(F) In einer Sommernacht

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Arathas

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Der Mondsee. Schneeweiß liegt er vor mir, während sich die Strahlen des Mondes auf seiner Oberfläche fangen und wie Wasserkristalle glitzern. Ich schließe die Augen und spüre den kühlen Hauch der Nässe an meinen Beinen, wo die Wellen gegen das Ufer schlagen.

„Die Liebe ist das einzige im Leben, das zählt“ sagte einst ein alter Mann zu mir, als ich noch ein Kind war. Kind sein – was hat es damit auf sich? Man besitzt noch Illusionen, schätze ich. So wie der See einem Unwissenden vorgaukelt, er würde tatsächlich das Mondeslicht einfangen.

Mein Blick wandert zum Himmel, an dem einige Wolken treiben. Die Mitte der Nacht ist noch nicht erreicht. Es bleiben noch einige Momente, bevor meine geliebte Laviana meinen Bruder zum Mann nimmt. Einige kurze Augenblicke, in denen ich die Welt ohne die aufwallende Wut betrachten kann, die ich in meinem Magen spüre wie eine rote Wolke, treibend durch die Dunkelheit, die Unschuld verschlingend.

Ich steige aus dem Wasser und wandere barfuss am Ufer entlang zur Brücke der Seelen, wo die Zeremonie stattfindet. Kleine Ästchen knacken unter meinem Tritt, ihr Brechen erinnert mich an die splitternde Liebe in meinem Herzen.

Wieder höre ich ihre Stimme an meinem Ohr. Sie ist so wispernd und zart im harten Angesicht der Wahrheit: „Jovalis“ sagt sie, während ihre Hand über meine Wange fährt. „Jovalis. Wir können einander nicht finden. Es ist uns nicht bestimmt. Nicht in diesem Leben.“

Ich frage mich, welchen Sinn mir dieses Leben dann noch bietet.

Leise Stimmen dringen aus der Ferne an mein Ohr. Die Zeremonie hat wohl schon begonnen. Ich verspüre nicht den Drang, mich unter die Anwesenden zu mischen. Schon jetzt sehe ich ihre leeren Augen und fragenden Gesichter vor mir. Wo war der Prinz am wichtigsten Tag im Leben seines Bruders? Warum hat er Laviana und Najanir nicht gratuliert?

Ich stelle mir diese Frage selbst und komme nur zu einer einzigen Antwort. Je mehr ich über sie nachdenke, desto mehr kann ich mich mit ihr anfreunden. Manchmal werden Gedanken zu einer seltsamen Gewissheit, je länger man sie mit sich herum trägt. Und die heutige Nacht scheint wie geschaffen dafür, diese Welt zu verlassen.

Die Luft ist warm, prickelt auf meiner Haut. Es liegt etwas in ihr, das ich seit meiner Kindheit nicht gespürt habe. Vielleicht ist es die Einsamkeit, die ich vermisse. Die Abgeschiedenheit des Sees, die ich früher jeden Tag spürte. Sie ruft mich zu sich, doch noch will ich ihren Fußtritten nicht folgen.

In den Gräsern um mich herum und im nahen Wäldchen wird es langsam hell. Die Flügel Tausender von Glühwürmchen beginnen zu surren, und überall tauchen winzige Lichter auf. Die Zeremonie bei der Brücke muss ihrem Höhepunkt nah sein, wenn die Vei’i die Feuerfliegen zu sich ruft. Nur noch wenige Herzschläge, bis Laviana für immer den Bund mit meinem Bruder eingeht.

Ich möchte weiterlaufen, doch meine Knie zittern zu stark und ich sinke zu Boden. Ich frage mich, wieso es so erschöpfend ist, seinem eigenen Tod entgegen zu gehen. Die Schritte sind schwer und fühlen sich an, als wären die Beine mit Steinen gefüllt. Auf allen Vieren krieche ich weiter, wobei die kleinen, fliegenden Feuerchen um meinen Körper kreisen. Das gesamte Ufer des Sees ist jetzt taghell, und ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie die Vei’i die letzten zerbrechlichen Töne intoniert, während die Glühwürmchen auf ihrem nackten Körper landen und sie in eine leuchtende Gestalt verwandeln. Fast bedauere ich es, diesem Schauspiel nie mehr beiwohnen zu können. Fast. Ich hätte es gern noch ein letztes mal gesehen.

Doch mein Herz fühlt nicht mehr. Mein Leib ist lediglich eine leere Hülle, nachdem mir die Liebe genommen wurde. Ich rolle auf den Rücken, achte nicht auf die stechenden Halme unter meiner Haut und starre nach oben ans Himmelszelt. Dort wohnen sie, die Sterne, in ihrem endlosen Tanz um die Welt. Sie sehen alles. Manchmal wünsche ich mir, wie sie zu sein. Alles sehen zu können, was hier unten vorgeht. Den Sinn zu verstehen.

Es ist die Ungerechtigkeit, die mich zerfrisst. Liebe sollte im Stande sein, jede Hürde zu überwinden und jede Schranke zu zerbrechen. Doch das ist sie nicht. Sie wird von törichten Gefühlen zusammen gehalten und von Traditionen und Verpflichtungen in ein so enges Korsett geschnürt, dass ihr die Luft zum Atmen fehlt.

Der Schwarm der Feuerfliegen ist jetzt vorüber gezogen und nur noch als glimmender Punkt weit vor mir erkennbar. Die erleichternde Dunkelheit der Nacht ist zurück gekehrt.

Ich raffe mich auf und gehe weiter. Meine Schritte tragen mich jetzt schneller, denn die Müdigkeit ist aus meinen Gliedern gewichen. Ich renne beinahe, während das Glühen vor mir noch zu nimmt. Vielleicht ist es die Angst, ihr Gesicht nicht wieder zu sehen, wenn ich zu langsam bin. Oder die Hoffnung, doch noch etwas ändern zu können.

Ohne auf den Untergrund zu achten, sprinte ich nun, fühle den Wind in meinem Haar. Die Gräser sind nass vom Tau und rutschig, bringen mich ein paar Mal zum Straucheln. Doch ich lasse mich nicht beirren.

Ich frage mich, ob ich nicht doch noch etwas ändern kann. Aber ich weiß, dass es mir unmöglich ist. Und trotzdem renne ich weiter. Laviana und Najanir küssen sich wahrscheinlich in diesem Augenblick. Mein Magen revoltiert und ich muss ihn zur Ruhe zwingen.

Ein Bild blitzt vor meinem geistigen Auge auf: Laviana, die ihren Kopf neigt und das Amulett empfängt, das die beiden auf ewig binden wird. Ich stolpere, falle und rutsche über die Wiese. Als ich mich aufrichte, klärt sich mein Blick. Ich bin längst an meinem Ziel. Einige auf dem Boden sitzende Elfen sehen verwirrt zu mir, einer reicht mir eine hilfreiche Hand.

Doch ich beachte sie alle nicht, sondern taumele nach vorn. In alle Richtungen blicke ich mich um, verzweifelt und auf der Suche. Laviana! Sie ist nicht hier. Ich trete nach hinten und stürze erneut, diesmal über einen anderen Elf. Etwas entschuldigendes murmelnd richte ich mich wieder auf und entdecke endlich das Pärchen. Die beiden knien demütig vor der Vei’i und empfangen ihren Segen. Schmerzlich wird mir klar, dass die Zeremonie vorbei ist, meine Laviana einem anderen gehört. Jetzt werde ich mir auch wieder meiner Umgebung gewahr und blicke mich zwischen den Elfen um.

Sie verstehen nicht, was in mich gefahren ist, und sie werden es nie erfahren. Ich nehme meinen Dolch aus der Scheide und betrachte die Klinge. Sie funkelt im Mondlicht, so rein und unschuldig und gleichzeitig so todbringend.

Jemand schreit erschrocken, aber ich lasse mich nicht ablenken. Ein seltsames Hochgefühl schießt durch meine Adern und kribbelt unter meiner Haut. Es fühlt sich an wie damals, als ich noch ein Kind war. Doch heute ist alles anders.

Ich setze ihn an meine Brust, als ein dünnes Pfeifen ertönt, danach ein erstickter Schrei. Meine Finger verkrampfen sich um den Griff meiner Waffe, die ich gerade noch in mein Herz treiben wollte. Ich blicke mich um und schaue in entsetzte, gaffende Gesichter. Eine plötzliche Ahnung lässt mich zum Pärchen aufsehen. Najanir steht auf der Mitte der Brücke, einen Pfeil in der Brust. Ein zweites Zischen, und nur einen Augenblick später kippt Laviana nach hinten, in den Kopf getroffen.

Ich folge den ausgestreckten Fingern der Elfen und entdecke eine dunkle Gestalt am Rande des Waldes, die einen Bogen trägt. Meine rechte Hand bewegt sich wie von allein, fasst den Dolch fester und schleudert ihn nach vorn. Der Schemen fällt, bevor er die Möglichkeit hat, wieder in den Wald zu flüchten. Auch ich sinke nach hinten und spüre, wie die Welt sich dreht.

Aufgeregte Stimmen um mich herum rufen Dinge, die keinen Sinn ergeben, während mich Hände packen und vom Boden heben. Jemand sagt etwas sonderbares: Er habe gesehen, wie ich versuchte, die beiden zu retten.

Ein Attentat, flüstert eine leise Stimme in meinem Schädel. Ein Attentat. Und ich war so beschäftigt mit mir selbst, dass ich es nicht kommen sah. Ich konnte es nicht verhindern.

Man trägt mich fort und spricht darüber, welch ein Glück es sei, dass mir nichts zugestoßen ist. Rufe erklingen, der Prinz habe überlebt.

Und ich schließe meine Augen und sehe Lavianas Antlitz vor mir.
 

Arathas

Mitglied
oh :)

es freut mich, dass dir die Geschichte gefällt. Sie ist übrigens nur ein Teil eines Kurzgeschichten-Zyklusses. Der ganze Zyklus besteht aus (in dieser Reihenfolge, auch wenn die Geschichten auch einzeln Sinn ergeben):

In einer Wintersnacht
In einer Herbstnacht
In einer Sommernacht
In einer Frühjahrsnacht

Insgesamt geben die 4 Geschichten einen Handlungsrahmen von ca. tausend Jahren wieder, sind aber alle aus der Sicht von Einzelschicksalen geschrieben. Eigentlich wollte ich alle 4 auf einmal hier reinsetzen, aber Leselupe hat das Einstellen von Geschichten auf 1 Story pro Tag beschränkt.

Nun, morgen kommt dann die nächste. Ich hoffe, du liest sie auch und sagst mir, was du von ihr hältst. :)

Für Kritik und Verbesserungsvorschläge bin ich übrigens äußerst offen!! ;-)
 

Fea

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Ah..jetzt verstehe ich, was du vor hast...

Du willst die Wandlung des Dunklen beschreiben...oder?

Gut erzählt ist es auf jeden Fall. Aber etwas zuviel unheilsschwanger...ich würde einzelnen Passagen, die die gleiche Aussage haben, rausnehmen...

Und ich verstehe nicht, wo da plötzlich die Elfen herkommen...die tauchen einfach auf...ohne das die vorher erwähnt worden sind...! Wenn die KG eigenständig sein soll, dann müsste vielleicht eine klitzekleine Erwähnung der Elfen irgendwo am Anfang stehen...

Ansonsten gefällt mir die Geschichte ziemlich gut..


Fea
 

Arathas

Mitglied
Elfen

nun, die Elfen SIND ja von Anfang an da. Jovalis ist ein Mondelf, ebenso wie die anderen Elfen. Noch dazu ist er der Prinz der selbigen. Aber du hast Recht, ich werde das nochmal irgendwo am Anfang einbauen.

Jetzt solltest du "In einer Herbstnacht" lesen. Eigentlich ist "Wintersnacht" die erste im Zyklus, aber egal *g*
 



 
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