amelie_franzi
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Das vertraute Zittern der Straßenbahn, die Fahrt aufnahm, riss sie aus ihrem Sekundenschlaf. Sie hatte diese Nacht kaum mehr als ein paar Stunden geschlafen und war überzeugt, mehr Kaffee in ihren Adern zu spüren als Blut. Es war zum Alltag geworden, durch den Stress angetrieben zu werden. Sie nannte es vor ihren Freunden oft scherzhaft „Großstadtkrankheit“, aber diese erwiderten darauf meist nur ein trauriges Kopfschütteln.
In dieser Bahn saß sie jeden Morgen und sie hatte sich davon überzeugt, dass es jedem hier so ging wie ihr. Die immer gleichen Leute, die mit ihr im immer gleichen Vierer saßen hatten die immer gleiche, fahle Gesichtshaut; sie sahen überarbeitet und müde aus.
Aus Langeweile am Trott der morgendlichen Straßenbahnfahrten hatte sie sich Lebensgeschichten für ihre Sitznachbarn überlegt, und schon bald wirkten sie wie alte Freunde, obwohl ihre Bekanntschaft kaum über ein Nicken hinausging.
Es war nicht schwierig zu erkennen, dass diese Vier, zwei Männer und zwei Frauen, mehr teilten als ein stressiges Arbeitsleben und ihre morgendlichen Fahrten; sie wirkten ausnahmslos einsam.
Sie hatte es aufgegeben, nach jemandem zu suchen. Sie glaubte, in jedermanns Augen den gleichen, ihr so vertrauten Frust zu erkennen und so jemanden wollte sie nicht. Sie glaubte aber längst nicht mehr an den Märchenprinzen, den leuchtenden Schmetterling, der sich von der grauen Masse abhob. Der Frust über diese Erkenntnis war schlimmer, als die schlichte Aussicht, für immer einsam und gestresst zu sein. Früher hatte sie sich eingeredet, sie sei mit ihrer Arbeit verheiratet und glaubte sogar, ihr Verhältnis zu dem, was sie täte, sei besonders, ja einzigartig und nicht mit dem zu vergleichen, was andere taten.
Seit sie sich bewusst geworden war, worin der Kern ihres Daseins tatsächlich bestand, nämlich in einer ewigen Schleife des Unglücklichseins, und seit sie wusste, dass es scheinbar ausnahmslos jedem in dieser Stadt so erging, hatte sie angefangen, mehr zu träumen.
Den Mann, der ihr jeden Morgen gegenübersaß, dessen graue Krawatten sie langweilten und in dessen tiefen Sorgenfalten schon Staub gefangen zu sein schien, hatte sie Clyde getauft.
Sie wünschte sich, unter seinem zu großem Anzug hätte er zwei Knarren versteckt. Dann stellte sich vor, er würde sie an der nächsten Haltestelle bei der Hand greifen und mit ihr die nächste Bank ausrauben. Sie würden gemeinsam nach Berlin fliehen, in ihrer alten Ente, und weil sie jeder als die langweiligsten Menschen der Welt kannte, würde sie niemand verdächtigen. Schließlich würden sie auf frischer Tat ertappt und endlich gemeinsam im Sonnenuntergang im Kugelhagel sterben. Sie dachte an die Zeitungsartikel: „Steuerberaterin in Reihe von Raubfällen verwickelt!“. Sie sah ihr Gesicht auf den Fahndungs-Flyern.
Sie überlegte, dass sie niemand je vergessen würde, weil sie mehr war, als das hier. Sie war Bonnie.
Sie ertappt sich dabei, wie sie den Mann zu lange angestarrt hatte. Er runzelte die Stirn, sie bildete sich ein, tatsächlich Staubkörner aus den Falten rieseln zu sehen. Beschämt wandte sie den Blick ab.
Der Zug hielt, der Mann stand auf. Er blickte sie an und sagte „Bis morgen also“. Überrascht brachte sie nur ein Nicken zustande, aber in Gedanken flüsterte sie „Bis morgen, Clyde“.
In dieser Bahn saß sie jeden Morgen und sie hatte sich davon überzeugt, dass es jedem hier so ging wie ihr. Die immer gleichen Leute, die mit ihr im immer gleichen Vierer saßen hatten die immer gleiche, fahle Gesichtshaut; sie sahen überarbeitet und müde aus.
Aus Langeweile am Trott der morgendlichen Straßenbahnfahrten hatte sie sich Lebensgeschichten für ihre Sitznachbarn überlegt, und schon bald wirkten sie wie alte Freunde, obwohl ihre Bekanntschaft kaum über ein Nicken hinausging.
Es war nicht schwierig zu erkennen, dass diese Vier, zwei Männer und zwei Frauen, mehr teilten als ein stressiges Arbeitsleben und ihre morgendlichen Fahrten; sie wirkten ausnahmslos einsam.
Sie hatte es aufgegeben, nach jemandem zu suchen. Sie glaubte, in jedermanns Augen den gleichen, ihr so vertrauten Frust zu erkennen und so jemanden wollte sie nicht. Sie glaubte aber längst nicht mehr an den Märchenprinzen, den leuchtenden Schmetterling, der sich von der grauen Masse abhob. Der Frust über diese Erkenntnis war schlimmer, als die schlichte Aussicht, für immer einsam und gestresst zu sein. Früher hatte sie sich eingeredet, sie sei mit ihrer Arbeit verheiratet und glaubte sogar, ihr Verhältnis zu dem, was sie täte, sei besonders, ja einzigartig und nicht mit dem zu vergleichen, was andere taten.
Seit sie sich bewusst geworden war, worin der Kern ihres Daseins tatsächlich bestand, nämlich in einer ewigen Schleife des Unglücklichseins, und seit sie wusste, dass es scheinbar ausnahmslos jedem in dieser Stadt so erging, hatte sie angefangen, mehr zu träumen.
Den Mann, der ihr jeden Morgen gegenübersaß, dessen graue Krawatten sie langweilten und in dessen tiefen Sorgenfalten schon Staub gefangen zu sein schien, hatte sie Clyde getauft.
Sie wünschte sich, unter seinem zu großem Anzug hätte er zwei Knarren versteckt. Dann stellte sich vor, er würde sie an der nächsten Haltestelle bei der Hand greifen und mit ihr die nächste Bank ausrauben. Sie würden gemeinsam nach Berlin fliehen, in ihrer alten Ente, und weil sie jeder als die langweiligsten Menschen der Welt kannte, würde sie niemand verdächtigen. Schließlich würden sie auf frischer Tat ertappt und endlich gemeinsam im Sonnenuntergang im Kugelhagel sterben. Sie dachte an die Zeitungsartikel: „Steuerberaterin in Reihe von Raubfällen verwickelt!“. Sie sah ihr Gesicht auf den Fahndungs-Flyern.
Sie überlegte, dass sie niemand je vergessen würde, weil sie mehr war, als das hier. Sie war Bonnie.
Sie ertappt sich dabei, wie sie den Mann zu lange angestarrt hatte. Er runzelte die Stirn, sie bildete sich ein, tatsächlich Staubkörner aus den Falten rieseln zu sehen. Beschämt wandte sie den Blick ab.
Der Zug hielt, der Mann stand auf. Er blickte sie an und sagte „Bis morgen also“. Überrascht brachte sie nur ein Nicken zustande, aber in Gedanken flüsterte sie „Bis morgen, Clyde“.
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