Figurenentwicklung

Magic Magor

Mitglied
Ich habe leider noch recht wenig Erfahrung darin Figuren für Kurzgeschichten zu entwickeln. (genauer gesagt gar keine *g*)

Für meinen Roman habe ich die Figuren recht gut ausgearbeitet (meine ich jedenfalls) also auch mit Kurzbiographie und so weiter.
Meine Frage:
Lohnt sich das auch für eine Kurzgeschichte, die nur ein par Seiten lang ist, oder gibt es dort andere Möglichkeiten Figuren zu entwickeln?

Wie handhabt ihr das?
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Magic,

ich persönlich arbeite jede Figur die namentlich in meinen Texten benannt werden komplett aus.

Marc hat in den Fingerübungen dazu eine Übung eingestellt: Charakterbeschreibung. Versuch doch mal dort ein paar Figuren darzustellen. Es lohnt sich auf jeden Fall in einer Kurzgeschichte der Figur einen Charakter zugeben, nein - es lohnt sich nicht, es muß sogar sein, denn sonst fürchte ich das die Geschichte keinen Gehalt hat.

Ich wünsche dir viel Spaß beim charakterisieren und so *gg*

liebe Grüße
Reneè
 

ex-mact

Mitglied
Moin,

ich denke, daß es aus Übungsgründen sinnvoll sein kann, "fast immer" Character-Studien anzulegen. Zum Beispiel die "handelsüblichen Protagonisten-Checklisten" (ich werde demnächst zu diesem Thema im Theorie-Forum nochmal was tippern...) sind durchaus eine nützliche Erfindung, im Darstellen und Erschaffen von Charakteren Routine zu bekommen.

Für Kurzgeschichten ist es jedoch nicht immer notwendig, den Charakter detailiert auszuarbeiten, oft reicht es ja, auf Klischees ("Stereotypen", "Archetypen") zurückzugreifen, wenn man statt einer Charakterstudie eine Idee (Plot, Dilemma etc) darstellen will. Es hängt - natürlich - vom Texttypen ab, wie "tief" ein Charakter sein muss (und damit wie detailiert man ihn unsichtbar ausarbeiten sollte). Besonders SF-Stories sind selten Charakter-Stories, meist transportieren sie Ideen (siehe auch meinen Text hier zu den Story-Typen). Darum sind viele SF-Romane mit zweidimensionalen, flachen Protagonisten ausgestattet (nicht zuletzt auch STAR WARs, STAR TREK etc).

Wie immer sollte die Regel gelten: es ist gut, die Regeln zu kennen und anwenden zu können - wenn man sie schließlich bewusst bricht.
 
W

willow

Gast
Guten Morgen,

also meiner Meinung nach ist es immer gut, seine Figuren genau zu kennen. Das lässt sie lebendiger erscheinen, glaubwürdiger und verhindert zudem auch, dass sich logische Fehler oder Ungereimtheiten einschleichen.

Ich denke schon, dass es gerade in Kurzgeschichten, wo ein Character auf wenigen Seiten geschildert werden muss, wichtig ist, eine komplette Biographie zu haben. Selbst in Fantasygeschichten reicht es meiner Ansicht nach nicht, einfach nur die Idee zu transportieren und sich bei der Charakterisierung auf vorhandene Klischees zu berufen. Schließlich ist in jeder Story der Handelnde zentraler Punkt der Geschichte. Der Leser möchte eintauchen, sich identifizieren können und nicht vorgekaute Stereotype, die nichtssagend durch die Gegend jagen. Der Konflikt - das Kernstück einer jeden Geschichte - wird vom Protagonisten getragen und von seinem Gegenspieler (das kann durchaus er selbst, Umfeldbedingungen oder eine Sache oder Idee sein) ausgelöst.

Kurzum:
Für mich ist der Charakter am wichtigsten, denn er trägt die Geschichte. Und von daher versuche ich, großen Wert auf seine Darstellung zu legen... (nicht, dass mir das jemals wirklich gelungen wäre... ;))

Woran erinnern wir uns, wenn wir eine Geschichte gelesen haben? Also, oft genug kann ich mich nicht mehr an die genauen Gegebenheiten erinnern... aber meinen Helden, der mich begleitet und mir einen häufig sehr persönlichen Einblick in sein Leben erlaubt hat, den vergesse ich nicht so schnell.

Zur Beschreibung von Charakteren las ich im Gesing (oder war es Stein???), dass man diese am besten durch ihre Handlungen beschreibt...

Also nicht: "Sie hatte langes, braunes Haar."
Sondern lieber: "Lässig warf sie ihre langen, kastanienbraunen Haare zurück!"

Vielleicht nicht ganz so gelungen, dieses Beispiel, aber ich habe noch ein besseres... Renee hatte in ihrer Kurzgeschichte eine supergute Beschreibung ihres Stiefvaters gegeben...ich würde sie gerne ungefragt zitieren (und hoffe, Renee hat nichts dagegen):

Ursprünglich veröffentlicht von Renee Hawk
"...Als er vor knapp dreiundzwanzig Jahren in ihr Leben trat, empfand sie es als Glücksmoment. Heute dachte sie oft an ihn, und wie stolz sie war. Hatte er sie doch zu dem Menschen gemacht, der sie heute ist. Wesentliche Grundzüge hatte sie von ihm gelernt. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Mut, Toleranz und den Sinn für Gerechtigkeit.
„Hier hast du ein paar Mark. Morgen hat Mutti Geburtstag. Sie würde sich über ein Buch von Konsalik und einen Blumenstrauß freuen.“, hatte er gesagt und legte ihr einen Zwanzigmarkschein auf den Esstisch.
Sie war damals dreizehn Jahre alt und in einer ‚schwierigen Phase’, wie Mutter es nannte. Sie war damals schon depressiv..."
Diese Geste mit dem Zwanzigmarkschein, der Tipp für das Geschenk... mehr muss man von diesem Mann nicht wissen, um sich sofort ein Bild von ihm zu machen....

Das Beschreiben der äußeren Merkmale einer Figur machen diese nicht wirklich lebendig... sie können ein grobes Bild zeichnen, wie ein ungeschicktes Portrait. Es sind die individuellen Merkmale, die einen Charakter aufleben lassen, die Lachfältchen um den Mund oder die groben Arbeiterhände, bestimmte Bewegungen oder eben wie in Renees Fall eine Geste.

Einen nächtlichen Gruß,

willow
 

Eberhard

Mitglied
Kurzgeschichten......

Hallo alle zusammen,

nun muß ich auch mal ein bisschen etwas zum Thema erzählen. Leider ist mein theoretisches Wissen umfangreicher als meine praktischen Erfahrungen. Nichtsdestoweniger fängt man seinen Führerschein eben auch mit der Theorie an und endet mit der praktischen Fahrprüfung ;)

Lieber Magic,
die Frage die du stellst finde ich wirklich sehr interessant. Immerhin gibt es hierzu ja auch einige unterschiedliche Meinungen.
Explizit in der Kurzgeschichte sollte bzw. müßte und das sogar die wichtigste Figur, nur einen Charakterzug aufweisen. Dieser Charakterzug darf sich innerhalb der Kurzgeschichte auch nicht grundsätzlich ändern. Natürlich wäre diese Anforderung für eine Romanfigur geradezu lächerlich, denn der Roman oder die Geschichte wächst ja eben an der Veränderung der Charaktere (aus einem Feigling wird ein Held, aus Scrooge in "Ein Weihnachstlied in Prosa" wird aus einem Geizkragen ein hilfsbereiter und spendabler Mensch etc.)
Zur Kurzgeschichte passt es nicht. Der Leser würde zu verwirrt werden.
Allerdings muß gerade dieser eine Wesenszug vom Autor auf das sorgfältigste ausgearbeitet sein.
Er muß sich mannigfaltig in Gebärde, Redeweise und Handeln widerspiegeln, so als das man einen geschliffenen Diamanten von reinster Klarheit zu erblicken glaubt, der seine Klarheit nach allen Seiten ausstrahlt, in immer neuen Farbbrechungen, doch immer wieder die gleiche Klarheit.
Der Leser muß sich in diesem einen Wesenszug unwillkürlich andere, damit übereinstimmende oder verwandte Züge hinzudenken und sich sogar eine ganz bestimmte Vorstellung von der äußeren Erscheinung der Figur machen.
Zur Verdeutlichung heißt es, die Kurzgeschichte ist wie ein Eisberg, wie von diesem nur der kleinste Teil sichtbar sei und die eigentliche Masse unsichtbar unter Wasser schwimme, so müsse man bei der Kurzgeschichte immer ahnen, spüren, dass hinter dem Gesagten oder Getanen noch das Eigentliche, das Tragende steckt.

Zur Kurzgeschichte allgemein, gibt es bestimmt noch viel mehr zu erzählen...eine meiner Meinung nach das Wesen der Kurzgeschichte alles erklärende, stammt von Kleist "Anekdote aus dem preußischen Kriege

Sorry, wenn das zu "Besserwisserisch" erscheint....
 
L

loona

Gast
Hi Magic Magor...

ich schreibe meist Kurzes und ich mache mir vorher keine Charakterstudien. Trotzdem hab ich natürlich Vorstellungen von meinen Handelnden. Aber die bleiben unaufgeschrieben. In der späteren Auseinandersetzung mit Rezipienten-Sichtweisen entdecke ich so auch Facetten an "meinen" fiktiven Persönlichkeiten, an die ich nicht gedacht hatte, als ich sie (be-)schrieb - die aber trotzdem einen stimmigen Charakter ergeben. Ich muß sagen, der Gedanke an ein Biographie- und Charakterblatt würde mir diese spätere Entdeckung sicherlich nehmen, denn er würde (mir!) die Umsetzung der Inspiration nehmen und mein Schreiben zur reinen Technik transformieren.

Für längere Geschichten habe ich durchaus schon kleine Merkdateien auf dem PC: einen groben Entwurf im Vorhinein, einige Daten währenddessen gesammelt, Veränderungen immer wieder zulässig.

Ach so, vielleicht sollte ich erwähnen, daß für mich ein stimmiger Charakter Widersprüchlichkeit nicht ausschließt. Es muß nur zur passenden Zeit passieren ;-)

In diesem Sinne, fröhliches Erfahrungsaustauschen noch...

loona mit Gruß
 

Criss Jordan

Mitglied
Also, ich sach da auch ma was:

Ich bin eigentlich ein entschiedener Gegner von "Personaldatein" für Geschichten. Ich habe immer das Gefühl, das macht Geschichten steif und träge (ähm, ich rede jetzt von MEINEN Geschichten). Ich habe es mal versucht, weil mir auch jemand sagte: "Jaaaa! das musst du haben, sonst geht gar nix!" Diese jene Geschichte ist mir unter den Händen weggestorben, schon beim dritten Absatz. Ich glaube, dass man es mit "Personaldateien" halten sollte wie mit allem in der Kunst, der eine brauchts, dem andern liegts und der dritte kann damit gar nix anfangen. Übersetzt soll das heissen: Machs so, wie es deine Geschichten (und du) benötigen, dabei kann das auch bei einem Autor von Story zu Story variieren.
War nicht sehr hilfreich, was?

Criss
 

ex-mact

Mitglied
Man sollte deutlich zwischen Kurzgeschichten (die ABGESCHLOSSEN sind) und längeren Werken (Novellen, Romanen etc) oder fortgesetzten Geschichten unterscheiden.

Bei abgeschlossenen "Schlaglichtern" ist vermutlich ein Charakterblatt überflüssig, da man sich ohnehin (bewusst oder unbewusst) an realen Menschen orientiert und sich recht sicher sein kann, Besonderheiten im Griff zu haben.

Bei allem anderen aber merkt der intelligente Leser es, wenn der Autor "beim Schreiben etwas dazuspinnt" - und das macht den Text kaum besser. So lange man sich an real existierenden Vorgaben entlang hangelt - was die allermeisten Autoren nahezu immer tun - wird es vielleicht gut gehen. Aber wehe, eine Figur braucht für das zu Erzählende besondere Eigenarten, die beim ersten Auftreten des Charakters noch nicht angelegt, angedeutet waren - der Text wird im Resultat uneinheitlich und die Figuren unlebendig werden - oder der Autor muss in unnötig hohem Maße nacharbeiten (und korrigieren, was sich durch spätere Veränderungen der Figuren am Anfang als "unzutreffend" erweist).

Letztlich gilt doch: je mehr Arbeit man sich vorher macht, um so weniger muss man "hinterher" in Ordnung bringen.

Es muss kein "Charakterblatt" sein - aber wer seine Charaktere sich nur nebenbei entwickeln lässt, bekommt nur selten eine stimmige Figur hin - und wer sich Besonderheiten nicht speziell merkt (notiert oder wie auch immer), nimmt seine Figuren nicht ernst - und damit den Leser.
 

Antaris

Mitglied
Kurze Geschichten

Hallo Magic Magor,

für eine Kurzgeschichte ist eine Handlung unerlässlich. Wenn sich Deine Figuren nicht bewegen, schreibst Du eher eine Glosse als eine Kurzgeschichte (was ich natürlich überhaupt nicht schlimm finde solange der Text gut ist :D). Die Handlung sollte auch nicht allzu kompliziert sein, ein Handlungsstrang reicht meistens.

Bist Du Dir sicher, dass die Vorgehensweise stimmt, sich zuerst Gedanken um die Textgattung und dann erst über den Inhalt zu machen? Wenn ich weiß was ich erzählen will schreibe ich einfach drauflos, und was daraus wird, wird es eben.

Wenn Du aber speziell Kurzgeschichten schreiben üben willst, kannst Du versuchen, gezielt auf einen bestimmten Schluss hinzuerzählen. Das kann ein einzelner Satz sein, den Du an den Schluss setzt, oder eine bestimmte Szene.

Marc hat natürlich recht, aber wenn Du Deine Figuren sehr gut kennst - so gut wie Deine Freunde, Kollegen und Nachbarn - kannst Du Dir auch das Karteisystem sparen. Es spricht auch nichts dagegen, Figuren, die Du schon aus einer anderen Geschichte kennst, nochmal in einer Kurzgeschichte auftreten zu lassen. Du kannst sie notfalls mit einem anderen Personalausweis, anderer Frisur, etc. ausstatten.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 

Atlantis

Mitglied
Hi!
ich misch mich mal ein. - obwohl ich hier neu bin.. hoffe, es ist erlaubt?!erwünscht?
ich schreibe schon seit ein paar Jahren und habe zig Charaktere zu Papier gebracht .. mit unterschiedlichem Erfolg natürlich.
meine Erfahrung damit ist, daß es mir nicht viel hilft, einen Charakter auszuarbeiten. Ich fühle mich lieber hinein - in die Charaktere, auf die ich in der jeweiligen Geschichte Wert lege.
Ich lasse meine (Haupt-)Charaktere leben. Dabei laufen sie mir manchmal aus der Feder. Dann machen sie sich selbständig und schreiben sich um einiges besser, als ich allein das je könnte.
Natürlich orientiere ich mich immer wieder ( wenn auch nicht permanent ) an meiner Umgebung. Dabei erzähle ich aber nie eine echte Person nach. Ich übernehme Charaktereigenschaften, Angewohnheiten, verändere sie, passe sie an, überteibe sie etc..
Als Vorbild dienen mir dabei in aller Regel Menschen in meinem Umfeld, aber auch Bücher, TV, etc... man könnte also sagen: die Lebenserfahrung und das, was mir meine 7 Sinne sagen. Manche Personen sind auch jemand, der ich gern wäre. Da kann man "sich" mal voll ausleben.
Das alles bedeutet für mich, daß ich keine ausgearbeiteten Charaktere brauchen kann ( wie für einen Roman, der ja ohnehin ein Konzept braucht .. ), sondern sie genauso kennenlerne, wie mein Leser oder wie es auch im echten Leben wäre.
Den Tip, Personen durch ihre Handlungen zu beschreiben, finde ich auch meist sehr sinnvoll. Wenn man schon auf eine reine Beschreibung zurückgreifen will, dann muß man das gut verpacken, damit es nicht trocken wird..
Stelle mir so vor: Eingangsszene mitten in einem Vorstellungsgespräch "So, und jetzt erzählen Sie mal was über sich!" - Da kann man eine - stark gefilterte - Selbstdarstellung bringen -- gepaart mit der inneren Seite der Person. 'Über meine ständige Unpünktlichkeit sage ich lieber nichts'.
Die innere Seite einer Person und ihre körperlichen ( nur z.T. sichtbaren ) Reaktionen sagen oft viel über jemanden aus.
Mein Vorschlag: lerne Deine Figuren kennen, wie neue Freunde oder Kollegen.

Ich hoffe, ich überschwemme Dich hier nicht mit Text.

Lieben Gruß - bis bald,

Atlantis
 



 
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