Fantasy: Das Land der schwarzen Drachen

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Vandil lag ausgestreckt in der weissen Mulde aus Schnee, die seinen Sturz aufgefangen und schwerere Verletzungen verhindert hatte. Behutsam bewegte er seine Glieder und stellte erleichtert fest, dass nichts gebrochen war.
Trotzdem stand ihm der Angstschweiss auf der Stirn. Die Angst um Nariel und Farell nagte in seinem Innersten, und schien seine Eingeweide zu verknoten.
Was würde er vorfinden, wenn er zu der Stelle ging, wo Farell gefallen war? Nein, er war nicht gefallen. Sondern von dem Drachen niedergetrampelt worden.
Vandil zögerte, bevor er aufstand und versuchte die Vorstellung von Farell’s Schicksal gewaltsam aus seinen Gedanken zu verbannen.
Schliesslich kam er auf die Füsse und suchte mit seinen Augen den Himmel ab. Doch der Drache war verschwunden.
„Bei den Göttern schwöre ich, dass ich dieses Weib zurückhole - und wenn der Preis dafür mein Leben ist!“
Dann beschleunigte er seine Schritte, und rannte zum Waldrand.

Der Zwerg lag verkrümmt am Boden, seine Augen blicklos zum Himmel gerichtet. In seiner Rechten hielt er den Dolch mit dem er versucht hatte, den Drachen anzugreifen. Die Klinge blitzte kurz auf, als sich die letzten Sonnenstrahlen darauf brachen. Farell’s linke Schulter war ausgekugelt, und sein Arm stand auf bizarre Weise vom Körper ab.
Das alles nahm Vandil in wenigen Sekundenbruchteilen in sich auf. Er liess sich neben den Zwergen auf die Knie sinken und betastete vorsichtig dessen Brustkorb. Bei jedem Atemzug war ein leises gurgelndes Geräusch zu vernehmen, das tief aus seinem Inneren kam.
„Farell, schau mich an“, bat Vandil leise. „Sieh, du bist nicht alleine.“
Behutsam betete er Farell’s Kopf auf seinen Schoss und strich sanft über sein struppiges, rotbraunes Haar.

Farell Blick klärte sich und er schaute ungläubig zu Vandil hoch. In seinen schwarzen Augen konnte Vandil die schrecklichen Schmerzen erkennen, die der Zwerg in diesem Moment durchlitt.
„Hab keine Angst, Zwerg. Ich werde Euch dem besten Heiler der Stadt übergeben. Manchmal kann er wahre Wunder bewirken. Und sobald Ihr genesen seid, hoffe ich, dass Ihr mit mir kommt, um Nariel zu retten.“
Farell schlug kurz seine Augen nieder und gab damit sein Einverständnis. Er hustete qualvoll und schaumiges Blut rann aus seinem schmerzverzehrten Mund.
Vandil zuckte zusammen.
„Ich werde dich jetzt hochheben und in die Stadt tragen. Bist du damit einverstanden?“
Wieder schlug Farell seine Augen nieder.
Schnell schlüpfte Vandil aus seinem Umhang und wickelte den Zwergen vorsichtig darin ein. Dann hob er ihn hoch, so, dass Farell mit seinem Kopf an seiner linken Schulter anlehnte.

Dunkelheit legte sich über das Land und ein kalter Wind pfiff über die verschneiten Felder.
Unermüdlich trug Vandil Farell zurück nach Foksmore. Als er entsetzt bemerkte, dass noch mehr Drachen in diesem Gebiet zugegen waren.
Sicherlich zehn Stück tauchten aus dem Schatten der Stadt auf, und flogen allesamt Richtung Süden. Jeder von ihnen trug ein Weib in seinen Krallen, das jämmerlich um Hilfe schrie.
In diesem Moment verfluchte er seinen überaus scharfen Sehsinn und sein aussergewöhnliches Gehör. Noch lange, nachdem die geschuppten Leiber am Horizont verschwunden waren, hörte er die Stimmen der Frauen in seinem Kopf um Hilfe rufen.

Das Stadttor stand weit offen und ein heilloses Durcheinander herrschte in seinem Inneren. Karren lagen umgefallen auf den Pflastersteinen. Einige der Häuser brannten und ihre Besitzer versuchten zu retten, was zu retten war. Jeder war auf den Beinen und suchte nach seinen Angehörigen die sich in diesem Tumult in alle Winde verstreut hatten.
Vandils Blick wanderte auf die Stadtmauer. Sämtliche Wächter starrten entsetzt in die Richtung, wo die fliegenden Echsen verschwunden waren, ihre Waffen nutzlos in den Händen haltend.
Der Hufschmied kam auf ihn zu gerannt. Sein Gesicht war rot vor Zorn und Tränen liefen über seine Wangen. In seiner ledernen Schürze blieb er dicht vor Vandil stehen und hatte Mühe, sein Anliegen vorzubringen.
„Herr. Schreckliches ist geschehen. Die Drachen haben unsere Stadt angegriffen und die Häuser in Brand gesteckt. Doch dass war nicht ihr eigentliches Ziel. Herr, es ist so schrecklich! Sie haben mein Weib mitgenommen und ich konnte es nicht verhindern. Sie ist schwanger und sollte mir bald ein Kind schenken. Doch ich kam zu spät. Sie wurde von einem dieser Ungeheuer Mitten auf der Strasse gepackt und entführt!“ Der Hufschmied strich sich nervös über seinen blonden Bart und noch mehr Tränen rannen über sein Gesicht.
„Es tut mir leid“, sagte Vandil. „Ich war auf der Jagd als die Drachen kamen - und wurde selbst Zeuge, wie ein Weib mitgenommen wurde. Obwohl ich ein guter Krieger bin, gelang es nicht einmal mir, diese schreckliche Tat zu verhindern. Doch ich schwöre, dass wir dein Weib aus ihren schrecklichen Klauen befreien werden. Doch nun bitte ich Euch um einen Gefallen. Bringt den Zwerg zum Heiler. Er soll alles tun, damit sein Leben fortdauert. Richte ihm aus, dass ich für alles aufkommen werde. Und noch etwas... Sorge dafür, dass alle Männer, denen das gleiche wie dir widerfahren ist, sich bei mir und meinem Vater einfinden. Alle, die bereit sind zu kämpfen, sollen dich begleiten!“
„Ich tue, was ihr befiehlt“, sagte der Hufschmied und nahm den verletzten Farell, der leise stöhnte, in seine kräftigen Arme. Dann ging er langsam durch die engen Gassen zum Haus des Heilers.

Vandil kam kaum vorwärts. Immer mehr Menschen sprachen auf ihn ein und klagten ihr Leid.
Als er durch den Vorhof der Burg schritt, wusste er von dreissig weiteren Frauen, die entweder ein Kind erwarteten oder im gebärfähigen Alter waren, die vermisst wurden.
Ihre Gatten oder Väter geleiteten ihn bis vor seine Tür, und versprachen noch mehr Männer zu holen, die bereit waren für ihre Frauen zu kämpfen.
Mit ausladenden Schritten ging Vandil auf das Haupttor zu, das in die Gemäuer seines Vaters führte. Es war eine Mittelgrosse Burg die vier Türme besass, von denen man viele Kilometer über das Land sehen konnte. Das Tor stand offen und Vandil ging, ohne auf das hysterische Geschrei der alten Mägde zu achten, direkt in die Halle.

Ein Feuer prasselte im Kamin der hinteren Wand und warf allerlei Schatten auf den Boden und Wände. Der grosse Eichentisch stand wie immer in der Mitte der Halle, umsäumt von seinen vierundzwanzig Stühlen. Der Wandteppich an der rechten Wand stellte eine der beliebten Jagdszenen dar, die sein Vater in Erinnerung hatte.
Vandil war wütend und verzweifelt. Was hatten Drachen überhaupt in einem von Menschen besiedeltem Gebiet zu suchen? Sie raubten Weiber, die schwanger waren oder im gebärfähigem Alter. Doch weshalb? Er durfte gar nicht daran denken. Was geschah in diesem Augenblick mit der schönen Nariel?

Er trat zu einem der beiden Fenster und schaute in die Nacht hinaus. Sie war sternenklar und kalt, genau so kalt, wie sich sein Herz in diesem Moment anfühlte. Tausend Fragen und unglaubliche Wut stiegen in ihm hoch. Verzweifelt schlug er mit seiner Faust gegen die Mauer.
Eine der Mägde kam herein und stellte so leise wie möglich, die beiden Gedecke für ihn und seinen Vater auf den dunkelbraunen Tisch.
Vandil drehte sich zu ihr um, und die Magd liess vor lauter Schreck einen der Kelche fallen, die sie in den Händen hielt. Noch nie hatte sie den jungen Herrn so aufgewühlt gesehen und wäre am liebsten aus dem Raum geflohen. Doch sie blieb stehen, und starrte entsetzt auf den gut aussehenden Vandil, den jede Frau in dieser Stadt begehrte.
„Sag, wo ist mein Vater? Hat er von den schrecklichen Dingen gehört?“
Die Magd machte einen leichten Knicks, bevor sie antwortete.
„Ja Herr. Er hat davon gehört. Doch es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Ihr in sprechen könnt. Er hat Besuch von einer schönen Frau mit der er sich in sein Gemach zurückgezogen hat.“
„In sein Gemach? Denkt er denn nur an das eine!“
Die Magd wurde rot. „Ich glaube nicht, Herr. Sie ist keine von den Gewöhnlichen.“
„Gut, dann werde ich zu ihm gehen.“

Mit grossen Schritten verliess er die Halle, und ging die steinerne Treppe hinauf. Er nahm zwei Stufen auf einmal und erreichte kurz darauf, den ersten der drei Stockwerke, dieses Gemäuers. Er wandte sich nach links und ging auf die Tür zu, die in das Gemach seines Vaters führte.
Er wollte schon anklopfen, als er erstaunt seine bereits zur Faust geballte Hand wieder nach unten sinken liess. Obwohl die Tür aus massivem Holz war - und die Mauer einen halben Meter dick, konnte Vandil jedes Wort verstehen, dass in dem dahinter liegenden Raum gesprochen wurde.

„Und ich sage dir, er ist genau so mein Sohn wie deiner. Du hast kein Recht, ihn mir nach so vielen Jahren wegzunehmen“, dröhnte die Stimme seines Vaters. „Ich habe ihn gross gezogen, zusammen mit meinen Mägden. Nicht du, die vorgezogen hat, uns einfach zu verlassen. Glaubst du etwa Vandil wird deinen Geschichten glauben schenken?“
„Du weißt, dass es keine Geschichten sind“, antwortete eine feine, leise sprechende Frauenstimme. „Du hast die Zeichen mit deinen eigenen Augen gesehen. Wie kommt es, dass du sie nun verleugnest?“
„Er ist mein Sohn, verdammt! Ich habe ihn erzogen, zu einem Krieger gemacht, und ihn all die Dinge gelehrt, die ein Mann zu wissen braucht!“
„Aber er ist auch ein Teil von mir“, beharrte die Frau. „Du kannst seine Wurzeln und sein Schicksal nicht verleugnen.“

Vandil lief kalter Schweiss über den Rücken. Sein Vater sprach mit einer Frau, die behauptete seine Mutter zu sein. Doch seine Mutter war tot! Es konnte nicht sein, was er da hörte! Er stützte sich mit seinem Gewicht gegen die kalten Mauern, und fällte eine Entscheidung.
Dieses eine Mal würde er den nötigen Respekt vermissen lassen und das Gemach seines Vaters unangemeldet betreten. Entschlossen, öffnete er die schwere Tür, und stürzte beinahe in den dahinter liegenden Raum.
Sein Vater stand vor dem Kamin. Sein blondes, schulterlanges Haar leuchtete rötlich in seinem Schein. Immer noch trug er die ledernen Hosen und sein wärmendes Fell, das seine überaus stattliche Figur noch unterstrich. Er war gross und breitschultrig, hatte immer noch stahlharte Muskeln, die harte Arbeit gewohnt waren. Zwei Meter hinter ihm, stand eine schlanke Frau, die in einen bodenlangen und weissen Umhang trug. Ihr schwarzes, gerades Haar reichte bis zu ihrer Hüfte, und im selben Moment, wo Vandil die Frau betrachtete, die behauptete seine Mutter zu sein, drehte sich diese zu ihm um.

Vandils Herz machte einen Satz, als er in die eisgrauen Augen der Fremden blickte. Sie hatte ein schmales, blasses Gesicht das von einer Ebenmässigkeit war, die ihn taumeln liess. Kein Wort kam über seine Lippen, zu viel hing davon ab.
Lars, sein Vater, drehte sich um und es war ihm anzusehen, dass er die Begegnung zwischen Mutter und Sohn nicht guthiess. Trotzdem verkniff er sich, seinen Sohn zurechtzuweisen, und machte einige Schritte auf Vandil zu.
„Mein Sohn, nun weißt du die Wahrheit. Dies ist deine Mutter, die gekommen ist, um dich von mir wegzuholen.“
„Aber...“
„Ich weiss, du hast geglaubt, dass sie tot sei. Doch dies war eine Lüge und ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst.“

Vandil starrte immer noch auf seine Mutter, die ganz ruhig dastand, und das Gesicht eines jungen Mädchens hatte. Sie spürte seine Unruhe, kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. Beinahe andächtig umschloss sie seine kräftigen Hände mit ihren zarten Fingern. Dabei schaute sie in sein Gesicht, das seine Gefühle wie Wut, Neugier und Freude, allzu deutlich verriet.
„Mein Sohn, gross bist du geworden. Ein stattlicher und überaus attraktiver Mann. Zu viele Nächte habe ich davon geträumt, wie es sein würde, dich von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Doch ich gab vor fünfundzwanzig Jahren deinem Vater das Versprechen, dass ich mich von dir fernhalte, bis die Zeit der Prophezeiung eintritt. Und nun da es so weit ist, weigert er sich dich freizugeben.“

Vandil schaute misstrauisch in ihre eisgrauen Augen und erkannte im selben Moment, dass sie die Wahrheit sagte. „Dann seid Ihr also meine leibliche Mutter? Doch dann verstehe ich nicht, weshalb ihr gegangen seid, und nie den Versuch unternommen habt, mich zu sehen.“
„Mein Sohn, ich wusste immer, wie es dir erging. Dein Vater hat mir Briefe zukommen lassen worin er beschrieb, was aus dir geworden ist. Doch es gab auch eine Zeit, in der ich nichts von Euch gehört habe. Manchmal kam ich hierher und habe nach dir geschaut.“
Vandil schaute vorwurfsvoll auf seinen Vater.
„Nein, mein Sohn. Auch er hat nichts davon gewusst“, sagte seine Mutter beschwichtigend.
„Nun da Ihr hier seid, würde ich gerne Euren Namen erfahren.“
Vandil zog seine Hände aus dem sanften Griff seiner Mutter und strich sich nervös durch das schwarze Haar. „Nie hat mir jemand verraten, wer Ihr seid, und bis zum heutigen Tag ist es so geblieben. Gerüchten zufolge seid Ihr eine Elfe, was ich auch glaube. Denn sieht“, Vandil strich sein Haar zurück. „Ich habe dieselben Ohren wie Ihr und meine Augen sind wie die Euren.“
„Manchmal dringt die Wahrheit gegen alle Widrigkeiten durch. Ja, du bist halb Mensch und halb Elf. Und ich verrate dir meinen Namen, obwohl ihn nicht einmal dein Vater kennt. Ich bin Merill, Tochter des Obersten Elfen im Nordgebiet. Doch ich bin nicht gekommen um deine Abstammung zu bestätigen. Viel wichtigere Dinge stehen uns in dieser Zeit bevor. Du sollst erfahren was dein Schicksal ist.“
„Mein Schicksal?“
Vandils Blick glitt wieder zu seinem Vater, der am Fenster stand und angestrengt in die Dunkelheit starrte.
„Komm, lass uns ein paar Schritte gehen. Dein Vater kennt die Prophezeiung und ich glaube nicht, dass er sie sich ein weiteres Mal anhören will.“
 



 
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