Fingerübung 4 : Das Verbrechen

Wer im Sommer

Wer im Sommer Kappes klaut ...

Schon im Treppenaufgang nahm Charlotte den feinen Duft wahr. Ein zarter, wunderbarer Duft wie Parfum.
Das Dachbodenfenster war in der Klappe geöffnet. Das sorgte einerseits für einen stetigen Luftzug, verhinderte aber auf der anderen Seite, dass die Kräuter, die sie mit so viel Liebe getrocknet hatte, zu schnell verdorrten und ihr Aroma verloren. Das Aroma, darauf kam es ja schließlich an, sonst hätte sie sich die ganze Arbeit sparen können.
Auf dem Dachboden, direkt neben der Wäscheleine stand der alte Holztisch. Ein von unten mitgebrachtes, blitzsaueres Laken wurde auf die Tischplatte ausgebreitet. Darauf legte sie all die Trockensträuße, die sie jetzt von der Leine holte. Penibel achtete sie darauf, dass nichts auf den Boden fiel. Sie hasste Unsauberkeit, besonders bei der Arbeit.
Die vier Zipfel des Lakens wurden übereinander geschlagen. Mit dem Paket ging sie wieder hinunter in die Wohnung, direkt in die Küche. Sorgfältig, ohne ein Blättchen zu vergeuden, füllte sie ihre Ernte um in den Mixer, der schon darauf wartete, endlich seinen Dienst zu tun.
Nach wenigen Minuten war alles erledigt; die Ernte war abgefüllt in Schraubgläser und verstaut in der Speisekammer. Kühl, trocken, dunkel. Nebenan lagen fünf Päckchen Tabak. Für eine Weile würde der Vorrat schon reichen.
"Jetzt hab ich mir aber eine Belohnung verdient", sagte sie leise zu sich selbst.
Auf dem Couchtisch lag noch eine Packung von ihren selbst gedrehten Zigaretten. Davon nahm sie sich eine, steckte sie sich mit dem silbernen Tischfeuerzeug an und zog genüsslich den Rauch ein. Langsam und genüsslich.
"Oh Mann, Benny", kicherte sie leise in sich hinein. "Schade, dass ich dein blödes Gesicht nicht sehen kann, wenn du spitz kriegst, dass da jemand schneller war mit Ernten. Aber was bist du auch so blöd und pflanzt dein Zeug ausgerechnet auf die Lichtung, wo ich zweimal die Woche beim Crosslauf vorbei komme." Charlotte nahm noch einen tiefen Zug. Wirklich, es gab kein besseres Dope als der Hanf von Benny.
 

Yoanna

Mitglied
Tabak

Darf ich ein kleines Kritiklein anbringen? Sobald von Tabak die Rede war, wusste ich Bescheid und dachte nicht mehr an Lavendelkissen. Unbedingt notwendig ist doch die Info nicht, dass da fünf Pakete Tabak bereitliegen. Fällt der Satz weg, steht die Geschichte immer noch, und die Überraschung kommt wirklich erst am Schluss.
Sonst hat's mir gefallen!
Gruß,
Yoanna
 

Yoanna

Mitglied
MarleneGeselle: Jetzt bist Du dran!

Habe meinen Betrag aus Fingerübung 3 - ist die schon verjährt? - einfach hierherkopiert.

Unheil im Keller

Da ist es wieder! Colette stellt den Fernseher leiser, legt sich flach auf den Boden ihrer kleinen Portiersloge und drückt das Ohr gegen die Holzplanken. Ja, es kommt eindeutig von unten herauf, aus dem Keller, nur ganz leise zu hören, aber es ist da, kein Zweifel.
Ein Schauer rieselt ihr den Rücken hinunter, sie muss schlucken. Hat sie also gestern Abend doch nicht geträumt. Da ist wirklich dieses Geräusch gewesen, dasselbe, das auch jetzt dumpf und gleichmäßig aus dem Fußboden heraufdringt.
Bumm - bumm - bumm.
Genau wie in der Geschichte, die mir der Professor aus dem dritten Stock neulich erzählt hat, denkt Colette. Von diesem Edgar Poe, den Namen kann man sich ja leicht merken, nur den Titel, den weiß ich nicht mehr, den hat er mir ja auf Englisch gesagt. Da ist auch so ein dumpf schlagendes Geräusch zu hören, und es ist das Herz des alten Mannes, den sein Hausdiener umgebracht hat. Genau so hört sich das an! Was soll ich nur tun?
Colette macht den Fernseher aus, ihr ist die Lust am Fernsehen vergangen.
Und keiner der anderen Hausbewohner hat es gehört, ich habe sie ja alle gefragt, nur den Professor nicht, das wäre mir peinlich gewesen, der hätte mich doch für verrückt erklärt. Die anderen haben mich ja auch schon alle so komisch angesehen.
Sie geht ins Bad, schaut prüfend in den Spiegel:
Warum höre nur ich dieses verdammte Geräusch? Ein schlechtes Gewissen wie der Mörder in der Geschichte habe ich schließlich nicht. Aber da ist nichts im Keller, habe doch heute Morgen nachgeschaut.
Bumm - bumm - bumm.
Als wenn jemand klopfen würde, ganz leise irgendwo da unten. Und wenn da einer versteckt wird? Gefoltert und anschließend womöglich brutal ermordet hinter einer verborgenen Tür, die keiner der Hausbewohner kennt…
Colette, eine sonst sehr vernünftige Frau, die mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, zieht sich die Bettdecke bis ans Kinn hoch und versucht, ihre hochwallende Fantasie einfach still zu schlafen.
Bumm - bumm - Bumm.
Schweißgebadet schreckt sie hoch, schiebt die wirren Haare aus dem Gesicht und blinzelt zum Wecker hinüber.
O Gott, verschlafen! Sie wirft sich ihren blassblauen Morgenmantel über und schlurft zur Tür. Da stehen drei schrill, jedoch übernächtig aussehende Jugendliche, die ihr verlegen einen Zettel hinhalten.
"Guten Morgen, Entschuldigen Sie die Störung, wir wollten nur fragen, ob wir hier diese Petition aufhängen dürfen. Unser neuer Techno-Club in der Parallelstraße soll schon wieder geschlossen werden. Erst heißt es, wir sollen von der Straße runter, und dann dürfen wir nicht mal unsere Musik hören."
Colette ist mit einem Mal hellwach. "Gebt her!" Behende fischt sie ihre Brille aus der Tasche. "Natürlich wird das Ding aufgehängt. Wo soll ich unterschreiben?"
 
Zwei Seelen

Hallo Yoanna,

zwei Seelen schlummern ach in meiner Brust ...

Du hast mit dem Tabak Recht. Aber ich wollte den Spannungsbogen nicht zu abrupt beenden. Außerdem dachte ich dabei auch an diejenigen, die mit dem Thema nicht so vertraut sind und einen kleinen Draufschubser benötigen.
 

Yoanna

Mitglied
Tabak (2)

Hallo MarleneGeselle,
ja, ich habe auch den Eindruck, dass man den Clou um so früher erkennt, je mehr man mit der Thematik vertraut ist, und das lässt tief blicken ;)
Yoanna
 



 
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