Feuerhaut

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Ich möchte vorausschicken, dass die Geschichte einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wenn man sich dann auf sie einlassen will.
Sie ist lang, und sie will nicht kurz sein.
Wie immer gilt der Leitspruch: sollte die Geschichte den Leser nicht bis zum Ende fesseln, ist sie von vornherein schlecht einzustufen, denn kein Argument kommt gegen die Langeweile an.

Wenn ich es also schaffe, in diesem flüchtigen und schnellen Medium, den einen oder anderen Leser zu fesseln, so wäre mir das eine große Freude.

Mit freundl. Grüssen, Marcus


Feuerhaut


Die Flamme schlagen wabernde Kreise. Es ist ein Tier, ein wildes Monstrum, das an seiner Haut leckt. Die unbändige Gier nach Sauerstoff saugt ihm den Atem aus den Lungen.
Er schreit Feuer, als ihn durch Glaswolle geschützte Hände aus dem Flammenzentrum reißen und davon zerren.
Er wird zu Boden gerungen.
Er wimmert.
Und lebt.

Doch es ist noch nicht vorbei.



„Geh einfach, Gaspar.“
Elli hat sich von ihm abgewandt, bevor er sie mit den Fingerspitzen berühren kann.
Alans Hand fährt ihm kraftvoll in den Unterarm.
„Lass sie in Ruhe!“ Sein englischer Akzent ist Gaspar schon immer auf die Nerven gegangen.
„DU WICHSA NIMMST SIE MIR NICHT WEG!!“
Einen Augenblick versucht sich Gaspar gegen Alan zu stemmen und die kraftvollen Unterarme auseinander zu brechen. Aus dem linken Auge weint er, als Alan seine Gegenwehr zum Erliegen bringt.

„Geh einfach, Gaspar“, flüstert Elli, ohne ihn anzusehen.
Gaspars Augen funkeln wütend zu Alan, dann zu Elli und dann auf seine vernarbten Hände, die manchmal so tot und metallisch wirken, wie die vom Terminator.
Gaspar sieht zur Seite.
„Sag mir einfach, dass es nicht mein Gesicht ist. Sag, dass es daran liegt, dass ich ein Mistkerl bin und dass ich deine Freundschaft nicht verdient habe.“

„Aber das hast du!“
Gaspar spürt eine Wut in sich aufsteigen, die einem Feuer gleicht.
„SAG ES!“, zischt er, dass Elli mit einem mal vor Furcht in Alans Arme flüchtet.
„Nein, hör auf, Gas!“
Gaspar macht einen Schritt auf sie zu, so dass sie ängstlich zusammenzuckt.

„Mistkerl“, schreit sie plötzlich. „Du elender Mistkerl!“
Sie bricht in Tränen aus und verliert den Halt, so dass Alan sie bei den Schultern nimmt und fest an sich drückt.
„Es reicht jetzt“, sagt er leise und bedrohlich, als Gaspar zur Schrankwand geht und seine Skimaske aus dem Regal reißt.
Er streift sich die schwarze Wollmaske über den Schädel, so dass nur noch die Augen zwischen den Schlitzen zu sehen sind.
Als er an der Tür ist, dreht er sich noch einmal um.
„Ich hätte sie niemals abnehmen sollen, Elli“, sagt er.
Wimmernd geht Elli vor Alan in die Knie.
Gaspar sieht den Hochaufragenden Alan, über ihr stehend, sich zu ihr nieder bückend, sie in den Arm nehmend.

„Pass auf sie auf, Arschloch“, flüstert Gaspar und zeigt mit dem narbigen Finger auf ihn.
Dann dreht er sich um und flüchtet in die Nacht.

Wenn man etwas über das Feuer sagen kann, dann dass es schnell kommt, und dass es nicht wartet, wie ein Köter vor dem Haus, an der Leine. Ein Bullterrier kann sich von seinem Herren innerhalb eines Augenblickes losreißen und ist in wenigen Sekunden über dir, beißt sich fest, reißt dich zu Boden und geht dir dann an den Hals und ans Gesicht. Wie ein Schnappfrosch schlägt das Gebiss vor deinen Augen wieder und wieder zu, bis du nur noch Blut siehst und dann gar nichts mehr.
Blut siehst du beim Feuer überhaupt nicht und du riechst nur dich selbst und spürst, wie deine Haut zu schreien anfängt, während dir das Feuer die Luft aus den verdammten Lungen saugt.
Dann brennt es dort auch.

Es brennt überall an dir.

Gaspar bleibt stehen. Neben ihm jault elend eine Polizeisirene auf, dann schlägt sein Kopf gegen die Häuserwand und sein Arm wird so verdreht, dass er in die vom Atem feuchte Wolle vor seinem Mund beißen muss, um den Schrei zu unterdrücken.
„Bist wohl auf Brautschau, Junge!“
„Wichsa, hast keine Ahnung, wer ich bin!“
Eine Polizistin fummelt an seinem Parka herum, bis sie seinen Ausweis findet.
„Scheiße, Gunnar, lass ihn los.“
Aber der Polizist, der Gaspar den Arm verdreht, lässt ihn nicht los. Er wirbelt ihn herum, packt ihn am Hals und drückt ihn gegen die Fassade.
Mit einem Mal reißt er ihm die Wollmaske vom Kopf.
„Scheiße, verdammt!“
„Lass ihn los, hab ich gesagt!“
Hustend und würgend geht Gaspar in die Knie. Die Polizistin reißt ihrem Kollegen die Maske aus der Hand und kniet sich zu dem Jungen.
„Tut uns Leid, Junge, wirklich!“
Gaspar nimmt ihr wortlos die Maske aus der Hand und streift sie sich hastig über.
„Ich bring euch in den Knast, ihr Wichsa!“
Der Polizist gibt ihm einen Faustschlag gegen die Schläfe.
„Keine Mucken, Junge! Bloß weil du ein Narbengesicht bist, hast du hier lange nichts zu melden.“
Kichernd wendet sich Gaspar zur Seite.
„Lass ihn in Ruhe!“ Die Polizistin versucht ihn am Oberarm zu streicheln.
„Sollen wir dich irgendwohin mitnehmen?“
Gaspar reißt sich los und steht langsam auf.
„Braucht mich nicht mitnehmen; braucht mich keiner mitnehmen!“


Gaspar verschwindet in einer Ausfahrt, die auf einen Hinterhof führt. Das Echo metallischer Musik scheppert von den Backsteinfassaden.
Gaspar hält atemlos an einem Stahlfeiler inne.
Er zieht sich die Wollmaske bis über die Lippen und atmet die stinkende Luft der alten Abdeckerei.

Manchmal weinte Gaspar aus einem Auge und nicht wie früher aus beiden. Sie hatten ihm einen Tränenkanal wieder frei gelegt, weil irgend so ein Psychoheini der Meinung gewesen war, dass es für sein Seelenheil von Bedeutung war, dass er weinen konnte. Sollte ihn zu einem Menschen machen, oder so was ähnliches. Als ob das wichtiger war, als ein Gesicht zu haben oder Hände wie alle anderen. Einmal war Nicki Lauda bei ihnen auf der Brandstation zu Besuch gewesen und hatte was von einem neuen Leben erzählt. Da hatte sich Gaspar einen Augenblick gewünscht, der Wichsa wäre nur eine Minute länger in seinem brennenden Ferrari sitzen geblieben.

Gedankenverloren schiebt sich Gaspar an dem Einlasser des Schlachthofs vorbei.
„Hast du Feuer, Alter?“
Gaspar dreht sich nicht mal um.
„Jede Menge, Mann!“
Ein Schrank von einem Türsteher will sich eben auf ihn zuwälzen, als der Einlasser ihn zurückpfeift.

„Lass ihn, der ist in Ordnung.“

Gaspar drängelt sich an die Bar.
Nichts ist in Ordnung, denkt er. Alles Scheiße, alles Vorbei! Neben ihm zündet sich jemand eine Zigarette an, und das Feuerzeug geht wie ein Flammenwerfer los.
„Hey, scheiße, habt ihr das gesehen? Hätte mir die Haare abfackeln können…“
Gaspars Herzschlag rast. Er sieht das Feuer, ist wie erstarrt und kann sich nur mit Mühe bewegen, auch wenn sein Verstand ihn plötzlich wie einen Hasen übers Feld jagen will.
„Hey, besoffen, was?“
Gaspar taumelt wie ein Betrunkener davon.
Alles um ihn herum will sich in ein Flammenmeer verwandeln.
Er geht in die Knie, kriecht unter einen Tisch.
Es riecht hier nach verbranntem Fleisch.
Gaspar schließt die Augen, versucht zu atmen,
versucht…

„HAST DU DAS GESEHEN? MACHT MIR GAR NICHTS, VERSTEHST DU?“
„Scheiße, du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank!“
Die zwei Männer an dem Tisch, unter dem Gaspar hockt, bestellen nur das harte Zeug und er hört die leeren Gläser wie Hämmer auf die Tischplatte knallen, wenn sie sie nach dem Austrinken lachend niedersausen lassen.
„Warte, ich zeig´s dir noch mal!“
„Verdammt, hör auf mit dem Scheiß!“
„Wetten, ich schrei nicht?
Mach mir ne Kippe an!“
Der andere Mann will aufstehen.
„Ich hau ab hier!“, lacht er.
Dann wird er von dem anderen festgehalten, und Gaspar hört dessen Stimme nur ganz leise, als ob er ihm ins Ohr wispert.
„Du machst mir jetzt ne Kippe an, oder ich schwör dir, ich mach sie auf deinem Auge aus!“
Der andere setzt sich wieder, ohne zu antworten.
Ein Zippo klickt. Das leise Knistern des brennenden Benzins lässt aus Gaspars Stirn Ströme von Angstschweiß brechen.
Jemand zieht an einer Zigarette, als wolle er sie mit einem Zug aufrauchen.
Dann…
Der Gestank von verbrannter Haut will Gaspar betäuben.
Er beginnt heimlich zu würgen.
„Da mache ich mir überhaupt nichts draus“, kommt die unheimliche Stimme von über dem Tisch, „siehst du?“
Der Mann reißt den anderen zu sich herüber.
„Scheiße, sag, dass du es siehst!“

„Ich sehe es, Mann!
Ich kann es sehen!“

Wie betäubt ist Gaspar aus dem Schlachthof entkommen. Der Geruch von verbranntem Haar klebt an ihm, und der Übermut, mit dem er es zu tun bekommen hat, hat ihn tief in der Magengrube getroffen.
Er ist noch immer ein Opfer.
Er ist besiegt. Das Feuer raubt ihm alle Kraft.
Als er niedersinkt, fängt man ihn, und er hängt an einem zierlichen, aber kraftvollen Körper. Seine Hände klammern sich an kaltes Leder. Die Jacke ist der Frau etwas zu groß.
„Hey Junge, alles klar bei dir?“
Gaspar schaut sie an. Es ist die Polizeiwichserin. Sie sieht anders aus. Nicht mehr so erhaben.
Sie hält seinen Kopf, während er an ihr hängt, wie das Schlachtvieh am Haken. Ohne Mühe greift ihm die kleine Frau unter die Achseln und stützt ihn, bis das Schwanken unter Gaspar aufhört.
„Was hast du genommen?“
„Gar nichts!“
„Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?“
Wütend reißt sich Gaspar von ihr los. Er taumelt.
„Scheiße, braucht mich keiner…“
Atemlos sackt er gegen die Hauswand.
„Jaja, schon klar, braucht dich keiner irgendwohin mitnehmen.“

Es ist noch Tee da, aber sonst nichts. Der Wasserkocher wird nur noch vom Kalk zusammengehalten und brodelt vor sich hin.
„Warst lange nicht zu Hause, was?“ Die Polizistin sieht sich in seiner Wohnung um.
„Hast du Freunde?“
Gaspar will das Gespräch nicht, und er beginnt den Küchentisch aufzuräumen. Er stürzt den Müll darauf in einen Sechzig-Liter-Sack.
„Kann sein, kann nicht sein“, sagt er endlich, als die Polizistin das kochende Wasser in zwei schmutzige Kaffeetassen gießt.
„Eltern?“
„Scheiße, was soll das?!!“
Die Polizistin verdreht die Augen.
„Schon klar“, wiegelt sie ab. „Hier, trink das.“
„Hast du Geld? Ich meine, brauchst du welches?“
Gaspar ist es völlig egal.
„Legen Sie es irgendwohin“, sagt er und setzt sich ihr gegenüber.
„Rauchen Sie?“
Die Polizistin lehnt sich vorsichtig zurück.
„Ja, wieso?“
„Stecken Sie sich eine an.“
Die Polizistin verzieht das Gesicht.
„Ich will aber gerade nicht.“

„DANN MACHEN SIE, DASS SIE WEGKOMMEN!“

Als das Feuerzeug in der Hand der Polizistin aufflammt, wird Gaspars Gesicht kreidebleich.
Er hält es aus, nur einen Augenblick.
Dann stürzt er würgend ins Bad.


Wenn man vor einer Sache wirklich Angst hat, dann kann man sich davor nicht verstecken. Man kann nicht weglaufen oder einen Berg erklimmen. Man kann nicht in den Wäldern Schutz suchen und mit den Eichhörnchen wispern.
Dafür ist es längst zu spät.
Eine Hand hat sich einem auferlegt und drückt einem aufs Jochbein, wie eine Katze einem Kind im Schlaf.
Man spürt, dass man erstickt.
Es raubt einem den Atem.
Und man muss aufstehen.
Endlich aufstehen…

Es drücken sich die Laternen wie lange Lulatsche an der Hauptstraße herum. Suse, die Polizeiwichserin, behauptet seit einigen Tagen, dass sie Freunde seien, nur weil Gaspar über einen ihrer Witze gelacht hat.
So kommt es Gaspar jedenfalls vor.
Sie möchte, dass er seine Skimaske abnimmt, damit sie ihn so sehen kann, wie er wirklich aussieht.
„Geht immer daneben“, sagt Gaspar.
Auf einem Spielplatz zeigt er ihr sein Gesicht.
Als sie ihn einen Augenblick zu lange schweigend ansieht,
ist Gaspar mehrere Tage verschwunden.

Die Schlachthöfe sind der einzige Ort, wo Gaspar wirklich verschwinden kann. Dort ist er niemand. Ein paar Autonome lassen ihn ganz nah an sich heran, bis er eine Hand aus dem Parka zieht und sein verbranntes und vernarbtes Fleisch dunkelrot im Laternenlicht aufflackert.
„Verdammte Scheiße“, sagt einer und dreht sich weg.
„Ey, Gas!“ Eine schwere Hand legt sich ihm auf die Schulter. „Hab gehört, du drückst dich mit Bullen rum!“
Der Einlasser schreit es so laut, dass die Autonomen einen Schritt auf sie zu machen. Das Geplätscher von auslaufendem Bier steigt Gaspar in die Ohren, als sie ihre Bierflaschen bei den Hälsen packen.
„Macht euch vom Acker!“, schreit der Einlasser sie an.
Sie wirken unsicher.
„Der ist in Ordnung“, sagt er leiser und zieht Gaspar zum Eingang des Nachtclubs.
„Man, du musst endlich mal auf die Leute zugehen“, sagt er im Vertrauen zu Gaspar. „Mach mal was, hau mal auf die Kacke! Scheiße, mit ner Bullenvotze um die Häuser ziehn, das löst keine Probleme!“
„Schon klar, man.“
Der Einlasser lacht laut auf und stößt Gaspar in die Rippe.
„Na klar ist alles klar!“
Er gibt ihm einen scherzhaften, aber harten Klaps auf den Hinterkopf.
„Verzieh dich, Gas, bevor ich dich alle mache!“

„Wozu die Maske?“
Gaspar sitzt da, eingesunken und verbraucht. Die Skimaske hängt verrutscht, und seine Augen liegen tief unter der schwarzen Wolle verborgen.
„Hey, wozu die Maske, man?“
Ein furchterregendes Klicken lässt Gaspar aus seiner Lethargie aufschrecken. Durch das dichte Gewebe aus schwarzer Wolle dringt ein Gitter von gedämpftem Licht.
Gaspar zieht die Maske gerade.
„Hast du Krätze im Gesicht, oder was?“
Der Mann gegenüber lässt ein Zippo in der Hand tanzen. Wie bei einem Zaubertrick schnappt dabei der silberne Verschluss auf und zu, ohne dass man die rasend schnellen Finger dabei beobachten könnte.
Gaspar ist, als schaute er in einen Spiegel.
„Wie ist das passiert?“, fragt er atemlos, als er die schweren Verbrennungsnarben im Gesicht des Mannes sieht. Die Nase ist künstlich nachgebildet. Der Mann lacht.
„Das Feuer hat mich gemacht, Junge! Weißt du, wie Stahl in nem Hochofen. Ist so heiß, dass man das Feuer gar nicht sieht.“
Die Brandnarben auf seinem Gesicht verzerren sich, als er lacht, und die Haut wirkt wie zerknülltes Sandpapier.
„Komm schon, zeig mir deine Fresse!“
Gaspar ist so erschüttert, dass er gar nicht anders kann. Er würde niemandem sein Gesicht zeigen, wenn er ihm nicht bis in seine Seele vertrauen würde.
Vertraute er der Polizeiwichserin?
Ohne nachzudenken reißt er die Maske vom Kopf.
„Scheiße, man!“ Der Mann gegenüber schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch und beginnt zu jubeln.
Er dreht sich um, hört nicht auf, mit der vernarbten Hand auf den Tisch zu schlagen. Er trommelt.
„Scheiße, seht euch das mal an!“
Einige der Leute an der Bar sehen sich gelangweilt um.
Einen Augenblick wirken sie wie erstarrt.
Gaspars Gegenüber rutscht rasend schnell um den Tisch herum und packt Gaspar aufdringlich bei der Schulter.
„Vater und Sohn, was?“, grölt er die Beobachter an.
„Ist die Ähnlichkeit nicht verblüffend, ihr Wichser?“
Einige drehen sich angewidert ab. Andere funkeln ihn mit ihren Augen herausfordernd an.
„Was ist, soll ich dich in die Hölle mitnehmen?“, brüllt der Verbrannte los und wartet einen Augenblick darauf, dass jemand aufsteht und die Herausforderung annimmt.
„Haben keine Ahnung von der Hölle, die Wichser“, flüstert er Gaspar wichtigtuerisch zu.
Er wendet sich ab, als suche er etwas in seiner Tasche.
„Steht einer auf?“, zischt er.
Gaspar sieht einen Bullen von einem Kerl auf ihren Tisch zuwanken. Er hat etwas in seiner Tasche.
„Ja“, flüstert er apathisch.

„Dann soll er zur Hölle fahren!“

Und noch bevor Gaspar etwas tun kann oder reagieren, ist der Bulle an ihrem Tisch und reißt ein Messer aus der Tasche. Da wirbelt der Kerl neben ihm herum, springt auf, und eine Flüssigkeit spritzt in das Gesicht des Bullen.
Der Geruch lässt Gaspar würgen.
Im nächsten Augenblick flammt das Zippo auf.
„Dann komm“, schreit der Verbrannte,
„DIE HÖLLE IST GENAU HIER!“


Sie sind in Gaspars Wohnung.
„Wenn ich meine Prothesen abnehme, fühle ich mich erst richtig frei.“ Der Verbrannte grölt und massiert Gaspars Schultern. Stöhnend vor Schmerz schließt Gaspar die Augen.
„Da!“, sagt der Verbrannte und wirft vor Gaspar seine Nasenprothese auf den Tisch.
Sie wirbelt um die eigene Achse. Gaspar betrachtet sie lange, bevor er zu ihm aufschaut.
Der Verbrannte ist groß, und der vernarbte Kopf steckt ihm so tief in den hohen Schultern, dass er wie ein Eishockeyspieler wirkt. Die Trapezmuskeln beginnen kurz unter den Ohren. Wie gewaltige Schulterpolster heben und senken sie sich mit jeder Bewegung. Er könnte ein Krieger sein, denkt Gaspar, ein biblischer Krieger, dessen muskulöser Körper nur dem Zweck dient, schwere, eisenbeschlagene Schilder zu wuchten und fünf Meter lange Speere zu heben. Der Brand der Bibliothek von Alexandria hat ihn erst zu dem gemacht, was er heute ist.
„Weißt du, wenn alte Männer ihre Zähne aus dem Mund nehmen und es sich gut gehen lassen, dann nehme ich immer die hier raus!“
Etwas landet poltert auf den Tisch.
Es ist eine Genitalprothese. Gaspar kann den Blick nicht abwenden. Der Mann lacht schallend auf.
„Die Schweizer machen nicht nur Uhren, sag ich dir! Das Ding klappt wie ein Taschenmesser auf; wann immer ich will.“ Obszön bewegt er die Hüften und schnalzt mit der Zunge.
„Korkenzieher könnt ich noch gebrauchen“, sagt er, „na ja, man kann nicht alles haben!“
Er knufft Gaspar in die Seite.
„Und du? Leg mal ab! Pack die Perlen auf den Tisch, mein Junge. Will das Geschmeide mal sehen!“
Gaspar sieht ihn erschrocken an.
„Hab nichts“, flüstert er.
Der Verbrannte dreht einen Stuhl um und setzt sich.
Er beobachtet Gaspar wie eine Marionette, die an einem letzten Faden baumelt.
„Hast wohl Angst, dass du von deinem Faden abreißen könntest und alleine stehen musst, was?“
„Ich verstehe nicht.“
„Du verstehst ganz gut!“, droht er. „Du hängst am Faden wie so ´ne Puppe, du weißt schon, wie im Zirkus vom Feuerfresser!“
Gaspar will aufstehen. Es ist ihm zuwider. Aber der Verbrannte ist rasend schnell bei ihm und packt ihn am Hals, dass ihm die Luft wegbleibt. Er greift ihm in die Hosen, zwängt die Beine auseinander.
„Dacht ich´s mir doch“, grinst er ihn hämisch an.
„Soll ich sie rausreißen und wie Pingpongbälle über den Tisch tanzen lassen?“
Gaspar röchelt.
„Nimm die Hand da weg“, flüstert er. Auf sein Gesicht hat sich ein merkwürdiger Schatten gelegt. Der Verbrannte beobachtet ihn fasziniert.
„Du kannst dich jetzt losreißen und wie Pinocchio in den Wald spazieren, Junge“, sagt er.
Gaspar umklammert das Handgelenk des Mannes und versucht, die kräftige Hand aus seinem Schritt zu ziehen.
„Versuch es nicht nur, mach es!“, wird er kichernd angespornt.
Gaspar nimmt all seine Kraft zusammen.
„Das musst du schon allein machen!“ Die Stimme des Verbrannten wird immer höhnischer.
„Ich kannte einen Jungen bei der Bundeswehr,
der hatte keine Hoden mehr!“, singt er grölend, bis er plötzlich innehält und sich sein Antlitz verkrampft.
Der Schatten in Gaspars Gesicht hat ein tiefes Schwarz angenommen.

„Nimm sie da weg“, flüstert er.

Die Polizistin weiß nicht, warum es sie immer wieder hierher zieht; zu diesem Jungen. In gewisser Weise ist er noch ein Kind. Aber hinter seiner verletzlichen Fassade verbirgt sich etwas aufrührerisches, etwas ergreifendes, das sie genau da anpackt, wo sie sich ausgemergelt und besiegt fühlt. Ihr Herz schlägt immer etwas schneller, wenn sie ihn sieht. Sie will sich nicht eingestehen, dass sie etwas für ihn empfindet.
Für diesen Jungen.
Geht sie deshalb jede Nacht an dem Haus im alten Abdeckerviertel vorbei? Sie schaut nach oben und sucht die Fensterzeilen ab. Der Taubenschutz sticht wie eine Reihe Nägel aus den Fensterbrettern. Als sie Licht sieht, überquert sie die Straße. Es ist kein elektrisches Licht, sondern ein warmer und lebendiger Schein, der sich in den gegenüberliegenden Fenstern widerspiegelt. Sie ist nervös und überhastet wählt sie auf ihrem Handy die Notruftaste.
Sie bricht die Verbindung ab, versucht ihren Atem zu kontrollieren. Sie wird jetzt nicht die Polizeiwichserin spielen! Das würde er von ihr erwarten und sie noch weiter von ihm entfernen. Aber sie will ihm nahe sein.
Sie öffnet die Haustür mit einer Kreditkarte.

Es könnte sein, dass er in diesem alten Gründerzeithaus ganz allein wohnt, geht es ihr im Treppenhaus durch den Kopf. Auf einer der Etagen brennt ein Flurlicht und sie hastet ihm entgegen. Darüber lauert die Dunkelheit wie das übergestülpte Maul eines Titanen, in dem sich die Wohnungen wie Backentaschen voll stinkendem Eiter übereinander stapeln. Sie irrlichtert einem schwachen Flackern entgegen, das unter einer Türschwelle wie Wasser in den Hausflur wabert.
„GAS, ich bin´s, mach auf!“
Sie hämmert gegen die Tür und weiß, dass er nicht öffnen wird. Ihr Herz schlägt so wild, dass ihr Brustkorb zu hüpfen scheint. Sie wirft sich gegen die Tür, die widerstandslos in den Flur bricht.
„GAS!“ Sie presst sich das T-Shirt an den Mund, als ihr beißender Rauch in die Lungen steigt. In der Küche heult durch den einströmenden Sauerstoff ein Flammenherd auf.
Sie stolpert in die Wohnung hinein.
Der Junge sitzt auf einem Stuhl und regt sich nicht. Vor ihm fackeln der massive Küchentisch und die Küchenzeile. Die Flammen schlagen in ihre Richtung.
„Bist du Ok?“, schreit sie und reißt Gaspar samt dem Stuhl mit sich fort.
„BIST DU OK?“
Von der enormen Hitze zerspringen in der Küche die Fensterscheiben und das Feuer gewinnt neue Energie. Flammen schlagen bis in den Flur, als wollten sie Gaspar mit gierigen Armen zu sich zurückziehen.
Feuerwehrsirenen jaulen von der Straße her.
Die Hinterbeine des Stuhls brechen ächzend weg, als die Polizistin den Jungen die Treppen hinunterzerrt.
Polternde Schritte kommen ihr von unten entgegen.
Das Seufzen der Gasmasken, die die Feuerwehrmänner tragen, erinnert sie an den schweren Atem eines Marathonläufers.
Sie brechen an ihnen vorüber und hämmern ihre Äxte in die brüchigen Wohnungstüren.
Das Feuer hat leichtes Spiel.


Suse hält Gaspar im Arm und füttert ihn mit weichem, in lauwarmem Tee eingelegtem Zwieback.
„Was machst du nur?“, fragt sie, während er isst.
„Ich dachte, du hast Angst vor dem Feuer.“ Sie schüttelt den Kopf. „Und jetzt machst du so was.“
Gaspar schweigt, kaut und starrt sie an.
„Sie haben mir Augentropfen gegeben“, sagt sie, „weil sie glauben, dass du deine Augen nicht gleich richtig schließen kannst, nach dem Feuer.“
Mit einer Pipette träufelt sie ihm eine Lösung auf die Pupillen. Gaspars Augenlider beginnen zu zucken. Aber er kann sie nicht schließen.
„Ich würde so gerne hier bei dir bleiben“, sagt er.
Suse streicht ihm über die narbige Stirn.
„Das wirst du wohl müssen. Nach Hause kannst du jedenfalls nicht.“
Gaspar legt den Kopf zur Seite und die Augentropfen laufen ihm wie Tränen aus den Augenwinkeln.

Sie schlafen miteinander in absoluter Dunkelheit. Gaspar sagt, er will nicht, dass sie ihm dabei zusieht.
Gaspars Stöhnen ist wie das Wiehern eines Esels, als er zum Orgasmus kommt. Sekundenlang verkrampft er sich, ohne dass sie seinen Samen in sich spürt.
Dann steht er plötzlich auf und dreht sich weg. Wenn sie ihm jetzt die Hand auf die Schulter legt, wird er gehen und nie mehr zurückkommen.
Aber sie tut es nicht. Er sitzt in der Dunkelheit und hört nur ihren gleichmäßigen, ruhigen Atem. Sie scheint eingeschlafen. Gaspar klaubt seine Jeans vom Boden auf und geht nackt zur Tür. Dort steht er und will einfach nur die Tür aufmachen und weggehen.
Er hat die Skimaske schon übergestreift und die Türklinke halb herunter gedrückt. Er ekelt sich vor dem Gesicht des Verbrannten, das seinem so ähnelt, und das irgendwo da draußen in der Dunkelheit auf ihn wartet.
Als Suse sich in ihrem Bett umdreht und eine einzelne Bettgestellfeder wie ein abgestochenes Schwein aufquiekt, ist ihm klar, dass er nicht bleiben kann. Sie kennt das Feuer nicht. Sie wird nie verstehen, welche Macht es auf ihn ausübt.
Ja, er hat Angst davor. Denn seine Macht wird mit jedem Augenblick stärker.

Die Musik hämmert sich im Inneren des Schlachthofes in die Köpfe der Betrunkenen. Gaspar ist ohne Maske hier. Er hat sie weggeworfen und zeigt allen sein Gesicht, die es sehen wollen. Der Einlasser hat ihm etwas nachgerufen, als er ihn so gesehen hat.
„Junge, pass bloß auf dich auf!“, hat er gerufen.
Gaspar hat sich nicht umgesehen.

„Bist du zurück?“, fragt der Verbrannte.
„Wer bist du?“, fragt Gaspar. Der Verbrannte schenkt ihnen weißen, bitteren Schnaps ein, der nach Kümmel oder etwas ähnlichem duftet. Er nimmt ein Feuerzeug und führt die Flamme an die Gläser. Auf dem erhitzten Alkohol tanzen kleine, bläuliche Flammenherde.
„Trink“, sagt er. „Wenn du trinkst, sag ich es dir vielleicht.“
Alles in Gaspar sträubt sich dagegen, sich die brennende Flüssigkeit in den Hals zu stürzen. Er würgt, als er das Glas anhebt. Als der Verbrannte klingend das Glas gegen das seine stoßen lässt, schwappt brennender Alkohol auf Gaspars Hand.
„Halt still“, flüstert er, „und sieh zu, wie es verbrennt!“
Gaspars Hand zittert so sehr, dass immer mehr von dem entzündeten Ethanol auf seine Hand läuft. Dann wird er ruhig. Die Flammen können ihm nichts anhaben. Brennende Fäden legen sich um sein Handgelenk und tropfen auf den Tisch.
„Es tut nicht weh“, stellt Gaspar überrascht fest.
„Es kann dir nichts anhaben, wenn du nicht willst“, sagt der Verbrannte. „Trink!“, fordert er ihn auf.
„Jetzt trink schon!“
Gaspar schüttet sich den brennenden Alkohol in den Mund und schluckt. Einen Augenblick spürt er das Feuer, wie es über seinen Gaumen tanzt. Dann ist es fort, und er schmeckt nur noch eine leichte, rauchige Erinnerung.

„Hier, ich schenke es dir“, sagt der Verbrannte und reicht ihm sein silbrig funkelndes Feuerzeug. Es ist anders als die anderen, die man am Bahnhof, in Souvenirläden zu kaufen bekommt. Die Gravur ist flüchtig und doch unübersehbar. Es scheint, als wäre sie mit einem einzelnen, menschlichen Haar auf das glänzende Metall aufgebracht worden, einem Haar aus glühendem Wolfram oder dem noch brennenden Stahl der Noriker. Gaspars Daumen huscht flüchtig über das abgenutzte Reibrad, als sich das Feuerzeug augenblicklich entzündet.
„Es will brennen, verstehst du?“, flüstert ihm der Verbrannte zu. Einige Sekunden verliert sich Gaspars Blick in der unendlichen Weite des kleinen Feuers, bis er das Zippo unerwartet zuschlägt.
„Wer bist du?“, fragt er, fast ohne dabei die Lippen zu bewegen.
Der Verbrannte lehnt sich lächelnd zurück.
„Wenn wir herausgefunden haben, wer du bist, kannst du die Frage vielleicht selbst beantworten.“

Sie ist ihm gefolgt. Suse hat sich unter die Autonomen gemischt, die sie mit ihrer zu großen Lederjacke misstrauisch beäugen. Sie drängen sich um sie, ohne dass sie es merkt. Ein Stoß in die Seite lässt ihr fieberheißes Blut in die Wangen schießen. Sie ist umringt, und Hände packen sie am Gürtel. Eine dahergeflogene Ohrfeige klatscht ihr ins Gesicht.
„Bullenfotze“, zischt einer, und sie erhält einen Schlag in die Magengrube. Sie wird mitsamt der Gruppe gegen die Häuserwand gedrängt. Schreie gehen im Getrommel von Fausthieben unter. Sie sieht einen Schlagring aufblitzen und wieder verschwinden. Dann lichtet sich alles und sie hört Kampfstiefel über das Kopfsteinpflaster hasten. Jemand presst ihr die Hand auf Mund und Augen. Sie wird in die Luft gehoben und fortgerissen.

Strampelnd landet sie in den Mülltonnen.
„Hör zu, wenn ich nicht wüsste, dass der Junge in Schwierigkeiten ist, dann hätte ich keinen Finger für dich gerührt. Die hätten dich rüber zu den Schweinestellen schleppen können und hätten ihren Spaß mit dir gehabt, soviel ist sicher!“
Der Türsteher blickt immer wieder über seine Schulter, während er redet. Er hat die rechte Schulter vorgebeugt und hält den muskulösen Arm angewinkelt, als wenn er jeden Augenblick auf sie losschlagen wollte.
„Wenn er in Schwierigkeiten ist, warum helfen Sie ihm dann nicht selbst?“
Der Türsteher sieht sie breit grinsend an.
„Wenn ich hier weg könnte, würde ich den ganzen Saustall hochnehmen, darauf können Sie wetten. Würde so manchem nicht gefallen, was dann passieren würde.“
„Probieren Sie´s doch aus.“
„Wenn ich hier weg könnte, würde hier einiges schief laufen.“
Suse steht langsam auf und hält sich den schmerzenden Unterarm.
„Was könnte hier schon schief laufen.“
Vom Eingang des Schlachthofs dringen Schreie zu ihnen herüber. Betrunkene Schläger poltern aus der Bar und kollidieren mit den zurückkehrenden Linken, die in voller Besetzung eine Revanche einfordern.
„Ich muss zurück“, sagt der Türsteher kurz angebunden.
„Passen Sie auf den Jungen auf. Warten Sie am Hintereingang. Woanders kommt jetzt keiner mehr raus.“
„Danke“, sagt Suse und hält den riesigen Mann am Arm fest. Dann setzt er sich wie eine Maschine in Bewegung, und Suse sieht wieder den Schlagring in seiner Hand aufblitzen. Die betrunkenen Schläger weichen stöhnend zurück, als er sich ihnen nähert. Die Autonomen stehen wie eine Phalanx und erwarten den Angriff.

Gaspar fühlt sich wie an die Hand genommen, beobachtet und durchschaut. Mit jedem Feuer, das seine Hände wie unter Drogen erzeugen, stößt es ihn tiefer und tiefer in die Unergründlichkeit seiner Seele zurück. Es ist wahr, er weiß nicht, wer er ist, und das, was aus ihm geworden ist, ist nicht das, was noch heute Nacht aus ihm werden kann.

Sie legen Feuer bei den Mietskasernen. Drumherum hat sich ein kleines, lebendiges Viertel entwickelt. Der Übermut, mit dem sich die Anwohner hier breit gemacht haben, und die Leichtigkeit ihres Lebensstils, der selbst in der Nacht aus den kleinen Geschäften und unsanierten Wohnungen dringt, machen Gaspar wütend.
In der Ferne heulen Feuerwehrsirenen. Die Einsatzmannschaften bekämpfen ihre lodernden Wegzeichen.

Im Laufschritt durchkämmen sie die Nacht. Hier brechen sie in Hausflure ein und spritzen Benzin an die Wände. Die brennenden Buchstaben graben sich tief in den brüchigen Putz.
„ICH WAR HIER“, lodert es in der Dunkelheit auf.
Irgendwo in den Stockwerken über ihnen beginnt ein Kleinkind zu greinen. Erschrocken blickt Gaspar den gähnend schwarzen Hausflur hinauf.
Sein Mitverschwörer treibt ihn zur Eile an.
„WILLST DU SIE BRENNEN SEHEN?“
Er packt ihn am Kraken und stößt ihn in den Hausflur hinein. Gaspar landet auf den Treppen.
„DANN TUE ES!“
Gaspar entgleitet das Feuerzeug, und es landet scheppernd zu seinen Knien. Wie von selbst hat es sich geöffnet, und eine kleine Flamme zündelt bereits am Treppenfurnier.
Hastig klaubt er es auf und lässt den silbernen Deckel zurück schnappen.
„Ein Kind ist da oben“, sagt er.
Der Verbrannte ist über ihm und aus seinem Mund tropft heißer Speichel auf Gaspars Gesicht.
„Warst du nicht damals auch noch ein Kind?“, fragt er.
„Wer hat damals dein Schreien gehört?“
Gaspar reißt sich los und taumelt in Richtung Straße.
„NEIN!“, stöhnt er. „Nicht, wenn ein Kind im Haus ist!“

Der Verbrannte schaut ihm nach, wie er unter Übelkeitsanfällen davon stolpert. Der Junge ist schwach und hat keine Ahnung von dem Feuer. Mit seiner Hand berührt er das Geländer aus kunstvoll gedrechseltem Eichenholz. Es ist alt und verfärbt sich schwarz, als er ihm die Hand auflegt. Das Holz beginnt zu schmoren und knistert, als würde es Angst spüren.
Der Verbrannte schaut in den Treppenaufgang und hört das Weinen des Kindes.
„Wenn du jetzt nicht aufhörst zu greinen, wirst du brennen“, flüstert er und seine brüchigen Lippen legen das weiße, funkelnde Gebiss frei.
Er will schon hinaufgehen, da bricht plötzlich das Weinen ab und ängstliche Stille legt sich über den Hausflur.
Der Verbrannte bleibt stehen. Seine Augen verfärben sich dunkelrot und leuchten in der Nachtschwärze.
Als er knurrend davon stürzt, bleibt auf dem Geländer ein glühender Handabdruck zurück. Ein Windhauch lässt kurz eine Flamme darauf tanzen. Dann steigt stinkender Rauch darüber auf.

Die Brandeinheiten jagen durch die Dunkelheit. In ihren feuerfesten Uniformen stapfen sie neben ihren gewaltigen Löschfahrzeugen her, die sich durch das dichte Gewühl der parkenden Autos drängeln. Sie spähen nach ihnen aus. Sie wollen sie finden und sie endlich in die Feuer stürzen, die sie wie Hinweise auf ihren Aufenthaltsort vor ihnen ausgebreitet haben.
Aber da ist noch etwas. Gaspar spürt es im Herzen und in den Knien. Ein paar leichte Sohlen flüstern über den Asphalt. Ein leiser, keuchender Atem säuselt aus dem Nachtschwarz zu ihnen herüber.
Dort irgendwo steht sie im Schatten und starrt sie an.

„Wer ist sie? Wer zum Teufel ist sie? Hör zu, ich frage dich kein zweites Mal!“
„Ich habe keine Ahnung!“
Der Verbrannte legt Gaspar die kochend heißen Hände an die Schläfen, als wolle er in seinen Verstand eindringen.
„Denkst du etwa, ich könnte sie nicht riechen, die Hure? Ihre Oberschenkel sind schweißnass und ihre Wangen sind so heiß, dass sie im Dunkeln glühen würden, wenn sie endlich aus ihrem Versteck heraus käme. Riech selbst!“, zischt der Verbrannte. „Riech, verdammt!“
Und er hält Gaspars Gesicht in den Nachtwind, genau in die Richtung, in der er ihren herben, weiblichen Geruch wahrgenommen hat.
Da ist sie. Gaspar weiß, dass sie da ist. Irgendwo da draußen. Er kann sie riechen. Es ist Suse, kein Zweifel. Verwirrt reißt er sich vom Griff des Verbrannten los und kann es selbst nicht glauben, dass er sich seiner Sache so sicher ist. Der flüchtige, doch unheimlich intensive Geruch ihres Körpers dringt ihm wie eine Hitzewallung in die Stirn.
„Wie kann das sein?“
Der Verbrannte schlägt ihm wutentbrannt gegen die Stirn, dass Gaspar stöhnend in die Knie geht.
„Ich kann dir sagen, wie das geht! Du hast das Feuer in dir, mein Junge. Und du wirst es nicht mehr los! Du riechst das Holz, du riechst Papier und Fleisch, als ob du es mit Händen greifen könntest. Das ist das Feuer, und du kannst nicht leugnen, dass es in dir ist!“
Gaspar schließt die Augen und will es nicht wahr haben. Nicht das Feuer, denkt er. Alles, nur nicht das Feuer!
Aber es ist so. Gaspar spürt es, wie ein lebendiges Organ, das sich in seinem Körper mit allen Sinnen vernetzt und mit brennender Zunge in seinen Verstand eindringt. Tastsinn, Geruch und Augenlicht werden von glühenden Flammen überschwemmt. Er kann es sehen! Er kann es fühlen und hören! Und inmitten dieser Verwandlung, dieser schrecklichen Metamorphose, die ihn schließlich ganz zu Boden schlägt, riecht er Suse so intensiv, wie er sie nicht einmal während des Geschlechtsverkehrs gerochen hat. Er ist in ihr, wie er nie in ihr war. Er spürt sie, wie er sie nie gespürt hat. Und er hat das Gefühl, er bräuchte nur die Hand ausstrecken und könnte ihre Seele mit Händen greifen.

Suses Herz rast. Sie steht nicht weit entfernt von Gaspar und diesem Mann, dessen Blick im Dunkel der Gasse zu glühen scheint. Er steht gebückt neben Gaspar, wie ein Troll oder ein riesiges Steinwesen. Dann legt er ihm die Hand auf die Schulter und spricht mit ihm.
Suse stolpert tiefer in den Schatten zurück, in dem sie sich verborgen hält. Etwas ist an ihr und in ihr, wie ein Bienenschwarm, der lautlos durch ihre Nase, ihren Mund und ihren Schoss in sie eindringt. Sie versucht ihn fort zu wischen, sie glaubt schreien zu müssen, als es ihr durch die Gedärme und die Kehle jagt.
Er ist in mir, denkt sie, oh Gott, er ist in mir!
Sie fällt und krümmt sich, und sie sieht Hände, die unter ihrer Haut ihren Körper umarmen. Ihre Gedanken sind so flüchtig wie ein Gas und entgleiten ihr immer wieder.

Dann steht Gaspar vor ihr und kniet sich nieder.
Die Hände unter ihrer Haut verschwinden. Ihre Gedanken kehren zögernd in sie zurück. Er nimmt sie in die Arme und presst sie so fest an sich, als wolle er sie durch die Haut hindurch in sich aufnehmen.
Suse verliert erst den Atem und dann das Bewusstsein.


Es ist das Bild des alten Stahlwerks, das Gaspar sofort in die Magengrube schlägt, als er hinter dem Verbrannten aus einer Seitengasse stolpert. Das Werksgelände, an das sich die verlassenen Wohnhäuser der Stahlkocher wie blinde Soldaten anschließen, ist zur Heimat der Katzen geworden. Er hört ihre gellenden, wehleidigen Schreie von jenseits des rostigen Maschendrahts, der den verschatteten Ort wie einen Garten umschließt. Im Inneren wachsen die blütenlosen Stahlstängel der Hochofenanlage in den schwarzen Nachthimmel. Mitten hinein geworfen thront ein schwarzer Riese in dem filigranen Gestrüpp. Der Schmelzofen erhebt sich wie ein Wächter über das alte Industriegelände und scheint mit seiner rostigen Patina schon Jahrhunderte auf sie zu warten.

Der Verbrannte steht da, die Fäuste in die Hüften gestemmt und schaut hoch hinauf zum Kopf des schwarzen Riesen. Er sagt kein Wort, aber Gaspar sieht ihm an, dass er diesen Ort liebt, weil hier einmal das Feuer zuhause war. Allein der Gedanke an die ungeheure Hitze lässt Gaspar erschaudern. Er hält Suse in den Armen und will sie nicht loslassen. Sie gehört zu ihm, denkt er sich.
Sie wird ab jetzt für immer zu ihm gehören.

„Bist du bereit?“
Gaspar schweigt. Er war zu allem bereit. Er war es von Anfang an. Sie sind hier, wo das Feuer einmal zu Hause war, und jetzt ist es an der Zeit, dass es wieder zu brennen beginnt.
Er selbst wird es entzünden. Er wird es aufflackern lassen, dass alle es sehen können. Dass sie sehen können, dass er nicht aufgegeben hat. Dass er keine Angst kennt.
Nie mehr!

Gaspar schleppt Suse bis zu den alten Schüttungsvorrichtungen.
„Jetzt mach schon“, spornt ihn der Verbrannte an.
Suse atmet kaum, als Gaspar sie vorsichtig in das Hochofenmaul hineingleiten lässt. Nur ein kurzes, müdes Seufzen gibt sie von sich. Dann macht sie sich ganz klein, als sie auf den von schwarzer Schlacke bedeckten Grund rutscht.

„Steig ihr nach!“
Gaspar duckt sich und kraucht in die Schüttung hinein. Es riecht nach Stahl und Kohle. In der Dunkelheit legt sich Suses Geruch über all die alten und toten Gerüche und erweckt sie zu neuem Leben. Hinter der Schüttungsvorrichtung geht es tief hinein in den Bauch des schwarzen Riesen. Am Boden knistert die trockene Schlacke unter Gaspars Schuhen, und wenn er die Wände berührt, regnet sie wie Pulverschnee auf ihn hinab.
Er schleift Suse tief in dieses Dunkel hinein und bleibt still und steif neben ihr hocken. Hinter ihnen kriecht der Verbrannte durch die Schüttung und das Glühen seiner Augen erhellt das Innere des Hochofens wie purpurner Kerzenschein.

„An einem Ort wie diesem wurde ich geboren, Junge“, sagt er und berührt die mit Schlacke verkrusteten Wände.
„Ist mir, als wäre es gestern gewesen, als sie uns sagten, wir müssten uns ausziehen. Sie wollten uns untersuchen.“
Er seufzt und stemmt die Fäuste in die Hüften.
„Draußen in Buchenwald ging es nach dem Gas direkt in die Öfen, weißt du. Und es roch ganz ähnlich wie hier“, sagt er, „nur fleischiger, wie im Sommer bei einer Grillparty, bei der einer vergessen hat, die Steaks umzudrehen.“ Er lacht kurz und trocken auf.
„Aber kein bisschen nach Gas, verstehst du? Da bin ich zum ersten Mal aufgewacht. Das war nach dem Gas.
Und ich weiß ganz ehrlich nicht mehr, was vorher war.
Ich meine, vor dem Gas. Nur dass wir uns ausziehen mussten, und dass sie Musik spielten, als wir aus den Zügen stiegen.“
Die Muskeln unter der denaturierten Haut des Verbrannten straffen und bewegen sich. Er dreht sich um, und ein Lächeln spielt wie ein Narr um seine Lippen, als er Gaspar unten auf dem Boden neben Suse hocken sieht.
„War genau wie hier“, sagt er, „nur dass sie dort die Leichen fast bis unter die Decke gestapelt hatten. Ich wachte auf und musste mich erst einen ganzen Meter nach oben durchgraben.
Scheiße, und dann kam das Feuer.“

„Erzähl keinen Scheiß“, sagt Gaspar.
Neben ihm beginnt sich Suse zu rühren, und er drückt sie zärtlich an sich, bevor er wieder zu dem Verbrannten aufschaut.

Der Verbrannte scheint in der Finsternis an Größe zuzunehmen. Seine Erscheinung flimmert und beginnt schwach violett zu glühen. Die Luft um ihn herum wabert wie eine kochende Flüssigkeit. Gaspar versucht Suse vor dieser Hitze abzuschirmen und wirft sich über sie.
Im selben Augenblick schlägt sie die Augen auf und starrt ihn an.
„Mir ist so heiß“, flüstert sie, und ihre trockenen Lippen berühren Gaspars Ohr. Er dreht sich um und kneift die Augen zusammen, als der Verbrannte ihn plötzlich und heiß an der Schulter berührt.

Als ihn die Hand des Verbrannten berührt, kann Gaspar nur einen Augenblick seine Gedanken lesen. Nur einen Augenblick, bevor der Griff des Verbrannten übermächtig wird. Er ist kein Mensch, denkt Gaspar. Er ist etwas anderes, etwas Schlimmeres.
Ein Racheengel!
Aber etwas in ihm wehrt sich gegen diesen Gedanken. Etwas lehnt sich in ihm auf und will schreien, nein, das ist kein Engel.
Er ist alles, schreit es in ihm, aber er ist kein Engel!

Und als der Verbrannte ihm sagt, dass es jetzt an der Zeit wäre, das zu tun, weshalb sie hier seien, da gelingt Gaspar ein Blick in seine Seele, und er wird mit einem Mal tief und brutal im Herzen getroffen.
Weil da nichts ist!
Ausgetrocknet ist sie, und nur in dem Moment, als der Verbrannte Gaspar berührt, wird sie leicht mit Leben bestäubt.
Er braucht etwas, wird Gaspar plötzlich klar.
Und er braucht es schnell, bevor alles in ihm zu Staub zerfällt.

Er schaut zu Suse und dann zu dem Verbrannten, der ihn durchdringend beobachtet, als wüsste er, woran er denkt.
„Du willst sie retten, oder?“, fragt er mit schiefem Kopf.
„Du denkst, ich lass sie hier einfach rausspazieren und hole mir nicht das süße Innere.
Vielleicht mache ich das ja“, sagt er nachdenklich.
„Aber dann stehst du ziemlich dumm da, nicht wahr?“

„Ziemlich dumm“, sagt Gaspar, „aber deshalb sind wir schließlich hier, nicht wahr?“

Der Verbrannte fletscht plötzlich die Zähne und ungeheure Hitze geht von ihm aus.
„Ist mir scheißegal, ob du sie retten willst!“
Seine verbrannten Hände werden glühende Krallen.
Gaspar hebt Suse vorsichtig hoch und spürt sie ganz und liest alle ihre Gedanken. Sie schaut ihn nur an, und diesmal lässt sie es zu. Ein Bienenschwarm dringt überall in sie ein und alle Gedanken wandern fort aus ihr.
Gaspar hebt sie aus der Schüttung und lässt sie vorsichtig nach draußen gleiten.
Als er ins Innere des Riesen zurückkehrt tanzen in seinen Augen winzige Flammen.

„Wenn du sie mir gelassen hättest, hätte ich mir ihre Seele geholt, Junge. Und kein Hahn hätte danach gekräht!“
Gaspar hält den Blick gesenkt, und die Arme hängen ihm schlaff von den Schultern herab.
Er hat das Gefühl, als könnte das Feuer in ihm jeden Augenblick eine Explosion hervorrufen, die den Hochofen und das ganze Gelände in Stücken reißen könnte.
Er spürt das Feuer mit all seiner Macht und hält den Blick gesenkt, weil er hofft, es könnte dem Verbrannten entgehen.

„Es ist mächtig in dir, Junge, aber nicht mächtig genug.“
Der Verbrannte lächelt und lässt Flammentürme aus seinen Handflächen empor tanzen. Sie schlagen hinauf zur Decke des Hochofens, die sich wie die Kuppel einer heiligen Kapelle über ihren Köpfen erhebt.
Da steht er; eine violett glühende Silhouette in zehntausend Grad heißer Luft. Gaspar kann sich nicht einmal vorstellen, wie heiß es an der Stelle ist, an der der Verbrannte steht.
Aber er versucht es. Zum ersten Mal versucht er es. Und seine Gedanken nähern sich der Hitze.

Es ist anders, als bei Suse. Eine Barriere umgibt den Verbrannten, ein Bollwerk, an dem Gaspars Gedanken abgeschmettert werden. Der Bienenschwarm, der so leicht in Suse und ihre Gedanken eindrang, umschwirrt den Verbrannten und wird immer wieder zurück geworfen, wenn er versucht, in ihn einzudringen.

Gaspar richtet sich auf.
Wie ein Boxer steht er da, nur mit offenen Handflächen. Er weiß nicht, wie es sein wird, wenn das Feuer aus ihm kommt. Aber es ist da. Es ist überall in ihm!

Er ist der Herr des Feuers!

Und dann geschieht es. Erst tanzen ihm Flammenzungen auf den Handrücken. Sie tanzen zu den Fingerspitzen und zurück, den Unterarm hinauf. Sie sitzen ihm wie Spatzen auf den Schultern und hüpfen flatternd empor. Erst eins, dann zwei, dann ein ganzes Duzend von Feuerhälsen, die sich emporrecken und sich zu einer einzigen Flamme vereinigen.
Er hat es unter Kontrolle, und mit einem Mal schießt das
Feuer in seine Hände und breitet sich wie eine Wand vor ihm aus.
Die Wände des Hochofens beginnen zu glühen. Die Schlackereste werden von der kochenden, wabernden Luft empor gewirbelt und werden durch die Schornsteine ins Freie gerissen.
Gaspars Kleider verbrennen auf einen Schlag, und er steht dem Verbrannten nackt und Angesicht zu Angesicht gegenüber, als der, mitten im Feuer stehend, einen einzigen Schritt auf ihn zu macht.
„Ich bin in der Hölle geboren, Junge!“, sagt er.

„Dann sind wir schon zwei“, flüstert Gaspar.
Und er zieht seine Schultern eng an den Hals, bevor seine Augen zu glühen beginnen.

Erwachen.
Zuerst weiß Gaspar nicht, wo er ist. Es ist dunkel und stickig. Ein Blick über die Schulter, und er sieht sich selbst, mitten in den Flammen stehen.
Ich bin in ihm, denkt Gaspar plötzlich. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, in den Verbrannten einzudringen.
Aber er kann noch nicht seine Gedanken kontrollieren. Er ist nur seinen Erinnerungen. Er ist tief in seiner Vergangenheit.
Gaspar muss an die Oberfläche. Er zwängt sich weiter und weiter empor, wie durch einen Berg von Körpern, bis er erst einen Arm und dann einen Kopf an die Oberfläche bringt.
Sein Verstand will zerbersten, beim Anblick der toten Leiber, aus denen er hervor kriecht.
Es ist das Krematorium, von dem der Verbrannte gesprochen hat. Gaspar kann kaum atmen.
Er schaut seine Hände an, und er hört ein Zischen, das aus winzigen Öffnungen aus den Wänden dringt.
Sie spielen Musik, draußen an den Bahnsteigen.

Und dann kommt das Feuer! Und Gaspar schreit, weil es an und in ihm ist und er es mit jedem Atemzug in seine Lungen saugt.
Aber er stirbt nicht. Wie in einem Alptraum sieht er, wie seine Haut denaturiert, wie sich die Fingernägel von den Fingerkuppen lösen und abfallen. Die Haare rutschen ihm wie eine Perücke vom Schädel und werden als feiner Staub davon geweht.
Kniend, kreischend hockt er auf dem Berg der Toten, der sich langsam in Asche verwandelt. Die Leiber werden steif, dann beginnen sie zu glühen und werden von heißen Aufwinden als weißer Ascheschnee empor gewirbelt.

Schreiend muss Gaspar mit ansehen, wie sein Körper langsam in diesem Ascheberg einzusinken droht. Wie ein kochendes Moor zieht es ihn hinab, und er sieht Gesichter, Arme und Beine zu Staub zerfallen. Jeder Körper, an den er sich wie einen rettenden Fels klammert, wird spröde und löst sich auf.

Dann versinkt er endgültig, während sie draußen bei den Bahnsteigen Musik spielen.
Als sie die Ascheluken öffnen, rutscht sein verbrannter Körper in einem Gemisch von schmieriger, glühender Asche und halb verbrannten Knochenresten auf die Ladefläche eines Armeetransporters.

Auf dem Weg zu den Feldern macht sich die Asche der Toten wie ein Traum von der Ladefläche davon und wirbelt durch die Luft. Als sie anhalten und Gaspar mit der Asche wie Dünger auf dem Feld ausbringen, sind seine Arme und sein Gesicht bereits freigelegt.
Den Rest wäscht der Regen in die Erde.
Und wie ein Neugeborenes steht Gaspar endlich auf, in einem weißen Kreis von in den Boden gewaschener Asche,
mit flammenden Augen.

Er dreht sich um, und aus dem Verbrannten, aus dem Innersten seiner Seele, sieht er sich selbst in den Flammen stehen.
Ich weiß jetzt, wer er ist, denkt Gaspar.

Und ich weiß, wer ich bin…


Gleißend helles Licht über Minuten. Es ist nichts zu hören, außer das Knistern des Feuers und das Ächzen des glühendes Stahls und des Betons, der den Hochofen umschließt.
Im Inneren kämpfen Gewalten, eng umschlungen und mit Feuer und Gedanken aufeinander einstürmend.
Aber kein Laut von ihnen, kein Schrei, der aus dem Ächzen und Knistern nach draußen dringt.
Absolutes Nicht-vorhandensein. Nur die lautlosen Kräfte, die mit aller Urgewalt zusammenstoßen.

Suses Gesicht ist kochend heiß, und während sie keuchend weiter und weiter von dem Hochofen fort kriecht, glaubt sie, ihre Haut bekäme Risse von der ungeheuren Hitze, die von dort ausströmt.
Sie sieht den Stahl im Dunkel glühen. Selbst der graue Beton nimmt eine weiße, todbringende Färbung an.
Sie sucht Schutz hinter einer Reihe verrosteter Abfalltonnen, als die Stahlklammern am Bauch des schwarzen Riesen zu bersten beginnen und in alle Richtungen davon gesprengt werden. Die Ummantelung, die einmal mehreren tausend Grad standgehalten hat, reißt an mehreren Stellen auf, an denen weiße Lichtstrahlen den Stahl wie ein Schweißgerät auftrennen.
Sie reißt die Hände vor das Gesicht und schreit, als die Hitze so stark wird, dass sie glaubt, sie müsse in Stücke springen.

Als Gaspar erwacht, sieht er zuerst Suse, die über ihm kniet und deren zierliche Hände in alter Glaswolle eingepackt sind. Zögerlich beginnt es zu regnen und eiskalte Tropfen perlen auf seiner Haut ab, wie von einer rot glühenden Herdplatte.
Er hat eine schwarze Brandspur hinterlassen, wo Suse ihn durch das verwilderte Grün des Stahlwerkgeländes nach draußen gezerrt hat.
Als ihn ein Regentropfen im noch glühenden Auge trifft, blinzelt er, und der Regentropfen zischt als winzige Dampfwolke davon.
Die Regen wird stärker. Er trommelt auf einem alten Wellblechdach und Gaspar ist wie ein weiß glühendes Stück Stahl, das man in den Schnee getaucht hat.
Langsam, ganz langsam kühlt er ab, und die Dampfwolken schweben wie Alpträume davon.
Dann nimmt er Suse in die Arme und sagt ihr, dass es vorbei ist. Wie in einem Hollywoodfilm küsst er ihre Augen.
Er hat ihn besiegt, sagt er, überlistet.
Es ist ganz einfach, wenn man weiß, wie es geht.
Es ist vorbei, für immer, sagt er.
Und er lebt.

Doch es ist noch nicht vorbei.

Von dem Gefühl, dass ihm jemand über die Schulter sähe, wacht Gaspar neben Suse auf. Er will ihr keine Angst machen, und er schleicht sich ins Bad und spritzt sich das Wasser aus der Leitung in das heiße, rote Gesicht.
Er dachte, die Alpträume würden nachlassen, mit der Zeit, aber selbst nach Monaten sieht er alles so klar und deutlich, als wäre es gestern geschehen.
Als er mit der Fingerspitze vorsichtig seine Wange berührt, kommt es ihm so vor, als wäre seine Haut trocken und brüchig. Und als er die Hand betrachtet, sieht er feinen Staub auf seinen Fingerspitzen, so als würde er an Konsistenz verlieren.
Dann schaut er in den Spiegel und sieht sich lächeln und sich zu zwinkern.
„Na, Junge, alles klar bei dir?“

Und Gaspar will schreien und er will zu Suse laufen, ins Schlafzimmer und sie wachrütteln.
„Er ist in mir!“, will er schreien und sich mit der Hand in den Schlund greifen, tief bis in die Eingeweide, um das schreckliche Wesen aus seinem Inneren heraus zu reißen.
Aber nichts dergleichen geschieht.
Sein Körper löscht das Licht im Bad und geht ganz ruhig zurück ins Schlafzimmer.
Suse erwacht kurz und fragt schlaftrunken, ob alles in Ordnung sei.

„Ja, könnte gar nicht besser sein, Baby“, hört sie Gaspar sagen, der zu ihr unter die Bettdecke kriecht und mit seinen Händen ihr warmes Becken ganz dicht an seinen Schoss zieht.
„Könnte wirklich gar nicht besser sein“, flüstert er…

… während in seinen Augen violette Flammen tanzen.
 
K

KaGeb

Gast
Großes Kopfkino, Marcus, wenn auch sehr lang. Doch die Gewalt der Worte lässt Bilder entstehen, die es glaubwürdig machen, wenn man die Rubrik beachtet. Vielleicht sind ein paar Absätze zu viel, auch könnte das eine oder andere Wort korrigiert oder "benörgelt" werden, aber ich fühlte mich großartig unterhalten und bin kein Lektor.

Gaspars Hass würde ich persönlich noch mehr rauskehren, um seinen Wandel besser darzustellen. Auch Suses Gefühle für ihn, warum sie entstehen. Im Text, die entsprechende Passage, finde ich zu kurz.

Alles in allem, super und gelungen!

Gruß, KaGeb
 
Hallo Kageb,

danke für die gute Kritik. Da bin ich selbst erst gerade drüber gestolpert; dass ich anfangen sollte, meinen Figuren "mehr Respekt" entgegen zu bringen. Was du schreibst, scheint mir genau in die Kerbe zu schlagen. Denn es sind gerade die Gefühle der Prot., die mir immer noch ein wenig zu kurz kommen.

Mal sehen, wohin man sich entwickelt,

gruss, Marcus
 
K

KaGeb

Gast
Nur zum Guten, gerade bei Dir. Marcus. Deine Schreibse ist fantastisch! Bin mal gespannt, wann das Erste von Dir im Buchhandel ist :)

Beste Grüße, KaGeb
 
Feuerhaut


Die Flamme schlagen wabernde Kreise. Es ist ein Tier, ein wildes Monstrum, das an seiner Haut leckt. Die unbändige Gier nach Sauerstoff saugt ihm den Atem aus den Lungen.
Er schreit Feuer, als ihn durch Glaswolle geschützte Hände aus dem Flammenzentrum reißen und davon zerren.
Er wird zu Boden gerungen.
Er wimmert.
Und lebt.

Doch es ist noch nicht vorbei.



„Geh einfach, Gaspar.“
Elli hat sich von ihm abgewandt, bevor er sie mit den Fingerspitzen berühren kann.
Alans Hand fährt ihm kraftvoll in den Unterarm.
„Lass sie in Ruhe!“ Sein englischer Akzent ist Gaspar schon immer auf die Nerven gegangen.
„DU WICHSA NIMMST SIE MIR NICHT WEG!!“
Einen Augenblick versucht sich Gaspar gegen Alan zu stemmen und die kraftvollen Unterarme auseinander zu brechen. Aus dem linken Auge weint er, als Alan seine Gegenwehr zum Erliegen bringt.

„Geh einfach, Gaspar“, flüstert Elli, ohne ihn anzusehen.
Gaspars Augen funkeln wütend zu Alan, dann zu Elli und dann auf seine vernarbten Hände, die manchmal so tot und metallisch wirken, wie die vom Terminator.
Gaspar sieht zur Seite.
„Sag mir einfach, dass es nicht mein Gesicht ist. Sag, dass es daran liegt, dass ich ein Mistkerl bin und dass ich deine Freundschaft nicht verdient habe.“

„Aber das hast du!“
Gaspar spürt eine Wut in sich aufsteigen, die einem Feuer gleicht.
„SAG ES!“, zischt er, dass Elli mit einem mal vor Furcht in Alans Arme flüchtet.
„Nein, hör auf, Gas!“
Gaspar macht einen Schritt auf sie zu, so dass sie ängstlich zusammenzuckt.

„Mistkerl“, schreit sie plötzlich. „Du elender Mistkerl!“
Sie bricht in Tränen aus und verliert den Halt, so dass Alan sie bei den Schultern nimmt und fest an sich drückt.
„Es reicht jetzt“, sagt er leise und bedrohlich, als Gaspar zur Schrankwand geht und seine Skimaske aus dem Regal reißt.
Er streift sich die schwarze Wollmaske über den Schädel, so dass nur noch die Augen zwischen den Schlitzen zu sehen sind.
Als er an der Tür ist, dreht er sich noch einmal um.
„Ich hätte sie niemals abnehmen sollen, Elli“, sagt er.
Wimmernd geht Elli vor Alan in die Knie.
Gaspar sieht den Hochaufragenden Alan, über ihr stehend, sich zu ihr nieder bückend, sie in den Arm nehmend.

„Pass auf sie auf, Arschloch“, flüstert Gaspar und zeigt mit dem narbigen Finger auf ihn.
Dann dreht er sich um und flüchtet in die Nacht.

Wenn man etwas über das Feuer sagen kann, dann dass es schnell kommt, und dass es nicht wartet, wie ein Köter vor dem Haus, an der Leine. Ein Bullterrier kann sich von seinem Herren innerhalb eines Augenblickes losreißen und ist in wenigen Sekunden über dir, beißt sich fest, reißt dich zu Boden und geht dir dann an den Hals und ans Gesicht. Wie ein Schnappfrosch schlägt das Gebiss vor deinen Augen wieder und wieder zu, bis du nur noch Blut siehst und dann gar nichts mehr.
Blut siehst du beim Feuer überhaupt nicht und du riechst nur dich selbst und spürst, wie deine Haut zu schreien anfängt, während dir das Feuer die Luft aus den verdammten Lungen saugt.
Dann brennt es dort auch.

Es brennt überall an dir.

Gaspar bleibt stehen. Neben ihm jault elend eine Polizeisirene auf, dann schlägt sein Kopf gegen die Häuserwand und sein Arm wird so verdreht, dass er in die vom Atem feuchte Wolle vor seinem Mund beißen muss, um den Schrei zu unterdrücken.
„Bist wohl auf Brautschau, Junge!“
„Wichsa, hast keine Ahnung, wer ich bin!“
Eine Polizistin fummelt an seinem Parka herum, bis sie seinen Ausweis findet.
„Scheiße, Gunnar, lass ihn los.“
Aber der Polizist, der Gaspar den Arm verdreht, lässt ihn nicht los. Er wirbelt ihn herum, packt ihn am Hals und drückt ihn gegen die Fassade.
Mit einem Mal reißt er ihm die Wollmaske vom Kopf.
„Scheiße, verdammt!“
„Lass ihn los, hab ich gesagt!“
Hustend und würgend geht Gaspar in die Knie. Die Polizistin reißt ihrem Kollegen die Maske aus der Hand und kniet sich zu dem Jungen.
„Tut uns Leid, Junge, wirklich!“
Gaspar nimmt ihr wortlos die Maske aus der Hand und streift sie sich hastig über.
„Ich bring euch in den Knast, ihr Wichsa!“
Der Polizist gibt ihm einen Faustschlag gegen die Schläfe.
„Keine Mucken, Junge! Bloß weil du ein Narbengesicht bist, hast du hier lange nichts zu melden.“
Kichernd wendet sich Gaspar zur Seite.
„Lass ihn in Ruhe!“ Die Polizistin versucht ihn am Oberarm zu streicheln.
„Sollen wir dich irgendwohin mitnehmen?“
Gaspar reißt sich los und steht langsam auf.
„Braucht mich nicht mitnehmen; braucht mich keiner mitnehmen!“


Gaspar verschwindet in einer Ausfahrt, die auf einen Hinterhof führt. Das Echo metallischer Musik scheppert von den Backsteinfassaden.
Gaspar hält atemlos an einem Stahlfeiler inne.
Er zieht sich die Wollmaske bis über die Lippen und atmet die stinkende Luft der alten Abdeckerei.

Manchmal weinte Gaspar aus einem Auge und nicht wie früher aus beiden. Sie hatten ihm einen Tränenkanal wieder frei gelegt, weil irgend so ein Psychoheini der Meinung gewesen war, dass es für sein Seelenheil von Bedeutung war, dass er weinen konnte. Sollte ihn zu einem Menschen machen, oder so was ähnliches. Als ob das wichtiger war, als ein Gesicht zu haben oder Hände wie alle anderen. Einmal war Nicki Lauda bei ihnen auf der Brandstation zu Besuch gewesen und hatte was von einem neuen Leben erzählt. Da hatte sich Gaspar einen Augenblick gewünscht, der Wichsa wäre nur eine Minute länger in seinem brennenden Ferrari sitzen geblieben.

Gedankenverloren schiebt sich Gaspar an dem Einlasser des Schlachthofs vorbei.
„Hast du Feuer, Alter?“
Gaspar dreht sich nicht mal um.
„Jede Menge, Mann!“
Ein Schrank von einem Türsteher will sich eben auf ihn zuwälzen, als der Einlasser ihn zurückpfeift.

„Lass ihn, der ist in Ordnung.“

Gaspar drängelt sich an die Bar.
Nichts ist in Ordnung, denkt er. Alles Scheiße, alles Vorbei! Neben ihm zündet sich jemand eine Zigarette an, und das Feuerzeug geht wie ein Flammenwerfer los.
„Hey, scheiße, habt ihr das gesehen? Hätte mir die Haare abfackeln können…“
Gaspars Herzschlag rast. Er sieht das Feuer, ist wie erstarrt und kann sich nur mit Mühe bewegen, auch wenn sein Verstand ihn plötzlich wie einen Hasen übers Feld jagen will.
„Hey, besoffen, was?“
Gaspar taumelt wie ein Betrunkener davon.
Alles um ihn herum will sich in ein Flammenmeer verwandeln.
Er geht in die Knie, kriecht unter einen Tisch.
Es riecht hier nach verbranntem Fleisch.
Gaspar schließt die Augen, versucht zu atmen,
versucht…

„HAST DU DAS GESEHEN? MACHT MIR GAR NICHTS, VERSTEHST DU?“
„Scheiße, du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank!“
Die zwei Männer an dem Tisch, unter dem Gaspar hockt, bestellen nur das harte Zeug und er hört die leeren Gläser wie Hämmer auf die Tischplatte knallen, wenn sie sie nach dem Austrinken lachend niedersausen lassen.
„Warte, ich zeig´s dir noch mal!“
„Verdammt, hör auf mit dem Scheiß!“
„Wetten, ich schrei nicht?
Mach mir ne Kippe an!“
Der andere Mann will aufstehen.
„Ich hau ab hier!“, lacht er.
Dann wird er von dem anderen festgehalten, und Gaspar hört dessen Stimme nur ganz leise, als ob er ihm ins Ohr wispert.
„Du machst mir jetzt ne Kippe an, oder ich schwör dir, ich mach sie auf deinem Auge aus!“
Der andere setzt sich wieder, ohne zu antworten.
Ein Zippo klickt. Das leise Knistern des brennenden Benzins lässt aus Gaspars Stirn Ströme von Angstschweiß brechen.
Jemand zieht an einer Zigarette, als wolle er sie mit einem Zug aufrauchen.
Dann…
Der Gestank von verbrannter Haut will Gaspar betäuben.
Er beginnt heimlich zu würgen.
„Da mache ich mir überhaupt nichts draus“, kommt die unheimliche Stimme von über dem Tisch, „siehst du?“
Der Mann reißt den anderen zu sich herüber.
„Scheiße, sag, dass du es siehst!“

„Ich sehe es, Mann!
Ich kann es sehen!“

Wie betäubt ist Gaspar aus dem Schlachthof entkommen. Der Geruch von verbranntem Haar klebt an ihm, und der Übermut, mit dem er es zu tun bekommen hat, hat ihn tief in der Magengrube getroffen.
Er ist noch immer ein Opfer.
Er ist besiegt. Das Feuer raubt ihm alle Kraft.
Als er niedersinkt, fängt man ihn, und er hängt an einem zierlichen, aber kraftvollen Körper. Seine Hände klammern sich an kaltes Leder. Die Jacke ist der Frau etwas zu groß.
„Hey Junge, alles klar bei dir?“
Gaspar schaut sie an. Es ist die Polizeiwichserin. Sie sieht anders aus. Nicht mehr so erhaben.
Sie hält seinen Kopf, während er an ihr hängt, wie das Schlachtvieh am Haken. Ohne Mühe greift ihm die kleine Frau unter die Achseln und stützt ihn, bis das Schwanken unter Gaspar aufhört.
„Was hast du genommen?“
„Gar nichts!“
„Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?“
Wütend reißt sich Gaspar von ihr los. Er taumelt.
„Scheiße, braucht mich keiner…“
Atemlos sackt er gegen die Hauswand.
„Jaja, schon klar, braucht dich keiner irgendwohin mitnehmen.“

Es ist noch Tee da, aber sonst nichts. Der Wasserkocher wird nur noch vom Kalk zusammengehalten und brodelt vor sich hin.
„Warst lange nicht zu Hause, was?“ Die Polizistin sieht sich in seiner Wohnung um.
„Hast du Freunde?“
Gaspar will das Gespräch nicht, und er beginnt den Küchentisch aufzuräumen. Er stürzt den Müll darauf in einen Sechzig-Liter-Sack.
„Kann sein, kann nicht sein“, sagt er endlich, als die Polizistin das kochende Wasser in zwei schmutzige Kaffeetassen gießt.
„Eltern?“
„Scheiße, was soll das?!!“
Die Polizistin verdreht die Augen.
„Schon klar“, wiegelt sie ab. „Hier, trink das.“
„Hast du Geld? Ich meine, brauchst du welches?“
Gaspar ist es völlig egal.
„Legen Sie es irgendwohin“, sagt er und setzt sich ihr gegenüber.
„Rauchen Sie?“
Die Polizistin lehnt sich vorsichtig zurück.
„Ja, wieso?“
„Stecken Sie sich eine an.“
Die Polizistin verzieht das Gesicht.
„Ich will aber gerade nicht.“

„DANN MACHEN SIE, DASS SIE WEGKOMMEN!“

Als das Feuerzeug in der Hand der Polizistin aufflammt, wird Gaspars Gesicht kreidebleich.
Er hält es aus, nur einen Augenblick.
Dann stürzt er würgend ins Bad.


Wenn man vor einer Sache wirklich Angst hat, dann kann man sich davor nicht verstecken. Man kann nicht weglaufen oder einen Berg erklimmen. Man kann nicht in den Wäldern Schutz suchen und mit den Eichhörnchen wispern.
Dafür ist es längst zu spät.
Eine Hand hat sich einem auferlegt und drückt einem aufs Jochbein, wie eine Katze einem Kind im Schlaf.
Man spürt, dass man erstickt.
Es raubt einem den Atem.
Und man muss aufstehen.
Endlich aufstehen…

Es drücken sich die Laternen wie lange Lulatsche an der Hauptstraße herum. Suse, die Polizeiwichserin, behauptet seit einigen Tagen, dass sie Freunde seien, nur weil Gaspar über einen ihrer Witze gelacht hat.
So kommt es Gaspar jedenfalls vor.
Sie möchte, dass er seine Skimaske abnimmt, damit sie ihn so sehen kann, wie er wirklich aussieht.
„Geht immer daneben“, sagt Gaspar.
Auf einem Spielplatz zeigt er ihr sein Gesicht.
Als sie ihn einen Augenblick zu lange schweigend ansieht,
ist Gaspar mehrere Tage verschwunden.

Die Schlachthöfe sind der einzige Ort, wo Gaspar wirklich verschwinden kann. Dort ist er niemand. Ein paar Autonome lassen ihn ganz nah an sich heran, bis er eine Hand aus dem Parka zieht und sein verbranntes und vernarbtes Fleisch dunkelrot im Laternenlicht aufflackert.
„Verdammte Scheiße“, sagt einer und dreht sich weg.
„Ey, Gas!“ Eine schwere Hand legt sich ihm auf die Schulter. „Hab gehört, du drückst dich mit Bullen rum!“
Der Einlasser schreit es so laut, dass die Autonomen einen Schritt auf sie zu machen. Das Geplätscher von auslaufendem Bier steigt Gaspar in die Ohren, als sie ihre Bierflaschen bei den Hälsen packen.
„Macht euch vom Acker!“, schreit der Einlasser sie an.
Sie wirken unsicher.
„Der ist in Ordnung“, sagt er leiser und zieht Gaspar zum Eingang des Nachtclubs.
„Man, du musst endlich mal auf die Leute zugehen“, sagt er im Vertrauen zu Gaspar. „Mach mal was, hau mal auf die Kacke! Scheiße, mit ner Bullenvotze um die Häuser ziehn, das löst keine Probleme!“
„Schon klar, man.“
Der Einlasser lacht laut auf und stößt Gaspar in die Rippe.
„Na klar ist alles klar!“
Er gibt ihm einen scherzhaften, aber harten Klaps auf den Hinterkopf.
„Verzieh dich, Gas, bevor ich dich alle mache!“

„Wozu die Maske?“
Gaspar sitzt da, eingesunken und verbraucht. Die Skimaske hängt verrutscht, und seine Augen liegen tief unter der schwarzen Wolle verborgen.
„Hey, wozu die Maske, man?“
Ein furchterregendes Klicken lässt Gaspar aus seiner Lethargie aufschrecken. Durch das dichte Gewebe aus schwarzer Wolle dringt ein Gitter von gedämpftem Licht.
Gaspar zieht die Maske gerade.
„Hast du Krätze im Gesicht, oder was?“
Der Mann gegenüber lässt ein Zippo in der Hand tanzen. Wie bei einem Zaubertrick schnappt dabei der silberne Verschluss auf und zu, ohne dass man die rasend schnellen Finger dabei beobachten könnte.
Gaspar ist, als schaute er in einen Spiegel.
„Wie ist das passiert?“, fragt er atemlos, als er die schweren Verbrennungsnarben im Gesicht des Mannes sieht. Die Nase ist künstlich nachgebildet. Der Mann lacht.
„Das Feuer hat mich gemacht, Junge! Weißt du, wie Stahl in nem Hochofen. Ist so heiß, dass man das Feuer gar nicht sieht.“
Die Brandnarben auf seinem Gesicht verzerren sich, als er lacht, und die Haut wirkt wie zerknülltes Sandpapier.
„Komm schon, zeig mir deine Fresse!“
Gaspar ist so erschüttert, dass er gar nicht anders kann. Er würde niemandem sein Gesicht zeigen, wenn er ihm nicht bis in seine Seele vertrauen würde.
Vertraute er der Polizeiwichserin?
Ohne nachzudenken reißt er die Maske vom Kopf.
„Scheiße, man!“ Der Mann gegenüber schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch und beginnt zu jubeln.
Er dreht sich um, hört nicht auf, mit der vernarbten Hand auf den Tisch zu schlagen. Er trommelt.
„Scheiße, seht euch das mal an!“
Einige der Leute an der Bar sehen sich gelangweilt um.
Einen Augenblick wirken sie wie erstarrt.
Gaspars Gegenüber rutscht rasend schnell um den Tisch herum und packt Gaspar aufdringlich bei der Schulter.
„Vater und Sohn, was?“, grölt er die Beobachter an.
„Ist die Ähnlichkeit nicht verblüffend, ihr Wichser?“
Einige drehen sich angewidert ab. Andere funkeln ihn mit ihren Augen herausfordernd an.
„Was ist, soll ich dich in die Hölle mitnehmen?“, brüllt der Verbrannte los und wartet einen Augenblick darauf, dass jemand aufsteht und die Herausforderung annimmt.
„Haben keine Ahnung von der Hölle, die Wichser“, flüstert er Gaspar wichtigtuerisch zu.
Er wendet sich ab, als suche er etwas in seiner Tasche.
„Steht einer auf?“, zischt er.
Gaspar sieht einen Bullen von einem Kerl auf ihren Tisch zuwanken. Er hat etwas in seiner Tasche.
„Ja“, flüstert er apathisch.

„Dann soll er zur Hölle fahren!“

Und noch bevor Gaspar etwas tun kann oder reagieren, ist der Bulle an ihrem Tisch und reißt ein Messer aus der Tasche. Da wirbelt der Kerl neben ihm herum, springt auf, und eine Flüssigkeit spritzt in das Gesicht des Bullen.
Der Geruch lässt Gaspar würgen.
Im nächsten Augenblick flammt das Zippo auf.
„Dann komm“, schreit der Verbrannte,
„DIE HÖLLE IST GENAU HIER!“


Sie sind in Gaspars Wohnung.
„Wenn ich meine Prothesen abnehme, fühle ich mich erst richtig frei.“ Der Verbrannte grölt und massiert Gaspars Schultern. Stöhnend vor Schmerz schließt Gaspar die Augen.
„Da!“, sagt der Verbrannte und wirft vor Gaspar seine Nasenprothese auf den Tisch.
Sie wirbelt um die eigene Achse. Gaspar betrachtet sie lange, bevor er zu ihm aufschaut.
Der Verbrannte ist groß, und der vernarbte Kopf steckt ihm so tief in den hohen Schultern, dass er wie ein Eishockeyspieler wirkt. Die Trapezmuskeln beginnen kurz unter den Ohren. Wie gewaltige Schulterpolster heben und senken sie sich mit jeder Bewegung. Er könnte ein Krieger sein, denkt Gaspar, ein biblischer Krieger, dessen muskulöser Körper nur dem Zweck dient, schwere, eisenbeschlagene Schilder zu wuchten und fünf Meter lange Speere zu heben. Der Brand der Bibliothek von Alexandria hat ihn erst zu dem gemacht, was er heute ist.
„Weißt du, wenn alte Männer ihre Zähne aus dem Mund nehmen und es sich gut gehen lassen, dann nehme ich immer die hier raus!“
Etwas landet poltert auf den Tisch.
Es ist eine Genitalprothese. Gaspar kann den Blick nicht abwenden. Der Mann lacht schallend auf.
„Die Schweizer machen nicht nur Uhren, sag ich dir! Das Ding klappt wie ein Taschenmesser auf; wann immer ich will.“ Obszön bewegt er die Hüften und schnalzt mit der Zunge.
„Korkenzieher könnt ich noch gebrauchen“, sagt er, „na ja, man kann nicht alles haben!“
Er knufft Gaspar in die Seite.
„Und du? Leg mal ab! Pack die Perlen auf den Tisch, mein Junge. Will das Geschmeide mal sehen!“
Gaspar sieht ihn erschrocken an.
„Hab nichts“, flüstert er.
Der Verbrannte dreht einen Stuhl um und setzt sich.
Er beobachtet Gaspar wie eine Marionette, die an einem letzten Faden baumelt.
„Hast wohl Angst, dass du von deinem Faden abreißen könntest und alleine stehen musst, was?“
„Ich verstehe nicht.“
„Du verstehst ganz gut!“, droht er. „Du hängst am Faden wie so ´ne Puppe, du weißt schon, wie im Zirkus vom Feuerfresser!“
Gaspar will aufstehen. Es ist ihm zuwider. Aber der Verbrannte ist rasend schnell bei ihm und packt ihn am Hals, dass ihm die Luft wegbleibt. Er greift ihm in die Hosen, zwängt die Beine auseinander.
„Dacht ich´s mir doch“, grinst er ihn hämisch an.
„Soll ich sie rausreißen und wie Pingpongbälle über den Tisch tanzen lassen?“
Gaspar röchelt.
„Nimm die Hand da weg“, flüstert er. Auf sein Gesicht hat sich ein merkwürdiger Schatten gelegt. Der Verbrannte beobachtet ihn fasziniert.
„Du kannst dich jetzt losreißen und wie Pinocchio in den Wald spazieren, Junge“, sagt er.
Gaspar umklammert das Handgelenk des Mannes und versucht, die kräftige Hand aus seinem Schritt zu ziehen.
„Versuch es nicht nur, mach es!“, wird er kichernd angespornt.
Gaspar nimmt all seine Kraft zusammen.
„Das musst du schon allein machen!“ Die Stimme des Verbrannten wird immer höhnischer.
„Ich kannte einen Jungen bei der Bundeswehr,
der hatte keine Hoden mehr!“, singt er grölend, bis er plötzlich innehält und sich sein Antlitz verkrampft.
Der Schatten in Gaspars Gesicht hat ein tiefes Schwarz angenommen.

„Nimm sie da weg“, flüstert er.

Die Polizistin weiß nicht, warum es sie immer wieder hierher zieht; zu diesem Jungen. In gewisser Weise ist er noch ein Kind. Aber hinter seiner verletzlichen Fassade verbirgt sich etwas aufrührerisches, etwas ergreifendes, das sie genau da anpackt, wo sie sich ausgemergelt und besiegt fühlt. Ihr Herz schlägt immer etwas schneller, wenn sie ihn sieht. Sie will sich nicht eingestehen, dass sie etwas für ihn empfindet.
Für diesen Jungen.
Geht sie deshalb jede Nacht an dem Haus im alten Abdeckerviertel vorbei? Sie schaut nach oben und sucht die Fensterzeilen ab. Der Taubenschutz sticht wie eine Reihe Nägel aus den Fensterbrettern. Als sie Licht sieht, überquert sie die Straße. Es ist kein elektrisches Licht, sondern ein warmer und lebendiger Schein, der sich in den gegenüberliegenden Fenstern widerspiegelt. Sie ist nervös und überhastet wählt sie auf ihrem Handy die Notruftaste.
Sie bricht die Verbindung ab, versucht ihren Atem zu kontrollieren. Sie wird jetzt nicht die Polizeiwichserin spielen! Das würde er von ihr erwarten und sie noch weiter von ihm entfernen. Aber sie will ihm nahe sein.
Sie öffnet die Haustür mit einer Kreditkarte.

Es könnte sein, dass er in diesem alten Gründerzeithaus ganz allein wohnt, geht es ihr im Treppenhaus durch den Kopf. Auf einer der Etagen brennt ein Flurlicht und sie hastet ihm entgegen. Darüber lauert die Dunkelheit wie das übergestülpte Maul eines Titanen, in dem sich die Wohnungen wie Backentaschen voll stinkendem Eiter übereinander stapeln. Sie irrlichtert einem schwachen Flackern entgegen, das unter einer Türschwelle wie Wasser in den Hausflur wabert.
„GAS, ich bin´s, mach auf!“
Sie hämmert gegen die Tür und weiß, dass er nicht öffnen wird. Ihr Herz schlägt so wild, dass ihr Brustkorb zu hüpfen scheint. Sie wirft sich gegen die Tür, die widerstandslos in den Flur bricht.
„GAS!“ Sie presst sich das T-Shirt an den Mund, als ihr beißender Rauch in die Lungen steigt. In der Küche heult durch den einströmenden Sauerstoff ein Flammenherd auf.
Sie stolpert in die Wohnung hinein.
Der Junge sitzt auf einem Stuhl und regt sich nicht. Vor ihm fackeln der massive Küchentisch und die Küchenzeile. Die Flammen schlagen in ihre Richtung.
„Bist du Ok?“, schreit sie und reißt Gaspar samt dem Stuhl mit sich fort.
„BIST DU OK?“
Von der enormen Hitze zerspringen in der Küche die Fensterscheiben und das Feuer gewinnt neue Energie. Flammen schlagen bis in den Flur, als wollten sie Gaspar mit gierigen Armen zu sich zurückziehen.
Feuerwehrsirenen jaulen von der Straße her.
Die Hinterbeine des Stuhls brechen ächzend weg, als die Polizistin den Jungen die Treppen hinunterzerrt.
Polternde Schritte kommen ihr von unten entgegen.
Das Seufzen der Gasmasken, die die Feuerwehrmänner tragen, erinnert sie an den schweren Atem eines Marathonläufers.
Sie brechen an ihnen vorüber und hämmern ihre Äxte in die brüchigen Wohnungstüren.
Das Feuer hat leichtes Spiel.


Suse hält Gaspar im Arm und füttert ihn mit weichem, in lauwarmem Tee eingelegtem Zwieback.
„Was machst du nur?“, fragt sie, während er isst.
„Ich dachte, du hast Angst vor dem Feuer.“ Sie schüttelt den Kopf. „Und jetzt machst du so was.“
Gaspar schweigt, kaut und starrt sie an.
„Sie haben mir Augentropfen gegeben“, sagt sie, „weil sie glauben, dass du deine Augen nicht gleich richtig schließen kannst, nach dem Feuer.“
Mit einer Pipette träufelt sie ihm eine Lösung auf die Pupillen. Gaspars Augenlider beginnen zu zucken. Aber er kann sie nicht schließen.
„Ich würde so gerne hier bei dir bleiben“, sagt er.
Suse streicht ihm über die narbige Stirn.
„Das wirst du wohl müssen. Nach Hause kannst du jedenfalls nicht.“
Gaspar legt den Kopf zur Seite und die Augentropfen laufen ihm wie Tränen aus den Augenwinkeln.

Sie schlafen miteinander in absoluter Dunkelheit. Gaspar sagt, er will nicht, dass sie ihm dabei zusieht.
Gaspars Stöhnen ist wie das Wiehern eines Esels, als er zum Orgasmus kommt. Sekundenlang verkrampft er sich, ohne dass sie seinen Samen in sich spürt.
Dann steht er plötzlich auf und dreht sich weg. Wenn sie ihm jetzt die Hand auf die Schulter legt, wird er gehen und nie mehr zurückkommen.
Aber sie tut es nicht. Er sitzt in der Dunkelheit und hört nur ihren gleichmäßigen, ruhigen Atem. Sie scheint eingeschlafen. Gaspar klaubt seine Jeans vom Boden auf und geht nackt zur Tür. Dort steht er und will einfach nur die Tür aufmachen und weggehen.
Er hat die Skimaske schon übergestreift und die Türklinke halb herunter gedrückt. Er ekelt sich vor dem Gesicht des Verbrannten, das seinem so ähnelt, und das irgendwo da draußen in der Dunkelheit auf ihn wartet.
Als Suse sich in ihrem Bett umdreht und eine einzelne Bettgestellfeder wie ein abgestochenes Schwein aufquiekt, ist ihm klar, dass er nicht bleiben kann. Sie kennt das Feuer nicht. Sie wird nie verstehen, welche Macht es auf ihn ausübt.
Ja, er hat Angst davor. Denn seine Macht wird mit jedem Augenblick stärker.

Die Musik hämmert sich im Inneren des Schlachthofes in die Köpfe der Betrunkenen. Gaspar ist ohne Maske hier. Er hat sie weggeworfen und zeigt allen sein Gesicht, die es sehen wollen. Der Einlasser hat ihm etwas nachgerufen, als er ihn so gesehen hat.
„Junge, pass bloß auf dich auf!“, hat er gerufen.
Gaspar hat sich nicht umgesehen.

„Bist du zurück?“, fragt der Verbrannte.
„Wer bist du?“, fragt Gaspar. Der Verbrannte schenkt ihnen weißen, bitteren Schnaps ein, der nach Kümmel oder etwas ähnlichem duftet. Er nimmt ein Feuerzeug und führt die Flamme an die Gläser. Auf dem erhitzten Alkohol tanzen kleine, bläuliche Flammenherde.
„Trink“, sagt er. „Wenn du trinkst, sag ich es dir vielleicht.“
Alles in Gaspar sträubt sich dagegen, sich die brennende Flüssigkeit in den Hals zu stürzen. Er würgt, als er das Glas anhebt. Als der Verbrannte klingend das Glas gegen das seine stoßen lässt, schwappt brennender Alkohol auf Gaspars Hand.
„Halt still“, flüstert er, „und sieh zu, wie es verbrennt!“
Gaspars Hand zittert so sehr, dass immer mehr von dem entzündeten Ethanol auf seine Hand läuft. Dann wird er ruhig. Die Flammen können ihm nichts anhaben. Brennende Fäden legen sich um sein Handgelenk und tropfen auf den Tisch.
„Es tut nicht weh“, stellt Gaspar überrascht fest.
„Es kann dir nichts anhaben, wenn du nicht willst“, sagt der Verbrannte. „Trink!“, fordert er ihn auf.
„Jetzt trink schon!“
Gaspar schüttet sich den brennenden Alkohol in den Mund und schluckt. Einen Augenblick spürt er das Feuer, wie es über seinen Gaumen tanzt. Dann ist es fort, und er schmeckt nur noch eine leichte, rauchige Erinnerung.

„Hier, ich schenke es dir“, sagt der Verbrannte und reicht ihm sein silbrig funkelndes Feuerzeug. Es ist anders als die anderen, die man am Bahnhof, in Souvenirläden zu kaufen bekommt. Die Gravur ist flüchtig und doch unübersehbar. Es scheint, als wäre sie mit einem einzelnen, menschlichen Haar auf das glänzende Metall aufgebracht worden, einem Haar aus glühendem Wolfram oder dem noch brennenden Stahl der Noriker. Gaspars Daumen huscht flüchtig über das abgenutzte Reibrad, als sich das Feuerzeug augenblicklich entzündet.
„Es will brennen, verstehst du?“, flüstert ihm der Verbrannte zu. Einige Sekunden verliert sich Gaspars Blick in der unendlichen Weite des kleinen Feuers, bis er das Zippo unerwartet zuschlägt.
„Wer bist du?“, fragt er, fast ohne dabei die Lippen zu bewegen.
Der Verbrannte lehnt sich lächelnd zurück.
„Wenn wir herausgefunden haben, wer du bist, kannst du die Frage vielleicht selbst beantworten.“

Sie ist ihm gefolgt. Suse hat sich unter die Autonomen gemischt, die sie mit ihrer zu großen Lederjacke misstrauisch beäugen. Sie drängen sich um sie, ohne dass sie es merkt. Ein Stoß in die Seite lässt ihr fieberheißes Blut in die Wangen schießen. Sie ist umringt, und Hände packen sie am Gürtel. Eine dahergeflogene Ohrfeige klatscht ihr ins Gesicht.
„Bullenfotze“, zischt einer, und sie erhält einen Schlag in die Magengrube. Sie wird mitsamt der Gruppe gegen die Häuserwand gedrängt. Schreie gehen im Getrommel von Fausthieben unter. Sie sieht einen Schlagring aufblitzen und wieder verschwinden. Dann lichtet sich alles und sie hört Kampfstiefel über das Kopfsteinpflaster hasten. Jemand presst ihr die Hand auf Mund und Augen. Sie wird in die Luft gehoben und fortgerissen.

Strampelnd landet sie in den Mülltonnen.
„Hör zu, wenn ich nicht wüsste, dass der Junge in Schwierigkeiten ist, dann hätte ich keinen Finger für dich gerührt. Die hätten dich rüber zu den Schweinestellen schleppen können und hätten ihren Spaß mit dir gehabt, soviel ist sicher!“
Der Türsteher blickt immer wieder über seine Schulter, während er redet. Er hat die rechte Schulter vorgebeugt und hält den muskulösen Arm angewinkelt, als wenn er jeden Augenblick auf sie losschlagen wollte.
„Wenn er in Schwierigkeiten ist, warum helfen Sie ihm dann nicht selbst?“
Der Türsteher sieht sie breit grinsend an.
„Wenn ich hier weg könnte, würde ich den ganzen Saustall hochnehmen, darauf können Sie wetten. Würde so manchem nicht gefallen, was dann passieren würde.“
„Probieren Sie´s doch aus.“
„Wenn ich hier weg könnte, würde hier einiges schief laufen.“
Suse steht langsam auf und hält sich den schmerzenden Unterarm.
„Was könnte hier schon schief laufen.“
Vom Eingang des Schlachthofs dringen Schreie zu ihnen herüber. Betrunkene Schläger poltern aus der Bar und kollidieren mit den zurückkehrenden Linken, die in voller Besetzung eine Revanche einfordern.
„Ich muss zurück“, sagt der Türsteher kurz angebunden.
„Passen Sie auf den Jungen auf. Warten Sie am Hintereingang. Woanders kommt jetzt keiner mehr raus.“
„Danke“, sagt Suse und hält den riesigen Mann am Arm fest. Dann setzt er sich wie eine Maschine in Bewegung, und Suse sieht wieder den Schlagring in seiner Hand aufblitzen. Die betrunkenen Schläger weichen stöhnend zurück, als er sich ihnen nähert. Die Autonomen stehen wie eine Phalanx und erwarten den Angriff.

Gaspar fühlt sich wie an die Hand genommen, beobachtet und durchschaut. Mit jedem Feuer, das seine Hände wie unter Drogen erzeugen, stößt es ihn tiefer und tiefer in die Unergründlichkeit seiner Seele zurück. Es ist wahr, er weiß nicht, wer er ist, und das, was aus ihm geworden ist, ist nicht das, was noch heute Nacht aus ihm werden kann.

Sie legen Feuer bei den Mietskasernen. Drumherum hat sich ein kleines, lebendiges Viertel entwickelt. Der Übermut, mit dem sich die Anwohner hier breit gemacht haben, und die Leichtigkeit ihres Lebensstils, der selbst in der Nacht aus den kleinen Geschäften und unsanierten Wohnungen dringt, machen Gaspar wütend.
In der Ferne heulen Feuerwehrsirenen. Die Einsatzmannschaften bekämpfen ihre lodernden Wegzeichen.

Im Laufschritt durchkämmen sie die Nacht. Hier brechen sie in Hausflure ein und spritzen Benzin an die Wände. Die brennenden Buchstaben graben sich tief in den brüchigen Putz.
„ICH WAR HIER“, lodert es in der Dunkelheit auf.
Irgendwo in den Stockwerken über ihnen beginnt ein Kleinkind zu greinen. Erschrocken blickt Gaspar den gähnend schwarzen Hausflur hinauf.
Sein Mitverschwörer treibt ihn zur Eile an.
„WILLST DU SIE BRENNEN SEHEN?“
Er packt ihn am Kraken und stößt ihn in den Hausflur hinein. Gaspar landet auf den Treppen.
„DANN TUE ES!“
Gaspar entgleitet das Feuerzeug, und es landet scheppernd zu seinen Knien. Wie von selbst hat es sich geöffnet, und eine kleine Flamme zündelt bereits am Treppenfurnier.
Hastig klaubt er es auf und lässt den silbernen Deckel zurück schnappen.
„Ein Kind ist da oben“, sagt er.
Der Verbrannte ist über ihm und aus seinem Mund tropft heißer Speichel auf Gaspars Gesicht.
„Warst du nicht damals auch noch ein Kind?“, fragt er.
„Wer hat damals dein Schreien gehört?“
Gaspar reißt sich los und taumelt in Richtung Straße.
„NEIN!“, stöhnt er. „Nicht, wenn ein Kind im Haus ist!“

Der Verbrannte schaut ihm nach, wie er unter Übelkeitsanfällen davon stolpert. Der Junge ist schwach und hat keine Ahnung von dem Feuer. Mit seiner Hand berührt er das Geländer aus kunstvoll gedrechseltem Eichenholz. Es ist alt und verfärbt sich schwarz, als er ihm die Hand auflegt. Das Holz beginnt zu schmoren und knistert, als würde es Angst spüren.
Der Verbrannte schaut in den Treppenaufgang und hört das Weinen des Kindes.
„Wenn du jetzt nicht aufhörst zu greinen, wirst du brennen“, flüstert er und seine brüchigen Lippen legen das weiße, funkelnde Gebiss frei.
Er will schon hinaufgehen, da bricht plötzlich das Weinen ab und ängstliche Stille legt sich über den Hausflur.
Der Verbrannte bleibt stehen. Seine Augen verfärben sich dunkelrot und leuchten in der Nachtschwärze.
Als er knurrend davon stürzt, bleibt auf dem Geländer ein glühender Handabdruck zurück. Ein Windhauch lässt kurz eine Flamme darauf tanzen. Dann steigt stinkender Rauch darüber auf.

Die Brandeinheiten jagen durch die Dunkelheit. In ihren feuerfesten Uniformen stapfen sie neben ihren gewaltigen Löschfahrzeugen her, die sich durch das dichte Gewühl der parkenden Autos drängeln. Sie spähen nach ihnen aus. Sie wollen sie finden und sie endlich in die Feuer stürzen, die sie wie Hinweise auf ihren Aufenthaltsort vor ihnen ausgebreitet haben.
Aber da ist noch etwas. Gaspar spürt es im Herzen und in den Knien. Ein paar leichte Sohlen flüstern über den Asphalt. Ein leiser, keuchender Atem säuselt aus dem Nachtschwarz zu ihnen herüber.
Dort irgendwo steht sie im Schatten und starrt sie an.

„Wer ist sie? Wer zum Teufel ist sie? Hör zu, ich frage dich kein zweites Mal!“
„Ich habe keine Ahnung!“
Der Verbrannte legt Gaspar die kochend heißen Hände an die Schläfen, als wolle er in seinen Verstand eindringen.
„Denkst du etwa, ich könnte sie nicht riechen, die Hure? Ihre Oberschenkel sind schweißnass und ihre Wangen sind so heiß, dass sie im Dunkeln glühen würden, wenn sie endlich aus ihrem Versteck heraus käme. Riech selbst!“, zischt der Verbrannte. „Riech, verdammt!“
Und er hält Gaspars Gesicht in den Nachtwind, genau in die Richtung, in der er ihren herben, weiblichen Geruch wahrgenommen hat.
Da ist sie. Gaspar weiß, dass sie da ist. Irgendwo da draußen. Er kann sie riechen. Es ist Suse, kein Zweifel. Verwirrt reißt er sich vom Griff des Verbrannten los und kann es selbst nicht glauben, dass er sich seiner Sache so sicher ist. Der flüchtige, doch unheimlich intensive Geruch ihres Körpers dringt ihm wie eine Hitzewallung in die Stirn.
„Wie kann das sein?“
Der Verbrannte schlägt ihm wutentbrannt gegen die Stirn, dass Gaspar stöhnend in die Knie geht.
„Ich kann dir sagen, wie das geht! Du hast das Feuer in dir, mein Junge. Und du wirst es nicht mehr los! Du riechst das Holz, du riechst Papier und Fleisch, als ob du es mit Händen greifen könntest. Das ist das Feuer, und du kannst nicht leugnen, dass es in dir ist!“
Gaspar schließt die Augen und will es nicht wahr haben. Nicht das Feuer, denkt er. Alles, nur nicht das Feuer!
Aber es ist so. Gaspar spürt es, wie ein lebendiges Organ, das sich in seinem Körper mit allen Sinnen vernetzt und mit brennender Zunge in seinen Verstand eindringt. Tastsinn, Geruch und Augenlicht werden von glühenden Flammen überschwemmt. Er kann es sehen! Er kann es fühlen und hören! Und inmitten dieser Verwandlung, dieser schrecklichen Metamorphose, die ihn schließlich ganz zu Boden schlägt, riecht er Suse so intensiv, wie er sie nicht einmal während des Geschlechtsverkehrs gerochen hat. Er ist in ihr, wie er nie in ihr war. Er spürt sie, wie er sie nie gespürt hat. Und er hat das Gefühl, er bräuchte nur die Hand ausstrecken und könnte ihre Seele mit Händen greifen.

Suses Herz rast. Sie steht nicht weit entfernt von Gaspar und diesem Mann, dessen Blick im Dunkel der Gasse zu glühen scheint. Er steht gebückt neben Gaspar, wie ein Troll oder ein riesiges Steinwesen. Dann legt er ihm die Hand auf die Schulter und spricht mit ihm.
Suse stolpert tiefer in den Schatten zurück, in dem sie sich verborgen hält. Etwas ist an ihr und in ihr, wie ein Bienenschwarm, der lautlos durch ihre Nase, ihren Mund und ihren Schoss in sie eindringt. Sie versucht ihn fort zu wischen, sie glaubt schreien zu müssen, als es ihr durch die Gedärme und die Kehle jagt.
Er ist in mir, denkt sie, oh Gott, er ist in mir!
Sie fällt und krümmt sich, und sie sieht Hände, die unter ihrer Haut ihren Körper umarmen. Ihre Gedanken sind so flüchtig wie ein Gas und entgleiten ihr immer wieder.

Dann steht Gaspar vor ihr und kniet sich nieder.
Die Hände unter ihrer Haut verschwinden. Ihre Gedanken kehren zögernd in sie zurück. Er nimmt sie in die Arme und presst sie so fest an sich, als wolle er sie durch die Haut hindurch in sich aufnehmen.
Suse verliert erst den Atem und dann das Bewusstsein.


Es ist das Bild des alten Stahlwerks, das Gaspar sofort in die Magengrube schlägt, als er hinter dem Verbrannten aus einer Seitengasse stolpert. Das Werksgelände, an das sich die verlassenen Wohnhäuser der Stahlkocher wie blinde Soldaten anschließen, ist zur Heimat der Katzen geworden. Er hört ihre gellenden, wehleidigen Schreie von jenseits des rostigen Maschendrahts, der den verschatteten Ort wie einen Garten umschließt. Im Inneren wachsen die blütenlosen Stahlstängel der Hochofenanlage in den schwarzen Nachthimmel. Mitten hinein geworfen thront ein schwarzer Riese in dem filigranen Gestrüpp. Der Schmelzofen erhebt sich wie ein Wächter über das alte Industriegelände und scheint mit seiner rostigen Patina schon Jahrhunderte auf sie zu warten.

Der Verbrannte steht da, die Fäuste in die Hüften gestemmt und schaut hoch hinauf zum Kopf des schwarzen Riesen. Er sagt kein Wort, aber Gaspar sieht ihm an, dass er diesen Ort liebt, weil hier einmal das Feuer zuhause war. Allein der Gedanke an die ungeheure Hitze lässt Gaspar erschaudern. Er hält Suse in den Armen und will sie nicht loslassen. Sie gehört zu ihm, denkt er sich.
Sie wird ab jetzt für immer zu ihm gehören.

„Bist du bereit?“
Gaspar schweigt. Er war zu allem bereit. Er war es von Anfang an. Sie sind hier, wo das Feuer einmal zu Hause war, und jetzt ist es an der Zeit, dass es wieder zu brennen beginnt.
Er selbst wird es entzünden. Er wird es aufflackern lassen, dass alle es sehen können. Dass sie sehen können, dass er nicht aufgegeben hat. Dass er keine Angst kennt.
Nie mehr!

Gaspar schleppt Suse bis zu den alten Schüttungsvorrichtungen.
„Jetzt mach schon“, spornt ihn der Verbrannte an.
Suse atmet kaum, als Gaspar sie vorsichtig in das Hochofenmaul hineingleiten lässt. Nur ein kurzes, müdes Seufzen gibt sie von sich. Dann macht sie sich ganz klein, als sie auf den von schwarzer Schlacke bedeckten Grund rutscht.

„Steig ihr nach!“
Gaspar duckt sich und kraucht in die Schüttung hinein. Es riecht nach Stahl und Kohle. In der Dunkelheit legt sich Suses Geruch über all die alten und toten Gerüche und erweckt sie zu neuem Leben. Hinter der Schüttungsvorrichtung geht es tief hinein in den Bauch des schwarzen Riesen. Am Boden knistert die trockene Schlacke unter Gaspars Schuhen, und wenn er die Wände berührt, regnet sie wie Pulverschnee auf ihn hinab.
Er schleift Suse tief in dieses Dunkel hinein und bleibt still und steif neben ihr hocken. Hinter ihnen kriecht der Verbrannte durch die Schüttung und das Glühen seiner Augen erhellt das Innere des Hochofens wie purpurner Kerzenschein.

„An einem Ort wie diesem wurde ich geboren, Junge“, sagt er und berührt die mit Schlacke verkrusteten Wände.
„Ist mir, als wäre es gestern gewesen, als sie uns sagten, wir müssten uns ausziehen. Sie wollten uns untersuchen.“
Er seufzt und stemmt die Fäuste in die Hüften.
„Draußen in Buchenwald ging es nach dem Gas direkt in die Öfen, weißt du. Und es roch ganz ähnlich wie hier“, sagt er, „nur fleischiger, wie im Sommer bei einer Grillparty, bei der einer vergessen hat, die Steaks umzudrehen.“ Er lacht kurz und trocken auf.
„Aber kein bisschen nach Gas, verstehst du? Da bin ich zum ersten Mal aufgewacht. Das war nach dem Gas.
Und ich weiß ganz ehrlich nicht mehr, was vorher war.
Ich meine, vor dem Gas. Nur dass wir uns ausziehen mussten, und dass sie Musik spielten, als wir aus den Zügen stiegen.“
Die Muskeln unter der denaturierten Haut des Verbrannten straffen und bewegen sich. Er dreht sich um, und ein Lächeln spielt wie ein Narr um seine Lippen, als er Gaspar unten auf dem Boden neben Suse hocken sieht.
„War genau wie hier“, sagt er, „nur dass sie dort die Leichen fast bis unter die Decke gestapelt hatten. Ich wachte auf und musste mich erst einen ganzen Meter nach oben durchgraben.
Scheiße, und dann kam das Feuer.“

„Erzähl keinen Scheiß“, sagt Gaspar.
Neben ihm beginnt sich Suse zu rühren, und er drückt sie zärtlich an sich, bevor er wieder zu dem Verbrannten aufschaut.

Der Verbrannte scheint in der Finsternis an Größe zuzunehmen. Seine Erscheinung flimmert und beginnt schwach violett zu glühen. Die Luft um ihn herum wabert wie eine kochende Flüssigkeit. Gaspar versucht Suse vor dieser Hitze abzuschirmen und wirft sich über sie.
Im selben Augenblick schlägt sie die Augen auf und starrt ihn an.
„Mir ist so heiß“, flüstert sie, und ihre trockenen Lippen berühren Gaspars Ohr. Er dreht sich um und kneift die Augen zusammen, als der Verbrannte ihn plötzlich und heiß an der Schulter berührt.

Als ihn die Hand des Verbrannten berührt, kann Gaspar nur einen Augenblick seine Gedanken lesen. Nur einen Augenblick, bevor der Griff des Verbrannten übermächtig wird. Er ist kein Mensch, denkt Gaspar. Er ist etwas anderes, etwas Schlimmeres.
Ein Racheengel!
Aber etwas in ihm wehrt sich gegen diesen Gedanken. Etwas lehnt sich in ihm auf und will schreien, nein, das ist kein Engel.
Er ist alles, schreit es in ihm, aber er ist kein Engel!

Und als der Verbrannte ihm sagt, dass es jetzt an der Zeit wäre, das zu tun, weshalb sie hier seien, da gelingt Gaspar ein Blick in seine Seele, und er wird mit einem Mal tief und brutal im Herzen getroffen.
Weil da nichts ist!
Ausgetrocknet ist sie, und nur in dem Moment, als der Verbrannte Gaspar berührt, wird sie leicht mit Leben bestäubt.
Er braucht etwas, wird Gaspar plötzlich klar.
Und er braucht es schnell, bevor alles in ihm zu Staub zerfällt.

Er schaut zu Suse und dann zu dem Verbrannten, der ihn durchdringend beobachtet, als wüsste er, woran er denkt.
„Du willst sie retten, oder?“, fragt er mit schiefem Kopf.
„Du denkst, ich lass sie hier einfach rausspazieren und hole mir nicht das süße Innere.
Vielleicht mache ich das ja“, sagt er nachdenklich.
„Aber dann stehst du ziemlich dumm da, nicht wahr?“

„Ziemlich dumm“, sagt Gaspar, „aber deshalb sind wir schließlich hier, nicht wahr?“

Der Verbrannte fletscht plötzlich die Zähne und ungeheure Hitze geht von ihm aus.
„Ist mir scheißegal, ob du sie retten willst!“
Seine verbrannten Hände werden glühende Krallen.
Gaspar hebt Suse vorsichtig hoch und spürt sie ganz und liest alle ihre Gedanken. Sie schaut ihn nur an, und diesmal lässt sie es zu. Ein Bienenschwarm dringt überall in sie ein und alle Gedanken wandern fort aus ihr.
Gaspar hebt sie aus der Schüttung und lässt sie vorsichtig nach draußen gleiten.
Als er ins Innere des Riesen zurückkehrt tanzen in seinen Augen winzige Flammen.

„Wenn du sie mir gelassen hättest, hätte ich mir ihre Seele geholt, Junge. Und kein Hahn hätte danach gekräht!“
Gaspar hält den Blick gesenkt, und die Arme hängen ihm schlaff von den Schultern herab.
Er hat das Gefühl, als könnte das Feuer in ihm jeden Augenblick eine Explosion hervorrufen, die den Hochofen und das ganze Gelände in Stücken reißen könnte.
Er spürt das Feuer mit all seiner Macht und hält den Blick gesenkt, weil er hofft, es könnte dem Verbrannten entgehen.

„Es ist mächtig in dir, Junge, aber nicht mächtig genug.“
Der Verbrannte lächelt und lässt Flammentürme aus seinen Handflächen empor tanzen. Sie schlagen hinauf zur Decke des Hochofens, die sich wie die Kuppel einer heiligen Kapelle über ihren Köpfen erhebt.
Da steht er; eine violett glühende Silhouette in zehntausend Grad heißer Luft. Gaspar kann sich nicht einmal vorstellen, wie heiß es an der Stelle ist, an der der Verbrannte steht.
Aber er versucht es. Zum ersten Mal versucht er es. Und seine Gedanken nähern sich der Hitze.

Es ist anders, als bei Suse. Eine Barriere umgibt den Verbrannten, ein Bollwerk, an dem Gaspars Gedanken abgeschmettert werden. Der Bienenschwarm, der so leicht in Suse und ihre Gedanken eindrang, umschwirrt den Verbrannten und wird immer wieder zurück geworfen, wenn er versucht, in ihn einzudringen.

Gaspar richtet sich auf.
Wie ein Boxer steht er da, nur mit offenen Handflächen. Er weiß nicht, wie es sein wird, wenn das Feuer aus ihm kommt. Aber es ist da. Es ist überall in ihm!

Er ist der Herr des Feuers!

Und dann geschieht es. Erst tanzen ihm Flammenzungen auf den Handrücken. Sie tanzen zu den Fingerspitzen und zurück, den Unterarm hinauf. Sie sitzen ihm wie Spatzen auf den Schultern und hüpfen flatternd empor. Erst eins, dann zwei, dann ein ganzes Duzend von Feuerhälsen, die sich emporrecken und sich zu einer einzigen Flamme vereinigen.
Er hat es unter Kontrolle, und mit einem Mal schießt das
Feuer in seine Hände und breitet sich wie eine Wand vor ihm aus.
Die Wände des Hochofens beginnen zu glühen. Die Schlackereste werden von der kochenden, wabernden Luft empor gewirbelt und werden durch die Schornsteine ins Freie gerissen.
Gaspars Kleider verbrennen auf einen Schlag, und er steht dem Verbrannten nackt und Angesicht zu Angesicht gegenüber, als der, mitten im Feuer stehend, einen einzigen Schritt auf ihn zu macht.
„Ich bin in der Hölle geboren, Junge!“, sagt er.

„Dann sind wir schon zwei“, flüstert Gaspar.
Und er zieht seine Schultern eng an den Hals, bevor seine Augen zu glühen beginnen.

Erwachen.
Zuerst weiß Gaspar nicht, wo er ist. Es ist dunkel und stickig. Ein Blick über die Schulter, und er sieht sich selbst, mitten in den Flammen stehen.
Ich bin in ihm, denkt Gaspar plötzlich. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, in den Verbrannten einzudringen.
Aber er kann noch nicht seine Gedanken kontrollieren. Er ist nur seinen Erinnerungen. Er ist tief in seiner Vergangenheit.
Gaspar muss an die Oberfläche. Er zwängt sich weiter und weiter empor, wie durch einen Berg von Körpern, bis er erst einen Arm und dann einen Kopf an die Oberfläche bringt.
Sein Verstand will zerbersten, beim Anblick der toten Leiber, aus denen er hervor kriecht.
Es ist das Krematorium, von dem der Verbrannte gesprochen hat. Gaspar kann kaum atmen.
Er schaut seine Hände an, und er hört ein Zischen, das aus winzigen Öffnungen aus den Wänden dringt.
Sie spielen Musik, draußen an den Bahnsteigen.

Und dann kommt das Feuer! Und Gaspar schreit, weil es an und in ihm ist und er es mit jedem Atemzug in seine Lungen saugt.
Aber er stirbt nicht. Wie in einem Alptraum sieht er, wie seine Haut denaturiert, wie sich die Fingernägel von den Fingerkuppen lösen und abfallen. Die Haare rutschen ihm wie eine Perücke vom Schädel und werden als feiner Staub davon geweht.
Kniend, kreischend hockt er auf dem Berg der Toten, der sich langsam in Asche verwandelt. Die Leiber werden steif, dann beginnen sie zu glühen und werden von heißen Aufwinden als weißer Ascheschnee empor gewirbelt.

Schreiend muss Gaspar mit ansehen, wie sein Körper langsam in diesem Ascheberg einzusinken droht. Wie ein kochendes Moor zieht es ihn hinab, und er sieht Gesichter, Arme und Beine zu Staub zerfallen. Jeder Körper, an den er sich wie einen rettenden Fels klammert, wird spröde und löst sich auf.

Dann versinkt er endgültig, während sie draußen bei den Bahnsteigen Musik spielen.
Als sie die Ascheluken öffnen, rutscht sein verbrannter Körper in einem Gemisch von schmieriger, glühender Asche und halb verbrannten Knochenresten auf die Ladefläche eines Armeetransporters.

Auf dem Weg zu den Feldern macht sich die Asche der Toten wie ein Traum von der Ladefläche davon und wirbelt durch die Luft. Als sie anhalten und Gaspar mit der Asche wie Dünger auf dem Feld ausbringen, sind seine Arme und sein Gesicht bereits freigelegt.
Den Rest wäscht der Regen in die Erde.
Und wie ein Neugeborenes steht Gaspar endlich auf, in einem weißen Kreis von in den Boden gewaschener Asche,
mit flammenden Augen.

Er dreht sich um, und aus dem Verbrannten, aus dem Innersten seiner Seele, sieht er sich selbst in den Flammen stehen.
Ich weiß jetzt, wer er ist, denkt Gaspar.

Und ich weiß, wer ich bin…


Gleißend helles Licht über Minuten. Es ist nichts zu hören, außer das Knistern des Feuers und das Ächzen des glühendes Stahls und des Betons, der den Hochofen umschließt.
Im Inneren kämpfen Gewalten, eng umschlungen und mit Feuer und Gedanken aufeinander einstürmend.
Aber kein Laut von ihnen, kein Schrei, der aus dem Ächzen und Knistern nach draußen dringt.
Absolutes Nicht-vorhandensein. Nur die lautlosen Kräfte, die mit aller Urgewalt zusammenstoßen.

Suses Gesicht ist kochend heiß, und während sie keuchend weiter und weiter von dem Hochofen fort kriecht, glaubt sie, ihre Haut bekäme Risse von der ungeheuren Hitze, die von dort ausströmt.
Sie sieht den Stahl im Dunkel glühen. Selbst der graue Beton nimmt eine weiße, todbringende Färbung an.
Sie sucht Schutz hinter einer Reihe verrosteter Abfalltonnen, als die Stahlklammern am Bauch des schwarzen Riesen zu bersten beginnen und in alle Richtungen davon gesprengt werden. Die Ummantelung, die einmal mehreren tausend Grad standgehalten hat, reißt an mehreren Stellen auf, an denen weiße Lichtstrahlen den Stahl wie ein Schweißgerät auftrennen.
Sie reißt die Hände vor das Gesicht und schreit, als die Hitze so stark wird, dass sie glaubt, sie müsse in Stücke springen.

Als Gaspar erwacht, sieht er zuerst Suse, die über ihm kniet und deren zierliche Hände in alter Glaswolle eingepackt sind. Zögerlich beginnt es zu regnen und eiskalte Tropfen perlen auf seiner Haut ab, wie von einer rot glühenden Herdplatte.
Er hat eine schwarze Brandspur hinterlassen, wo Suse ihn durch das verwilderte Grün des Stahlwerkgeländes nach draußen gezerrt hat.
Als ihn ein Regentropfen im noch glühenden Auge trifft, blinzelt er, und der Regentropfen zischt als winzige Dampfwolke davon.
Die Regen wird stärker. Er trommelt auf einem alten Wellblechdach und Gaspar ist wie ein weiß glühendes Stück Stahl, das man in den Schnee getaucht hat.
Langsam, ganz langsam kühlt er ab, und die Dampfwolken schweben wie Alpträume davon.
Dann nimmt er Suse in die Arme und sagt ihr, dass es vorbei ist. Wie in einem Hollywoodfilm küsst er ihre Augen.
Er hat ihn besiegt, sagt er, überlistet.
Es ist ganz einfach, wenn man weiß, wie es geht.
Es ist vorbei, für immer, sagt er.
Und er lebt.

Doch es ist noch nicht vorbei.

Von dem Gefühl, dass ihm jemand über die Schulter sähe, wacht Gaspar neben Suse auf. Er will ihr keine Angst machen, und er schleicht sich ins Bad und spritzt sich das Wasser aus der Leitung in das heiße, rote Gesicht.
Er dachte, die Alpträume würden nachlassen, mit der Zeit, aber selbst nach Monaten sieht er alles so klar und deutlich, als wäre es gestern geschehen.
Als er mit der Fingerspitze vorsichtig seine Wange berührt, kommt es ihm so vor, als wäre seine Haut trocken und brüchig. Und als er die Hand betrachtet, sieht er feinen Staub auf seinen Fingerspitzen, so als würde er an Konsistenz verlieren.
Dann schaut er in den Spiegel und sieht sich lächeln und sich zu zwinkern.
„Na, Junge, alles klar bei dir?“

Und Gaspar will schreien und er will zu Suse laufen, ins Schlafzimmer und sie wachrütteln.
„Er ist in mir!“, will er schreien und sich mit der Hand in den Schlund greifen, tief bis in die Eingeweide, um das schreckliche Wesen aus seinem Inneren heraus zu reißen.
Aber nichts dergleichen geschieht.
Sein Körper löscht das Licht im Bad und geht ganz ruhig zurück ins Schlafzimmer.
Suse erwacht kurz und fragt schlaftrunken, ob alles in Ordnung sei.

„Ja, könnte gar nicht besser sein, Baby“, hört sie Gaspar sagen, der zu ihr unter die Bettdecke kriecht und mit seinen Händen ihr warmes Becken ganz dicht an seinen Schoss zieht.
„Könnte wirklich gar nicht besser sein“, flüstert er…
 
Eine sehr bildreiche und bewegende Geschichte. Ich finde auch, manches Mal könnte man die Motivation etwas besser rausstellen und das ein oder andere Mal ist der Szenenwechsel recht arg.
Das ist aber nur das Haar in der Suppe suchen. Tolle Story.
 
Naja, Michael,

die Geschichte hat ihre Ecken und Kanten, und am Ende wird´s doch gewaltig holprig, auch in der Handlung. Aber da werd ich sehen, wo ich in den Text eingreifen muß, damit die Holpersteine glatt gebügelt werden.

Aber danke, ja, ich glaube auch dass es so ganz ok ist. Perfekt ist aber anders.

Grüsse,
Marcus
 
Feuerhaut


Die Flamme schlagen wabernde Kreise. Es ist ein Tier, ein wildes Monstrum, das an seiner Haut leckt. Die unbändige Gier nach Sauerstoff saugt ihm den Atem aus den Lungen.
Er schreit Feuer, als ihn durch Glaswolle geschützte Hände aus dem Flammenzentrum reißen und davon zerren.
Er wird zu Boden gerungen.
Er wimmert.
Und lebt.

Doch es ist noch nicht vorbei.



„Geh einfach, Gaspar.“
Elli hat sich von ihm abgewandt, bevor er sie mit den Fingerspitzen berühren kann.
Alans Hand fährt ihm kraftvoll in den Unterarm.
„Lass sie in Ruhe!“ Sein englischer Akzent ist Gaspar schon immer auf die Nerven gegangen.
„DU WICHSA NIMMST SIE MIR NICHT WEG!!“
Einen Augenblick versucht sich Gaspar gegen Alan zu stemmen und die kraftvollen Unterarme auseinander zu brechen. Aus dem linken Auge weint er, als Alan seine Gegenwehr zum Erliegen bringt.

„Geh einfach, Gaspar“, flüstert Elli, ohne ihn anzusehen.
Gaspars Augen funkeln wütend zu Alan, dann zu Elli und dann auf seine vernarbten Hände, die manchmal so tot und metallisch wirken, wie die vom Terminator.
Gaspar sieht zur Seite.
„Sag mir einfach, dass es nicht mein Gesicht ist. Sag, dass es daran liegt, dass ich ein Mistkerl bin und dass ich deine Freundschaft nicht verdient habe.“

„Aber das hast du!“
Gaspar spürt eine Wut in sich aufsteigen, die einem Feuer gleicht.
„SAG ES!“, zischt er, dass Elli mit einem mal vor Furcht in Alans Arme flüchtet.
„Nein, hör auf, Gas!“
Gaspar macht einen Schritt auf sie zu, so dass sie ängstlich zusammenzuckt.

„Mistkerl“, schreit sie plötzlich. „Du elender Mistkerl!“
Sie bricht in Tränen aus und verliert den Halt, so dass Alan sie bei den Schultern nimmt und fest an sich drückt.
„Es reicht jetzt“, sagt er leise und bedrohlich, als Gaspar zur Schrankwand geht und seine Skimaske aus dem Regal reißt.
Er streift sich die schwarze Wollmaske über den Schädel, so dass nur noch die Augen zwischen den Schlitzen zu sehen sind.
Als er an der Tür ist, dreht er sich noch einmal um.
„Ich hätte sie niemals abnehmen sollen, Elli“, sagt er.
Wimmernd geht Elli vor Alan in die Knie.
Gaspar sieht den Hochaufragenden Alan, über ihr stehend, sich zu ihr nieder bückend, sie in den Arm nehmend.

„Pass auf sie auf, Arschloch“, flüstert Gaspar und zeigt mit dem narbigen Finger auf ihn.
Dann dreht er sich um und flüchtet in die Nacht.

Wenn man etwas über das Feuer sagen kann, dann dass es schnell kommt, und dass es nicht wartet, wie ein Köter vor dem Haus, an der Leine. Ein Bullterrier kann sich von seinem Herren innerhalb eines Augenblickes losreißen und ist in wenigen Sekunden über dir, beißt sich fest, reißt dich zu Boden und geht dir dann an den Hals und ans Gesicht. Wie ein Schnappfrosch schlägt das Gebiss vor deinen Augen wieder und wieder zu, bis du nur noch Blut siehst und dann gar nichts mehr.
Blut siehst du beim Feuer überhaupt nicht und du riechst nur dich selbst und spürst, wie deine Haut zu schreien anfängt, während dir das Feuer die Luft aus den verdammten Lungen saugt.
Dann brennt es dort auch.

Es brennt überall an dir.

Gaspar bleibt stehen. Neben ihm jault elend eine Polizeisirene auf, dann schlägt sein Kopf gegen die Häuserwand und sein Arm wird so verdreht, dass er in die vom Atem feuchte Wolle vor seinem Mund beißen muss, um den Schrei zu unterdrücken.
„Bist wohl auf Brautschau, Junge!“
„Wichsa, hast keine Ahnung, wer ich bin!“
Eine Polizistin fummelt an seinem Parka herum, bis sie seinen Ausweis findet.
„Scheiße, Gunnar, lass ihn los.“
Aber der Polizist, der Gaspar den Arm verdreht, lässt ihn nicht los. Er wirbelt ihn herum, packt ihn am Hals und drückt ihn gegen die Fassade.
Mit einem Mal reißt er ihm die Wollmaske vom Kopf.
„Scheiße, verdammt!“
„Lass ihn los, hab ich gesagt!“
Hustend und würgend geht Gaspar in die Knie. Die Polizistin reißt ihrem Kollegen die Maske aus der Hand und kniet sich zu dem Jungen.
„Tut uns Leid, Junge, wirklich!“
Gaspar nimmt ihr wortlos die Maske aus der Hand und streift sie sich hastig über.
„Ich bring euch in den Knast, ihr Wichsa!“
Der Polizist gibt ihm einen Faustschlag gegen die Schläfe.
„Keine Mucken, Junge! Bloß weil du ein Narbengesicht bist, hast du hier lange nichts zu melden.“
Kichernd wendet sich Gaspar zur Seite.
„Lass ihn in Ruhe!“ Die Polizistin versucht ihn am Oberarm zu streicheln.
„Sollen wir dich irgendwohin mitnehmen?“
Gaspar reißt sich los und steht langsam auf.
„Braucht mich nicht mitnehmen; braucht mich keiner mitnehmen!“


Gaspar verschwindet in einer Ausfahrt, die auf einen Hinterhof führt. Das Echo metallischer Musik scheppert von den Backsteinfassaden.
Gaspar hält atemlos an einem Stahlfeiler inne.
Er zieht sich die Wollmaske bis über die Lippen und atmet die stinkende Luft der alten Abdeckerei.

Manchmal weinte Gaspar aus einem Auge und nicht wie früher aus beiden. Sie hatten ihm einen Tränenkanal wieder frei gelegt, weil irgend so ein Psychoheini der Meinung gewesen war, dass es für sein Seelenheil von Bedeutung war, dass er weinen konnte. Sollte ihn zu einem Menschen machen, oder so was ähnliches. Als ob das wichtiger war, als ein Gesicht zu haben oder Hände wie alle anderen. Einmal war Nicki Lauda bei ihnen auf der Brandstation zu Besuch gewesen und hatte was von einem neuen Leben erzählt. Da hatte sich Gaspar einen Augenblick gewünscht, der Wichsa wäre nur eine Minute länger in seinem brennenden Ferrari sitzen geblieben.

Gedankenverloren schiebt sich Gaspar an dem Einlasser des Schlachthofs vorbei.
„Hast du Feuer, Alter?“
Gaspar dreht sich nicht mal um.
„Jede Menge, Mann!“
Ein Schrank von einem Türsteher will sich eben auf ihn zuwälzen, als der Einlasser ihn zurückpfeift.

„Lass ihn, der ist in Ordnung.“

Gaspar drängelt sich an die Bar.
Nichts ist in Ordnung, denkt er. Alles Scheiße, alles Vorbei! Neben ihm zündet sich jemand eine Zigarette an, und das Feuerzeug geht wie ein Flammenwerfer los.
„Hey, scheiße, habt ihr das gesehen? Hätte mir die Haare abfackeln können…“
Gaspars Herzschlag rast. Er sieht das Feuer, ist wie erstarrt und kann sich nur mit Mühe bewegen, auch wenn sein Verstand ihn plötzlich wie einen Hasen übers Feld jagen will.
„Hey, besoffen, was?“
Gaspar taumelt wie ein Betrunkener davon.
Alles um ihn herum will sich in ein Flammenmeer verwandeln.
Er geht in die Knie, kriecht unter einen Tisch.
Es riecht hier nach verbranntem Fleisch.
Gaspar schließt die Augen, versucht zu atmen,
versucht…

„HAST DU DAS GESEHEN? MACHT MIR GAR NICHTS, VERSTEHST DU?“
„Scheiße, du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank!“
Die zwei Männer an dem Tisch, unter dem Gaspar hockt, bestellen nur das harte Zeug und er hört die leeren Gläser wie Hämmer auf die Tischplatte knallen, wenn sie sie nach dem Austrinken lachend niedersausen lassen.
„Warte, ich zeig´s dir noch mal!“
„Verdammt, hör auf mit dem Scheiß!“
„Wetten, ich schrei nicht?
Mach mir ne Kippe an!“
Der andere Mann will aufstehen.
„Ich hau ab hier!“, lacht er.
Dann wird er von dem anderen festgehalten, und Gaspar hört dessen Stimme nur ganz leise, als ob er ihm ins Ohr wispert.
„Du machst mir jetzt ne Kippe an, oder ich schwör dir, ich mach sie auf deinem Auge aus!“
Der andere setzt sich wieder, ohne zu antworten.
Ein Zippo klickt. Das leise Knistern des brennenden Benzins lässt aus Gaspars Stirn Ströme von Angstschweiß brechen.
Jemand zieht an einer Zigarette, als wolle er sie mit einem Zug aufrauchen.
Dann…
Der Gestank von verbrannter Haut will Gaspar betäuben.
Er beginnt heimlich zu würgen.
„Da mache ich mir überhaupt nichts draus“, kommt die unheimliche Stimme von über dem Tisch, „siehst du?“
Der Mann reißt den anderen zu sich herüber.
„Scheiße, sag, dass du es siehst!“

„Ich sehe es, Mann!
Ich kann es sehen!“

Wie betäubt ist Gaspar aus dem Schlachthof entkommen. Der Geruch von verbranntem Haar klebt an ihm, und der Übermut, mit dem er es zu tun bekommen hat, hat ihn tief in der Magengrube getroffen.
Er ist noch immer ein Opfer.
Er ist besiegt. Das Feuer raubt ihm alle Kraft.
Als er niedersinkt, fängt man ihn, und er hängt an einem zierlichen, aber kraftvollen Körper. Seine Hände klammern sich an kaltes Leder. Die Jacke ist der Frau etwas zu groß.
„Hey Junge, alles klar bei dir?“
Gaspar schaut sie an. Es ist die Polizeiwichserin. Sie sieht anders aus. Nicht mehr so erhaben.
Sie hält seinen Kopf, während er an ihr hängt, wie das Schlachtvieh am Haken. Ohne Mühe greift ihm die kleine Frau unter die Achseln und stützt ihn, bis das Schwanken unter Gaspar aufhört.
„Was hast du genommen?“
„Gar nichts!“
„Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?“
Wütend reißt sich Gaspar von ihr los. Er taumelt.
„Scheiße, braucht mich keiner…“
Atemlos sackt er gegen die Hauswand.
„Jaja, schon klar, braucht dich keiner irgendwohin mitnehmen.“

Es ist noch Tee da, aber sonst nichts. Der Wasserkocher wird nur noch vom Kalk zusammengehalten und brodelt vor sich hin.
„Warst lange nicht zu Hause, was?“ Die Polizistin sieht sich in seiner Wohnung um.
„Hast du Freunde?“
Gaspar will das Gespräch nicht, und er beginnt den Küchentisch aufzuräumen. Er stürzt den Müll darauf in einen Sechzig-Liter-Sack.
„Kann sein, kann nicht sein“, sagt er endlich, als die Polizistin das kochende Wasser in zwei schmutzige Kaffeetassen gießt.
„Eltern?“
„Scheiße, was soll das?!!“
Die Polizistin verdreht die Augen.
„Schon klar“, wiegelt sie ab. „Hier, trink das.“
„Hast du Geld? Ich meine, brauchst du welches?“
Gaspar ist es völlig egal.
„Legen Sie es irgendwohin“, sagt er und setzt sich ihr gegenüber.
„Rauchen Sie?“
Die Polizistin lehnt sich vorsichtig zurück.
„Ja, wieso?“
„Stecken Sie sich eine an.“
Die Polizistin verzieht das Gesicht.
„Ich will aber gerade nicht.“

„DANN MACHEN SIE, DASS SIE WEGKOMMEN!“

Als das Feuerzeug in der Hand der Polizistin aufflammt, wird Gaspars Gesicht kreidebleich.
Er hält es aus, nur einen Augenblick.
Dann stürzt er würgend ins Bad.


Wenn man vor einer Sache wirklich Angst hat, dann kann man sich davor nicht verstecken. Man kann nicht weglaufen oder einen Berg erklimmen. Man kann nicht in den Wäldern Schutz suchen und mit den Eichhörnchen wispern.
Dafür ist es längst zu spät.
Eine Hand hat sich einem auferlegt und drückt einem aufs Jochbein, wie eine Katze einem Kind im Schlaf.
Man spürt, dass man erstickt.
Es raubt einem den Atem.
Und man muss aufstehen.
Endlich aufstehen…

Es drücken sich die Laternen wie lange Lulatsche an der Hauptstraße herum. Suse, die Polizeiwichserin, behauptet seit einigen Tagen, dass sie Freunde seien, nur weil Gaspar über einen ihrer Witze gelacht hat.
So kommt es Gaspar jedenfalls vor.
Sie möchte, dass er seine Skimaske abnimmt, damit sie ihn so sehen kann, wie er wirklich aussieht.
„Geht immer daneben“, sagt Gaspar.
Auf einem Spielplatz zeigt er ihr sein Gesicht.
Als sie ihn einen Augenblick zu lange schweigend ansieht,
ist Gaspar mehrere Tage verschwunden.

Die Schlachthöfe sind der einzige Ort, wo Gaspar wirklich verschwinden kann. Dort ist er niemand. Ein paar Autonome lassen ihn ganz nah an sich heran, bis er eine Hand aus dem Parka zieht und sein verbranntes und vernarbtes Fleisch dunkelrot im Laternenlicht aufflackert.
„Verdammte Scheiße“, sagt einer und dreht sich weg.
„Ey, Gas!“ Eine schwere Hand legt sich ihm auf die Schulter. „Hab gehört, du drückst dich mit Bullen rum!“
Der Einlasser schreit es so laut, dass die Autonomen einen Schritt auf sie zu machen. Das Geplätscher von auslaufendem Bier steigt Gaspar in die Ohren, als sie ihre Bierflaschen bei den Hälsen packen.
„Macht euch vom Acker!“, schreit der Einlasser sie an.
Sie wirken unsicher.
„Der ist in Ordnung“, sagt er leiser und zieht Gaspar zum Eingang des Nachtclubs.
„Man, du musst endlich mal auf die Leute zugehen“, sagt er im Vertrauen zu Gaspar. „Mach mal was, hau mal auf die Kacke! Scheiße, mit ner Bullenvotze um die Häuser ziehn, das löst keine Probleme!“
„Schon klar, man.“
Der Einlasser lacht laut auf und stößt Gaspar in die Rippe.
„Na klar ist alles klar!“
Er gibt ihm einen scherzhaften, aber harten Klaps auf den Hinterkopf.
„Verzieh dich, Gas, bevor ich dich alle mache!“

„Wozu die Maske?“
Gaspar sitzt da, eingesunken und verbraucht. Die Skimaske hängt verrutscht, und seine Augen liegen tief unter der schwarzen Wolle verborgen.
„Hey, wozu die Maske, man?“
Ein furchterregendes Klicken lässt Gaspar aus seiner Lethargie aufschrecken. Durch das dichte Gewebe aus schwarzer Wolle dringt ein Gitter von gedämpftem Licht.
Gaspar zieht die Maske gerade.
„Hast du Krätze im Gesicht, oder was?“
Der Mann gegenüber lässt ein Zippo in der Hand tanzen. Wie bei einem Zaubertrick schnappt dabei der silberne Verschluss auf und zu, ohne dass man die rasend schnellen Finger dabei beobachten könnte.
Gaspar ist, als schaute er in einen Spiegel.
„Wie ist das passiert?“, fragt er atemlos, als er die schweren Verbrennungsnarben im Gesicht des Mannes sieht. Die Nase ist künstlich nachgebildet. Der Mann lacht.
„Das Feuer hat mich gemacht, Junge! Weißt du, wie Stahl in nem Hochofen. Ist so heiß, dass man das Feuer gar nicht sieht.“
Die Brandnarben auf seinem Gesicht verzerren sich, als er lacht, und die Haut wirkt wie zerknülltes Sandpapier.
„Komm schon, zeig mir deine Fresse!“
Gaspar ist so erschüttert, dass er gar nicht anders kann. Er würde niemandem sein Gesicht zeigen, wenn er ihm nicht bis in seine Seele vertrauen würde.
Vertraute er der Polizeiwichserin?
Ohne nachzudenken reißt er die Maske vom Kopf.
„Scheiße, man!“ Der Mann gegenüber schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch und beginnt zu jubeln.
Er dreht sich um, hört nicht auf, mit der vernarbten Hand auf den Tisch zu schlagen. Er trommelt.
„Scheiße, seht euch das mal an!“
Einige der Leute an der Bar sehen sich gelangweilt um.
Einen Augenblick wirken sie wie erstarrt.
Gaspars Gegenüber rutscht rasend schnell um den Tisch herum und packt Gaspar aufdringlich bei der Schulter.
„Vater und Sohn, was?“, grölt er die Beobachter an.
„Ist die Ähnlichkeit nicht verblüffend, ihr Wichser?“
Einige drehen sich angewidert ab. Andere funkeln ihn mit ihren Augen herausfordernd an.
„Was ist, soll ich dich in die Hölle mitnehmen?“, brüllt der Verbrannte los und wartet einen Augenblick darauf, dass jemand aufsteht und die Herausforderung annimmt.
„Haben keine Ahnung von der Hölle, die Wichser“, flüstert er Gaspar wichtigtuerisch zu.
Er wendet sich ab, als suche er etwas in seiner Tasche.
„Steht einer auf?“, zischt er.
Gaspar sieht einen Bullen von einem Kerl auf ihren Tisch zuwanken. Er hat etwas in seiner Tasche.
„Ja“, flüstert er apathisch.

„Dann soll er zur Hölle fahren!“

Und noch bevor Gaspar etwas tun kann oder reagieren, ist der Bulle an ihrem Tisch und reißt ein Messer aus der Tasche. Da wirbelt der Kerl neben ihm herum, springt auf, und eine Flüssigkeit spritzt in das Gesicht des Bullen.
Der Geruch lässt Gaspar würgen.
Im nächsten Augenblick flammt das Zippo auf.
„Dann komm“, schreit der Verbrannte,
„DIE HÖLLE IST GENAU HIER!“


Sie sind in Gaspars Wohnung.
„Wenn ich meine Prothesen abnehme, fühle ich mich erst richtig frei.“ Der Verbrannte grölt und massiert Gaspars Schultern. Stöhnend vor Schmerz schließt Gaspar die Augen.
„Da!“, sagt der Verbrannte und wirft vor Gaspar seine Nasenprothese auf den Tisch.
Sie wirbelt um die eigene Achse. Gaspar betrachtet sie lange, bevor er zu ihm aufschaut.
Der Verbrannte ist groß, und der vernarbte Kopf steckt ihm so tief in den hohen Schultern, dass er wie ein Eishockeyspieler wirkt. Die Trapezmuskeln beginnen kurz unter den Ohren. Wie gewaltige Schulterpolster heben und senken sie sich mit jeder Bewegung. Er könnte ein Krieger sein, denkt Gaspar, ein biblischer Krieger, dessen muskulöser Körper nur dem Zweck dient, schwere, eisenbeschlagene Schilder zu wuchten und fünf Meter lange Speere zu heben. Der Brand der Bibliothek von Alexandria hat ihn erst zu dem gemacht, was er heute ist.
„Weißt du, wenn alte Männer ihre Zähne aus dem Mund nehmen und es sich gut gehen lassen, dann nehme ich immer die hier raus!“
Etwas landet poltert auf den Tisch.
Es ist eine Genitalprothese. Gaspar kann den Blick nicht abwenden. Der Mann lacht schallend auf.
„Die Schweizer machen nicht nur Uhren, sag ich dir! Das Ding klappt wie ein Taschenmesser auf; wann immer ich will.“ Obszön bewegt er die Hüften und schnalzt mit der Zunge.
„Korkenzieher könnt ich noch gebrauchen“, sagt er, „na ja, man kann nicht alles haben!“
Er knufft Gaspar in die Seite.
„Und du? Leg mal ab! Pack die Perlen auf den Tisch, mein Junge. Will das Geschmeide mal sehen!“
Gaspar sieht ihn erschrocken an.
„Hab nichts“, flüstert er.
Der Verbrannte dreht einen Stuhl um und setzt sich.
Er beobachtet Gaspar wie eine Marionette, die an einem letzten Faden baumelt.
„Hast wohl Angst, dass du von deinem Faden abreißen könntest und alleine stehen musst, was?“
„Ich verstehe nicht.“
„Du verstehst ganz gut!“, droht er. „Du hängst am Faden wie so ´ne Puppe, du weißt schon, wie im Zirkus vom Feuerfresser!“
Gaspar will aufstehen. Es ist ihm zuwider. Aber der Verbrannte ist rasend schnell bei ihm und packt ihn am Hals, dass ihm die Luft wegbleibt. Er greift ihm in die Hosen, zwängt die Beine auseinander.
„Dacht ich´s mir doch“, grinst er ihn hämisch an.
„Soll ich sie rausreißen und wie Pingpongbälle über den Tisch tanzen lassen?“
Gaspar röchelt.
„Nimm die Hand da weg“, flüstert er. Auf sein Gesicht hat sich ein merkwürdiger Schatten gelegt. Der Verbrannte beobachtet ihn fasziniert.
„Du kannst dich jetzt losreißen und wie Pinocchio in den Wald spazieren, Junge“, sagt er.
Gaspar umklammert das Handgelenk des Mannes und versucht, die kräftige Hand aus seinem Schritt zu ziehen.
„Versuch es nicht nur, mach es!“, wird er kichernd angespornt.
Gaspar nimmt all seine Kraft zusammen.
„Das musst du schon allein machen!“ Die Stimme des Verbrannten wird immer höhnischer.
„Ich kannte einen Jungen bei der Bundeswehr,
der hatte keine Hoden mehr!“, singt er grölend, bis er plötzlich innehält und sich sein Antlitz verkrampft.
Der Schatten in Gaspars Gesicht hat ein tiefes Schwarz angenommen.

„Nimm sie da weg“, flüstert er.

Die Polizistin weiß nicht, warum es sie immer wieder hierher zieht; zu diesem Jungen. In gewisser Weise ist er noch ein Kind. Aber hinter seiner verletzlichen Fassade verbirgt sich etwas aufrührerisches, etwas ergreifendes, das sie genau da anpackt, wo sie sich ausgemergelt und besiegt fühlt. Ihr Herz schlägt immer etwas schneller, wenn sie ihn sieht. Sie will sich nicht eingestehen, dass sie etwas für ihn empfindet.
Für diesen Jungen.
Geht sie deshalb jede Nacht an dem Haus im alten Abdeckerviertel vorbei? Sie schaut nach oben und sucht die Fensterzeilen ab. Der Taubenschutz sticht wie eine Reihe Nägel aus den Fensterbrettern. Als sie Licht sieht, überquert sie die Straße. Es ist kein elektrisches Licht, sondern ein warmer und lebendiger Schein, der sich in den gegenüberliegenden Fenstern widerspiegelt. Sie ist nervös und überhastet wählt sie auf ihrem Handy die Notruftaste.
Sie bricht die Verbindung ab, versucht ihren Atem zu kontrollieren. Sie wird jetzt nicht die Polizeiwichserin spielen! Das würde er von ihr erwarten und sie noch weiter von ihm entfernen. Aber sie will ihm nahe sein.
Sie öffnet die Haustür mit einer Kreditkarte.

Es könnte sein, dass er in diesem alten Gründerzeithaus ganz allein wohnt, geht es ihr im Treppenhaus durch den Kopf. Auf einer der Etagen brennt ein Flurlicht und sie hastet ihm entgegen. Darüber lauert die Dunkelheit wie das übergestülpte Maul eines Titanen, in dem sich die Wohnungen wie Backentaschen voll stinkendem Eiter übereinander stapeln. Sie irrlichtert einem schwachen Flackern entgegen, das unter einer Türschwelle wie Wasser in den Hausflur wabert.
„GAS, ich bin´s, mach auf!“
Sie hämmert gegen die Tür und weiß, dass er nicht öffnen wird. Ihr Herz schlägt so wild, dass ihr Brustkorb zu hüpfen scheint. Sie wirft sich gegen die Tür, die widerstandslos in den Flur bricht.
„GAS!“ Sie presst sich das T-Shirt an den Mund, als ihr beißender Rauch in die Lungen steigt. In der Küche heult durch den einströmenden Sauerstoff ein Flammenherd auf.
Sie stolpert in die Wohnung hinein.
Der Junge sitzt auf einem Stuhl und regt sich nicht. Vor ihm fackeln der massive Küchentisch und die Küchenzeile. Die Flammen schlagen in ihre Richtung.
„Bist du Ok?“, schreit sie und reißt Gaspar samt dem Stuhl mit sich fort.
„BIST DU OK?“
Von der enormen Hitze zerspringen in der Küche die Fensterscheiben und das Feuer gewinnt neue Energie. Flammen schlagen bis in den Flur, als wollten sie Gaspar mit gierigen Armen zu sich zurückziehen.
Feuerwehrsirenen jaulen von der Straße her.
Die Hinterbeine des Stuhls brechen ächzend weg, als die Polizistin den Jungen die Treppen hinunterzerrt.
Polternde Schritte kommen ihr von unten entgegen.
Das Seufzen der Gasmasken, die die Feuerwehrmänner tragen, erinnert sie an den schweren Atem eines Marathonläufers.
Sie brechen an ihnen vorüber und hämmern ihre Äxte in die brüchigen Wohnungstüren.
Das Feuer hat leichtes Spiel.


Suse hält Gaspar im Arm und füttert ihn mit weichem, in lauwarmem Tee eingelegtem Zwieback.
„Was machst du nur?“, fragt sie, während er isst.
„Ich dachte, du hast Angst vor dem Feuer.“ Sie schüttelt den Kopf. „Und jetzt machst du so was.“
Gaspar schweigt, kaut und starrt sie an.
„Sie haben mir Augentropfen gegeben“, sagt sie, „weil sie glauben, dass du deine Augen nicht gleich richtig schließen kannst, nach dem Feuer.“
Mit einer Pipette träufelt sie ihm eine Lösung auf die Pupillen. Gaspars Augenlider beginnen zu zucken. Aber er kann sie nicht schließen.
„Ich würde so gerne hier bei dir bleiben“, sagt er.
Suse streicht ihm über die narbige Stirn.
„Das wirst du wohl müssen. Nach Hause kannst du jedenfalls nicht.“
Gaspar legt den Kopf zur Seite und die Augentropfen laufen ihm wie Tränen aus den Augenwinkeln.

Sie schlafen miteinander in absoluter Dunkelheit. Gaspar sagt, er will nicht, dass sie ihm dabei zusieht.
Gaspars Stöhnen ist wie das Wiehern eines Esels, als er zum Orgasmus kommt. Sekundenlang verkrampft er sich, ohne dass sie seinen Samen in sich spürt.
Dann steht er plötzlich auf und dreht sich weg. Wenn sie ihm jetzt die Hand auf die Schulter legt, wird er gehen und nie mehr zurückkommen.
Aber sie tut es nicht. Er sitzt in der Dunkelheit und hört nur ihren gleichmäßigen, ruhigen Atem. Sie scheint eingeschlafen. Gaspar klaubt seine Jeans vom Boden auf und geht nackt zur Tür. Dort steht er und will einfach nur die Tür aufmachen und weggehen.
Er hat die Skimaske schon übergestreift und die Türklinke halb herunter gedrückt. Er ekelt sich vor dem Gesicht des Verbrannten, das seinem so ähnelt, und das irgendwo da draußen in der Dunkelheit auf ihn wartet.
Als Suse sich in ihrem Bett umdreht und eine einzelne Bettgestellfeder wie ein abgestochenes Schwein aufquiekt, ist ihm klar, dass er nicht bleiben kann. Sie kennt das Feuer nicht. Sie wird nie verstehen, welche Macht es auf ihn ausübt.
Ja, er hat Angst davor. Denn seine Macht wird mit jedem Augenblick stärker.

Die Musik hämmert sich im Inneren des Schlachthofes in die Köpfe der Betrunkenen. Gaspar ist ohne Maske hier. Er hat sie weggeworfen und zeigt allen sein Gesicht, die es sehen wollen. Der Einlasser hat ihm etwas nachgerufen, als er ihn so gesehen hat.
„Junge, pass bloß auf dich auf!“, hat er gerufen.
Gaspar hat sich nicht umgesehen.

„Bist du zurück?“, fragt der Verbrannte.
„Wer bist du?“, fragt Gaspar. Der Verbrannte schenkt ihnen weißen, bitteren Schnaps ein, der nach Kümmel oder etwas ähnlichem duftet. Er nimmt ein Feuerzeug und führt die Flamme an die Gläser. Auf dem erhitzten Alkohol tanzen kleine, bläuliche Flammenherde.
„Trink“, sagt er. „Wenn du trinkst, sag ich es dir vielleicht.“
Alles in Gaspar sträubt sich dagegen, sich die brennende Flüssigkeit in den Hals zu stürzen. Er würgt, als er das Glas anhebt. Als der Verbrannte klingend das Glas gegen das seine stoßen lässt, schwappt brennender Alkohol auf Gaspars Hand.
„Halt still“, flüstert er, „und sieh zu, wie es verbrennt!“
Gaspars Hand zittert so sehr, dass immer mehr von dem entzündeten Ethanol auf seine Hand läuft. Dann wird er ruhig. Die Flammen können ihm nichts anhaben. Brennende Fäden legen sich um sein Handgelenk und tropfen auf den Tisch.
„Es tut nicht weh“, stellt Gaspar überrascht fest.
„Es kann dir nichts anhaben, wenn du nicht willst“, sagt der Verbrannte. „Trink!“, fordert er ihn auf.
„Jetzt trink schon!“
Gaspar schüttet sich den brennenden Alkohol in den Mund und schluckt. Einen Augenblick spürt er das Feuer, wie es über seinen Gaumen tanzt. Dann ist es fort, und er schmeckt nur noch eine leichte, rauchige Erinnerung.

„Hier, ich schenke es dir“, sagt der Verbrannte und reicht ihm sein silbrig funkelndes Feuerzeug. Es ist anders als die anderen, die man am Bahnhof, in Souvenirläden zu kaufen bekommt. Die Gravur ist flüchtig und doch unübersehbar. Es scheint, als wäre sie mit einem einzelnen, menschlichen Haar auf das glänzende Metall aufgebracht worden, einem Haar aus glühendem Wolfram oder dem noch brennenden Stahl der Noriker. Gaspars Daumen huscht flüchtig über das abgenutzte Reibrad, als sich das Feuerzeug augenblicklich entzündet.
„Es will brennen, verstehst du?“, flüstert ihm der Verbrannte zu. Einige Sekunden verliert sich Gaspars Blick in der unendlichen Weite des kleinen Feuers, bis er das Zippo unerwartet zuschlägt.
„Wer bist du?“, fragt er, fast ohne dabei die Lippen zu bewegen.
Der Verbrannte lehnt sich lächelnd zurück.
„Wenn wir herausgefunden haben, wer du bist, kannst du die Frage vielleicht selbst beantworten.“

Sie ist ihm gefolgt. Suse hat sich unter die Autonomen gemischt, die sie mit ihrer zu großen Lederjacke misstrauisch beäugen. Sie drängen sich um sie, ohne dass sie es merkt. Ein Stoß in die Seite lässt ihr fieberheißes Blut in die Wangen schießen. Sie ist umringt, und Hände packen sie am Gürtel. Eine dahergeflogene Ohrfeige klatscht ihr ins Gesicht.
„Bullenfotze“, zischt einer, und sie erhält einen Schlag in die Magengrube. Sie wird mitsamt der Gruppe gegen die Häuserwand gedrängt. Schreie gehen im Getrommel von Fausthieben unter. Sie sieht einen Schlagring aufblitzen und wieder verschwinden. Dann lichtet sich alles und sie hört Kampfstiefel über das Kopfsteinpflaster hasten. Jemand presst ihr die Hand auf Mund und Augen. Sie wird in die Luft gehoben und fortgerissen.

Strampelnd landet sie in den Mülltonnen.
„Hör zu, wenn ich nicht wüsste, dass der Junge in Schwierigkeiten ist, dann hätte ich keinen Finger für dich gerührt. Die hätten dich rüber zu den Schweinestellen schleppen können und hätten ihren Spaß mit dir gehabt, soviel ist sicher!“
Der Türsteher blickt immer wieder über seine Schulter, während er redet. Er hat die rechte Schulter vorgebeugt und hält den muskulösen Arm angewinkelt, als wenn er jeden Augenblick auf sie losschlagen wollte.
„Wenn er in Schwierigkeiten ist, warum helfen Sie ihm dann nicht selbst?“
Der Türsteher sieht sie breit grinsend an.
„Wenn ich hier weg könnte, würde ich den ganzen Saustall hochnehmen, darauf können Sie wetten. Würde so manchem nicht gefallen, was dann passieren würde.“
„Probieren Sie´s doch aus.“
„Wenn ich hier weg könnte, würde hier einiges schief laufen.“
Suse steht langsam auf und hält sich den schmerzenden Unterarm.
„Was könnte hier schon schief laufen.“
Vom Eingang des Schlachthofs dringen Schreie zu ihnen herüber. Betrunkene Schläger poltern aus der Bar und kollidieren mit den zurückkehrenden Linken, die in voller Besetzung eine Revanche einfordern.
„Ich muss zurück“, sagt der Türsteher kurz angebunden.
„Passen Sie auf den Jungen auf. Warten Sie am Hintereingang. Woanders kommt jetzt keiner mehr raus.“
„Danke“, sagt Suse und hält den riesigen Mann am Arm fest. Dann setzt er sich wie eine Maschine in Bewegung, und Suse sieht wieder den Schlagring in seiner Hand aufblitzen. Die betrunkenen Schläger weichen stöhnend zurück, als er sich ihnen nähert. Die Autonomen stehen wie eine Phalanx und erwarten den Angriff.

Gaspar fühlt sich wie an die Hand genommen, beobachtet und durchschaut. Mit jedem Feuer, das seine Hände wie unter Drogen erzeugen, stößt es ihn tiefer und tiefer in die Unergründlichkeit seiner Seele zurück. Es ist wahr, er weiß nicht, wer er ist, und das, was aus ihm geworden ist, ist nicht das, was noch heute Nacht aus ihm werden kann.

Sie legen Feuer bei den Mietskasernen. Drumherum hat sich ein kleines, lebendiges Viertel entwickelt. Der Übermut, mit dem sich die Anwohner hier breit gemacht haben, und die Leichtigkeit ihres Lebensstils, der selbst in der Nacht aus den kleinen Geschäften und unsanierten Wohnungen dringt, machen Gaspar wütend.
In der Ferne heulen Feuerwehrsirenen. Die Einsatzmannschaften bekämpfen ihre lodernden Wegzeichen.

Im Laufschritt durchkämmen sie die Nacht. Hier brechen sie in Hausflure ein und spritzen Benzin an die Wände. Die brennenden Buchstaben graben sich tief in den brüchigen Putz.
„ICH WAR HIER“, lodert es in der Dunkelheit auf.
Irgendwo in den Stockwerken über ihnen beginnt ein Kleinkind zu greinen. Erschrocken blickt Gaspar den gähnend schwarzen Hausflur hinauf.
Sein Mitverschwörer treibt ihn zur Eile an.
„WILLST DU SIE BRENNEN SEHEN?“
Er packt ihn am Kraken und stößt ihn in den Hausflur hinein. Gaspar landet auf den Treppen.
„DANN TUE ES!“
Gaspar entgleitet das Feuerzeug, und es landet scheppernd zu seinen Knien. Wie von selbst hat es sich geöffnet, und eine kleine Flamme zündelt bereits am Treppenfurnier.
Hastig klaubt er es auf und lässt den silbernen Deckel zurück schnappen.
„Ein Kind ist da oben“, sagt er.
Der Verbrannte ist über ihm und aus seinem Mund tropft heißer Speichel auf Gaspars Gesicht.
„Warst du nicht damals auch noch ein Kind?“, fragt er.
„Wer hat damals dein Schreien gehört?“
Gaspar reißt sich los und taumelt in Richtung Straße.
„NEIN!“, stöhnt er. „Nicht, wenn ein Kind im Haus ist!“

Der Verbrannte schaut ihm nach, wie er unter Übelkeitsanfällen davon stolpert. Der Junge ist schwach und hat keine Ahnung von dem Feuer. Mit seiner Hand berührt er das Geländer aus kunstvoll gedrechseltem Eichenholz. Es ist alt und verfärbt sich schwarz, als er ihm die Hand auflegt. Das Holz beginnt zu schmoren und knistert, als würde es Angst spüren.
Der Verbrannte schaut in den Treppenaufgang und hört das Weinen des Kindes.
„Wenn du jetzt nicht aufhörst zu greinen, wirst du brennen“, flüstert er und seine brüchigen Lippen legen das weiße, funkelnde Gebiss frei.
Er will schon hinaufgehen, da bricht plötzlich das Weinen ab und ängstliche Stille legt sich über den Hausflur.
Der Verbrannte bleibt stehen. Seine Augen verfärben sich dunkelrot und leuchten in der Nachtschwärze.
Als er knurrend davon stürzt, bleibt auf dem Geländer ein glühender Handabdruck zurück. Ein Windhauch lässt kurz eine Flamme darauf tanzen. Dann steigt stinkender Rauch darüber auf.

Die Brandeinheiten jagen durch die Dunkelheit. In ihren feuerfesten Uniformen stapfen sie neben ihren gewaltigen Löschfahrzeugen her, die sich durch das dichte Gewühl der parkenden Autos drängeln. Sie spähen nach ihnen aus. Sie wollen sie finden und sie endlich in die Feuer stürzen, die sie wie Hinweise auf ihren Aufenthaltsort vor ihnen ausgebreitet haben.
Aber da ist noch etwas. Gaspar spürt es im Herzen und in den Knien. Ein paar leichte Sohlen flüstern über den Asphalt. Ein leiser, keuchender Atem säuselt aus dem Nachtschwarz zu ihnen herüber.
Dort irgendwo steht sie im Schatten und starrt sie an.

„Wer ist sie? Wer zum Teufel ist sie? Hör zu, ich frage dich kein zweites Mal!“
„Ich habe keine Ahnung!“
Der Verbrannte legt Gaspar die kochend heißen Hände an die Schläfen, als wolle er in seinen Verstand eindringen.
„Denkst du etwa, ich könnte sie nicht riechen, die Hure? Ihre Oberschenkel sind schweißnass und ihre Wangen sind so heiß, dass sie im Dunkeln glühen würden, wenn sie endlich aus ihrem Versteck heraus käme. Riech selbst!“, zischt der Verbrannte. „Riech, verdammt!“
Und er hält Gaspars Gesicht in den Nachtwind, genau in die Richtung, in der er ihren herben, weiblichen Geruch wahrgenommen hat.
Da ist sie. Gaspar weiß, dass sie da ist. Irgendwo da draußen. Er kann sie riechen. Es ist Suse, kein Zweifel. Verwirrt reißt er sich vom Griff des Verbrannten los und kann es selbst nicht glauben, dass er sich seiner Sache so sicher ist. Der flüchtige, doch unheimlich intensive Geruch ihres Körpers dringt ihm wie eine Hitzewallung in die Stirn.
„Wie kann das sein?“
Der Verbrannte schlägt ihm wutentbrannt gegen die Stirn, dass Gaspar stöhnend in die Knie geht.
„Ich kann dir sagen, wie das geht! Du hast das Feuer in dir, mein Junge. Und du wirst es nicht mehr los! Du riechst das Holz, du riechst Papier und Fleisch, als ob du es mit Händen greifen könntest. Das ist das Feuer, und du kannst nicht leugnen, dass es in dir ist!“
Gaspar schließt die Augen und will es nicht wahr haben. Nicht das Feuer, denkt er. Alles, nur nicht das Feuer!
Aber es ist so. Gaspar spürt es, wie ein lebendiges Organ, das sich in seinem Körper mit allen Sinnen vernetzt und mit brennender Zunge in seinen Verstand eindringt. Tastsinn, Geruch und Augenlicht werden von glühenden Flammen überschwemmt. Er kann es sehen! Er kann es fühlen und hören! Und inmitten dieser Verwandlung, dieser schrecklichen Metamorphose, die ihn schließlich ganz zu Boden schlägt, riecht er Suse so intensiv, wie er sie nicht einmal während des Geschlechtsverkehrs gerochen hat. Er ist in ihr, wie er nie in ihr war. Er spürt sie, wie er sie nie gespürt hat. Und er hat das Gefühl, er bräuchte nur die Hand ausstrecken und könnte ihre Seele mit Händen greifen.

Suses Herz rast. Sie steht nicht weit entfernt von Gaspar und diesem Mann, dessen Blick im Dunkel der Gasse zu glühen scheint. Er steht gebückt neben Gaspar, wie ein Troll oder ein riesiges Steinwesen. Dann legt er ihm die Hand auf die Schulter und spricht mit ihm.
Suse stolpert tiefer in den Schatten zurück, in dem sie sich verborgen hält. Etwas ist an ihr und in ihr, wie ein Bienenschwarm, der lautlos durch ihre Nase, ihren Mund und ihren Schoss in sie eindringt. Sie versucht ihn fort zu wischen, sie glaubt schreien zu müssen, als es ihr durch die Gedärme und die Kehle jagt.
Er ist in mir, denkt sie, oh Gott, er ist in mir!
Sie fällt und krümmt sich, und sie sieht Hände, die unter ihrer Haut ihren Körper umarmen. Ihre Gedanken sind so flüchtig wie ein Gas und entgleiten ihr immer wieder.

Dann steht Gaspar vor ihr und kniet sich nieder.
Die Hände unter ihrer Haut verschwinden. Ihre Gedanken kehren zögernd in sie zurück. Er nimmt sie in die Arme und presst sie so fest an sich, als wolle er sie durch die Haut hindurch in sich aufnehmen.
Suse verliert erst den Atem und dann das Bewusstsein.


Es ist das Bild des alten Stahlwerks, das Gaspar sofort in die Magengrube schlägt, als er hinter dem Verbrannten aus einer Seitengasse stolpert. Das Werksgelände, an das sich die verlassenen Wohnhäuser der Stahlkocher wie blinde Soldaten anschließen, ist zur Heimat der Katzen geworden. Er hört ihre gellenden, wehleidigen Schreie von jenseits des rostigen Maschendrahts, der den verschatteten Ort wie einen Garten umschließt. Im Inneren wachsen die blütenlosen Stahlstängel der Hochofenanlage in den schwarzen Nachthimmel. Mitten hinein geworfen thront ein schwarzer Riese in dem filigranen Gestrüpp. Der Schmelzofen erhebt sich wie ein Wächter über das alte Industriegelände und scheint mit seiner rostigen Patina schon Jahrhunderte auf sie zu warten.

Der Verbrannte steht da, die Fäuste in die Hüften gestemmt und schaut hoch hinauf zum Kopf des schwarzen Riesen. Er sagt kein Wort, aber Gaspar sieht ihm an, dass er diesen Ort liebt, weil hier einmal das Feuer zuhause war. Allein der Gedanke an die ungeheure Hitze lässt Gaspar erschaudern. Er hält Suse in den Armen und will sie nicht loslassen. Sie gehört zu ihm, denkt er sich.
Sie wird ab jetzt für immer zu ihm gehören.

„Bist du bereit?“
Gaspar schweigt. Er war zu allem bereit. Er war es von Anfang an. Sie sind hier, wo das Feuer einmal zu Hause war, und jetzt ist es an der Zeit, dass es wieder zu brennen beginnt.
Er selbst wird es entzünden. Er wird es aufflackern lassen, dass alle es sehen können. Dass sie sehen können, dass er nicht aufgegeben hat. Dass er keine Angst kennt.
Nie mehr!

Gaspar schleppt Suse bis zu den alten Schüttungsvorrichtungen.
„Jetzt mach schon“, spornt ihn der Verbrannte an.
Suse atmet kaum, als Gaspar sie vorsichtig in das Hochofenmaul hineingleiten lässt. Nur ein kurzes, müdes Seufzen gibt sie von sich. Dann macht sie sich ganz klein, als sie auf den von schwarzer Schlacke bedeckten Grund rutscht.

„Steig ihr nach!“
Gaspar duckt sich und kraucht in die Schüttung hinein. Es riecht nach Stahl und Kohle. In der Dunkelheit legt sich Suses Geruch über all die alten und toten Gerüche und erweckt sie zu neuem Leben. Hinter der Schüttungsvorrichtung geht es tief hinein in den Bauch des schwarzen Riesen. Am Boden knistert die trockene Schlacke unter Gaspars Schuhen, und wenn er die Wände berührt, regnet sie wie Pulverschnee auf ihn hinab.
Er schleift Suse tief in dieses Dunkel hinein und bleibt still und steif neben ihr hocken. Hinter ihnen kriecht der Verbrannte durch die Schüttung und das Glühen seiner Augen erhellt das Innere des Hochofens wie purpurner Kerzenschein.

„An einem Ort wie diesem wurde ich geboren, Junge“, sagt er und berührt die mit Schlacke verkrusteten Wände.
„Ist mir, als wäre es gestern gewesen, als sie uns sagten, wir müssten uns ausziehen. Sie wollten uns untersuchen.“
Er seufzt und stemmt die Fäuste in die Hüften.
„Draußen in Buchenwald ging es nach dem Gas direkt in die Öfen, weißt du. Und es roch ganz ähnlich wie hier“, sagt er, „nur fleischiger, wie im Sommer bei einer Grillparty, bei der einer vergessen hat, die Steaks umzudrehen.“ Er lacht kurz und trocken auf.
„Aber kein bisschen nach Gas, verstehst du? Da bin ich zum ersten Mal aufgewacht. Das war nach dem Gas.
Und ich weiß ganz ehrlich nicht mehr, was vorher war.
Ich meine, vor dem Gas. Nur dass wir uns ausziehen mussten, und dass sie Musik spielten, als wir aus den Zügen stiegen.“
Die Muskeln unter der denaturierten Haut des Verbrannten straffen und bewegen sich. Er dreht sich um, und ein Lächeln spielt wie ein Narr um seine Lippen, als er Gaspar unten auf dem Boden neben Suse hocken sieht.
„War genau wie hier“, sagt er, „nur dass sie dort die Leichen fast bis unter die Decke gestapelt hatten. Ich wachte auf und musste mich erst einen ganzen Meter nach oben durchgraben.
Scheiße, und dann kam das Feuer.“

„Erzähl keinen Scheiß“, sagt Gaspar.
Neben ihm beginnt sich Suse zu rühren, und er drückt sie zärtlich an sich, bevor er wieder zu dem Verbrannten aufschaut.

Der Verbrannte scheint in der Finsternis an Größe zuzunehmen. Seine Erscheinung flimmert und beginnt schwach violett zu glühen. Die Luft um ihn herum wabert wie eine kochende Flüssigkeit. Gaspar versucht Suse vor dieser Hitze abzuschirmen und wirft sich über sie.
Im selben Augenblick schlägt sie die Augen auf und starrt ihn an.
„Mir ist so heiß“, flüstert sie, und ihre trockenen Lippen berühren Gaspars Ohr. Er dreht sich um und kneift die Augen zusammen, als der Verbrannte ihn plötzlich und heiß an der Schulter berührt.

Als ihn die Hand des Verbrannten berührt, kann Gaspar nur einen Augenblick seine Gedanken lesen. Nur einen Augenblick, bevor der Griff des Verbrannten übermächtig wird. Er ist kein Mensch, denkt Gaspar. Er ist etwas anderes, etwas Schlimmeres.
Ein Racheengel!
Aber etwas in ihm wehrt sich gegen diesen Gedanken. Etwas lehnt sich in ihm auf und will schreien, nein, das ist kein Engel.
Er ist alles, schreit es in ihm, aber er ist kein Engel!

Und als der Verbrannte ihm sagt, dass es jetzt an der Zeit wäre, das zu tun, weshalb sie hier seien, da gelingt Gaspar ein Blick in seine Seele, und er wird mit einem Mal tief und brutal im Herzen getroffen.
Weil da nichts ist!
Ausgetrocknet ist sie, und nur in dem Moment, als der Verbrannte Gaspar berührt, wird sie leicht mit Leben bestäubt.
Er braucht etwas, wird Gaspar plötzlich klar.
Und er braucht es schnell, bevor alles in ihm zu Staub zerfällt.

Er schaut zu Suse und dann zu dem Verbrannten, der ihn durchdringend beobachtet, als wüsste er, woran er denkt.
„Du willst sie retten, oder?“, fragt er mit schiefem Kopf.
„Du denkst, ich lass sie hier einfach rausspazieren und hole mir nicht das süße Innere.
Vielleicht mache ich das ja“, sagt er nachdenklich.
„Aber dann stehst du ziemlich dumm da, nicht wahr?“

„Ziemlich dumm“, sagt Gaspar, „aber deshalb sind wir schließlich hier, nicht wahr?“

Der Verbrannte fletscht plötzlich die Zähne und ungeheure Hitze geht von ihm aus.
„Ist mir scheißegal, ob du sie retten willst!“
Seine verbrannten Hände werden glühende Krallen.
Gaspar hebt Suse vorsichtig hoch und spürt sie ganz und liest alle ihre Gedanken. Sie schaut ihn nur an, und diesmal lässt sie es zu. Ein Bienenschwarm dringt überall in sie ein und alle Gedanken wandern fort aus ihr.
Gaspar hebt sie aus der Schüttung und lässt sie vorsichtig nach draußen gleiten.
Als er ins Innere des Riesen zurückkehrt tanzen in seinen Augen winzige Flammen.

„Wenn du sie mir gelassen hättest, hätte ich mir ihre Seele geholt, Junge. Und kein Hahn hätte danach gekräht!“
Gaspar hält den Blick gesenkt, und die Arme hängen ihm schlaff von den Schultern herab.
Er hat das Gefühl, als könnte das Feuer in ihm jeden Augenblick eine Explosion hervorrufen, die den Hochofen und das ganze Gelände in Stücken reißen könnte.
Er spürt das Feuer mit all seiner Macht und hält den Blick gesenkt, weil er hofft, es könnte dem Verbrannten entgehen.

„Es ist mächtig in dir, Junge, aber nicht mächtig genug.“
Der Verbrannte lächelt und lässt Flammentürme aus seinen Handflächen empor tanzen. Sie schlagen hinauf zur Decke des Hochofens, die sich wie die Kuppel einer heiligen Kapelle über ihren Köpfen erhebt.
Da steht er; eine violett glühende Silhouette in zehntausend Grad heißer Luft. Gaspar kann sich nicht einmal vorstellen, wie heiß es an der Stelle ist, an der der Verbrannte steht.
Aber er versucht es. Zum ersten Mal versucht er es. Und seine Gedanken nähern sich der Hitze.

Es ist anders, als bei Suse. Eine Barriere umgibt den Verbrannten, ein Bollwerk, an dem Gaspars Gedanken abgeschmettert werden. Der Bienenschwarm, der so leicht in Suse und ihre Gedanken eindrang, umschwirrt den Verbrannten und wird immer wieder zurück geworfen, wenn er versucht, in ihn einzudringen.

Gaspar richtet sich auf.
Wie ein Boxer steht er da, nur mit offenen Handflächen. Er weiß nicht, wie es sein wird, wenn das Feuer aus ihm kommt. Aber es ist da. Es ist überall in ihm!

Er ist der Herr des Feuers!

Und dann geschieht es. Erst tanzen ihm Flammenzungen auf den Handrücken. Sie tanzen zu den Fingerspitzen und zurück, den Unterarm hinauf. Sie sitzen ihm wie Spatzen auf den Schultern und hüpfen flatternd empor. Erst eins, dann zwei, dann ein ganzes Duzend von Feuerhälsen, die sich emporrecken und sich zu einer einzigen Flamme vereinigen.
Er hat es unter Kontrolle, und mit einem Mal schießt das
Feuer in seine Hände und breitet sich wie eine Wand vor ihm aus.
Die Wände des Hochofens beginnen zu glühen. Die Schlackereste werden von der kochenden, wabernden Luft empor gewirbelt und werden durch die Schornsteine ins Freie gerissen.
Gaspars Kleider verbrennen auf einen Schlag, und er steht dem Verbrannten nackt und Angesicht zu Angesicht gegenüber, als der, mitten im Feuer stehend, einen einzigen Schritt auf ihn zu macht.
„Ich bin in der Hölle geboren, Junge!“, sagt er.

„Dann sind wir schon zwei“, flüstert Gaspar.
Und er zieht seine Schultern eng an den Hals, bevor seine Augen zu glühen beginnen.

Erwachen.
Zuerst weiß Gaspar nicht, wo er ist. Es ist dunkel und stickig. Ein Blick über die Schulter, und er sieht sich selbst, mitten in den Flammen stehen.
Ich bin in ihm, denkt Gaspar plötzlich. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, in den Verbrannten einzudringen.
Aber er kann noch nicht seine Gedanken kontrollieren. Er ist nur seinen Erinnerungen. Er ist tief in seiner Vergangenheit.
Gaspar muss an die Oberfläche. Er zwängt sich weiter und weiter empor, wie durch einen Berg von Körpern, bis er erst einen Arm und dann einen Kopf an die Oberfläche bringt.
Sein Verstand will zerbersten, beim Anblick der toten Leiber, aus denen er hervor kriecht.
Es ist das Krematorium, von dem der Verbrannte gesprochen hat. Gaspar kann kaum atmen.
Er schaut seine Hände an, und er hört ein Zischen, das aus winzigen Öffnungen aus den Wänden dringt.
Sie spielen Musik, draußen an den Bahnsteigen.

Und dann kommt das Feuer! Und Gaspar schreit, weil es an und in ihm ist und er es mit jedem Atemzug in seine Lungen saugt.
Aber er stirbt nicht. Wie in einem Alptraum sieht er, wie seine Haut denaturiert, wie sich die Fingernägel von den Fingerkuppen lösen und abfallen. Die Haare rutschen ihm wie eine Perücke vom Schädel und werden als feiner Staub davon geweht.
Kniend, kreischend hockt er auf dem Berg der Toten, der sich langsam in Asche verwandelt. Die Leiber werden steif, dann beginnen sie zu glühen und werden von heißen Aufwinden als weißer Ascheschnee empor gewirbelt.

Schreiend muss Gaspar mit ansehen, wie sein Körper langsam in diesem Ascheberg einzusinken droht. Wie ein kochendes Moor zieht es ihn hinab, und er sieht Gesichter, Arme und Beine zu Staub zerfallen. Jeder Körper, an den er sich wie einen rettenden Fels klammert, wird spröde und löst sich auf.

Dann versinkt er endgültig, während sie draußen bei den Bahnsteigen Musik spielen.
Als sie die Ascheluken öffnen, rutscht sein verbrannter Körper in einem Gemisch von schmieriger, glühender Asche und halb verbrannten Knochenresten auf die Ladefläche eines Armeetransporters.

Auf dem Weg zu den Feldern macht sich die Asche der Toten wie ein Traum von der Ladefläche davon und wirbelt durch die Luft. Als sie anhalten und Gaspar mit der Asche wie Dünger auf dem Feld ausbringen, sind seine Arme und sein Gesicht bereits freigelegt.
Den Rest wäscht der Regen in die Erde.
Und wie ein Neugeborenes steht Gaspar endlich auf, in einem weißen Kreis von in den Boden gewaschener Asche,
mit flammenden Augen.

Er dreht sich um, und aus dem Verbrannten, aus dem Innersten seiner Seele, sieht er sich selbst in den Flammen stehen.
Ich weiß jetzt, wer er ist, denkt Gaspar.

Und ich weiß, wer ich bin…


Gleißend helles Licht über Minuten. Es ist nichts zu hören, außer das Knistern des Feuers und das Ächzen des glühendes Stahls und des Betons, der den Hochofen umschließt.
Im Inneren kämpfen Gewalten, eng umschlungen und mit Feuer und Gedanken aufeinander einstürmend.
Aber kein Laut von ihnen, kein Schrei, der aus dem Ächzen und Knistern nach draußen dringt.
Absolutes Nicht-vorhandensein. Nur die lautlosen Kräfte, die mit aller Urgewalt zusammenstoßen.

Suses Gesicht ist kochend heiß, und während sie keuchend weiter und weiter von dem Hochofen fort kriecht, glaubt sie, ihre Haut bekäme Risse von der ungeheuren Hitze, die von dort ausströmt.
Sie sieht den Stahl im Dunkel glühen. Selbst der graue Beton nimmt eine weiße, todbringende Färbung an.
Sie sucht Schutz hinter einer Reihe verrosteter Abfalltonnen, als die Stahlklammern am Bauch des schwarzen Riesen zu bersten beginnen und in alle Richtungen davon gesprengt werden. Die Ummantelung, die einmal mehreren tausend Grad standgehalten hat, reißt an mehreren Stellen auf, an denen weiße Lichtstrahlen den Stahl wie ein Schweißgerät auftrennen.
Sie reißt die Hände vor das Gesicht und schreit, als die Hitze so stark wird, dass sie glaubt, sie müsse in Stücke springen.

Als Gaspar erwacht, sieht er zuerst Suse, die über ihm kniet und deren zierliche Hände in alter Glaswolle eingepackt sind. Zögerlich beginnt es zu regnen und eiskalte Tropfen perlen auf seiner Haut ab, wie von einer rot glühenden Herdplatte.
Er hat eine schwarze Brandspur hinterlassen, wo Suse ihn durch das verwilderte Grün des Stahlwerkgeländes nach draußen gezerrt hat.
Als ihn ein Regentropfen im noch glühenden Auge trifft, blinzelt er, und der Regentropfen zischt als winzige Dampfwolke davon.
Die Regen wird stärker. Er trommelt auf einem alten Wellblechdach und Gaspar ist wie ein weiß glühendes Stück Stahl, das man in den Schnee getaucht hat.
Langsam, ganz langsam kühlt er ab, und die Dampfwolken schweben wie Alpträume davon.
Dann nimmt er Suse in die Arme und sagt ihr, dass es vorbei ist. Wie in einem Hollywoodfilm küsst er ihre Augen.
Er hat ihn besiegt, sagt er, überlistet.
Es ist ganz einfach, wenn man weiß, wie es geht.
Es ist vorbei, für immer, sagt er.
Und er lebt.

Doch es ist noch nicht vorbei.

Von dem Gefühl, dass ihm jemand über die Schulter sähe, wacht Gaspar neben Suse auf. Er will ihr keine Angst machen, und er schleicht sich ins Bad und spritzt sich das Wasser aus der Leitung in das heiße, rote Gesicht.
Er dachte, die Alpträume würden nachlassen, mit der Zeit, aber selbst nach Monaten sieht er alles so klar und deutlich, als wäre es gestern geschehen.
Als er mit der Fingerspitze vorsichtig seine Wange berührt, kommt es ihm so vor, als wäre seine Haut trocken und brüchig. Und als er die Hand betrachtet, sieht er feinen Staub auf seinen Fingerspitzen, so als würde er an Konsistenz verlieren.
Dann schaut er in den Spiegel und sieht sich lächeln und sich zu zwinkern.
„Na, Junge, alles klar bei dir?“

Und Gaspar will schreien und er will zu Suse laufen, ins Schlafzimmer und sie wachrütteln.
„Er ist in mir!“, will er schreien und sich mit der Hand in den Schlund greifen, tief bis in die Eingeweide, um das schreckliche Wesen aus seinem Inneren heraus zu reißen.
Aber nichts dergleichen geschieht.
Sein Körper löscht das Licht im Bad und geht ganz ruhig zurück ins Schlafzimmer.
Suse erwacht kurz und fragt schlaftrunken, ob alles in Ordnung sei.

„Ja, könnte gar nicht besser sein, Baby“, hört sie Gaspar sagen, der zu ihr unter die Bettdecke kriecht und mit seinen Händen ihr warmes Becken ganz dicht an seinen Schoss zieht.
„Könnte wirklich gar nicht besser sein“, flüstert er…
 

brain

Mitglied
Kann mich den Vorrednern nur anschließen - sehr bildgewaltig, reißt einen unweigerlich mit. Ich mag generell an Deinen Geschichten, dass Du (wie ich finde) neue Wege gehst bzw neue Geschichten zu erzählen weißt. Ein dickes fettes Plus dabei ist Dein Mut ins Extreme zu gehen, gerade in Richtung Showdown, ohne dabei draufloszusplattern. Was ich auch von Deinen Texten vor die Funzel kriege, erinnert mich in Punkto Phantasie und Kompromisslosigkeit stark an die besseren Blutbuchgeschichten von Clive Barker.
Mehr davon! Bitte:)
Gruß
Alex
 
Hallo Brain,

es wird eine überarbeitete Fassung von Feuerhaut in "Zwielicht 2" bei Eloy geben. Da hab ich der Handlung um den Feuerdämon, der in einem Krematorium eines KZ´s sozusagen das Licht der Welt erblickt, noch etwas mehr Raum gegeben. Die neue Variante liest sich dann noch etwas runder. Trotzdem ist die LL-Variante schon ganz in Ordnung. Aber noch lange nicht perfekt. Meistens arbeite ich an einer solchen Geschichte ja auch schon mal ein Jahr, leg sie wieder beiseite, nehm sie wieder her und schreibe so lange daran herum, bis die Sache irgendwann veröffentlicht ist oder ich die Lust endgültig daran verliere.
Bei "Feuerhaut" ist das immer noch nicht so weit. Mal sehen, wann ich mich mit meinem Feuerdämon mal wieder an den Kamin setze ...

Bis bald, und danke für die gute Kritik,

Marcus
 

Mäuschen

Mitglied
Wow!

Bin neu hier und das ist einer meiner ersten Texte. Trotzdem muss ich gleich meinen Senf dazu abgeben^^
Hat mich wirklich gefesselt! Trotz der doch schon guten Länge bei dem relativ knappen Inhalt kann man nie aufhören. Vor allem zum Schluss steigt der Spannungsbogen ins Unermessliche - echt gut gemacht. Die vielen Bilder, die durch die detaillierten Schilderungen im Kopf entstehen, rauben schlichtweg den Atem. Wie schon erwähnt wurde, kommt auch mir die Gefühlswelt vor allem der Polizistin etwas zu kurz. Sie folgt meiner Meinung nach etwas zu starr ihrem anfangs dargestellten Erscheinungsbild - nett, mehr als nur höflich, geradezu hilflos (nicht nur dem Prot. gegenüber, was ja verständlich wäre, sondern auch ihren Mitmenschen, die ihr nicht nur Gutes wollen...)
Alles in allem: SUPER! Schöner Einstieg in diese Seite ^^
 
Hallo Mäuschen,

na das freut mich aber, dass meine Geschichte ein guter Einstieg war und ich muss zugeben, dass Frauen in gewisser Weise immer ein kleines Mysterium für mich waren. Aber ich arbeite dran. Hab gerade so einen Kurs mit Heirat und Kind belegt, vielleicht hilft das ja.
Die Geschichte ist übrigens noch etwas länger und noch ein bisschen anders, aber die überarbeitete Fassung hab ich mir für eine Veröffentlichung vorbehalten. Es ist also nur eine Urfassung, die du gelesen hast.
Trotzdem denke ich, dass ich noch arg dem "männlichen" Schreiben verhaftet bin, wo Frauen immer so eine Art Lückenfüller und Mittel zum Spannungsaufbau sind.
Aber mit dem Alter soll ja angeblich die Weisheit kommen.

Also dann, bis in zehn oder zwanzig Jahren,
Grüsse Marcus

PS: Weiß nicht, ob hier noch was von dem Nathschläger zu lesen ist. Falls ja, solltest du da mal reinlesen. Hat ein paar ziemlich gute Geschichten geschrieben. Ach ja, und der a.lipschitz ist hier noch mein Favorit, auch wenn er sich ziemlich bedeckt hält.
 

brain

Mitglied
Mhhhhh...

...mir is verwirrt. Lautet dein Name Marcus Richter oder Michael Schmidt? Is das so ein Stephen King / Richard Bachmann - Ding? Is halt schon komisch, den einen Namen anzuklicken und bei dem anderen zu landen, bei gleichbleibender Story.
Also wie gesagt: Mhhhhh...
 
Hallo Brain,

angeblich soll man ja Verschwörungstheorien wachsen lassen, damit sie richtig gedeihen können, aber die hier hat leider nicht das Zeug dazu. Du hast meine Geschichte bestimmt unter "die LL empfielt" angeklickt. Da steht vor dem Text immer der Name dessen, der den Text empfohlen hat, nicht der des Autors. Wenn sich der Text dann öffnet, sollte oben links allerdings immer der Autorenname stehen, in diesem Fall meiner.

Also, die Unendlichkeiten der LL mögen verwirrend sein, aber vielleicht ist das nur ein Zeichen, dass ich mal wieder was neues schreiben sollte, damit alte Texte nicht zu Geistertexten werden und arme Leser in den Wahnsinn treiben.

Grüsse, der Marcus(das Original)
 

brain

Mitglied
Okay...

...verstanden. Hab übrigens das finale schwarze Stroh im MEER DER HALME in der ZWIELICHT-Druckversion vermisst. Mir gefiel die erste Version besser, aber eleganter isses allemal:))
 
so ist das eben mit den Überarbeitungen - es kann, wie bei Feuerhaut, die Geschichte auf ein ganz anderes Niveau heben oder eine Geschichte ihrer Impulsivität berauben.

Aber zum Glück haben wir ja durch das Netz auch die Möglichkeit mehrere Versionen einer Geschichte zu betrachten - fehlen nur noch alternative Enden, so dass man sich seine Lieblinsvariation aussuchen kann - "Meer der Halme V1-V23" - das wär es ja mal.

Danke also, für das Feedback,

Grüsse Marcus
 
Fast alles, was du auf der Con gehört hast, ist aus der überarbeiteten Fassung. Ja, ich war selbst überrascht, wie gut die ist. Im Gegensatz dazu ist die LL-Variante ein laues Lüftchen.

Ach, war trotzdem geil, die Geschichte mal richtig vorzulesen.
Und schön, dass sie bei Dir so gut angekommen ist.

Also, lapi, ja nicht die LL-Variante nach dem bewerten, was du auf der Bucon von mir gehört hast. Wäre nicht gerecht.

Auf jedenfall danke für die haarsträubend gute Kritik,

Grüsse Marcus
 



 
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