Fleischwurst holen für Ferdi

Oma und Opa ließen sich damals ein Haus bauen und Ben kam oft zur Baustelle. Da stand er und schaute zu Ferdi hinüber, wie er Mörtel herstellte, noch ohne Mischtrommel. Er war der Lehrling und schaffte Sand, Zement und Wasser herbei. Er rührte alles in einem Bottich zusammen und füllte das Gemisch in Blecheimer und reichte sie den Gesellen auf das Gerüst hinauf. Die Gesellen blieben Ben fremd, er sah sie kaum an, sie waren so viel älter als er. Ferdi fühlte er sich näher, er hatte gerade erst mit der Maurerlehre angefangen, so wie Ben vor kurzem mit der Grundschule. Ben ging ungern hin und die Schulzeit stellte er sich unendlich vor. Ferdi auf der Baustelle – das war der Beweis, dass man diese Zeit doch hinter sich bringen konnte.

Ferdi war immer guter Laune. Er trat so wendig auf, er hantierte mit viel Geschick. Wenn Ben ihn ansah, kam er sich selbst ungelenk vor. Gegen seinen Willen bewunderte er ihn. Der Maurerlehrling war noch sehr schmal. Ben wollte Oma bitten, ihm Hosen zu kaufen, wie Ferdi sie trug. Er kannte das Wort Jeans noch nicht.

Einmal unterbrach Ferdi seine Arbeit und legte das Kinn auf den Schaufelstiel. Die braune Haarlocke, die ihm in die Stirn fiel, wippte noch hin und her. Er zog die Augenbrauen zusammen und sah Ben scharf an. Nur an den Mundwinkeln, die lustig zuckten, war zu bemerken, dass er noch immer guter Laune war. „Hast du schon wieder Ferien?“ fragte er. „Langweilst du dich?“ Er nahm den Kopf vom Schaufelstiel und die Brauen gingen auseinander. Dann wollte er etwas von Ben: „Du, sei ein lieber Kerl und hol uns dafür beim Metzger Fleischwurst.“ Er zählte ihm ein paar Münzen in die Hand und Ben ging los. Was für Ferdi lästige Pflicht war, Ben kam es wie eine ehrenvolle Aufgabe vor. Würde er ihr gewachsen sein? Wahrscheinlich würde er irgendetwas falsch machen und nicht mehr herangezogen werden …

Die Metzgerei lag ein paar Hundert Meter weiter. Die Metzgerfrau wog Fleisch und Wurst stets mit Ernst und Würde ab. Ben fürchtete sie ein wenig. Diesmal blickte sie besonders streng. Ben sagte rasch: „Für das Geld Fleischwurst“ und legte die Münzen auf die Theke. Alles schien gutzugehen, schon lief er mit der Wurst im dicken Packpapier zurück. Er würde gelobt werden. Beinahe wäre er vom Bordstein abgerutscht und hingeschlagen.

Ferdi öffnete das Paketchen und sagte gleich ärgerlich: „Was ist denn das?! Du hast dir die billige andrehen lassen, die nehmen wir doch sonst nicht. Hast du denn nicht gesagt, dass es für uns ist? Geh und bring’s zurück. Und mach schnell, der Polier hat geschimpft, weil’s schon nach eins ist.“ Es kam noch schlimmer für Ben. Die Metzgerfrau weigerte sich, die Ware zurückzunehmen, und er musste Ferdi bitten, diesmal mit der billigen Sorte vorliebzunehmen. Die Maurer, die schon Pause hatten, brummten ein wenig, lachten ärgerlich und begannen dann mit dem Imbiss.

Trotzdem wollten sie anderntags, dass er wieder Wurst holen ging. Doch seine Oma hatte es ihm inzwischen verboten. Jetzt ärgerte es ihn, ihr davon erzählt zu haben. Die preiswerte Wurst war gerade die, die sie daheim selbst immer aßen. Auch Ferdi gegenüber war er ein wenig verstimmt. Er hatte ihm einen zu schwierigen Auftrag gegeben – und wie gerne hätte er sich doch bewährt und ihm alles recht gemacht … Als er Ben nicht überreden konnte, lachte Ferdi und ging wieder selbst.
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Arno,

eine Geschichte zum selber Lesen, aber vor allem zum darüber Sprechen. Ich kann sie mir deshalb auch als Lesebuchtext für Kinder von 8 bis 10 Jahren vorstellen. Interessant wäre es, die Unterschiede zu einer vergleichbaren Situation, Hausbau, von heute herauszufinden. Ebenso könnten das Verhalten und die Empfindungen des Jungen näher betrachtet werden. Ben ging nach der Schule oft zur Baustelle. Wie sieht der Nachmittag für die meisten Grundschüler heute aus?

Ich bin etwas irritiert von dem Namen Ben, denn das ist ein ganz moderner Name. Oder ist er eine Abkürzung eines schon lange gebräuchlichen Namens? Kannst du eine Zeit angeben?

Danke, Arno, für den interessanten Text und liebe Grüße

HelenaSofie
 
Danke, HelenaSofie, für deine freundlichen Anmerkungen. Ja, an diese Altersstufe (8 - 10) habe ich auch gedacht.

Der Name ist tatsächlich wenig glücklich gewählt, da die Szene etwa in den späten 1950ern spielen soll. Ich werde ihn ersetzen, sobald mir ein geeigneter eingefallen ist; bin zzt. etwas in Zeitnot.

Freundliche Grüße
Arno
 
Oma und Opa ließen sich damals ein Haus bauen und Harry kam oft zur Baustelle. Da stand er und schaute zu Ferdi hinüber, wie er Mörtel herstellte, noch ohne Mischtrommel. Er war der Lehrling und schaffte Sand, Zement und Wasser herbei. Er rührte alles in einem Bottich zusammen und füllte das Gemisch in Blecheimer und reichte sie den Gesellen auf das Gerüst hinauf. Die Gesellen blieben Harry fremd, er sah sie kaum an, sie waren so viel älter als er. Ferdi fühlte er sich näher, er hatte gerade erst mit der Maurerlehre angefangen, so wie Harry vor kurzem mit der Grundschule. Harry ging ungern hin und die Schulzeit stellte er sich unendlich vor. Ferdi auf der Baustelle – das war der Beweis, dass man diese Zeit doch hinter sich bringen konnte.

Ferdi war immer guter Laune. Er trat so wendig auf, er hantierte mit viel Geschick. Wenn Harry ihn ansah, kam er sich selbst ungelenk vor. Gegen seinen Willen bewunderte er ihn. Der Maurerlehrling war noch sehr schmal. Harry wollte Oma bitten, ihm Hosen zu kaufen, wie Ferdi sie trug. Er kannte das Wort Jeans noch nicht.

Einmal unterbrach Ferdi seine Arbeit und legte das Kinn auf den Schaufelstiel. Die braune Haarlocke, die ihm in die Stirn fiel, wippte noch hin und her. Er zog die Augenbrauen zusammen und sah Harry scharf an. Nur an den Mundwinkeln, die lustig zuckten, war zu bemerken, dass er noch immer guter Laune war. „Hast du schon wieder Ferien?“ fragte er. „Langweilst du dich?“ Er nahm den Kopf vom Schaufelstiel und die Brauen gingen auseinander. Dann wollte er etwas von Harry: „Du, sei ein lieber Kerl und hol uns dafür beim Metzger Fleischwurst.“ Er zählte ihm ein paar Münzen in die Hand und Harry ging los. Was für Ferdi lästige Pflicht war, Harry kam es wie eine ehrenvolle Aufgabe vor. Würde er ihr gewachsen sein? Wahrscheinlich würde er irgendetwas falsch machen und nicht mehr herangezogen werden …

Die Metzgerei lag ein paar Hundert Meter weiter. Die Metzgerfrau wog Fleisch und Wurst stets mit Ernst und Würde ab. Harry fürchtete sie ein wenig. Diesmal blickte sie besonders streng. Harry sagte rasch: „Für das Geld Fleischwurst“ und legte die Münzen auf die Theke. Alles schien gutzugehen, schon lief er mit der Wurst im dicken Packpapier zurück. Er würde gelobt werden. Beinahe wäre er vom Bordstein abgerutscht und hingeschlagen.

Ferdi öffnete das Paketchen und sagte gleich ärgerlich: „Was ist denn das?! Du hast dir die billige andrehen lassen, die nehmen wir doch sonst nicht. Hast du denn nicht gesagt, dass es für uns ist? Geh und bring’s zurück. Und mach schnell, der Polier hat geschimpft, weil’s schon nach eins ist.“ Es kam noch schlimmer für Harry. Die Metzgerfrau weigerte sich, die Ware zurückzunehmen, und er musste Ferdi bitten, diesmal mit der billigen Sorte vorliebzunehmen. Die Maurer, die schon Pause hatten, brummten ein wenig, lachten ärgerlich und begannen dann mit dem Imbiss.

Trotzdem wollten sie anderntags, dass er wieder Wurst holen ging. Doch seine Oma hatte es ihm inzwischen verboten. Jetzt ärgerte es ihn, ihr davon erzählt zu haben. Die preiswerte Wurst war gerade die, die sie daheim selbst immer aßen. Auch Ferdi gegenüber war er ein wenig verstimmt. Er hatte ihm einen zu schwierigen Auftrag gegeben – und wie gerne hätte er sich doch bewährt und ihm alles recht gemacht … Als er Harry nicht überreden konnte, lachte Ferdi und ging wieder selbst.
 



 
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