Finale

ziner

Mitglied
Rotkehlchen hat Husten, die Ameisen sind auf dem Rückzug. Reden auf schmalem Grat und Vertrauen auf Messers Schneide; zaghaftes Du und zitterndes Ich, ergeben einen Fallschirm aus Spinnennetz mit Angst vor scharfem Wind. Es war eben doch die Lerche. Von Nachtigal keine Spur. Die hat die Katz' gefressen und die Lerche entpuppte sich als nachtschwarzes Rabenaas. Ein flatterndes Federvieh, das mit selbstgestutzten Flügeln, eine Menge Wind macht, aber nicht fliegen kann. Fuchs du hast die Gans gestohlen und hinterläßt nur einen verstreuten, flüchtigen blutigweißen Eindruck deiner Tat in meinem siebten Himmel. Einen trügerischen Beweis deines Massakers. Der Fuchs indes, hat einen warmen Bauch und schnürt zufrieden davon. Hinterläßt einen geplünderten Hühnerhof und einen in federweißer Beliebigkeit zerstobenen Haufen geborstener Hoffnungen. Reinecke wirft einen letzten Blick über die Schulter, leckt sich eine Daune aus dem Mundwinkel und läßt sich auf seinem Weg zurück ins Dickicht der Freundschaft, selig vom Nebel des Vergessens verschlucken. Zurück bleibt ein grübelnder Federwirt, dem nicht anderes übrigbleibt, als seine waidwunde Seele nach Spuren von Durchhaltewillen und dem allgemeinen Das-Leben-Geht-Weiter zu durchforschen. Der aber Zweifel hat, an der Glaubwürdigkeit der Welt und allem, was darin kreucht und fleucht. Und er sah, daß nichts gut war. Sein würde. Gut sein würde; nie wieder. Nie wieder gut sein wäre gut. Nie wieder sein, würde gut werden. Nie sein wäre gut gewesen. Gut sein würde nie wieder werden. Den reinigenden Schluck im Kopf, wird der Versuch zu begreifen zur Suche nach dem Begriff. Ich bleibe allein. Bis zu den Knien im Selbstmitleid. Nie zuvor habe ich ein Besäufnis mehr als Reinigung empfunden als heute. Ich brauche eine Seelenreinigung. Kotzen als Selbsthilfe. Besaufen für Außensicht. Mal wieder einen Meter hinter mir stehen, lachen und: "Du Idiot!", denken. Lieben bringt dich näher zu dir selbst. Reflektiert. Rausch verstärkt. Mich, dich und andere. Am Ende reduziert sich alles auf die eine Frage. Die Antwort die alles klären kann. Warum? Warum du mir den Boden unter den Füßen weggezogenhast, kann ich vielleicht verstehen. Aber warum mußtest du mir auch noch beide Beine abhacken und sie dann wegschmeißen?
Erinnerst du dich? Es war ein Freitag. Dein freies Wochenende. Wir waren verabredet. "Bringst du deine Zahnbürste mit?", hatte ich dich gefragt. "Ich weiß noch nicht.", war deine Antwort und ich ahnte, daß etwas passiert war. Daß dieser dünne Faden, der uns zueinander gehalten hatte gerissen war, oder doch bald reißen würde. "Aber du kommst?" "Ja, aber erst später, so gegen zehn, OK?" "Ja, natürlich. Hauptsache du kommst." Ich ahnte, daß du zum letzten Mal kommen würdest. Um zehn vor zehn klingeltest du an meiner Tür, ich öffnete und du kammst mit zaghaften Schritt auf mich zu. Umarmtest mich flüchtig. Kein Kuß, kein Blick. Nur ein schütteres, trockenes "Hallo". "Komm rein, schön, daß du da bist." "Ja..."
Ich hatte Kerzen angezündet, den Wein geöffnet, die Heizung angestellt, und es hätte ein schöner Abend werden können. Du hast dich hingesetzt und nichts gesagt. Auch nachdem ich dir das Glas Wein gegeben hatte, bliebst du still. So als hättest du schon alles gesagt, durch deinen Nicht-Blick, durch dein eigentlich-nicht-da-sein. Du saßt einfach da und hast mir das Feld überlassen. Hast nur dagesessen, mit zusammengepreßten Knien, die Unterarme auf die Oberschenkel gelegt und das Weinglas mit beiden Händen umfaßt. Einfach in Duldungsstarre dagehockt und in den Wein gestarrt. Mir fiel aber auch nichts besseres ein, als Musik anzumachen. Diese Scheibe, die ich am Nachmittag geschenkt bekommen hatte. So ein Sampler auf dem von Boy George bis Tina Turner alles versammelt war, was ein romantisch Herz begehren kann. Do you really want to hurt me, or am I simply the best? Ich tat das nicht absichtlich. Zumal ich nicht glaube, daß Musik mehr sagen kann als eigene Worte. Das ist Quatsch und gilt, wenn überhaupt, höchstens für die Sprachlosen und Sprechgehemmten die von geborgtem Erleben/Leben zehren. Die sowenig Eigensein haben, daß sie es Peter Mehrfach überlassen müssen, "Ich liebe dich" zu sagen. Wenn man es nämlich selbst sagt, steht man auf einem brüchigen Steg. Hat man schnell das Gefühl lächerlich zu wirken. Das kommt von der inflationären Flut von Musikwünschen im Radio: "Ich wünsche mir "Du bist mein Herz" von Reinhard Scheibendreher, für meinen Mucki und ich hab ihn gaaaaaanz doll lieb." Klar, daß das lächerlich wird. Da ist es schon einfacher, wenn man Gebrauchslyriker wie Herbert Krönenheyer, oder Markus Müller-Westernthaler zur Hand hat. Bei denen reimt sich immer alles so schön! Da ist immer alles so herrlich kompakt auf drei Minuten dreißig gefaßt. Und niemand gibt sich eine Blöße. Es ist eben doch einfacher den Herbert sein Herz zurückverlangen zu lassen. Also ich hatte nicht vor, jemanden für mich sprechen zu lassen. Einfach Zufall. Beziehungsreiches ereignet sich wohl meistens durch Zufall.
Ich setzte mich also wieder neben dich. "So, jetzt erzähl mal, was ist los." Doch du hast nur den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern genommen und bliebst stumm. Ich saß neben dir und sah dich an. Eine Stunde vielleicht. Du hast immer wieder zum Sprechen angesetzt, es aber doch im letzten Moment wieder abgebrochen. Luftholen, den Oberkörper ein wenig aufrichten, den Atem anhalten, damit das erste Wort ausreichend Spannung hat. Dann doch den Atem sprachlos in die Umwelt entlassen, und wieder in sich zusammensinken. Ich dachte jedesmal, jetzt kommt's, jetzt ist es gleich vorbei. Nichts. Ich wollte dir so gerne helfen, aber ich bin nicht besonders gut im Gedankenlesen. Immerhin hätte ich komplett daneben liegen, und mehr Porzellan zerbrechen, als wir hätten kitten können. Du hast es mir nicht gerade leicht gemacht. Dann, nach einer weiteren Stunde, oder einer halben, vielleicht waren es auch zwei - in der Stille zieht sich die Zeit - erneutes Luftholen, Aufrichten, Sprechen. "Erzähl mal was?" Rumms. Ein Satz wie ein Hammerschlag. Ein Satz, als säßen wir gemütlich in einer Eisdiele und der Gesprächsstoff wäre ausgegangen. Aber es war ganz anders. Du kamst mit einem Rucksack voll Ungesagtem, warst im Begriff mir das Herz zu brechen, oder doch meine Illusionen zu beerdigen, und ich sollte was erzählen. Was erzählen. Was wäre dir denn recht gewesen? Vielleicht wie mein Tag gewesen ist, was ich zum Mittag hatte. Wie hätte ich mit Befürchtungen im Hinterkopf, mit der Angst im Umtergrund, belanglos plaudern können? Nein, es war dein Päckchen und das solltest du selbst aufschnüren.
Du blicktest wieder zu Boden und hast an deiner Unterlippe gekaut. Es sah so aus, als würdest du, wenn du noch weiter in dich versinkst, einfach verschwinden. Einfach auflösen wie eine Fata Morgana, der man zu nahe kommt. Die Stille legte sich greifbar zwischen uns. Dämmstoff. Emotionaler Schallschutz. Eine Mauer aus: Du weißt zwar noch nicht worum es geht, aber versuch' gar nicht erst mich umzustimmen. Eine Stille auf der man sich zur Ruhe hätte betten können. Eine finale Stille. Aus. Ende. Feierabend. Sense. Es fehlte nur noch das Wort. Was noch fehlte, war der eine unausgesprochene, unausprechliche ausgesprochene Satz. Schweigen. Wenn ich nicht gelegentlich aufgestanden wäre, um Musik anzumachen, man hätte uns für ein Wachsfigurenkabinett halten können. Um uns herum brannten die wächsernen Geister unserer kurzen Vergangenheit ihrem Ableben entgegen. Als das letzte Lichtlein verlosch, der letzte Gedanke, das letzte Gefühl einen abschließenden Funken sprühte, hast du es gesagt: "Ich kann mit dir keine Beziehung führen. Aber laß uns Freunde bleiben. Ja?" Jetzt war es raus. Endlich. Ich war viel weniger erschüttert, als ich befürchtet hatte. Ich dachte nur: "Das darf doch nicht wahr sein". Du hättest tausend andere Dinge sagen können. Du hattest Millionen Möglichkeiten. Du hättest sagen können: "Laß uns weiterhin über Bücher reden, wir können trotzdem telefonieren. Laß uns gelegentlich ein Bier trinken gehen, oder ins Theater. Laß uns mal spazieren oder auch ins Bett gehen. Laß uns zusammen Spaß haben, ohne uns etwas zu versprechen. Laß uns beeinander sein, ohne etwas voneinader zu wollen. Laß uns. Doch stattdessen kommst du mit der abgedroschensden aller Möglichkeiten. "Laß uns Freunde bleiben." Als wenn das jemals funktioniert hätte. Bis dahin hatte ich wohl davon gehört, daß es sowas geben soll. Etwa so wie: ich kannte mal einen, der von der Schwester des Schwagers einer Freundin gehört hatte, daß sie eine Bekannte hätte die... Ansonsten hielt ich das für eine Erfindung Hollywoods und hatte in diesem Moment ein Bild vor meinem inneren Auge. Meg Ryan die Tom Hanks in die Kobaltblauen Augen blickt und sagt: "Laß uns Freunde bleiben", und er mit stetem, festem Blick in die nicht minder kobaltblauen Augen sieht und ein durchhalterisches "Ja, sicher..." nuschelt. Nach deinem "Laß uns...", blieb mir nichts anderes als ebenfalls "sicher,...ja,...natürlich." zu brummeln. Aber, was bedeutet das schon. Wir können Freunde sein, und trotzdem miteinander ins Bett gehen, oder wir können Freunde sein und uns gelegentlich im Vorbeigehen "Hallo" sagen. Welches Freunde-Sein sollte unseres werden. Das hast du nicht gesagt. Vieleicht hast du es absichtlich so schwammig und nebulös gehalten, weil dieser abgegriffene Satz bei näherem Hinsehen doch einiges an Wahrheit entblößt hätte. Zum Beispiel, daß eine Freundschaft auch eine Beziehung ist. Also steckte hinter deinem Absprung noch mehr, was du aber verschwiegst. Warum?
Ich war viel verletzter über das, was du nicht gesagt hast. Was war es, was störte dich? War es meine Unfähigkeit meine Gefühle zu zügeln, mein anstrengender Wunsch dir nah sein zu wollen? Oder hattest du dich einfach nur geirrt? War alles nur ein Irrtum, ein Versehen? Jeder Kuß ein Fehler, jede Brührung eine Verwechslung, jedes Wort ein Holzweg? Hast du deswegen stundenlang herumgessen, und dir meinen Kopf zerbrochen? "Wie bringe ich ihm jetzt bei, daß ich mich wochenlang selbst getäuscht, geirrt und belogen habe. Wie erkläre ich bloß, daß all das Gerede, Gesäusel, Geküsse und Geblicke; jede Berührung, jedes Glas Wein, die stundenlangen Telefongespräche nicht wirklich waren?" Das wäre zu gefährlich. Stattdessen nimmst du alle Schuld auf dich. Behauptest es läge nur an dir, stellst keine Fragen und gibst keine Erklärungen. Überläßt mir den Rest vom Schützenfest. Klappst einfach deinen Bauchladen zu, und verschwindest. "'Tschuldigung, ich hab mich geirrt, meinen Stand an der falschen Ecke aufgemacht. Du warst gar nicht gemeint. Siehst du, alles schön einfach. Ein sauberer Schnitt schmerzt nicht. Aber wir bleiben in Kontakt. Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an." Fein.
Am Ende bleibe ich übrig; schiebe die Porzellankiste in den Keller und bestelle eine neue. Einge größere und sicherere. Es tut mir leid, wenn ich dir zu nahe gekommen bin, wenn ich deine Fluchtdistanz unterschritten habe. Was ist passiert? Wann? Wir waren so nah dran. Doch irgendwann habe ich irgendwas gesagt das dir Angst gemacht hat. Was? Habe ich zuviel vorausgesetzt? Hatte ich zuviel Selbstverständlichkeit im Blick? Ich war deiner so sicher, daß ich die Zwischentöne nicht gehört, die Silbenwaage weggestellt habe. War so besoffen von dir und der Freude, daß ich mit Blindheit geschlagen am Wegesrand zurückbleiben mußte. Ich war so nah bei dir, daß mir dein Atem die Sicht versperrte. Habe so sehr das Irgendwann herbeigesonnen. Das Später, das Kommende erwartet, daß mir das Gegenwärtig, das Nun und das Hier aus den Augen geriet. Ich war so sehr damit beschäftigt, dich kennenzulernen. Ich hab nicht einmal daran gedacht, wann das sein würde. Wann ich anfange dich kennenzulernen, ich dich kennengelernt haben würde. Ich wünsche dir viel Glück mit ihm.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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