Familienurlaub

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DMW

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Bald Mitternacht und endlich eine Pause. Ein Moment zum Durchatmen, Nichtstun, Nichtdasein. Er sitzt im Halbdunkel am Esstisch, nur die blanken Neonröhren aus der Küche spenden Licht. Abwesend scrollt er durch die aktuellen Social Media Posts der laufenden Urlaubs- und Reisezeit: Bekannt am Flughafen, schwer beladen mit Koffern und Reisetaschen, die nur darauf wartetet, aufgegeben zu werden. Kollegen auf Bergwanderung in den Alpen, Freunde im Sand am Strand. Ein langes Schnaufen, das bestimmt sagen soll, dass es zuhause auch schön ist, beendet seine sozialmediale Selbstgeißelung. Er sieht auf und überblickt das Schlachtfeld, dass sich vor ihm erstreckt: Spielsachen, Klamotten, Essensreste und undefinierbare Rückstände an Möbeln und Wänden. Aber zuhause ist es auch schön. Er steht auf und schnappt sich den Besen, der an der Wand lehnt und schon gar nicht mehr weggeräumt wird. Sand unter den Füßen hat er hier ja auch jeder Zeit, vom Spielplatz in die Wohnung geschmuggelt in Kinderschuhen und auch in seinen eigenen. Diese Verräter! Aber zuhause ist es auch schön. Er muss es sich nur oft genug sagen und irgendwann würde es schon stimmen. Schwer beladen ist er hier ebenfalls oft, mit übervollen Säcken aus dem Windeleimer, die die vier Stockwerke nach unten getragen werden wollen. Aber zuhause ist es auch schön. Einmal noch, ist er sich sicher, einmal noch musste er sich das sagen und er würde es selbst glauben. Den Berg, den er heute noch zu erklimmen hat, war der riesige Haufen Geschirr, der sich über den Tag angesammelt hat und den er durch die offene Küchentür sehen kann. Aber zuhause ist es…

In diesem Moment plärrt das Babyfon und blechern hört er die Stimme der Tochter. Er hält die Luft an, zieht die Schultern hoch steht reglos im Flur, hoffend, dass das Kind wieder einschläft. Nach einer Minute unbewegten Schweigens, die ihm deutlich länger vorgekommen ist, bläst er die Luft aus seinen Lungen, hörbar aber leise, durch seine Lippen und Kopf und Schultern fallen nach vorne. Er öffnet die Kinderzimmertür und tritt ans Bett. Das Weinen verstummt und ein fröhliches Glucksen empfängt ihn. Zwei Patschehändchen strecken sich ihm entgegen. Er spürte das Gewicht seiner Kleinen – eigentlich sollte dieses Gewicht viel zu gering für einen Menschen sein und trotzdem ist es perfekt – auf seinem Arm. Ein winziger Kopf lehnt sich an seine Brust und nach wenigen Augenblicken, die ihm viel zu kurz vorkommen, hört er ein ruhiges und gleichmäßiges Atmen in seiner Armbeuge.

Und plötzlich braucht er keinen Urlaub. Plötzlich ist es wirklich auch zuhause schön. Schöner, also es sonst wo sein könnte.
 

Matula

Mitglied
Natürlich ist es zuhause auch schön, wenn die Daheimgeblieben so niedlich sind !
Gern gelesen,
schöne Grüße,
Matula
 



 
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