Feuer im Wind - Kapitel 3.2

Araluen

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Der Morgen begann für Celina wie immer mit einer Reitstunde. Normalerweise genoss sie diese zwei Stunden am Tag, in denen sie sich einzig auf die Bewegungen ihres Wallachs konzentrieren musste, angeleitet von Julian, ihrem Reitlehrer. Sie mochte den jungen Mann mit dem strohblonden, stets widerspenstigen Haar und dem offenen Lächeln, das er stets für sie übrig hatte. Vor allem aber gab er sich ihr gegenüber ungezwungen, zuweilen sogar unverschämt, als wäre sie keine Prinzessin sondern eine einfache Gänsemagd. Denn in Julians Augen verdiente nur derjenige Respekt, den die Pferde respektierten. Daran hatte Celina lange arbeiten müssen. Calvaro war ihr dabei nicht immer eine Hilfe gewesen. Der Wallach hatte seinen eigenen Kopf.
»Celina! Aufwachen! Ich sagte Piaffe. Warum dreht sich Calvaro dann im Kreis? Habt Ihr dafür eine Erklärung?«, schreckte Julian die Prinzessin schonungslos auf, die mit den Gedanken weit fort war. Versehentlich ruckte sie am Zügel, was den Schimmel drei Schritte rückwärts treten ließ. Unwillig schüttelte er dabei den Kopf. Celinas Wangen begannen rot zu glühen und mit einem kurzen Hieb ihrer Gerte trieb sie den Wallach wieder nach vorne.
»Bestraft Euer Pferd nicht für das eigene Unvermögen. Calvaro hat nur auf Eure Hilfen reagiert.«
Behände sprang Julian vom Zaun des Reitplatzes und ging zu dem Paar. Als erstes galt seine Aufmerksamkeit dem Schimmelwallach, dem er eine Hand auf die Nüstern legte und etwas in die Ohren flüsterte. Er lächelte dabei und warf Celina dabei einen heimlichen Seitenblick zu. Calvaro prustete zustimmend und senkte den Kopf, wobei Celina die Zügel fahren lassen musste.
»Was habt Ihr ihm gesagt?«, wollte Celina in beinahe angriffslustigen Ton wissen, wovon sich Julian kaum beeindrucken ließ. Während er sich Celina mit einem angedeuteten Grinsen zuwandte, kraulte er Calvaro den Hals, »Ich habe ihn nur gebeten, nachsichtig mit Euch zu sein und er hat zugestimmt.«
»Sehr witzig, Julian«, schnappte die Prinzessin und straffte ihre Schultern.
»Was ist los mit Euch? Ihr seid so unkonzentriert. So kenne ich Euch gar nicht, zumindest meistens.«
Celina blickte auf seine schwielige Hand, die ihre nun mit Leichtigkeit umfasst hielt, und errötete erneut.
»Es ist nichts. Ich habe nur schlecht geschlafen.«, antwortete sie und blickte ihm in die Augen. Sie waren von einem tiefen Braun, in dem man sich verlieren konnte, was Celina immer wieder nur zu gern tat. Als sie bemerkte, dass sie Julian anstarrte wie ein Tölpel, senkte sie rasch den Blick. Wenn Margarete sie dabei erwischte, wie sie mit ihrem Reitlehrer tändelte, würde sie ihr einen langen Vortrag halten. Aber seine nächsten Worte machten jeden romanischen Gedanken ohnehin zunichte.
»Schlechter Schlaf ist eine schlechte Ausrede, Celina.«
Entrüstet über sein mangelndes Feingefühl wollte sie ihn mit ihrem Blick erdolchen. Doch ihr stockte der Atem.
Purpurne Augen.
Für einen Wimpernschlag sah Julian dem Fremden aus ihrem Traum zum Verwechseln ähnlich.
Schlagartig wurde sie blass, die Welt schien sich zu drehen und die Worte, die sie dem Reitlehrer hatte entgegnen wollen, waren vergessen.
»Vorsicht, Prinzessin! Besser Ihr steigt ab.« Kurzerhand hob Julian sie aus dem Damensattel. Absichernd blieben seine Hände auf ihrer Taille ruhen und er suchte Celinas Blick. Der seltsame Eindruck war verschwunden. Julian war wieder Julian und sein Gesicht ihren Lippen viel näher, als schicklich war. Sie konnte seinen Geruch wahrnehmen – Pferd, Leder und ehrlich erarbeiteter Schweiß. Keine Mischung, die normalerweise die Nase einer Prinzessin erfreuen würde. Aber im Augenblick wirke er auf Celina sehr beruhigend und anziehend.
»Wenn es Euch nicht gut geht, sollten wir den Rest der Stunde verschieben. Ich bringe Calvaro für Euch auf die Weide.«
Geradeso brachte Celina noch einen gestammelten Dank zustande. Julian nickte und überraschte die Prinzessin erneut, indem er ihr einen kurzen, unverbindlichen Kuss auf die Wange hauchte. Ihr Erröten quittierte er mit einem frechen, einnehmenden Grinsen.
»Nun habt Ihr immerhin wieder etwas Farbe im Gesicht.«
Celina wusste, dass sie empört sein sollte, aber sie schaffte es nicht. Schon länger hatte sie immer wieder das Gefühl gehabt, dass Julian ihr Avancen machen würde. Aber so deutlich wie eben war er noch nie geworden. Oder war es einer seiner Scherze, ein seltsamer Versuch sie aufzuheitern? Ihr wurde heiß und kalt zugleich, als sich ihre Gedanken überschlugen. Was, wenn er tatsächlich der Fremde aus ihrem Traum war? Wenn sie die gleichen Traum geteilt hatten?
»Geht Ihr immer so mit Mädchen um?«, hörte sie sich schließlich fragen und hoffte dabei halbwegs selbstbewusst zu klingen.
«Nur mit besonderen Schönheiten.«
Das brachte ein Lächeln auf Celinas Lippen.
»Und mit diesem Vers gewinnt Ihr wirklich Herzen?«
Julian nahm Calvaros Zügel und bot Celina seinen linken Arm an. Gemeinsam schritten sie vom Platz.
»Keines, das mich lange halten könnte«, erklärte er großspurig. Celina hob zweifelnd die Augenbrauen. »Gut, Ihr habt gewonnen. Keines. Aber Ihr müsst zugeben, dass ich Eindruck auf Euch gemacht habe.«
»Allenfalls einen passablen und auch nur für einen winzigen Augenblick«, schoss Celina zurück. Einen Moment schwiegen beide, ehe sie in Gelächter ausbrachen. Nur schwerlich fanden sie ihre Fassung zurück, als sich Margarete mit gerafften Röcken näherte.
»Prinzessin, ist etwas passiert? Euer Unterricht ist noch gar nicht beendet.«
Margarete plante stets Celinas Tagesablauf und Abweichungen waren darin nicht vorgesehen. Zudem hatte sie ihre Schutzbefohlene sicher die ganze Zeit beobachtet und gesehen, dass Julian ihr vom Pferd helfen musste. Celina stellte sich auf eine Strafpredigt ein, denn sicher hatte sie auch mehr gesehen.
»Für den Augenblick schon. Calvaro hat sich vertreten und die Fessel muss gekühlt werden. Wir müssen die Stunde später fortsetzen«, erklärte Julian überzeugend, ehe Celina etwas sagen konnte. Auf eine unscheinbare Geste hin schonte der Wallach sogar spontan sein rechtes Vorderbein. Wieder einmal war Celina von Julians scheinbar magischen Gespür für Pferde fasziniert. Und sie war ihm dankbar. Im Moment war sie zu durcheinander, um Margarete zu erklären, was wirklich in ihr vorging.
»Ja, richtig«, beeilte sie sich zuzustimmen und löste sich von ihrem Reitlehrer, »Ich war wohl etwas unvorsichtig und habe Calvaro zu sehr gefordert.« Ihre Ausführung klang eher wie eine Frage, die sie mit einem hilflosen Lächeln unterstrich. Margarete maß beide mit einem durchdringenden Blick. Schließlich seufzte sie ergeben.
»Nun gut, es spricht nichts dagegen, Euren Sprachunterricht etwas vorzuziehen, Prinzessin. Dann habt Ihr vor dem Frühstück noch etwas Muße«, beschloss die Zofe und Celina rang sich ein Lächeln ab. Sie liebte Margarete wie die Mutter, die sie schon vor Jahren verloren hatte, aber manchmal wünschte sie sich, sie wäre weniger pflichtbewusst.
»Na dann, ich sehe schon, Ihr habt viel zu tun, Prinzessin. Sehe ich Euch heute Nachmittag?«
Im ersten Moment fehlten Celina die Worte und auch Margarete fehlten vor rechtschaffener Entrüstung die Worte. Julian wollte sie sehen. Vor Aufregung flatterten Schmetterlinge in ihrem Bauch.
»Um die Reitstunde fort zu setzen. Keine Sorge, ich komme der Unschuld der Prinzessin schon nicht zu nahe.«
Noch einmal hob Julian die Hand zum Gruß und führte den vorbildlich hinkenden Wallach zu den Stallungen. Celina blickte ihm nach und wusste nicht, was sie denken sollte.
»Ein ungehobelter Bursche!«, schimpfte Margarete.
»Das sagst du jedes Mal«, erwiderte Celina, als sie gemeinsam zurück zur Burg gingen.
»Was war das eben zwischen euch? Glaubt nicht ich hätte euch nicht gesehen!«, fragte Margarete schließlich, schien aber eher neugierig denn ungehalten zu sein.
»Nichts. Wir haben uns lediglich unterhalten«, erklärte Celina mit den Gedanken weit fort bei Julians gehauchten Kuss und purpurnen Augen, die sie in ihren Bann zogen.
 



 
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