Dichter Erdling
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Es herrscht eine bedrückte Stimmung im Kino, während der Abspann über die schwarze Leinwand läuft. Da ist kein Happy End, das die Zuschauer nach der harten Filmkost trostreich aus dem Saal entlässt.
„No Other Land“* dokumentiert eine Wirklichkeit, die für sich genommen nur wenig Raum für Hoffnung gibt.
Der preisgekrönte Film zeigt, was dieser Tage im besetzten Westjordanland geschieht.
Palästinensische Siedlungen, welche schon seit Generationen bestehen, werden nach und nach von der israelischen Armee, von den Besatzern plattgemacht.
Welches Haus, welches Dorf wohl als nächstes dran ist? Man weiß es nicht.
Immer wieder rollen Bulldozer heran, im Konvoi mit gepanzerten Fahrzeugen und uniformierten Soldaten, die ihr Gesicht hinter Sturmhauben verbergen. Mit ihrer schweren Bewaffnung, den Schutzwesten und Protektoren wirken sie übermächtig stark und unbesiegbar, wie sie gegen die Zivilisten, Familien vorgehen. Erbarmungslos. Unnahbar.
Die Mauern der einfachen Häuser sind schnell niedergerissen, Dächer fallen zu Boden – und wieder ist ein Zuhause zerstört. Kaum wird den Bewohnern Zeit gegeben, zumindest noch ein paar Habseligkeiten zu retten.
Die Hauseigentümer können nur tatenlos zusehen, wie sich ihr Lebensmittelpunkt in einen Haufen Schutt verwandelt. Es ist egal, wie sie wehklagen oder schreien.
„Was ist, wenn es dein Haus wäre?“ ruft einer der Betroffenen vorwurfsvoll. Andere beschimpfen die Vollstrecker. „Soll dir der Bulldozer auf den Kopf fallen!“ verflucht eine ältere Palästinenserin die Zerstörer – mehr kann sie nicht tun, sofern sie nicht erschossen werden will.
Ein anderer Mann sagt, er wohne schon immer, seit über 70 Jahren, seit seiner Geburt hier, wohin solle er gehen?
„Das ist unseres, wir haben kein anderes Land“ heißt es einmal; das war denn auch maßgeblich für den Filmtitel. No other land.
Die angesprochenen Soldaten, die entschlossen von Haus zu Haus gehen, um zu verwüsten, reagieren nicht auf die Einwände oder das Flehen der Verzweifelten, denen sie das Obdach nehmen. Immer wieder drängen sie die Palästinenser von sich weg, ins Abseits, wo diese die Zerstörung ohnmächtig ertragen müssen.
„Zurück! Zurück“ ist tatsächlich die am häufigsten gebrauchte Phrase der Uniformierten, als wollten sie die aufgebrachten, verzagten Menschen vor Ort wie auch ein Gewissen nicht an sich heranlassen. Sich selbst sehen sie wohl nur als Vollstrecker von Rechtmäßigkeiten. Sie befolgen Befehle, wie das Soldaten nun mal tun.
Und der Befehl lautet: Kaputtmachen.
Kaputt ist der Hühnerstall. Die Tiere: tot. Ein kleines Täubchen hat überlebt; die Kamera zoomt in den Bauschutt, um den verängstigten Vogel zu zeigen.
Später fallen bewaffnete Siedler ein, Seite an Seite mit der israelischen Armee. Sie sind teilweise mit weißen Tüchern vermummt, was unwillkürlich an den Ku-Klux-Klan denken lässt. Entsprechend gewaltbereit treten sie auf, vertreiben die Bewohner und nehmen sich das Land, wie es ihnen gefällt. Sie scheinen besonders unberechenbar.
Es wird deutlich: Wer die Waffe in der Hand hält, hat die Macht. Die Macht des Stärkeren.
Die Macht zeigt sich auch daran, dass die israelischen Besatzer die Gesetze machen, die Bedingungen diktieren.
Das gesamte Gebiet hat man dereinst per Federstrich zu „militärischem Übungsgebiet“ erklärt – damit erklärt man die ansässigen Bewohner zu Illegalen.
Diese finden sich einer Willkür ausgesetzt, gegen die sie sich nicht wehren können und die sich vielfach zeigt.
„Es gibt grüne Autokennzeichen und gelbe, palästinensische und israelische“ erfährt man an einer Stelle im Film. Israeli können sich frei bewegen, Palästinenser dürfen die Besatzungszone nicht oder nur mit Ausnahmegenehmigung verlassen.
Die Gesetze gelten eben nicht für alle gleich.
Die Aufnahmen, die man sieht, sind echt und nicht gespielt.
Besonders erschütternd ist jene Szene, da sich ein Mann, dem man soeben das Haus in Schutt und Asche gelegt hat, an einen Stromgenerator klammert.
Den sollen die Zerstörer nicht auch noch bekommen, der ist für die Familie, fürs Überleben zu wichtig! Der Mann widersetzt sich, unbewaffnet, nur indem er an dem Gerät festhält – da wird auf ihn geschossen. Aus nächster Nähe, unvermittelt, direkt vor seinen Angehörigen. Hinterher ist er vom Hals abwärts gelähmt und fristet seine Tage in einer Höhle, in die sich die obdachlos gewordene Familie flüchten muss. Die Mutter pflegt ihn, so gut es eben geht. Sie ist verzweifelt, weint.
Eine der vielen Szenen, die auch dem Zuschauer Tränen ins Gesicht treiben können. Tränen des Mitgefühls und, ja, auch der Wut in Anbetracht von so viel kalter Grausamkeit.
Das Besondere an diesem Film ist, dass er ein palästinensisch-israelisches Gemeinschaftswerk ist.
Es ist kein wütender Film, im Gegenteil. Er ist im Grundton versöhnlich und zugewandt.
Die beiden Regisseure, der Palästinenser Basel Adra und der Israeli Yuval Abraha, sind Freunde geworden. Gemeinsam engagieren sie sich gegen das Unrecht, das so lange schon vonstattengeht.
Ihre „Waffen“ sind ihre Kameras und das geschriebene Wort.
Sie möchten die Welt aufrütteln.
Sie kämpfen für eine bessere Zukunft, in der es allen gut gehen soll, Palästinensern und Israelis gleichermaßen. Der Weg dahin ist noch weit, ist schwer – aber sie gehen ihn, gehen voran.
Zunächst schlägt dem jungen Israeli, der sich in die Besatzungszone wagt, um zu dokumentieren, Misstrauen entgegen. Aber er hilft mit, Häuser wiederaufzubauen, er bleibt präsent und kann glaubhaft machen, dass er nicht einverstanden ist mit dem, was hier im Namen Israels geschieht. Schließlich befreundet er sich mit dem gleichaltrigen Dokumentarfilmer und Aktivisten Basel Adra.
Mehrmals im Film zeigt sich, wie unterschiedlich an Rechten und Würde die beiden jungen Männer effektiv sind. Der Israeli kann die Besatzungszone jederzeit wieder verlassen, während Basel Adra in der Besatzungszone festsitzt.
„Ich gehe jetzt nach Hause, duschen“ sagt der staubbedeckte Yuval Abraha in der einen Sequenz, in der er beim Wiederaufbau mitgeholfen hat. Wo wohl die Familie duschen wird, nachdem Baggerschaufeln ihr Badezimmer dem Erdboden gleichgemacht haben? Das Bad war nicht gleich kaputt, nochmal extra musste es zerquetscht werden, mit roher Gewalt.
Das, was die Dokumentarfilmer getan haben – filmen und dokumentieren – war indes ganz schön gefährlich.
Im Film sieht man, wie Basel Adra beschimpft, misshandelt und geschlagen wird. „Wen filmst du hier, du Hurensohn!“ schreit ihm ein israelischer Soldat ins Gesicht, man schleift ihn weg.
Basels ebenfalls aktivistischer Vater wird wiederholt festgenommen, abgeführt, eingesperrt.
Zweifel und Resignation sind im Film allgegenwärtig. Hat es überhaupt einen Sinn, was sie hier tun? Besonders der Palästinenser fragt sich. „Ich muss mehr Artikel schreiben“ meint indes der Israeli, der oftmals optimistischer scheint, dass sich etwas zum Besseren wenden kann. „Irgendwann kommst DU MICH besuchen“, träumt er sich vorwärts.
Gemeinsam organisieren sie Demonstrationen und friedlichen Protest gegen Israels Siedlungspolitik, auch wenn derlei Bemühung von den Machthabern immer wieder zerschlagen wird.
Ihren Erfolg messen die beiden an Klickzahlen im Internet oder dass kritische Medien wie „Democracy now!“ ihre Beiträge aufnehmen. Bis in die Leitmedien allerdings schaffen sie es kaum, was sie auch mehrfach beklagen.
Mit dem preisgekrönten Film könnte sich das ändern, das ist die Hoffnung.
Dass der Film bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, ist zunächst ein gutes Signal.
Der Film ist ein großer Schritt hin zur Wahrnehmung einer Weltöffentlichkeit, hin zu einer Veränderung.
Hoffnungsfroh ist auch, dass hier zwei junge Männer Seite an Seite stehen, sich die Hände reichen und sich verbrüdern, obwohl sie aus verfeindeten Lagern stammen.
Was sie zeigen, ist tiefste Menschlichkeit – und Menschen.
Sie geben den Palästinensern, die ansonsten nur anonyme Kennzahlen in der medialen Landschaft sind (heute wieder xy Palästinenser getötet) oder meist mit Terrorismus assoziiert werden, ein Gesicht.
Das Gesicht einer Oma, die sich liebevoll mit der Enkelin einkuschelt. Einer Frau, die dem Kätzchen ein Schälchen Milch hinstellt, obwohl sie selbst soeben alles verloren hat. Des Mannes, der das mit lachenden Kindern besetzte Karussell am Spielplatz dreht (der Spielplatz, die Schule wird schlussendlich auch noch zerstört). Das Gesicht, das die Tochter weinend in ihren Händen verbirgt, während ihr Zuhause eingestampft wird. Der Vater streicht ihr hilflos über den Hinterkopf.
Sie alle möchten leben und lieben und frei sein, gleichberechtigt, ohne Angst.
Man wünscht es ihnen, wenn man den Film gesehen hat.
Man kriegt eine Ahnung, dass es keine gute Zukunft gibt, wo die Waffen ständig kampfbereit in der Hand gehalten werden, wo man sich als Feinde und Rivalen und als ungleich betrachtet.
Mir ging es so – und vielen anderen vermutlich auch.
Soweit zur Hoffnung.
Weniger hoffnungsfroh allerdings ist die Tatsache, dass die Zerstörungen, Vertreibungen und Unterdrückung im Westjordanland fortwährend zunehmen und zuletzt einen traurigen Höchststand erreicht haben. Tausende Fälle summieren sich, dazu die Situation in Gaza, für die schon lange die Worte fehlen.
Nach dem Überfall der Hamas am 07. 10. 2023 – den man ja allemal anklagend erwähnen muss, um in der Sache überhaupt mitreden zu dürfen (als wäre dieser Tag der Anfangspunkt des Konflikts) - ist alles nochmal schlimmer geworden. Gewalt und Gegengewalt, nur immer übler.
In einem unvorstellbar gewaltvollen Racheakt holen die Israeli seither zum Jetzt-erst-Recht-Rundumschlag aus.
So viele Tote! Leichenberge.
So viel Zerstörung! Das Land und die Menschen zerfallen zu Staub.
Statt Druck rauszunehmen: Immer mehr Druck, noch mehr Hitze, Feuer von allen Seiten, bis die Gewalt immer heftiger explodiert.
Auch wenn der Internationale Gerichtshof (IGH) die israelische Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten längst als Verstoß gegen das Völkerrecht eingestuft hat, wird diese Politik unerbittlich weitergeführt. Auch nachdem der IGH die Klage wegen Völkermordes als plausibel ansah und Haftbefehle gegen führende israelische Politiker beantragte, ging das Morden in Gaza unvermindert weiter.
Die Weltöffentlichkeit schaut tatenlos zu oder schaut weg.
Am Ende des Films fallen die Bulldozer auch im Dorf des Regisseurs ein. Das ist der traurige Schluss.
Die Rezeption des Films gibt schließlich auch nicht grade Grund zur Hoffnung.
Weil einer der Regisseure die Dinge beim Namen nennt, wenn es darum geht, wie unterschiedlich Recht, Gesetz oder Freiheit für Israeli und Palästinenser gelten (er hat „Apartheid“ gesagt), hat man im Anschluss daran sogleich die Antisemitismus-Keule ausgepackt - auch wenn es der Israeli war, der im Interview so „frevelhaft“ gesprochen hat. Darüber wurde fortan diskutiert – und nicht über das, was der Film zeigt.
Es ist zum Haare raufen.
Das Traurigste, was ich in dem Zusammenhang gehört habe, stammt aber von der deutschen Kulturministerin.
Sie war anwesend, als der Film auf der Berlinale ausgezeichnet wurde und hat in diesem Moment dem Regie-Duo auf der Bühne tatsächlich applaudiert. Also, zuerst noch.
Später allerdings distanzierte sie sich von ihrem Applaus für die Auszeichnung des Films auf der Berlinale „und stellte klar, dass ihr Applaus nur dem jüdisch-israelischen Regisseur Yuval Abraham gedient habe, nicht dem palästinensischen Regisseur Basel Adra“**.
Das muss man sich einmal vorstellen:
Da schaffen es ein Palästinenser und ein Israeli, allen Widrigkeiten und Gefahren zum Trotz gemeinsam so ein Filmprojekt auf die Bühne zu bringen, sich mutig auf die Seite von Menschlichkeit und Recht zu schlagen, das Verbindende vor das Trennende zu stellen – und so eine deutsche Polit-Frau im sicheren, warmen Festspielhaus schafft es noch nicht mal, eben dafür in die Hände zu klatschen, ohne sich hinterher erklären und widerrufen zu müssen.
Das kann einem schon mal die letzte Hoffnung rauben.
Als wolle die Kulturministerin sagen: „Applaus für einen Palästinenser, das geht doch nicht, das ist doch falsch! Nein, nein, nur für die andere Seite, die eine, die ‚richtige‘ will ich, darf ich, kann ich klatschen…“
Ich fürchte, die Frau hat den Film – und vieles, vieles mehr - so überhaupt gar kein bisschen verstanden.
Info:
Der Film „No Other Land“ hatte im Februar 2024 auf der Berlinale seine Weltpremiere in der Sektion Panorama und wurde mit dem Berlinale Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Im selben Jahr gewann das Werk den Europäischen Filmpreis.
„No Other Land“ sollte seit November 2024 in den deutschen Kinos anlaufen, seit 24. 01. 2025 läuft er in Österreich.
Quellen:
* https://www.youtube.com/watch?v=5yJFc9nc1mU (NO OTHER LAND Trailer German Deutsch, 2024)
** https://de.wikipedia.org/wiki/No_Other_Land#Reaktionen_in_Deutschland (Wikipedia: No Other Land, Reaktionen in Deutschland)
„No Other Land“* dokumentiert eine Wirklichkeit, die für sich genommen nur wenig Raum für Hoffnung gibt.
Der preisgekrönte Film zeigt, was dieser Tage im besetzten Westjordanland geschieht.
Palästinensische Siedlungen, welche schon seit Generationen bestehen, werden nach und nach von der israelischen Armee, von den Besatzern plattgemacht.
Welches Haus, welches Dorf wohl als nächstes dran ist? Man weiß es nicht.
Immer wieder rollen Bulldozer heran, im Konvoi mit gepanzerten Fahrzeugen und uniformierten Soldaten, die ihr Gesicht hinter Sturmhauben verbergen. Mit ihrer schweren Bewaffnung, den Schutzwesten und Protektoren wirken sie übermächtig stark und unbesiegbar, wie sie gegen die Zivilisten, Familien vorgehen. Erbarmungslos. Unnahbar.
Die Mauern der einfachen Häuser sind schnell niedergerissen, Dächer fallen zu Boden – und wieder ist ein Zuhause zerstört. Kaum wird den Bewohnern Zeit gegeben, zumindest noch ein paar Habseligkeiten zu retten.
Die Hauseigentümer können nur tatenlos zusehen, wie sich ihr Lebensmittelpunkt in einen Haufen Schutt verwandelt. Es ist egal, wie sie wehklagen oder schreien.
„Was ist, wenn es dein Haus wäre?“ ruft einer der Betroffenen vorwurfsvoll. Andere beschimpfen die Vollstrecker. „Soll dir der Bulldozer auf den Kopf fallen!“ verflucht eine ältere Palästinenserin die Zerstörer – mehr kann sie nicht tun, sofern sie nicht erschossen werden will.
Ein anderer Mann sagt, er wohne schon immer, seit über 70 Jahren, seit seiner Geburt hier, wohin solle er gehen?
„Das ist unseres, wir haben kein anderes Land“ heißt es einmal; das war denn auch maßgeblich für den Filmtitel. No other land.
Die angesprochenen Soldaten, die entschlossen von Haus zu Haus gehen, um zu verwüsten, reagieren nicht auf die Einwände oder das Flehen der Verzweifelten, denen sie das Obdach nehmen. Immer wieder drängen sie die Palästinenser von sich weg, ins Abseits, wo diese die Zerstörung ohnmächtig ertragen müssen.
„Zurück! Zurück“ ist tatsächlich die am häufigsten gebrauchte Phrase der Uniformierten, als wollten sie die aufgebrachten, verzagten Menschen vor Ort wie auch ein Gewissen nicht an sich heranlassen. Sich selbst sehen sie wohl nur als Vollstrecker von Rechtmäßigkeiten. Sie befolgen Befehle, wie das Soldaten nun mal tun.
Und der Befehl lautet: Kaputtmachen.
Kaputt ist der Hühnerstall. Die Tiere: tot. Ein kleines Täubchen hat überlebt; die Kamera zoomt in den Bauschutt, um den verängstigten Vogel zu zeigen.
Später fallen bewaffnete Siedler ein, Seite an Seite mit der israelischen Armee. Sie sind teilweise mit weißen Tüchern vermummt, was unwillkürlich an den Ku-Klux-Klan denken lässt. Entsprechend gewaltbereit treten sie auf, vertreiben die Bewohner und nehmen sich das Land, wie es ihnen gefällt. Sie scheinen besonders unberechenbar.
Es wird deutlich: Wer die Waffe in der Hand hält, hat die Macht. Die Macht des Stärkeren.
Die Macht zeigt sich auch daran, dass die israelischen Besatzer die Gesetze machen, die Bedingungen diktieren.
Das gesamte Gebiet hat man dereinst per Federstrich zu „militärischem Übungsgebiet“ erklärt – damit erklärt man die ansässigen Bewohner zu Illegalen.
Diese finden sich einer Willkür ausgesetzt, gegen die sie sich nicht wehren können und die sich vielfach zeigt.
„Es gibt grüne Autokennzeichen und gelbe, palästinensische und israelische“ erfährt man an einer Stelle im Film. Israeli können sich frei bewegen, Palästinenser dürfen die Besatzungszone nicht oder nur mit Ausnahmegenehmigung verlassen.
Die Gesetze gelten eben nicht für alle gleich.
Die Aufnahmen, die man sieht, sind echt und nicht gespielt.
Besonders erschütternd ist jene Szene, da sich ein Mann, dem man soeben das Haus in Schutt und Asche gelegt hat, an einen Stromgenerator klammert.
Den sollen die Zerstörer nicht auch noch bekommen, der ist für die Familie, fürs Überleben zu wichtig! Der Mann widersetzt sich, unbewaffnet, nur indem er an dem Gerät festhält – da wird auf ihn geschossen. Aus nächster Nähe, unvermittelt, direkt vor seinen Angehörigen. Hinterher ist er vom Hals abwärts gelähmt und fristet seine Tage in einer Höhle, in die sich die obdachlos gewordene Familie flüchten muss. Die Mutter pflegt ihn, so gut es eben geht. Sie ist verzweifelt, weint.
Eine der vielen Szenen, die auch dem Zuschauer Tränen ins Gesicht treiben können. Tränen des Mitgefühls und, ja, auch der Wut in Anbetracht von so viel kalter Grausamkeit.
Das Besondere an diesem Film ist, dass er ein palästinensisch-israelisches Gemeinschaftswerk ist.
Es ist kein wütender Film, im Gegenteil. Er ist im Grundton versöhnlich und zugewandt.
Die beiden Regisseure, der Palästinenser Basel Adra und der Israeli Yuval Abraha, sind Freunde geworden. Gemeinsam engagieren sie sich gegen das Unrecht, das so lange schon vonstattengeht.
Ihre „Waffen“ sind ihre Kameras und das geschriebene Wort.
Sie möchten die Welt aufrütteln.
Sie kämpfen für eine bessere Zukunft, in der es allen gut gehen soll, Palästinensern und Israelis gleichermaßen. Der Weg dahin ist noch weit, ist schwer – aber sie gehen ihn, gehen voran.
Zunächst schlägt dem jungen Israeli, der sich in die Besatzungszone wagt, um zu dokumentieren, Misstrauen entgegen. Aber er hilft mit, Häuser wiederaufzubauen, er bleibt präsent und kann glaubhaft machen, dass er nicht einverstanden ist mit dem, was hier im Namen Israels geschieht. Schließlich befreundet er sich mit dem gleichaltrigen Dokumentarfilmer und Aktivisten Basel Adra.
Mehrmals im Film zeigt sich, wie unterschiedlich an Rechten und Würde die beiden jungen Männer effektiv sind. Der Israeli kann die Besatzungszone jederzeit wieder verlassen, während Basel Adra in der Besatzungszone festsitzt.
„Ich gehe jetzt nach Hause, duschen“ sagt der staubbedeckte Yuval Abraha in der einen Sequenz, in der er beim Wiederaufbau mitgeholfen hat. Wo wohl die Familie duschen wird, nachdem Baggerschaufeln ihr Badezimmer dem Erdboden gleichgemacht haben? Das Bad war nicht gleich kaputt, nochmal extra musste es zerquetscht werden, mit roher Gewalt.
Das, was die Dokumentarfilmer getan haben – filmen und dokumentieren – war indes ganz schön gefährlich.
Im Film sieht man, wie Basel Adra beschimpft, misshandelt und geschlagen wird. „Wen filmst du hier, du Hurensohn!“ schreit ihm ein israelischer Soldat ins Gesicht, man schleift ihn weg.
Basels ebenfalls aktivistischer Vater wird wiederholt festgenommen, abgeführt, eingesperrt.
Zweifel und Resignation sind im Film allgegenwärtig. Hat es überhaupt einen Sinn, was sie hier tun? Besonders der Palästinenser fragt sich. „Ich muss mehr Artikel schreiben“ meint indes der Israeli, der oftmals optimistischer scheint, dass sich etwas zum Besseren wenden kann. „Irgendwann kommst DU MICH besuchen“, träumt er sich vorwärts.
Gemeinsam organisieren sie Demonstrationen und friedlichen Protest gegen Israels Siedlungspolitik, auch wenn derlei Bemühung von den Machthabern immer wieder zerschlagen wird.
Ihren Erfolg messen die beiden an Klickzahlen im Internet oder dass kritische Medien wie „Democracy now!“ ihre Beiträge aufnehmen. Bis in die Leitmedien allerdings schaffen sie es kaum, was sie auch mehrfach beklagen.
Mit dem preisgekrönten Film könnte sich das ändern, das ist die Hoffnung.
Dass der Film bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, ist zunächst ein gutes Signal.
Der Film ist ein großer Schritt hin zur Wahrnehmung einer Weltöffentlichkeit, hin zu einer Veränderung.
Hoffnungsfroh ist auch, dass hier zwei junge Männer Seite an Seite stehen, sich die Hände reichen und sich verbrüdern, obwohl sie aus verfeindeten Lagern stammen.
Was sie zeigen, ist tiefste Menschlichkeit – und Menschen.
Sie geben den Palästinensern, die ansonsten nur anonyme Kennzahlen in der medialen Landschaft sind (heute wieder xy Palästinenser getötet) oder meist mit Terrorismus assoziiert werden, ein Gesicht.
Das Gesicht einer Oma, die sich liebevoll mit der Enkelin einkuschelt. Einer Frau, die dem Kätzchen ein Schälchen Milch hinstellt, obwohl sie selbst soeben alles verloren hat. Des Mannes, der das mit lachenden Kindern besetzte Karussell am Spielplatz dreht (der Spielplatz, die Schule wird schlussendlich auch noch zerstört). Das Gesicht, das die Tochter weinend in ihren Händen verbirgt, während ihr Zuhause eingestampft wird. Der Vater streicht ihr hilflos über den Hinterkopf.
Sie alle möchten leben und lieben und frei sein, gleichberechtigt, ohne Angst.
Man wünscht es ihnen, wenn man den Film gesehen hat.
Man kriegt eine Ahnung, dass es keine gute Zukunft gibt, wo die Waffen ständig kampfbereit in der Hand gehalten werden, wo man sich als Feinde und Rivalen und als ungleich betrachtet.
Mir ging es so – und vielen anderen vermutlich auch.
Soweit zur Hoffnung.
Weniger hoffnungsfroh allerdings ist die Tatsache, dass die Zerstörungen, Vertreibungen und Unterdrückung im Westjordanland fortwährend zunehmen und zuletzt einen traurigen Höchststand erreicht haben. Tausende Fälle summieren sich, dazu die Situation in Gaza, für die schon lange die Worte fehlen.
Nach dem Überfall der Hamas am 07. 10. 2023 – den man ja allemal anklagend erwähnen muss, um in der Sache überhaupt mitreden zu dürfen (als wäre dieser Tag der Anfangspunkt des Konflikts) - ist alles nochmal schlimmer geworden. Gewalt und Gegengewalt, nur immer übler.
In einem unvorstellbar gewaltvollen Racheakt holen die Israeli seither zum Jetzt-erst-Recht-Rundumschlag aus.
So viele Tote! Leichenberge.
So viel Zerstörung! Das Land und die Menschen zerfallen zu Staub.
Statt Druck rauszunehmen: Immer mehr Druck, noch mehr Hitze, Feuer von allen Seiten, bis die Gewalt immer heftiger explodiert.
Auch wenn der Internationale Gerichtshof (IGH) die israelische Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten längst als Verstoß gegen das Völkerrecht eingestuft hat, wird diese Politik unerbittlich weitergeführt. Auch nachdem der IGH die Klage wegen Völkermordes als plausibel ansah und Haftbefehle gegen führende israelische Politiker beantragte, ging das Morden in Gaza unvermindert weiter.
Die Weltöffentlichkeit schaut tatenlos zu oder schaut weg.
Am Ende des Films fallen die Bulldozer auch im Dorf des Regisseurs ein. Das ist der traurige Schluss.
Die Rezeption des Films gibt schließlich auch nicht grade Grund zur Hoffnung.
Weil einer der Regisseure die Dinge beim Namen nennt, wenn es darum geht, wie unterschiedlich Recht, Gesetz oder Freiheit für Israeli und Palästinenser gelten (er hat „Apartheid“ gesagt), hat man im Anschluss daran sogleich die Antisemitismus-Keule ausgepackt - auch wenn es der Israeli war, der im Interview so „frevelhaft“ gesprochen hat. Darüber wurde fortan diskutiert – und nicht über das, was der Film zeigt.
Es ist zum Haare raufen.
Das Traurigste, was ich in dem Zusammenhang gehört habe, stammt aber von der deutschen Kulturministerin.
Sie war anwesend, als der Film auf der Berlinale ausgezeichnet wurde und hat in diesem Moment dem Regie-Duo auf der Bühne tatsächlich applaudiert. Also, zuerst noch.
Später allerdings distanzierte sie sich von ihrem Applaus für die Auszeichnung des Films auf der Berlinale „und stellte klar, dass ihr Applaus nur dem jüdisch-israelischen Regisseur Yuval Abraham gedient habe, nicht dem palästinensischen Regisseur Basel Adra“**.
Das muss man sich einmal vorstellen:
Da schaffen es ein Palästinenser und ein Israeli, allen Widrigkeiten und Gefahren zum Trotz gemeinsam so ein Filmprojekt auf die Bühne zu bringen, sich mutig auf die Seite von Menschlichkeit und Recht zu schlagen, das Verbindende vor das Trennende zu stellen – und so eine deutsche Polit-Frau im sicheren, warmen Festspielhaus schafft es noch nicht mal, eben dafür in die Hände zu klatschen, ohne sich hinterher erklären und widerrufen zu müssen.
Das kann einem schon mal die letzte Hoffnung rauben.
Als wolle die Kulturministerin sagen: „Applaus für einen Palästinenser, das geht doch nicht, das ist doch falsch! Nein, nein, nur für die andere Seite, die eine, die ‚richtige‘ will ich, darf ich, kann ich klatschen…“
Ich fürchte, die Frau hat den Film – und vieles, vieles mehr - so überhaupt gar kein bisschen verstanden.
Info:
Der Film „No Other Land“ hatte im Februar 2024 auf der Berlinale seine Weltpremiere in der Sektion Panorama und wurde mit dem Berlinale Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Im selben Jahr gewann das Werk den Europäischen Filmpreis.
„No Other Land“ sollte seit November 2024 in den deutschen Kinos anlaufen, seit 24. 01. 2025 läuft er in Österreich.
Quellen:
* https://www.youtube.com/watch?v=5yJFc9nc1mU (NO OTHER LAND Trailer German Deutsch, 2024)
** https://de.wikipedia.org/wiki/No_Other_Land#Reaktionen_in_Deutschland (Wikipedia: No Other Land, Reaktionen in Deutschland)