Fair Trade

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lietzensee

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Fair Trade​

Glockner machte eine ausladende Handbewegung: „All die Errungenschaften der Menschheit kann man natürlich nicht bei einem kurzen Besuch erfassen.” Er blickte von der Dachterrasse hinab auf die Straßen und ausgetrockneten Kanäle der Stadt. „Aber bevor Sie uns wieder verlassen, Herr Botschafter, will ich Ihnen zumindest eine Ahnung vermitteln.“ Glockner zwinkerte dem Botschafter der Milchstraße zu und hob die Hand. Dann bestellte er zwei Stück Schwarzwälder Kirschkuchen. Von den Nebentischen hörte man das Schnippen von Fingern.
Durch welche Ränkespiele bei der UN Glocker zum Gesandten der Erde gemacht worden war, wusste er selbst nicht. Doch bei den plötzlichen Verhandlungen hatte er versucht, das Beste für seinen Planeten herauszuholen. „Wir machen faire Preise“, hatte der Botschafter der Milchstraße gleich zu Anfang gesagt und war eine Liste durchgegangen. „Neptun ist praktisch wertlos. Für Saturn kriegt ihr auch nicht viel. Aber Jupiter wäre ganz interessant. Wenn ihr allerdings eure Sonne ...“ Die Sonne stand nicht zum Verkauf, das hatte Glockner nachdrücklich erklärt. Auf der Dachterrasse blickte er in den blauen Himmel und wiederholte dieses Machtwort noch einmal leise vor sich hin. Das Schnippen der anderen Gäste wurde zunehmend irritierend. Schließlich hatten sie sich auf den Verkauf des Jupiters geeinigt. Die Menschen sollten dafür einen gebrauchten Klimaregulator bekommen und die Unsterblichkeit. Zwar waren die UN-Experten bei der Umsetzbarkeit von ewigem Leben skeptisch, doch der Klimaregulator überzeugte die Gutachter: Planetenweite Steuerung des Klimas mit garantierter Genauigkeit von einem halben Grad, leichte Gebrauchsspuren am Gerät. Es war ein Angebot, das Glockner schlecht hätte ausschlagen können. Auch hatte die Menschheit keine praktische Verwendung für den Planeten Jupiter.
Eine junge Kellnerin stellte zwei Stück Schwarzwälder Kirsch auf den Tisch und Glockner forderte den Botschafter der Milchstraße zum Essen auf. „Probieren Sie mal, wie ein Mensch zu genießen.“ Er selbst schob sich eine Kuchengabel voll Sahne in den Mund. Der Botschafter kaute höflich. Er war ein Humanoide mit zwei blauen Augen und rosigem Teint. Doch seine Kaubewegungen ließen zweifeln, ob unter der Haut etwas lag, das mit menschlichen Knochen vergleichbar gewesen wäre. Bei jedem Bissen ertönte ein Surren. Am Nebentisch schnippten die Leute immer hektischer.
Der Botschafter würde wieder verschwinden, sobald seine Seite alles geliefert hatte. Auf diese Klausel im Vertrag hatte Glockner bestanden. Um den Jupiter durfte ein Drohnenschwarm installiert werden – und das war es. Keine diplomatischen Besuche und keine außerirdischen Touristen vor der Semperoper. Alles in allem, versicherte Glockner sich in Gedanken, war es ein guter Deal. Ein notwendiger Deal, wenn die Menschheit trotz Erderwärmung ihren Lebensstil fortsetzen wollte. Während Glockner eine schnapsgetränkte Kirsche zerkaute, erlaubte er sich sogar, etwas Hoffnung auf die Unsterblichkeit zu setzen.
„Nicht schlecht“, sagte der Botschafter der Milchstraße nach bedächtigem Kauen und schob den Kuchenteller zur Seite. „Aber mich wundert, dass Sie unsere kleine Dreingabe noch nicht probiert haben. Sie ist ganz kostenlos, glauben sie mir.“ Tief aus seiner Kehle drang ein Surren. „Ein Werbegeschenk unsererseits, weil ihr Sonnensystem so günstig gelegen ist.“
Um der Diplomatie nicht zu schaden, biss Glockner sich auf die Lippen. Er hatte kein Interesse an dieser kleinen Dreingabe, diesem Nachtischgeschenk für die Menschheit, dessen Geschmack so viel besser als frische Erdbeeren sein sollte. Das war ihm zu frivol. An den Tischen ringsherum schnippten Gäste mit den Fingern. Darauf erschien vor ihnen eine Schüssel mit blauem Matsch, den sie gierig zu löffeln begannen. Feuchte Klümpchen tropften von ihren Lippen und sie riefen mit vollem Mund Dinge wie „Alter, das ist übelst lecker!“ Nein, Glockner hatte kein Interesse an diesem Brei und er schüttelte seinen Kopf.
„Aber Sie reden doch die ganze Zeit über wohlschmeckende Nahrung”, in der Stimme des Botschafters klang Unverständnis. Er schnippte mit seinen Fingern und es erschien eine Schüssel mit blauem Brei auf dem Tisch. „Probieren Sie.“
„Nein“, Glockner holte tief Luft, „das werde ich nicht. Was glauben Sie überhaupt, wer Sie sind? Sie, mit Ihren Drohnenschwärmen und synthetischen Desserts, denken Sie wirklich, es gäbe nichts Besseres?“
„Doch“, der Botschafter lachte surrend, „Besseres gibt es natürlich. Aber nur für den richtigen Kaufpreis, eure Sonne zum Beispiel …”
„Liefern Sie erst mal, was Sie versprochen haben, anstatt uns mit blauer Pampe abzuspeisen!“ Glockner schlug mit der Faust auf den Tisch und von der Torte spritzen ein paar Sahnekleckse.
Der Botschafter nickte. Er blickte eine Weile in den blauen Himmel. Ein kurzes Leuchten, dann erklärte er, dass die Klimakontrollanlage fertig installiert war und der Drohnenschwarm seine Position erreicht hatte. „Fehlt nur noch die Unsterblichkeit.“ Dreimal klatschte er in seine Hände.
Sofort tauchte eine Pille in Glockners Hand auf. Sie war mit einem bunten Schriftzug bedruckt: Unsterblichkeit – Bitte mit Wasser einnehmen. Alle Menschen ringsum starrten überrascht in ihre Hände. Nur ein kleiner Junge hatte den Finger in die Nase gesteckt und war zu beschäftigt, um auf die Aufregung um ihn herum zu achten. Nach einem Klaps seiner Mutter zog er den Finger heraus und sofort erschien auch in seinem Händchen eine Pille.
„Ist das Ihr Ernst?“, fragte Glockner.
„Geliefert wie bestellt“, bestätigte der Botschafter der Milchstraße. Ein junger Kerl stand von seinem Tisch auf. Er schluckte die Pille, nahm Anlauf und sprang von der Dachterrasse. Die Leute sahen ihm entsetzt nach. Von unten hörte man das Hupen von Autos und schließlich den triumphierenden Schrei des Burschen. Darauf erhoben sich weitere Gäste von ihren Tischen.
„Seid ihr verrückt?“, rief Glockner den Leuten zu. Doch diese achteten nicht auf ihn. Immer mehr sprangen.
Er versuchte, das Handgelenk des kleinen Jungen zu greifen. Aber auch der warf sich schon über das Geländer. Weit unten gab es einen dumpfen Aufschlag und den Ruf des Jungen: „Noch mal! Noch mal!” Die ersten Leute kamen mit dem Lift wieder nach oben gefahren, stopften ein paar Löffel der blauen Pampe in sich hinein und sprangen gleich noch einmal vom Dach.
„Sie sehen, dass wir Qualität liefern”, sagte der Botschafter zu Glockner, „Warum probieren Sie nicht den Brei?”
Lange und hasserfüllt ruhte Glockners Blick auf dem Botschafter der Milchstraße. Alle Gesichter ringsum waren blau besudelt. Die Stadt war erfüllt von Schreien und Menschen lachten darüber, dass sie sich gegenseitig die Köpfe zertrümmern konnten. Schließlich schloss Glockner die Augen und schluckte eine Löffelspitze voll Brei. Er probierte noch einmal und noch einmal. Dann warf er den Löffel über das Geländer und schaute den Botschafter an. „Kein Vergleich zu Schwarzwälder ...“ Seine Hand griff in die Schüssel und stopfte blaue Klumpen in den Mund. Er schluckte schneller, damit er mehr Brei in den Mund bekam. Schließlich biss er sich auf die Zunge. Blauer Brei mischte sich mit rotem Blut. „Es gibt kein Zurück”, flüsterte er. Er sprang mit den anderen von der Dachterrasse des zehnten Stocks.
Der Botschafter schüttelte den Kopf. Dann beobachtete er die junge Kellnerin, wie sie anmutig ihre Arme zum Flug ausbreitete. Seine Arbeit hier war getan und mit einem Surren verschwand er. Der Tisch stand verlassen. Darauf zurück blieben blaue Flecken, zwei Teller Schwarzwälder Kirsch und Glockners bunt bedruckte Pille.
 
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Matula

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Armer Glockner, der letzte Mensch, abgespeist mit blauer Pampe in den Tod.
Zwei kleine Tippfehler sind mir aufgefallen: "Seid ihr verrückt?" und in der vierten Zeile von unten ist ein "er" zu viel.
Anrührende Geschichte.

Schöne Grüße,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Matula,
vielen Dank für deine Bewertung und das genaue Lesen! Die zwei hässlichen, kleinen Patzer habe ich noch ausgekratzt. Den Satz am Ende hatte ich einfach zu oft umgestellt.
Der Herr Glockner ist übrigens nicht unbedingt als Sympathieträger gemeint.

Viele Grüße
lietzensee
 

jon

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Teammitglied
Ich verstehe nicht, was die Aliens mit dem "Nachtisch" bezwecken - weder solo noch in Kombination mit den Pillen. Offenbar löst der Brei das Durchgeknalltsein aus (denn Glockner reagiert so, auch ohne Pille).
 

lietzensee

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Hallo Jon,
vielen Dank für deine Antwort. Für die Aliens ist der Nachtisch nur ein billiges Werbegeschenk, so wie sie es sagen. Sie sind faire Händler (Siehe Titel). Für sie hat diese Ware auch keinen hohen Wert.
Das Drama der Geschichte soll also nicht sein, dass die Aliens betrügen, sondern, dass die Menschheit mit der ertauschten Ware nicht umgehen kann. In dem Sinne sollen die Menschen nicht durchgeknallt, sondern nur überfordert sein. Denk dir Steinzeitmenschen, die plötzlich unbegrenzten Zugang zu McDonalds haben. Auch die Unsterblichkeit wird schnell zum frivolen Nervenkitzel. Ich gebe zu, dass ich da kein besonders positives Bild der Menschheit zeichne ;-)

Macht das den Text für dich etwas nachvollziehbarer?

Viele Grüße
lietzensee
 

jon

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Teammitglied
Danke für die Erklärung. Da das Alien gar keine Reaktion aufs "Ausflippen" zeigt, bin ich auf diesen Gedanken nicht gekommen. Den kleinen Satz "Der Botschafter schüttelte den Kopf." hatte ich nur auf Glockners Pille-Vergessen bezogen. Und weil der Botschafter drängt
Aber mich wundert, dass Sie unsere kleine Dreingabe noch nicht probiert haben. Sie ist ganz kostenlos, glauben sie mir.“
plus wenig später
Er schnippte mit seinen Fingern und es erschien eine Schüssel mit blauem Brei auf dem Tisch. „Probieren Sie.“
klingt es so, als sei es für den Botschafter wichtig, dass alle von dem Brei essen.

Das nicht-positive Bild der Menschheit stört mich nicht, im Gegenteil. Aber vielleicht kannst du es noch klarer erkennbar machen.
 
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lietzensee

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Hallo Jon,
vielen Dank für deine Antwort. Ich verstehe was du meinst. An diesen Stellen wirkt der Botschafter so, als würde er Glockner drängen. Die blaue Pampe wollte ich dem Leser halt in Erinnerung halten. Ich schaue noch mal, wie ich das geschickter machen kann. Vielleicht erwähnt sie einfach Glockner und der Botschafter zeigt, dass es ihm egal ist.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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