Silvesterknaller
Claude Moré stand vor seinem Koffer. Er hatte sich für zwei Wochen im ‚Hotel Adlon’ einquartiert. Moré lächelte, er war zufrieden. Zwar würden es harte Verhandlungen werden, doch seine Mitarbeiter hatten bereits im Vorfeld dafür gesorgt dass es kein sehr hartes Spiel werden würde. Claude Moré war leidenschaftlicher Sammler. So brachte er im Laufe der Jahre viele nützliche und einige weniger nützliche Dinge zusammen. Doch seine derzeitige Aufmerksamkeit galt dem ‚Juwel der Nacht’, einem hellblau schimmernden Diamanten in einem perfekten Herzschliff. Moré schätze das Gewicht auf knappe Siebenkommaacht Karat. Diesen Stein musste er haben, koste es was es wolle. Das einzige Hindernis in diesem Spiel war die Maharani von Gwalior, Ashna Rajneesh, Eigentümerin des Steins.
Claude Moré hörte ein zaghaftes Klopfen an der Zimmertür.
„Ja, bitte?“
„Egon Müller, ihr Hausbutler.“
„Kommen Sie herein.“
Leise öffnete sich die Tür und Moré sah, wie eine seriös wirkender Mann mit steifem Kragen, schwarzem Frack und weißen Handschuhen einen silbernen Teewagen in die Suite schob. Moré’s Augen weiteten sich als er das Gesicht des Kellners erkannte.
„Paul? Paul Linnemann? Sagen Sie, dass Sie Paul Linnemann sind!“
„Es tut mir leid mein Herr, aber mein Name ist Egon Müller, ich bin ihr Butler.“. Elegant und so steif wie er auf Moré wirkte, so steif und kultiviert gab er die Antwort. Dabei schaute er dem Mann aus Paris in die Augen, verbeugte sich leicht und ohne auch nur einen weiteren Blick an Moré zu verschwenden – ja, Egon Müller hinterließ einen Eindruck von Steifheit und Arroganz - ging der Butler in das Schlafzimmer und begann, Moré’s Koffer auszupacken.
„Ich hätte schwören können Sie seien Paul.“, sagte Claude Moré und seine hohe Stirn legte sich in Falten. Er zwirbelte die rechte Seite seines Oberlippenbärtchens und gedankenverloren folgte er dem Mann im schwarzen Frack in sein Schlafzimmer.
„Darf ich Egon zu Ihnen sagen?“, fragte Claude.
„Ich bitte darum.“, erwiderte Müller und glättete eine schwarze Hose, die er soeben mit dem Kleiderbügel in den großen Schrank hing.
„Sagen Sie, guter Mann, wissen sie wann die Maharani ankommt?“
„Sie wird mit ihrem Gefolge am achtundzwanzigsten diesen Monats hier eintreffen.“. Egon Müller war der perfekte Butler. Korrektes Verhalten dem Kunden gegenüber, loyal zu seinem Chef und ein gepflegtes, strahlendes Äußeres. Das war Egon Müller - Butler aus Leidenschaft.
„Warum sind Sie so steif? Lockern Sie sich etwas auf, verkrampfen Sie sich nicht so, nehmen Sie sich ein Beispiel an mir!“, forderte Moré den Butler auf. Der Franzose wurde vor vierunddreißig Jahren in den Gossen von Paris geboren. Seine Mutter hatte er zwar kennen gelernt aber ebenso früh verloren wie seinen Vater. Moré lernte schnell, dass das Geld und das Glück auf der Strasse und in den Taschen der Reichen saßen. Bis hierher, zum Gastieren im berühmten ‚Hotel Adlon’, wo bereits Rockefeller, Einstein, Roosevelt, Sauerbruch, die Dietrich und Lawrence von Arabien abgestiegen waren, war es ein langer, steiniger und harter Weg. Moré kämpfte mit Waffen und hatte Erfolg, er kämpfte mit Worten und merkte, dass dies noch mehr Erfolg verhieß. Und so kletterte er in der Organisation immer weiter und immer höher.
„Egon, wenn Sie fertig sind klären Sie bitte, wann die Maharani ankommt und besorgen Sie mir einen Termin bei ihr. Ich werde in den Wintergarten gehen und einen Cocktail nehmen. Ach ja, besorgen Sie mir bitte für heute abend eine Karte für die Staatsoper, das Stück ist egal. Ich sehe mir alles an.“. Damit drehte sich Moré um und ging in Richtung Badezimmer, welches rechts neben dem Schlafzimmer lag. Im Spiegel schaute er sich tief in die aschgrauen Augen; er zog die linke Augenbraue hoch und flüsterte sich zu: „Silvester in Berlin und der ‚Juwel der Nacht’ wird bald mir gehören.“
Personen:
Claude Moré – Franzose, leidenschaftlicher Edelsteinsammler, besessener Liebhaber, erfolgreicher Geschäftsmann. Sein größter Wunsch, den größten herzförmig geschliffenen ‚Blue’ - Diamanten ‚Juwel der Nacht’ in seiner Sammlung zu wissen.
Ashna Rajneesh – Inderin, Maharani von Gwalior und (angeblich) Eigentümerin des Diamanten, erfolgreiche indische Filmschauspielerin, Witwe und Millionenerbin des Maharaja Pati Rajneesh. Ihr größter Wunsch, Silvester in Berlin verbringen.
Egon Müller – Deutscher, Butler im ‚Hotel Adlon’. Vor vielen Jahren stahl er den ‚Juwel der Nacht’ in England einem Indischen Staatsmann und wurde erwischt. Das Gericht verurteilte ihn zu einer langen Haftstrafe. In London genoss er die Ausbildung zum Butler und wurde vor einigen Monaten im ‚Adlon’ angestellt.
Piet van Hovel – Belgier, Diamantenhändler, jüdischer Herkunft, pragmatisch, geradlinig und extrem egoistisch, ja sogar egozentrisch.
Handlungsstrang:
Die Verhandlungen um den Diamanten scheitern, Ashna lädt Moré nach Gwalior ein. Die Zwei kommen sich näher und heiraten in Indien. Egon Müller stiehlt den Diamanten ein zweites mal und wird von Ashna erwischt. Sie weiß, wenn Müller angeklagt und verurteilt wird, verliert er sein Augenlicht und er wird dann nicht mehr nützlich für sie sein.
Ashna und Moré planen den größten Diamantenraub in der Geschichte Deutschlands. Die Vorbereitungen und Planungen dauern ein Jahr. In der Silvesternacht soll es soweit sein. Ashna, Moré und Müller reisen nach Berlin und steigen wieder im ‚Adlon’ ab. In der ‚Pariser Platz Suite’ ist der bedeutende Diamantenhändler Piet van Hovel aus Brüssel abgestiegen und mit ihm angeblich Steine im Wert vom 15 Milliarden Dollar.
Ashna soll den Belgier verführen, ihm den Code für den Safe entlocken und mit einem Schlaftrunk betäuben. Bis hierher ein völlig normaler Krimi, doch nun beginnt das Abenteuer:
Moré findet in Van Hovel’s Safe keine Diamanten, er hat nur eine alte Karte dort liegen, die zu unterirdischen Höhlen in Berlin führt, wo angeblich Kunstschätze zu finden sind.
Moré ändert seinen Plan und geht auf die Suche nach dem Schatz. Unzählige Abenteuer führen ihn durch ganz Berlin, vom Adlon angefangen über den Alexanderplatz, Rosa - Luxemburg - Platz, Reichstag, Museumsinsel bis hin zum Berliner Dom. In dessen Katakomben findet der Showdown statt:
Es gab nie einen Schatz, Ashna war niemals im Besitz vom ‚Juwel der Nacht’, Müller wird in Flagranti erwischt, wie er einen Kaugummiautomaten demoliert und Morè entdeckt in all diesem Chaos seine Liebe zu Ashna wieder. All das Geld und die Diamanten sind nichts im Vergleich zu seiner Leidenschaft für diese Betrügerin.
Reneè Hawk ©FÜ KW 53/2001