Fallen

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Matula

Mitglied
Wie nützlich sind doch unsere deutschen Redensarten! Immer zur Hand wie eine Packung Papiertaschentücher oder die Kreditkarte. Wem sie leicht von der Zunge gehen, der gilt als eloquent. Sie bringen Schwung in jede Unterhaltung. Manchmal genügt schon das erste Wort und alle stimmen ein. Sie ersparen peinliche Denkpausen und verhindern unnötige Auseinandersetzungen. Man könnte sie als Friedensformeln, oder besser als "Befriedungsformeln", der deutschen Sprache bezeichnen.

Nehmen Sie zum Beispiel ein Gespräch unter Kollegen, in dem es um den Juniorchef geht. Ehe man langwierige Überlegungen anstellt, in welcher Hinsicht der Sohn besser oder schlechter als der Vater ist, sagt man: "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!" Das leuchtet ein: der Junior als Frucht des Seniors. Selbst wenn er ganz aus der Art geschlagen wäre, müsste er zurück zu den Wurzeln seines Erzeugers. So will es die Schwerkraft. Kollegen, die den Jungen eigentlich sympathischer als den Alten finden, müssen sich nicht exponieren und alle sind zufrieden,

Thematisch verwandt, weil es auch hier ums "Fallen" geht, wäre die Redensart: "Wo die Liebe hinfällt!" Ihr zweiter Teil wird, da unfein, in der Regel unterschlagen. Man könnte sonst glauben, die Liebe sei eine alte Schnapsdrossel, die wieder zu viel gebechert hat und irgendwo hingeknallt ist. Lieber will man sie sich als Himmelsmacht denken, als Amor, der mit verbundenen Augen Pfeile abschießt. Wenn so ein Pfeil trifft, hat die Psychologie Sendepause. Von wegen Mesalliance! Und wenn Mariechen sich immer in verheiratete Männer verliebt, ist das kein Grund, moralisch zu werden. Das gute Kind kann einfach nicht anders.

Da wir so viel Gefallen am Fallen finden, überrascht es, dass gerade bei uns keine Meister vom Himmel fallen, aber immer Späne, wo gehobelt wird. Alte Zunftweisheiten, die weite Verbreitung und viele neue Anwendungsgebiete gefunden haben. Wenn die Dame des Hauses Gäste hat und zu diesem besonderen Anlass Selbstgekochtes serviert, ist ihrer Selbstkritik nicht mampfend zuzustimmen, sondern die Redensart mit den Meistern am Platz. Und wenn der Hausherr beim Flambieren des Nachtisches versehentlich das Strohblumengesteck in Brand setzt, empfiehlt sich der Vergleich mit den Hobelspänen. Es kann dann noch ein sehr schöner Abend werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Persönlich finde ich diese Praxis ziemlich enervierend und suche sie möglichst im eigenen Sprachgebrauch zu vermeiden. Es hat etwas von Pawlowschem Reflex, wenn auf die Erwähnung eines Sachverhalts der Art X fast automatisch immer dieselbe Redewendung Y hervorgesprudelt wird. Auch bei Texten achte ich sehr auf diese recht geistlose Unsitte. Wenn Derartiges z.B. hier schon am Anfang eines neuen Textes in der Übersicht der Startseite auftaucht, lese ich meistens nicht weiter.

Im zweiten Absatz müsste in der letzten Zeile "sind" durch "sich" ersetzt werden.
 

Matula

Mitglied
Danke für den Hinweis !
Und ja, den Rest sehe ich genauso. Offenbar ist mir der ironische Unterton missglückt. Ist halt schwierig, wenn Leser und Autor sich nicht kennen. Ich dachte, dass die Ersparnis "peinlicher Denkpausen" zeigt, was die Autorin meint.
 
Offenbar ist mir der ironische Unterton missglückt.
Ganz so war es nicht, Matula. Nach der Lektüre hielt ich die beiden möglichen Intentionen für denkbar, war mir insoweit unsicher. Aus diesem Grund stellte ich nur meine persönliche Einstellung zum Problem heraus und enthielt mich einer Aussage zum Text. Da nun meine Unsicherheit beseitigt ist, erkenne ich gern an, dass der ironische Ton vorhanden und auch gut wahrnehmbar ist.

Grundsätzlich sprichst du in deinem Kommentar etwas an, das auch mir schon manchmal Probleme bereitet hat: dass Ironie von einzelnen Lesern nicht verstanden wird. Besonders problematisch sind ironische Titel.

Schöne Morgengrüße
Arno
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Matula,

ich war da jetzt nicht so zaghaft wie der gute Arno, sondern habe herzlich gelacht.
Ich denke auch, es geht nicht um soziale Situationen, in denen man differenzieren kann, sondern diese 'Gruppenereignisse' - wie Du schon nanntest, wer den Junior besser findet, muss sich jetzt nicht outen - und unter Umständen merkt sich das ein 'falscher Fuffzicher'.
Auch die 'Fall'-Beobachtung fand ich köstlich.
Ich denke, man sollte nicht so streng mit der sprachlichen sozialen Schmiere sein :) Will ja gar nicht literarisch wahrgenommen werden.

Liebe Grüße
Petra
 

Matula

Mitglied
Guten Abend @petrasmiles und @Arno Abendschön !

Danke Arno für die Klarstellung. Mir fällt auf, das manche Redensarten wieder in Mode gekommen sind. Im Gespräch stören sie mich weniger als in Texten, solange sie richtig verwendet werden und nicht irgendwie zusammengestoppelt. Heute zum Beispiel: "Ja, da müsste die SPÖ schon über den Tellerrand springen."
Besser als alle Sprüche wären natürlich fundierte Debatten, auch wenn sie die Eintracht stören.

Herzliche Grüße,
Matula
 
Im Gespräch stören sie mich weniger als in Texten, solange sie richtig verwendet werden und nicht irgendwie zusammengestoppelt.
Ja, Matula, das empfinde ich gewöhnlich ebenso und insofern gebe ich auch Petra recht. Allerdings kommt es auf die Situation (Anlass?) und den Vortrag an (starke Betonung?) Es ist ein Unterschied, ob einem beim raschen Sprechen einer von diesen schon viel zu oft gehörten Sprüchen mit rausrutscht oder ob sich einer gewichtig hinstellt und sie wie eine tiefe Weisheit verkündet. Aus diesem Gebrauch kann man Schlüsse auf die geistige Struktur des Sprechers ziehen. Besonders übel finde ich es, wenn diese Floskeln aus dem Mund von Reportern im Fernsehen kommen. Da ist ständig das Glas halbvoll und niemand beabsichtigt, eine Mauer zu errichten, und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben und die Kuh ist immer noch nicht vom Eis usw. Ich kann das nicht mehr hören! Ich will dann meinen Rundfunkbeitrag zurück und die mir gestohlene Zeit auch.

Herzliche Grüße
Arno
 

Matula

Mitglied
Ja, solche Floskeln ärgern mich auch, aber ganz besonders, wenn Pfusch aller Art mit dem Hinweis auf die Hobelspäne gerechtfertigt wird. Tenor: Sie werden doch nicht alten Volksweisheiten widersprechen wollen ! Okay, das neue Rohr wurde nicht richtig verlegt, die untere Wohnung steht unter Wasser und jetzt muss zwei Wochen lang Tag und Nacht die Trockenmaschine heulen, aber sehen Sie, gegen solche Fehler ist eben "kein Kraut gewachsen" - wenn Ihnen das lieber ist.

So wird die Redensart zur beliebten Ausredensart.

Herzliche Grüße,
Matula
 

petrasmiles

Mitglied
Aber mir fällt auch eine andere Wertigkeit ein, wo quasi 'in der Kürze die Würze' liegt:

'Wenn es dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis' - keine Frage, dass dies unsere derzeitige Situation - vielmehr unserer Volksvertreter - beschreibt, oder hier:

'Nicht auf der Höhe des Balles sein' - wenn man gleichzeitig aus Umweltgründen eine Deindustrialisierung betreibt, um dann das Geld, das man nicht mehr erwirtschaften wird, mit 'vollen Händen' auszugeben - oder ist das eher, dass 'die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut'? Nein, denn sie weiß es ja, schafft nur nicht, diese beiden Tatsachen und ihre Konsequenzen zusammen zu bringen!

Ich stelle fest, bei dem Thema gibt es unterschiedliche Qualitäten ...
 

Matula

Mitglied
"Auf der Höhe des Balles sein" hab ich noch gar nicht gekannt ! Aber ich glaube auch, dass die rechte Hand weiß, was die linke tut, solange sie von einem Kopf gesteuert werden. Das Problem ist halt, dass es so viele Hände gibt, die sich regen und etwas bewegen wollen. Blaise Pascal hat gemeint, dass es weniger Unglück in der Welt gäbe, wenn alle daheim in ihrem Zimmer blieben. Ich kann dem einiges abgewinnen. Voraussetzung wäre, dass jeder nur ein Zimmer hat ...

Liebe Grüße,
Matula
 



 
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