Fischkopp Wilkes

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John Wein

Mitglied
-Fischkopp Wilkes-

Geschichten aus der Wesermarsch

Für einen Besuch bei Moni gibt es mögliche Zeiten und unmögliche. Fischkopp Wilkes hatte es im Laufe der Jahre verinnerlicht. Er war sicher, dass Swantje, die mühelos das Gras im Kopf fremder Leute wachsen hören konnte, sich dieser Umstände gleichsam bewusst war. Aber er ignorierte ihre Empfindlichkeiten und Einwände in der Sache grundsätzlich. Diese Grundsätzlichkeit rührte daher, dass seiner Gattin schon vor Jahren gewisse Spielarten von Gefühlen ihm gegenüber abhandengekommen waren und deren Notwendigkeit nun einmal für ein harmonisches Eheleben, wie man sich leicht vorstellen kann, von einer gewissen Bedeutung sind. Swantje mochte das Schwert der Trennung nicht aus der Scheide ziehen, konnte es auch nicht, denn wo sollte sie auch hin, und Moni hatte, außer ihrer Jugend und Körperlichkeit, ihr nichts wirklich entgegenzusetzen.

Fischkopp, wird man sagen, ist bestimmt ein Spitzname und aus jenem Blickwinkel heraus betrachtet, kann man das sicher nicht gänzlich von der Hand weisen. Aber für Wilkes war es doch derart normal, dass er es seit frühester Kindheit nicht mehr registrierte, geschweige denn übelnahm. Seine lange verblichenen Eltern hatten den Sohn damals Fokke getauft. Es war auch der Name des Vaters gewesen, den er fortsetzte, weil das nun mal in Wittemoor von je her Tradition und das Privileg des ältesten Sohnes war. Schon in seinen jüngsten Kindergartenjahren, hatten die Kleinen ihn so genannt, Fischkopp, weil seine Physiognomie, vorspringendes Kinn und 10 Dioptrien, dem des Herings nahekam. So verschmolzen sich Name und Persönlichkeit im Laufe der Zeit auf natürliche Weise. Er selbst hatte es mit den Jahren immer weniger wahrgenommen und nun in seinem verdienten Ruhestand, hatte er es derart verinnerlicht, dass es ihm seiner Identität zugehörig schien.

Außer den Klootschietern des KBV Wittemoor war da noch die Freiwillige Feuerwehr, die etwas Abwechslung ins Dorf brachte. In diesen beiden Institutionen, die mit heimischer Tradition und umtriebig Zwischenmenschlichem Alt und Jung zusammenschweißten, war eine Mitgliedschaft nicht nur Ehre, sondern nahezu Pflicht.

Jeweils am ersten Montag im Monat tagte die Freiwillige Feuerwehr Wittenmoor im Oldenburger Krug. Man besprach brandschutztechnisch Übliches und menschenmöglich Unmögliches zwischen Anschaffungskosten und Zündkabel. Die Zeit, vom Detail gedehnt und Anfechtungen bedrängt, endete regelmäßig in einem feuchtfröhlichen Dämmerschoppen. Das war so klar wie der Weizenkorn, den Edo Wiemken zwischen den Pils über den Tresen schob. Man konnte nur hoffen, dass unterdes kein Brand zwischen Ovelgönne und Großenmeer zu verzeichnen sein würde.

Die Uhr zeigte weit nach Mitternacht, die meisten waren entweder dem Alkohol oder der Müdigkeit erlegen und hatten sich nach und nach verabschiedet, als der Wirt des Oldenburger Krug Fischkopp Wilkes und Moni Gerken hinauswarf. Draußen hatte es zu regnen begonnen, erst leicht, dann heftiger, und der Wind, der von der Oberstöhmschewehde her, mit dicken Backen von Nordwest über die Marschen blies, klatschte den beiden die Tropfen waagerecht ins Gesicht. Sternhagelvoll, lallend und fallend ineinander gehakt, zogen sie hinaus aus dem Reich der Sinnlichkeit in die Welt normaler Schwerkraft und sogleich in Monas Kemenate über der alten Schmiede. Nun kann man sich leicht vorstellen, dass es trotz gegenseitiger Neigungen nicht zu weiterem Geplänkel zwischen den beiden gekommen war, ja nicht einmal zum Entkleiden war man imstande gewesen. Fischkopp sank in den Wohnzimmersessel und Moni fiel aufs Lotterbett.

Das Delirium vor der Toilettenschüssel am Morgen war für Fischkopp Wilkes ein schweres Jammertal. Nach seiner Erleichterung kostete er das kalte Wasser am Hahn und ließ sich einen Schwall über den Brummschädel laufen. Moni sägte in tiefer Umnachtung an einem tiefen Wald. Er zog die Haustür hinter sich ins Schloss. Draußen überfiel ihn sogleich die Kühle des Novembers. Über dem Deich der Hunte stand ein trüber Morgen. Er fröstelte.

Obgleich es schon hell war, brannte auf dem Wilkes Hof noch das Nachtlicht. Er wusste, Swantje hatte nicht gewartet, doch sie hatte bestimmt die ganze Nacht wieder mal kein Auge zugetan. Sie sagte nichts, als er sie in der Küche sitzen sah, wie sie sich an der Tasse die Hände wärmte. Swantje war wieder einmal ganz in ihrem Kummer gefangen. Im Morgenprogramm von Radio Bremen sang Udo Jürgens:

„Und immer, immer wieder geht die Sonne auf“

und in seinem Kopf klang es nach:
"und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht,
Ja, immer, immer wieder geht die Sonne auf,
denn Dunkelheit für immer gibt es nicht."

Fischkopp setzte sich. Er fühlte sich beschissen.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21900

Gast
Gekonnt erzählt und hier und da überwältigend komisch.
(Zur Komik beitragender Tippfehler: «seine langen verblichenen Eltern») Alles in allem: fünf grüne Sterne.
Gruß Klaus Kuckuck
 
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Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo John,

gut erzählt, nur die Kommasetzung solltest Du an einigen Stellen noch einmal überdenken.

Aber fehlt da nicht noch etwas? Mir gefällt der abrupte Schluss nicht so recht, ich hätte da gern noch so etwas wie eine Pointe gehabt. Ein altes Lied ist da zu wenig. Oder habe ich etwas nicht richtig verstanden?

Gruß, Ciconia
 
G

Gelöschtes Mitglied 21900

Gast
Widerspruch. Der Schluss ist ein Geniestreich: Das Leben entlarvt den Kitschsänger.
KK
 
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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Beste Unterhaltung!

Diese Stelle hier

Swantje mochte das Schwert der Trennung nicht aus der Scheide ziehen, konnte es auch nicht,
bezieht sich wirklich auf Swantje? :)

Beim Schlusslied dachte ich: Fischkopp wünscht sich aufgrund seines Kopps wahrscheinlich eher Dunkelheit.

Wie es auch gemeint ist - sehr witzig!
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo John,

Du kannst knackig formulieren und auch witzig sein. Das weiß ich und wandte mich deinem Text mit großen Erwartungen zu. Schon bald allerdings wurde ich ziemlich ratlos. Fühlte mich derart von sperrigen Abstrakta wie Grundsätzlichkeit und Notwendigkeit und von bürokratisch steifer Sprache überhäuft und erdrückt, dass mir fast die Luft ausging. Vor meinem inneren Auge erschien sofort das weiße Pferd auf rotem Grund, der niedersächsische Amtsschimmel, und ich begriff nicht, was der hier zu wiehern hatte. Eigentlich fehlten ihm nur wenige Wörter wie diesbezüglich und nebenstehender Betreff, um sein Verwaltungssprech komplett zu machen. Dabei war weit und breit keine Behörde in Sicht. Wenn ich das nicht ganz falsch sehe, ging es in dieser Geschichte nur darum, dass ein verheirateter Mann und seine Busenfreundin sich bei einer Sitzung der Dorffeuerwehr betrinken und dann nach Hause gehen. Nicht gerade ein aufregender Plot. Was mir jedoch gut gefiel, war die Beschreibung von diesem Fischkopp und dessen Heringsphysiognomie. Dass ich den Rest des Textes nicht so gut fand, mag an meinem schlechten Geschmack liegen oder mir fehlt einfach die passende Antenne. Ich werde mich in den Online-Elektronik-Shops umsehen, ob ich da nichts Geeignetes finde. Andererseits könntest du ja auch im nächsten Beitrag die Sendefrequenz ändern, was dir sicherlich ein Leichtes sein wird.
 
G

Gelöschtes Mitglied 21900

Gast
Dass ich den Rest des Textes nicht so gut fand, mag an meinem schlechten Geschmack liegen
An dem liegt es. Der langatmige Hinweis auf die (überhaupt nicht vorhandene) Verwaltungssprache hat womöglich auch etwas damit zu tun. Denn gerade der Plot wird hier durch die Sprache aufregend.
KK
 

John Wein

Mitglied
Was zum Kuckuck

Werter Klaus, kann ich hierzu anmerken? Ist doch alle gesagt, noch dazu mit Harfen Begleitung!


Werte Ciconia,

natürlich werde ich die Kommasetzung nicht nur überdenken. Ich weiß, mein Handicap! 60 Jahre schulfrei (ohne Lehramt), das schleift die Feinheiten ab, dann schleicht sich Grobes in die Schreibkunst.

Für dich habe ich exklusiv einen neuen Schluss entwickelt. Wie wäre das:

Swantje warf einen letzten Blick auf Fischkopp, auf dem Sofa liegend, eingenickt zwischen Aschenbecher und leeren Bierdosen. Einen letzten Blick auf 20 Jahre Ehe, auf 20 Jahre voller Käfige, zerstörter Träume und Demütigungen, die wie der im Flackern des Fernsehbildes bläulich schimmernde Zigarettendunst im Raum standen. Sie band die Schürze ab, schlich auf leisen Sohlen zur Tür und stakste in den trüben Novembermorgen hinaus, hinein in eine unbestimmte Zukunft.“



Werter Herr Doktor Schneider,

Wie darf das auffassen: Schwert und Scheide? Meinen sie das als Arzt im medizinischen Sinne oder eher allgemein? Hier dürfen doch auch Kinder…..


Werter Herr Ofterdingen

An dich nicht zuletzt, möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken, der du mein Werk mit freundlichen Worten begleitet hast. Den Amtsschimmel habe ich gestern vom Hof gescheucht, er wurde im Homeoffice aufdringlich und lästig, außerdem war der Gout kaum noch meiner Klientel zuzumuten. Ich habe jetzt Sadhana, die hübsche, kleine Praktikantin aus Indien vom Labor in den Kontor beordert, betörend ihr Chanel No 5. Sie prüft meine Texte auf allzu Sperriges und Grobes und häkelt ein bisschen Wort-Plüsch ein.

Das Geld für die Antenne lässt sich vielleicht sparen, ev. ist nur eine Sicherung durchgebrannt oder ein Schalter ist auf ON zu zwittschen. Für das Geld könntest du dir einen Kasten Öttinger kaufen. Überleg‘s dir!


Am Ende
und an dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei allen Leserinnen und Lesern bedanken, die mich bis hierher begleitet haben und die ich an den zwei Fingern meiner drei Hände abzählen kann.

Danke! Vielen lieben Dank!

So, genug! Ich muss jetzt Schluss machen. „Hasso“ muss Gassi!

John Wein
 
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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Werter Herr Doktor Schneider,

Wie darf das auffassen: Schwert und Scheide? Meinen sie das als Arzt im medizinischen Sinne oder eher allgemein? Hier dürfen doch auch Kinder…..

Ich meine diese Textstelle:

Swantje mochte das Schwert der Trennung nicht aus der Scheide ziehen, konnte es auch nicht, denn wo sollte sie auch hin, und Moni hatte, außer ihrer Jugend und Körperlichkeit, ihr nichts wirklich entgegenzusetzen.
Das finde ich unglücklich formuliert. Vielleicht besser so: Swantje mochte das scharfe Schwert der Trennung nicht wirklich benutzen.
Swantje mochte sich jedoch nicht trennen ....

Oder so ähnlich.

Gruß DS
 
Gutes Stimmungsbild einer Gegend wie einer persönlichen Situation, John Wein. Wenn man wie ich zu beidem keinen eigenen Bezug mitbringt, empfiehlt es sich, den Text mindestens zweimal zu lesen.

Ich habe nur Geringfügiges anzumerken:

Beim Ortsnamen fehlt wohl ein "n". Und welcher Verein sich mit KBV abkürzen mag, ist mir noch nicht eingefallen.

Draußen hatte es zu regnen begonnen, erst leicht dann heftiger und der Wind,
Ich würde hinter "leicht" und am besten auch hinter "heftiger" ein Komma einfügen.

Moni sägte in tiefer Umnachtung an einen tiefen Wald.
Bitte: an einem tiefen Wald

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

onivido

Mitglied
Hallo John.
ich bin unbefugt mich ueber die literalischen Feinheiten dieser Geschichte zu aeussern. Das einzige, das ich sagen kann ist, dass sie mir ausgezeichnet gefallen hat.
An Arno Abendschoen habe ich eine Frage und er moege mir verzeihen , dass ich um unentgeltlichen Nachhilfeunterricht bitte.
Ich meinte, dass vor "und" kein Komma kommt. Hat sich das Deutsche dem Englischen angeglichen? Wenn ich die "lockdowns", "levels" , "vaccines" und dergleichen in der Presse lese, halte ich das durchaus fuer moeglich.Die Anglos schreiben ein Komma vor "and"?
Beste Gruesse///Onivido
 
Werter Onivido,

hier handelt es sich um zwei selbständige Teilsätze, deren zweiter mit "und" beginnt. Hier ist kein Komma erforderlich, es kann sogar in der Regel darauf verzichtet werden. Jedoch sagt der Duden, ein Komma sei möglich, "um die Gliederung des Ganzsatzes deutlich zu machen." Auf diesen Spezialfall habe ich mich mit meiner Empfehlung oben bezogen. Persönlich mache ich selbst in meinen Texten davon nur sparsam Gebrauch.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

John Wein

Mitglied
Ich danke Arno und Onivido,
Was die Verbesserungen angeht: es heißt Wittemoor, also ohne n. den tiefen Wald verpasse ich ein m.
Das passiert, wenn man die Geschichte nahezu auswendig kennt, dann übersieht man solche Flüchtigkeiten. Puh!
Komma vor und bei Hauptsätzen: ja grundsätzlich auch möglich, um zu Verdeutlichen. Wird verbessert Danke!
KBV ist einfach ein Vereinsname und tut nichts wesentlich zur Sache, heißt aber Klootschießer- und Boßelverein Wittemoor.

Grüße,
John
 



 
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