Faktencheck reloaded (E.T. lässt grüßen)

Wie wär‘s, können wir mal neu starten und das System auf 0 zurücksetzen?
Ich bitte darum.
Ich meine:
Die meisten Sätze, die heute im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg fallen, sind proppenvoll mit Interpretationen, Mutmaßungen, Voreingenommenheit und schwer emotional aufgeladen, sodass das objektiv Beschreibbare dahinter schon komplett verschwindet.
Was wir sagen, was wir hören, ist nur noch selten sachlich.

Einige Beispiele:

Aggressor.

Terrorstaat.

Diktator.

Imperialistische Gelüste.

Freiheit und Demokratie verteidigen…


In all diesen Worten stecken vor allem Wertungen und Meinungen. Sie beschreiben nicht einen Sachverhalt, sie interpretieren und deuteln bereits.
Sachlich gesprochen würde so manches ganz anders klingen.

Stellen wir uns vor, ein E.T. käme auf die Erde und wir im Westen sollen ihm nun erklären, warum speziell dieser Krieg „Erdlinge gegen Erdlinge“ nun anders und verdammenswerter sein soll als jene, die es zuvor gegeben hat und nebenher gibt.
Stellen wir uns vor, E.T. würde nicht anspringen auf das schnell dahingesagte: „Wir, die Guten“. Als Außenstehender würde er logischerweise sogleich zurückfragen, warum wir glauben, wir wären auf diesem Planeten die Guten. Er würde uns fragen, was wir als „die Guten“ bislang so getan haben auf der Erde.
Wir hätten wohl Mühe, adäquate Argumente zu finden und E.T. würde wohl anfangen, an uns und unseren Worten zu zweifeln.
Vermutlich würde E.T. uns auch fragen, warum wir das Regierungsoberhaupt des einen Landes „Diktator“ und „Terrorstaat“ nennen, während andere Oberhäupter, die sich formal kaum unterscheiden, als „Partner“ und „Freunde“ gelten.
E.T. würde sich ebenso wundern, wie partiell wir Werte wie „Freiheit“ und „Demokratie“ hochhalten; je nachdem, wie es dem eigentlichen westlichen Wert, dem $, zupasskommt.
Am Ende wären das viele gute Fragen, auf die wir keine guten Antworten haben.
E.T.s Faktencheck würden wir nicht bestehen.

Überlegen wir mal.
Wenn wir über Fakten sprechen wollen – und nach den überbordenden Faktenchecks der letzten Jahre sollen wir das ja tun – sprechen wir also mal wirklich nur darüber, was objektiv haltbar ist:
Die Regierung des Landes x hat im Februar 2022 entschieden und angekündigt, die Grenze des Nachbarlandes y mit Waffengewalt zu passieren.
So geschah es auch.
Land x hat sein Vorgehen mit eigenen Sicherheitsbedenken begründet. Es sagt, Land y würde sich zu sehr an Mächte annähern, die für Land x eine Bedrohung bedeuten.

An diesem Punkt würde E.T. vermutlich schon mal einhaken und „Halt!“ rufen.
Die erste, originäre Bedrohung, man mag sie ernst nehmen oder nicht, geht also nicht unbedingt von Land x aus, also:
„Wer ist wirklich der Verteidiger, wer hat zuerst angriffslustig agiert?“ könnte der Außerirdische einwerfen und die althergebrachte Formel vom „russischen Aggressor“ schon mal in Frage stellen - vor allem mit Seitenblick auf diesen Westen, der vorsorglich schnell mal wo einmarschiert, selbst wenn er eine ähnliche Bedrohung meist nur herbeiphantasiert (oder selbst mit herbeigeführt) hat.
E.T. sieht nachweislich bedrohliche Signale in nächster Nähe im Fall von Land x – und fragwürdige Vorwände des Westens, die sich hinterher meist als Lüge entpuppt haben, um trotzdem immer wieder in geographisch weit entfernten Gefilden mitzumischen.
„Gibt es vielleicht doch handfeste Gründe, die die Befürchtungen und das Vorgehen von Land x plausibel machen könnten?“ – könnte der Ortsfremde ganz unvoreingenommen nachfragen.
Käme E.T. dann noch an Hintergrundinformationen wie die Tatsachen, dass im Vorfeld dieses Krieges die diversen Abrüstungsabkommen wie INF, Open Skies, START, NEW START… stets von westlicher Seite zuerst aufgekündigt wurden, würde er unseren Worten vermutlich noch viel weniger Glauben schenken.

Nachdem all die anderen Erzählungen vom Demokratie-und-Freiheit-Verteidigen bis hin zur alarmistischen Prophezeiung, Russland würde so nach und nach halb Europa unterjochen wollen (wegen der imperialistischen Gelüste, die nach dieser Lesart ja auch den Ukraine-Krieg ausgelöst hätten) auf den erstgenannten Prämissen aufbauen, wird E.T. uns vermutlich gleich gar nichts mehr abkaufen.
Zu Recht.
E.T. würde seinen schrumpeligen Kopf schütteln und mit seinem Leuchtfinger auf die Fakten vor unserer Nase deuten.
Er würde uns raten: Schaltet mal ein paar Gänge zurück, beruhigt euch und schaut, was wirklich Sache ist.

In diesem Sinne sollten wir alle mal ein bisschen zurückschalten in unserem diskussionshitzigen Furor.
So einen kleinen E.T. als Advocatus Diaboli in unser Denken einbauen, um in unseren Köpfen das objektiv Beschreibbare, das Sachliche von dem zu trennen, was uns dann doch nur als jemandes Ansicht ins Gehirn gelangt ist.

Auf dieser sachlichen Ebene diskutiert es sich gewiss gleich ganz anders über den Krieg.
Und wer weiß, vielleicht findet sich hier sogar eine Lösung?
E.T. lächelt verschmitzt an dieser Stelle.
Ist halt doch eine höher entwickelte Spezies.


30. 08. 2024​
 



 
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