Fischverkäufer wird Geheimagent

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Das Geheimnis des Erfolgs liegt darin: Mehr scheinen als sein - und über kleine Peinlichkeiten lächelnd hinweggehen.

A. war eine Zeitlang mein Untermieter. Er sprach sich gern bei mir aus. Ich erfuhr so mehr über ihn als er über mich. Ich hörte aufmerksam zu, prägte mir viel ein, hielt manches schriftlich fest, als wäre ich ein Agent und hätte Berichte über ihn abzufassen. So war es aber nicht.

Manches kam mir auch hintenherum zu Ohren, wie zum Beispiel das Folgende. A. machte einmal privat eine Bekanntschaft. Sie wechselten nur wenige Sätze. A. sagte zu dem Fremden, er sei Bankangestellter. Bald darauf ging jeder seiner Wege. Was A. nicht wusste: Der andere war beruflich nach Berlin gekommen, er war Generalvertreter einer bayrischen Molkerei. In dieser Eigenschaft besuchte er am Tag darauf das große Kaufhaus und kontrollierte, ob ihr Joghurt angemessen präsentiert wurde. Auf einmal erblickte er hinter dem Fischverkaufsstand den angeblichen Bankangestellten A. Sie grüßten sich von weitem. A. lächelte ungezwungen, worin er, wie ich wusste, viel Übung besaß. Als sie später wieder einmal aufeinander trafen, lachten sie über den kleinen Vorfall. Der Molkereimann hat ihn mir dann berichtet.

A. setzte alles daran, vom Fisch wegzukommen. Wie er den Geruch an sich hasste … Er blieb in der Lebensmittelabteilung und hatte nun vor allem mit Honig und Konfitüren zu tun. Zu solchen Produkten passte seine Art zu lächeln auch besser.

Das Kaufhaus veranstaltete eine Ungarische Woche mit Honig zum Schleuderpreis. Die Aktion war fast zu Ende, als eine empörte ältere Kundin sich an A. wandte: Da habe sie doch gestern im Honig aus Ungarn eine tote Biene gefunden! – Tatsächlich? Sie war tot? fragte A., um Zeit zu gewinnen, und fuhr fort: Ach, Sie haben sie gefunden – nein, so ein Pech! - Pech wolle sie das nicht gerade nennen, meinte die Kundin, es sei nur einfach ekelhaft: tote Tiere im Honig. – Und dann band er ihr den Bären auf, es sei ein Preisausschreiben gewesen. Wer die Biene, die einzige in all den Gläsern, gefunden hätte, hätte den ersten Preis gewonnen, ein Jahr lang jede Woche ein Glas Honig. Nur leider sie die Meldefrist schon gestern abgelaufen. Aber es würden bald wieder neue Preisausschreiben veranstaltet. Schauen Sie doch wieder einmal vorbei … Die Kundin wurde auf sich selbst ärgerlich: Sie hätte eher kommen müssen. Sie ahnte nicht, dass ihr da alles andere als Honig ums Maul geschmiert wurde. A. lachte, als er mir davon erzählte.

Er zog fort und kam mir aus den Augen. Jahre später traf ich ihn zufällig in einer Bar. Nein, er sei schon lange nicht mehr beim Kaufhaus, er arbeite jetzt für einen Geheimdienst. Es klang, als wolle er mir etwas anvertrauen. Welcher Geheimdienstler plaudert das sonst so offen aus? Ich habe ihn danach – nein, ich habe ihn weder hinter einem Bankschalter noch als Kellner in einem Fischrestaurant entdeckt. Schon möglich, dass er tatsächlich ein Schlapphut geworden ist. Und in diesem Fall war die Versuchung, mir darzulegen, er sei mehr als er sonst scheine, wohl zu groß für ihn gewesen.

Man lügt nicht aus Spaß am Lügen, wenn man nicht gerade krank im Kopf ist. Man lügt unter anderem, um sich Geltung zu verschaffen. Und zu diesem Zweck gibt man auch einmal die Wahrheit preis, selbst wenn es unter anderen Gesichtspunkten ein Fehler ist. (Diskretion war noch nie meine Stärke.)
 
U

USch

Gast
Hallo Arno,
raffinierter Text und in seiner Knappheit gut zu lesen. Ist doch mal eine 8 wert.
Kleiner Dreher:
Nur leider [red]sie [/red]die Meldefrist schon gestern abgelaufen.
[blue]sei[/blue]

(Diskretion war noch nie meine Stärke.)
Würde ich streichen, denn das erhellt die Geschichte nicht.
Einen schönen Abend und freundliche Grüße
USch
 
Das Geheimnis des Erfolgs liegt darin: Mehr scheinen als sein - und über kleine Peinlichkeiten lächelnd hinweggehen.

A. war eine Zeitlang mein Untermieter. Er sprach sich gern bei mir aus. Ich erfuhr so mehr über ihn als er über mich. Ich hörte aufmerksam zu, prägte mir viel ein, hielt manches schriftlich fest, als wäre ich ein Agent und hätte Berichte über ihn abzufassen. So war es aber nicht.

Manches kam mir auch hintenherum zu Ohren, wie zum Beispiel das Folgende. A. machte einmal privat eine Bekanntschaft. Sie wechselten nur wenige Sätze. A. sagte zu dem Fremden, er sei Bankangestellter. Bald darauf ging jeder seiner Wege. Was A. nicht wusste: Der andere war beruflich nach Berlin gekommen, er war Generalvertreter einer bayrischen Molkerei. In dieser Eigenschaft besuchte er am Tag darauf das große Kaufhaus und kontrollierte, ob ihr Joghurt angemessen präsentiert wurde. Auf einmal erblickte er hinter dem Fischverkaufsstand den angeblichen Bankangestellten A. Sie grüßten sich von weitem. A. lächelte ungezwungen, worin er, wie ich wusste, viel Übung besaß. Als sie später wieder einmal aufeinander trafen, lachten sie über den kleinen Vorfall. Der Molkereimann hat ihn mir dann berichtet.

A. setzte alles daran, vom Fisch wegzukommen. Wie er den Geruch an sich hasste … Er blieb in der Lebensmittelabteilung und hatte nun vor allem mit Honig und Konfitüren zu tun. Zu solchen Produkten passte seine Art zu lächeln auch besser.

Das Kaufhaus veranstaltete eine Ungarische Woche mit Honig zum Schleuderpreis. Die Aktion war fast zu Ende, als eine empörte ältere Kundin sich an A. wandte: Da habe sie doch gestern im Honig aus Ungarn eine tote Biene gefunden! – Tatsächlich? Sie war tot? fragte A., um Zeit zu gewinnen, und fuhr fort: Ach, Sie haben sie gefunden – nein, so ein Pech! - Pech wolle sie das nicht gerade nennen, meinte die Kundin, es sei nur einfach ekelhaft: tote Tiere im Honig. – Und dann band er ihr den Bären auf, es sei ein Preisausschreiben gewesen. Wer die Biene, die einzige in all den Gläsern, gefunden hätte, hätte den ersten Preis gewonnen, ein Jahr lang jede Woche ein Glas Honig. Nur leider sei die Meldefrist schon gestern abgelaufen. Aber es würden bald wieder neue Preisausschreiben veranstaltet. Schauen Sie doch wieder einmal vorbei … Die Kundin wurde auf sich selbst ärgerlich: Sie hätte eher kommen müssen. Sie ahnte nicht, dass ihr da alles andere als Honig ums Maul geschmiert wurde. A. lachte, als er mir davon erzählte.

Er zog fort und kam mir aus den Augen. Jahre später traf ich ihn zufällig in einer Bar. Nein, er sei schon lange nicht mehr beim Kaufhaus, er arbeite jetzt für einen Geheimdienst. Es klang, als wolle er mir etwas anvertrauen. Welcher Geheimdienstler plaudert das sonst so offen aus? Ich habe ihn danach – nein, ich habe ihn weder hinter einem Bankschalter noch als Kellner in einem Fischrestaurant entdeckt. Schon möglich, dass er tatsächlich ein Schlapphut geworden ist. Und in diesem Fall war die Versuchung, mir darzulegen, er sei mehr als er sonst scheine, wohl zu groß für ihn gewesen.

Man lügt nicht aus Spaß am Lügen, wenn man nicht gerade krank im Kopf ist. Man lügt unter anderem, um sich Geltung zu verschaffen. Und zu diesem Zweck gibt man auch einmal die Wahrheit preis, selbst wenn es unter anderen Gesichtspunkten ein Fehler ist.
 
Danke, USch. Deine Kritikpunkte eingesehen, Vorschläge umgesetzt. Allerdings finde ich selbst den Schluss insgesamt etwas flau - was der nun gestrichene Satz wohl kaschieren sollte.

Schönen Abendgruß
Arno Abendschön
 
U

USch

Gast
Ich würde den ganzen letzten Absatz weglassen, denn er will erklären und das turnt den Leser ab, der lieber selbst denken oder phantasieren will. Der Absatz ist auch nicht notwendig, um die Geschichte zu verstehen.
Im Übrigen ist auch der erste Absatz überflüssig - aus dem selben Grund.
LG USch
 
A. war eine Zeitlang mein Untermieter. Er sprach sich gern bei mir aus. Ich erfuhr so mehr über ihn als er über mich. Ich hörte aufmerksam zu, prägte mir viel ein, hielt manches schriftlich fest, als wäre ich ein Agent und hätte Berichte über ihn abzufassen. So war es aber nicht.

Manches kam mir auch hintenherum zu Ohren, wie zum Beispiel das Folgende. A. machte einmal privat eine Bekanntschaft. Sie wechselten nur wenige Sätze. A. sagte zu dem Fremden, er sei Bankangestellter. Bald darauf ging jeder seiner Wege. Was A. nicht wusste: Der andere war beruflich nach Berlin gekommen, er war Generalvertreter einer bayrischen Molkerei. In dieser Eigenschaft besuchte er am Tag darauf das große Kaufhaus und kontrollierte, ob ihr Joghurt angemessen präsentiert wurde. Auf einmal erblickte er hinter dem Fischverkaufsstand den angeblichen Bankangestellten A. Sie grüßten sich von weitem. A. lächelte ungezwungen, worin er, wie ich wusste, viel Übung besaß. Als sie später wieder einmal aufeinander trafen, lachten sie über den kleinen Vorfall. Der Molkereimann hat ihn mir dann berichtet.

A. setzte alles daran, vom Fisch wegzukommen. Wie er den Geruch an sich hasste … Er blieb in der Lebensmittelabteilung und hatte nun vor allem mit Honig und Konfitüren zu tun. Zu solchen Produkten passte seine Art zu lächeln auch besser.

Das Kaufhaus veranstaltete eine Ungarische Woche mit Honig zum Schleuderpreis. Die Aktion war fast zu Ende, als eine empörte ältere Kundin sich an A. wandte: Da habe sie doch gestern im Honig aus Ungarn eine tote Biene gefunden! – Tatsächlich? Sie war tot? fragte A., um Zeit zu gewinnen, und fuhr fort: Ach, Sie haben sie gefunden – nein, so ein Pech! - Pech wolle sie das nicht gerade nennen, meinte die Kundin, es sei nur einfach ekelhaft: tote Tiere im Honig. – Und dann band er ihr den Bären auf, es sei ein Preisausschreiben gewesen. Wer die Biene, die einzige in all den Gläsern, gefunden hätte, hätte den ersten Preis gewonnen, ein Jahr lang jede Woche ein Glas Honig. Nur leider sei die Meldefrist schon gestern abgelaufen. Aber es würden bald wieder neue Preisausschreiben veranstaltet. Schauen Sie doch wieder einmal vorbei … Die Kundin wurde auf sich selbst ärgerlich: Sie hätte eher kommen müssen. Sie ahnte nicht, dass ihr da alles andere als Honig ums Maul geschmiert wurde. A. lachte, als er mir davon erzählte.

Er zog fort und kam mir aus den Augen. Jahre später traf ich ihn zufällig in einer Bar. Nein, er sei schon lange nicht mehr beim Kaufhaus, er arbeite jetzt für einen Geheimdienst. Es klang, als wolle er mir etwas anvertrauen. Welcher Geheimdienstler plaudert das sonst so offen aus? Ich habe ihn danach – nein, ich habe ihn weder hinter einem Bankschalter noch als Kellner in einem Fischrestaurant entdeckt. Schon möglich, dass er tatsächlich ein Schlapphut geworden ist. Und in diesem Fall war die Versuchung, mir darzulegen, er sei mehr als er sonst scheine, wohl zu groß für ihn gewesen.
 
U

USch

Gast
Sorry Arno, dass meine Vorschläge so sukzessiv kommen. Auch den letzten Satz würde ich noch streichen. Er ist zu erklärend.
LG USch
 
Hm, ich weiß wohl, USch, dass der letzte Satz einen Verstoß gegen die reine Lehre darstellt, kann mich auch in ein Missbehagen daran einfühlen. Dennoch: Ohne ihn verstärkt sich der Eindruck stattgefundener Amputation, meine ich. Ich werde darüber nachdenken, ob ich ihn durch etwas ganz anderes ersetzen kann.

Danke für die konstruktiven Tipps.

Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno, eine amüsante Geschichte, bei der man sich unwillkürlich fragt, ob man auch so einen A. kennt. Ich habe nur zwei Anmerkungen:
Ich glaube, es heißt "bayerisch" und nicht "bayrisch" und den letzten Satz würde ich auch streichen, er ist nicht nötig, um die Geschichte zu verstehen. So käme der Terminus "Schlapphut" auch besser zur Geltung.
LG Doc
 
A. war eine Zeitlang mein Untermieter. Er sprach sich gern bei mir aus. Ich erfuhr so mehr über ihn als er über mich. Ich hörte aufmerksam zu, prägte mir viel ein, hielt manches schriftlich fest, als wäre ich ein Agent und hätte Berichte über ihn abzufassen. So war es aber nicht.

Manches kam mir auch hintenherum zu Ohren, wie zum Beispiel das Folgende. A. machte einmal privat eine Bekanntschaft. Sie wechselten nur wenige Sätze. A. sagte zu dem Fremden, er sei Bankangestellter. Bald darauf ging jeder seiner Wege. Was A. nicht wusste: Der andere war beruflich nach Berlin gekommen, er war Generalvertreter einer bayrischen Molkerei. In dieser Eigenschaft besuchte er am Tag darauf das große Kaufhaus und kontrollierte, ob ihr Joghurt angemessen präsentiert wurde. Auf einmal erblickte er hinter dem Fischverkaufsstand den angeblichen Bankangestellten A. Sie grüßten sich von weitem. A. lächelte ungezwungen, worin er, wie ich wusste, viel Übung besaß. Als sie später wieder einmal aufeinander trafen, lachten sie über den kleinen Vorfall. Der Molkereimann hat ihn mir dann berichtet.

A. setzte alles daran, vom Fisch wegzukommen. Wie er den Geruch an sich hasste … Er blieb in der Lebensmittelabteilung und hatte nun vor allem mit Honig und Konfitüren zu tun. Zu solchen Produkten passte seine Art zu lächeln auch besser.

Das Kaufhaus veranstaltete eine Ungarische Woche mit Honig zum Schleuderpreis. Die Aktion war fast zu Ende, als eine empörte ältere Kundin sich an A. wandte: Da habe sie doch gestern im Honig aus Ungarn eine tote Biene gefunden! – Tatsächlich? Sie war tot? fragte A., um Zeit zu gewinnen, und fuhr fort: Ach, Sie haben sie gefunden – nein, so ein Pech! - Pech wolle sie das nicht gerade nennen, meinte die Kundin, es sei nur einfach ekelhaft: tote Tiere im Honig. – Und dann band er ihr den Bären auf, es sei ein Preisausschreiben gewesen. Wer die Biene, die einzige in all den Gläsern, gefunden hätte, hätte den ersten Preis gewonnen, ein Jahr lang jede Woche ein Glas Honig. Nur leider sei die Meldefrist schon gestern abgelaufen. Aber es würden bald wieder neue Preisausschreiben veranstaltet. Schauen Sie doch wieder einmal vorbei … Die Kundin wurde auf sich selbst ärgerlich: Sie hätte eher kommen müssen. Sie ahnte nicht, dass ihr da alles andere als Honig ums Maul geschmiert wurde. A. lachte, als er mir davon erzählte.

Er zog fort und kam mir aus den Augen. Jahre später traf ich ihn zufällig in einer Bar. Nein, er sei schon lange nicht mehr beim Kaufhaus, er arbeite jetzt für einen Geheimdienst. Es klang, als wolle er mir etwas anvertrauen. Welcher Geheimdienstler plaudert das sonst so offen aus? Ich habe ihn danach – nein, ich habe ihn weder hinter einem Bankschalter noch als Kellner in einem Fischrestaurant entdeckt. Schon möglich, dass er tatsächlich ein Schlapphut geworden ist.
 
Danke für die Wortmeldung, DocSchneider. Ich habe mich der Mehrheit gebeugt und den letzten Satz voriger Version entfernt.

Aber "bayrisch" ist nach Duden und anderen Autoritäten als Nebenform zulässig. Es gibt im Internet sogar ein "Bayrisches Wörterbuch".

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 



 
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