Feenkrieg 15

agilo

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Sich einen Weg durch diesen Wald zu bahnen, erwies sich als nicht gerade einfach. Es gab nur wenige schmale Trampelpfade und das Unterholz war dicht und voller Gestrüpp. Tara, die einen langen und ohnehin schon einige Nummern zu großen Rock trug, lief ständig Gefahr, damit an Ästen oder Dornen hängen zu bleiben.
„Ein nicht gerade praktisches Kleidungsstück!“, bemerkte Erc, als sie sich einmal mehr in einen Brombeerstrauch verhedderte. Er selbst war immer in Sichtweite von ihr unterwegs und hüpfte dabei mit der Leichtigkeit eines Eichhörnchens von Ast zu Ast.
„Du hast leicht reden“, gab Tara nicht ohne Verärgerung zurück, während sie ihren Rock unter Zurücklassung einiger Stofffetzen aus den Dornen befreite, „ schließlich habe ich, als ich mich heute morgen angezogen habe, nicht unbedingt damit gerechnet, durch einen Wald im Feenland zu stapfen auf Wegen, die vermutlich von wilden Tieren angelegt wurden.“
„Mit Letzterem hast du vermutlich sogar recht. Feen bauen keine Straßen. Wozu auch? Dies ist wohl ein Wildwechselpfad.“
Tara hatte sich von den dornigen Sträuchern befreit und pflückte nun – gewissermaßen als Entschädigung – ein paar der dunklen Brombeeren.
Erc hatte sich währenddessen auf einem Ast niedergelassen, der so dünn war, dass er auf Tara den Eindruck machte, schon das Gewicht einer Krähe könne ihn zum Umknicken bringen. Erc dagegen war ein ausgewachsener, wenn auch schlank gebauter Mann.
Was hielt das Holz dieses Astes davon ab, zu brechen? überlegte Tara.
Vermutlich diese hier allgegenwärtige Magie, von der er gesprochen hatte, gab sie sich selbst die Antwort.
„Aus deinen Bemerkungen schließe ich, dass die Wege wohl nicht besser werden.“, stellte sie fest.
„Nun, vermutlich nicht. Zumindest nicht, solange wir im Wald unterwegs sind. Ich selbst kann das allerdings – offen gestanden – nur unzureichend einschätzen. Weißt du, wir Feen sind es einfach nicht gewohnt, auf die Bedingungen zum Vorwärtskommen zu achten, sofern sie sich in Bodennähe befinden. Bei uns spielen im Allgemeinen andere Faktoren eine Rolle. Du weißt schon: Windrichtung, Wolken, Luftdruck.“
Natürlich wusste Tara das nicht! Schließlich war das Fliegen für sie eine völlig neuartige und ungewohnte Möglichkeit, sich fortzubewegen. Und während ihres Ritts auf der Drachin hätte sie sich sicher als letztes Gedanken über den Luftdruck gemacht, zumal sie keine Ahnung hatte, was das überhaupt sein sollte. Wird man da von der Luft gedrückt? Irgendwie umarmt? Und wenn ja, warum? Tara konnte sich jedenfalls nicht erinnern, je besonders nett zu der Luft gewesen zu sein, dass sie eine solche freundliche Geste verdient hätte.
Sie schüttelte die unsinnigen Gedanken über die Luft ab, kostete eine der Beeren. Sie war süß und aromatisch. Genauso wie die Brombeeren in Nauthia.
„Und es gibt keinen anderen Weg?“
Erc sah sie lange an. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz, was ihm einen durchdringenden, schwer einschätzbaren Blick verlieh.
„Es gäbe da schon einen anderen Weg“, sagte er, „aber er wäre viel zu gefährlich. Die Schwebende Königin würde mir es nie verzeihen, wenn dir etwas zustoßen würde, noch bevor wir überhaupt am Hohlen Berg sind.“
„Ach, und danach wäre es für sie in Ordnung?“, fragte Tara spitz.
„Nein, nein, versteh` mich nicht falsch!“, zu Taras Erstaunen wurde er tatsächlich ein wenig rot im Gesicht, „so habe ich das doch nicht gemeint. Glaub mir, der Schwebenden Königin liegt sehr viel an dir!“
„So? Das ist allerdings erstaunlich, wo sie mich doch gar nicht kennt.“
„Ich glaube, sie kennt dich besser, als du denkst.“
Was meinte er nur damit? Hatte sie Spione auf sie angesetzt? Oder sie heimlich beobachtet durch einen Blick auf die Wasseroberfläche eines dieser magischen Brunnen, von denen Jost einmal gelesen hatte? Nun, das wohl nicht, denn Brunnen waren bekanntlich nicht nur auf dem, sondern zumeist auch tief im Erdboden, einem Ort, an dem sich ein solches Luftwesen sicher kaum aufzuhalten gedachte.
Auf jeden Fall aber wurde ihr diese Schwebende Königin immer unheimlicher. Und sie fragte sich, warum sie selbst so bereitwillig damit einverstanden gewesen war, im Auftrag dieser merkwürdigen, ihr völlig unbekannten Feenherrscherin durch einen dichten, ungastlichen Wald zu stapfen, um einen gewissen Orcus, von dem sie bis zu diesem Tag ebenfalls noch nie etwas gehört hatte, zu bekämpfen. Was war denn, wenn nun dieser Orcus der Nette war, die Schwebende Königin dagegen genau jene durchtriebene Kinderräuberin, die man in Nauthia von so vielen Geschichten und Sagen her kannte?
Aber nein! Da gab es die Geflügelte Schwadron, da waren Leutnant Funkenhuf und die Gefreite Tarasque und Tara wusste im Tiefsten ihres Herzens, dass diese nie jemand folgen würden, der von Grund auf schlecht war.
„Und was hat es nun mit dem anderen Weg auf sich?“, fragte sie - sich aus ihren Grübeleien reißend – den Halbfeenmann.
„Es gibt da eine große Blumenwiese“, begann er zögernd, „wenn wir den Weg durch sie hindurch wählen, könnten wir ein ganzes Stück abkürzen.“
„Na, das klingt doch gut! Warum machen wir das dann nicht einfach?“
Erc kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
„Da gibt es verschiedene Gründe. Zum einen bietet diese Wiese natürlich nach oben hin keinen so guten Sichtschutz wie der Wald. Orcus` Wächter könnten dich und auch mich viel leichter entdecken. Außerdem käme ich auf diesem Terrain nicht so gut voran. Es gibt zwar ein paar vereinzelt stehende Bäume auf der Wiese, aber die meiste Zeit wäre ich darauf angewiesen, über Blütenköpfe zu laufen. Das ginge ja auch noch, denn viele der Blumen auf dieser Wiese sind sehr hoch gewachsen, so dass ich einen ausreichenden Abstand zum Erdboden halten kann...“
Erc zögerte kurz.
„Das Problem ist nur“, fuhr er fort, „den Blumen wird das nicht gefallen. Die reagieren manchmal sehr empfindlich, wenn man auf ihnen herum trampelt.“
Tara fiel die Kinnlade herunter.
„Willst du etwa damit sagen, dass ich mich hier durch Unterholz und Dornengestrüpp kämpfe, ständig mit den Haaren in Ästen hängen bleibe und mir die Kleidung zerreiße, weil du Rücksicht nimmst auf die Gefühle von ... Blumen?“
„Du stammst aus dem Menschenland“, verteidigte sich Erc, „so etwas wie die Blumen auf der Murmelwiese kennst du nicht, sonst würdest du anders reden.“
„Murmelwiese?“, fragte Tara, „ist das der Name dieses Ortes? Gibt es da etwa Murmeltiere?“
„Ich habe keine Ahnung, was Murmeltiere sind ...“, sagte Erc und Tara wurde im selben Moment klar, dass dies vermutlich der Wahrheit entsprach – schließlich lebten solche Luftwesen wie die Feen in völlig anderen Sphären als tiefe unterirdische Gänge grabende Nagetiere. Selbst ein von Ast zu Ast hüpfender Halbfeenmann kam wohl kaum in jene baumlosen Hochgebirgsregionen, in denen Murmeltiere für gewöhnlich anzutreffen waren.
„... aber woher der Name dieser Blumenwiese kommt, weiß ich ganz genau.“
„Und woher kommt er?“
„Das darfst du selbst herausfinden. Keine Sorge, es ist kein großes Rätsel. Wir müssen in Richtung Westen.“
Er lief los.
Tara folgte – etwas langsamer als dieser, mit dem Gestrüpp kämpfend und gelegentlich leise vor sich hin fluchend – dem Halbfeenmann auf dem Weg zu jener Wiese mit dem seltsamen Namen.
 



 
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