Feine Familie

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Sind alle Konten voll, so höre ich, dass sie mich liebt,
und wie froh sie sei, dass es mich gibt.
Doch sind sie mal leer, dann redet sie nur
von meiner verbogenen Charakterstruktur,
und ihren verpassten Chancen.
Die tollsten Männer hätten seinerzeit um sie geworben;
doch dann kam ich, und hätte prompt ihr Leben verdorben.

Sie bewundert die Leute mit dem großen Geld,
liebt über alles die Großstadt-Glitzerwelt,
und liest jedes Modejournal.
Sie geht Einkaufen jeden Nachmittag,
kauft Kram, den sie dann doch nicht mag,
plündert mein Konto für jeden Mist,
sie darf das, weil sie mit mir verheiratet ist.

Im Zentrum ihrer Gedanken steht nur sie allein,
in jeder Gesellschaft muss sie Mittelpunkt sein,
alle anderen sind nichts als Staffage.
Alle Menschen, meint sie, lägen ihr zu Füßen,
und wer dies nicht tut, muss es bitter büßen.
Und von all den Leuten, mit denen sie sich umgibt,
glaubt sie sich unendlich tief geliebt.

Vor zwanzig Jahren gebar sie unseren Sohn,
ein Kretin, der in frühester Jugend schon,
keinem anderen irgendwas gönnte.
Der ist heute ein Riese, doch weil arbeitsscheu
bleibt er dem Einkommen des verabscheuten Vaters treu.
Und genau wie die Mutter fordert er nur,
zeigt an eigenem Ehrgeiz nicht die Spur.

Seit neuestem ist es beider Brauch,
zu nörgeln über meinen wachsenden Bauch
und meine verhunzte Karriere.
Sie lästern über meine Tränensäcke,
bemerken jeden meiner Altersflecke,
zählen sorgsam jedes weiße Haar
und höhnen, wie ich früher mal voll Hoffnung war.

Sie spotten und lachen, mokieren sich
über alles und jeden; doch meist über mich,
denn ich setze mich niemals zur Wehr.
Sie lassen an keinem ein gutes Haar,
sich selber aber finden sie wunderbar
und liegen bequem auf der faulen Haut,
nie hat ihnen Arbeit die Laune versaut.

So lebe ich seit vielen Jahren dahin,
ohne Anflug von Anstand, ohne Anflug von Sinn,
gepeinigt von diesem Gelichter.
Sehr gern gehe ich zum Schaffen Tag für Tag,
weil ich ums Verrecken nicht zu Haus sein mag.
Doch ab und zu denke ich,
was gäbe ich drum,
ich fände den Mut,
und brächte sie um.
 



 
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