Fallobst

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Franke,

es ist ein bisschen schwierig zu entschlüsseln, was genau Du meinst, finde ich.

Oliver hat es so gelesen, dass das Hoffen fällt.

Ich lese es so, dass sich das Hoffen auf das "sie" bezieht.

Das heißt dann für mich, diejenigen, welche die Bäume fällen, hoffen schon auf die nächste Ernte.

Mir erschließt sich nicht, warum sie darauf hoffen.

Ich könnte es politisch verstehen in Hinblick darauf, was gerade in der Türkei passiert ist. Die "Deserteure" wären dann diejenigen, die fälschlicher Weise als Verräter und Putschisten in Gefängnissen auf das qualvollste eingesperrt sind und auch gefoltert werden.

Allerdings sprichst Du ja von "Krieg" uns so meinst Du sicherlich etwas Anderes.

Der 2. Weltkrieg liegt schon so lange zurück. Da war es tatsächlich so, dass Deserteure an Bäumen erhängt wurden. Aber das meinst Du doch sicher nicht.

Willst Du uns schon jetzt mitteilen, was Du meinst? Ich verstehe, wenn Du damit noch warten möchtest.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo ihr!

Ich habe bewusst mehrere Lesarten eingebaut und freue mich, wenn die hier auftauchen.
Vielleicht als Tipp: Ich verarbeite hier ein Ereignis aus meiner Kindheit (geboren 1961 )

Liebe Grüße
Manfred
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo!

Ich möchte nun doch die Hintergrundgeschichte zu diesem Gedicht erzählen, denn aus dieser Sicht gibt es nur eine mögliche Lesart:

Ich kann mich als Kind noch gut an das jährliche Sommerfest auf einer Wiese vor dem Dorf erinnern. War für uns Kinder immer eine große Sache, war es doch in den Sechzigern oft die einzige Möglichkeit den Eltern mal eine Cola abzubetteln.
Es war eine Obstwiese und in der Mitte stand eine uralte, knorrige Eiche.
Ich saß selig mit meiner Cola bei den Alten. Die unterhielten sich über den Baumschnitt und dass man dieses Jahr mit einer guten Obsternte rechnen könne.
Da deutete einer von ihnen auf die Eiche und sprach mich direkt an:
"Schau dir genau diese Eiche an, Jungchen. Da haben wir die Deserteure und die Polen aufgehängt."
Viel mehr als die schreckliche Tat schockt mich das "wir" in der Aussage. Bis heute habe ich den Schock noch nicht überwunden.


Es ist also die heftigste aller Lesarten, die hinter diesem Gedicht steckt.

Liebe Grüße
Manfred
 

Label

Mitglied
Hallo Franke

an Gehenkte habe ich schon gedacht, aber ich konnte den Bogen zum Baumschnitt nicht herstellen, da ich es so verstanden hatte, dass Baumschnitt und abnehmen des Gehenkten zeitgleich ist.

Die Erntehoffnung konnte ich mir als noch mehr Leute aufhängen,
tatsächlich mehr Obst (vielleicht weil der Boden mit Blut gedüngt ist) und wieso kann man auf reichere Ernte hoffen, wenn man um die Gehenkten herunterzuholen den Baum beschneidet und dabei wahrscheinlich den Baum eher verstümmelt hat.

Vielleicht zeigen dir meine Gedanken dazu, dass in deinem Gedicht die beiden zeitlich getrennten Ereignisse so vermengt sind, dass sich zumindest bei mir, kein klares Bild eingestellt hat.

Lieber Gruß
Label
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo label,

wenn das Gedicht Verwirrung stiftet, dann hat es seinen Zweck erreicht. Dies war beabsichtigt.
Ob es sich bei der Hoffnung auf die nächste Ernte auf Deserteure oder Obst handelt, überlasse ich dem Leser.

Liebe Grüße
Manfred
 
Guten Abend, Franke!

Habe dein Gedicht nun auch des Öfteren gelesen und ich finde, die Wahl deines Themas und Settings ist wichtig und verdient besondere Aufmerksamkeit. Ich kann mich gut in deine Gefühle hineinversetzen, als du mit diesem menschenverachtenden Zynismus und der unglaublichen Kaltschnäuzig dieser Menschen aus deiner alltäglichen(!) Umgebung unvermittelt konfrontiert wurdest. Dies hat auch etwas von Initiation an sich und erinnert mich an diverse Kurzgeschichten.

Allerdings ist, das ist mein persönlicher Eindruck, dieses Gefühl der Empathie auch erst auf der Grundlage deines anschließenden Kommentars mit den entsprechenden Hintergrundinformationen so richtig möglich. In diesem Fall scheint mir die Methode der sprachlichen Verknappung und das bewusste Offenlassen der Deutungen in zwei, drei Richtungen nicht recht zu greifen.

Es kommt ja auch darauf an, was man mit der Veröffentlichung eines Gedichts beabsichtigt. Geht es darum, bestimmte emotionale Erfahrungen mit Lesern zu teilen, sie am selbst Erlebten teilhaben zu lassen oder ist es das Ziel, beim Publikum in einer Art Puzzle einen Gedankentransfer zu bewirken. Im ersten Fall ist mir die Wortwahl zu karg und direkt, im zweiten fehlt m. E. der informative Input, um wirkliche Zusammenhänge herzustellen.

Vielleicht könnte man in einer anderen Version den zynischen Satz des sich unvermittelt offenbarenden Täters bildlich im Gedicht aufgreifen oder das Gedicht als Collage gestalten, in dem die Wahrnehmung des kindlichen LIs mit dem Zynismus des Täters in Kontrast gesetzt wird.

Es ist nämlich der von dir im Kommentar zitierte Tätersatz, der mir noch lange im Ohr als Echo nachhallt und der viel Potential für dein Gedicht birgt...

P.S. Deinen Hinweis, dass du nur Verwirrung stiften wolltest, kaufe ich dir, mit Verlaub, nicht ganz ab.

Herzliche Grüße aus der Friedensstadt Osnabrück!

Artbeck
 
T

Trainee

Gast
Lieber Manfred,

das ist übrigens hermetische Lyrik. ;)
Mir gefällt das Gedicht gut, ist aber eines, das sich mir erst nach deinen Erklärungen vollständig erschlossen hat.
Vielleicht solltest du noch einmal über den Titel nachdenken, falls du ein größeres Verständnis erreichen möchtest?

Herzliche Grüße
Heidrun
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Manfred,

das Gedicht ist schon eindringlich, Deine Geschichte dazu aber weit mehr.
Schade, dass sie sich nur indirekt darin wieder findet.

cu
lap
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo ihr!

Danke für eure wertvollen Kommentare.

Es ist tatsächlich so, dass ich peinlich vermeide dem Leser meine Intention aufzuzwingen. Ich freue mich dann auch immer über jede mögliche Lesart, deshalb die Verknappung.

So weit, so gut!
Es ist mir aber vollkommen klar inzwischen, dass dies bei diesem Gedicht schlecht funktioniert.
Ihr habt mich aber auf die Idee gebracht, dass es wohl an der Zeit ist, diese Begebenheit aus meiner Kindheit als Kurzgeschichte zu Papier zu bringen. Ich arbeite daran.

Danke und liebe Grüße
Manfred
 

molly

Mitglied
Hallo Franke,

"und hoffen
auf die nächste Ernte"

Sie (diese Bauern) hoffen auf die nächste Ernte, sie sind das Fallobst.

so lese ich Deein Kurzgedicht. Ich freue mich auf Deine Geschichte.

Viele Grüße

molly
 

revilo

Mitglied
Nach dem Krieg
schneiden sie die Bäume
da fällt
so mancher Deserteur

und hoffen
auf die nächste Ernte


Moin, ich will das "und" nicht streichen....aber die letzte scheint mir grammatikalisch nicht korrekt zu sein....

da fällt
so mancher Deserteur

[blue]und hoffen[/blue] auf die nächste Ernte

es machte doch nur inhaltlich einen Sinn , wenn du entweder" [red]und hofft[/red]" oder "[red]und Hoffen[/red]" schriebst.....


oder steh ich komplett auf der Leitung?

Lg revilo
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo revilo,

dann helfe ich dir gerne auf die Sprünge.
Nicht die Deserteure hoffen auf die nächste Ernte, sondern diejenigen, die die Deserteure von den Bäumen geschnitten haben.

Liebe Grüße
Manfred
 



 
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