals würde abschütteln können. Er suchte kurz nach der davon rennenden Schützin, entdeckte sie und tötete sie mit der Bewegung eines Fingers.
Nun hatte er diese Laviana ausgelöscht, wie er einst für den Tod der anderen verantwortlich gewesen war.
Er beruhigte sich etwas und sah zum schimmernden, eisigen See. Jetzt wusste er, wohin sein Weg ihn führte. Aus dem Land über den Flüssen war er gekommen. Dorthin musste er zurück kehren.
Er würde das Land zerstören und alles, was ihn zu dem gemacht hatte, was er war.
Bereits im Morgengrauen des nächsten Tages marschierten die Armeen des Dunklen gen Norden und brachten den Tod mit sich.