Flickzeug und Senf

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Wipfel

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Geschirrklappern, Stimmengewirr, schweigendes Anstehen an der Kasse.
Mit einem Tablett balancierte Fred seine dampfende Kartoffelsuppe durch die Reihen.

„Noch frei?“

Zwei Blicke trafen sich. Nickend gab die Frau ihr Einverständnis und räumte ihre Tasche vom Stuhl. Fred stellte das Tablett ab und zog seine grüne Jacke aus. Unschlüssig stand er und suchte nach einer Garderobe.

„Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest.

„Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“
Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln.

„Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee.

„Wie meinen Sie?“

„Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“

Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“

Er rückte seine Brille zurecht und schaute vorsichtig auf seine Tischnachbarin. Die dunklen Haare hatte sie nach hinten gebunden. Ihr schmales Gesicht lächelte. Kaum spürbar winkte sie mit dem Kopf und lenkte Freds Blick an sich vorbei zum Nachbartisch.

„Sie brauchen sich nur die Menschen anzusehen, dann wissen Sie alles! Sehen Sie zum Beispiel da drüben den älteren Herrn? Sehen Sie, welch unwiderstehliche Figur er hat? Wenn er wüsste, welche geheimen Kräfte in ihm schlummern! Die Frauen würden seinem Knackarsch scharenweise nachlaufen. Sehen Sie, wie er sich die Kopfhaut kratzt? Er kratzt nicht etwa, weil es ihn juckt. Vielleicht überlegt er gerade, wie er endlich von seiner Mutter loskommen könnte. Was hat er nur gegen sie? Warum glauben die Menschen nicht mehr an die Kraft des Wünschens? Sehen Sie seine struppigen Haare? Er glaubt nicht mehr daran, dass jemand ihn attraktiv finden könnte. Ganz im Gegensatz zu Ihnen. Und das lässt darauf schließen, dass Sie im Moment auf der Suche sind. Oder irre ich mich?“

Fred lauschte dem Gesagten hinterher. Er schaute immer noch zu dem älteren Herrn und sagte: „Ich kann es nicht leugnen, Ihre Logik hat etwas.“

Er beugte sich über seine Suppe und löffelte weiter. Diese Frau gefiel ihm. Bei allem, was er bis jetzt gehört hatte, schwang in ihrer Stimme eine glucksende Offenheit. So war er nicht, aber diese unkomplizierte Art war Fred sympathisch.

„Kennt ihr Euch denn?“

„Wir grüßen uns, mehr nicht.“

„So, so“, sagte Fred bedeutungsvoll. „Machen Sie das eigentlich öfter?“

Große braune Augen sahen ihn an. Er bemerkte die dichten, ungezupften Augenbrauen, die in der Mitte fast zusammenliefen.

„Ich mache was?“ Entrüstet kam die Frage hervorgeschossen, und einen Augenblick nur schien es so, als ob eines ihrer Grübchen zum Lächeln heraus käme.

„Leute beobachten, was dachten Sie denn?“ Ein schelmisches Grinsen zog sich versöhnlich über Freds Gesicht. Er gab sich reichlich Mühe zweideutig zu blinzeln und sah sich dann suchend nach dem Geschirrwagen um.

„Das Geschirr können Sie dahinten abstellen.“

Mit einem Blick streifte Fred die Reste der Selbstbedienungsspeisenden. Die Menschen kaufen Gerüche, die sie an wohlige Gefühle ihrer Kindheit erinnern. Haben sie ihren Hunger danach gestillt, legen sie die Gerüche ab und kehren zurück ins Leben. Sie kommen hierher, um sich satt zu riechen und sind doch nie ganz zufrieden.
Als Fred zurückkam, war der Platz der Frau leer. Suchend blickte er sich um. Schade. Er nahm seine Jacke, und im Gehen fiel sein Blick auf den sich kratzenden Mann. Fred ging kurz entschlossen auf ihn zu. „Entschuldigung, darf ich mich für zwei Minuten setzen?“ Das Kratzen wurde unterbrochen und ein erstauntes Nicken wies Fred auf einen freien Stuhl.


Die laue Frühlingsluft brachte Wolf immer neue Blütenbotschaften und lockte eine wilde Neuheit aus seiner gereiften Seele. Er vergaß seinen Juckreiz. Balancierend turnte er wie in Kindertagen auf der hohen Bordsteinkante entlang. Immer bevor sein linkes Bein auf dem unsichtbaren Seil Halt suchte, knickte das rechte auffällig ein, ließ so den linken Schuh für eben diesen Augenblick verschwinden. Der so gewonnene Schwung sollte die notwendige Sicherheit geben. Die Arme streckte Wolf seitlich von sich, seine so geweitete, offene grüne Joppe verlieh ihm das Aussehen eines Frühlingsvogels, der zum ersten Flugversuch ansetzt. Wolf schwebte. Er schwebte auf dem dünnen Seil seines Lebens. In sich verspürte er die
Sättigung eines etwas einfachen Selbstbedienungsmahles und den wohltuenden kleinen Rausch dreier Glas Bier. Eigentlich hatte er so seine Prinzipien. Ein Bier zum Essen und eines für die Verdauung. Aber dieser Fred spendierte noch eines und eine schöne Träumerei dazu. Eine Träumerei von jener Frau, die zu seinem Hintern Knackarsch sagte. Greifend nach diesem verlor er den Halt, hüpfte geübt auf das Straßenpflaster, um anschließend das Balancieren erneut aufzunehmen. Fred meinte, er wäre ein Glückspilz. So eine Frau wüsste, was sie wolle. Nur solle er mal wieder zum Frisör gehen. Ein gepflegtes Äußeres wirke immer!

Gestern? Gestern hatte er Streit. Streit mit seiner Mutter. Lang und laut. Sie wollte nicht aufstehen. Dabei gab es keines der Gebrechen, welche die Beweglichkeit der alten Frau eingeschränkt hätte. Wenn sie wollte, dann konnte sie wunderbar die Straße hinab laufen. Sicher, inzwischen nutzte die alte Frau einen Gehstock. Wenn es ihr in den Sinn kam, zog sie an Sonntagen mit einer würdigen Protesthaltung, zwar etwas wacklig, aber immerhin, in die nahe gelegene Kirche. Ihr Protest galt dabei Wolf, der schon lange nicht mehr seine Hand in Weihwasser getaucht hatte. Sie konnte also aufstehen, wenn sie wollte. Aber sie wollte nicht. War es das Spiel um Macht? Oder war es dieser Altersstarrsinn? Wie eine Furie schrie sie ihm aus dem Bett ihre Befehle zu. Wolf mach dies, Wolf mach das. Zieh mir die Vorhänge zu, die Sonne blendet mich. Mach mir einen Tee, aber diesmal einen richtigen. Nicht wieder so eine dünne Brühe. An ihr müsse er ja nicht sparen, er würde ja sowieso alles erben. Nicht am Tee müsse er sparen. Aber dass er sich ein neues Fahrrad gekauft hätte, dies sei ja reine Verschwendung. Das solle einer verstehen. Schließlich könne er ja auch ihres nehmen. Das sei ja noch gut, so schlecht sei es noch nicht. Was er denn mit zwei Fahrrädern wolle, das sei reine Völlerei oder wie heißt noch das andere Wort? Verschwendung. Genau, das habe sie ja schon gesagt. Und warum bekäme sie zum Frühstück nur Zwieback? Wie? Den hätte sie sich doch gewünscht? Am Abend zuvor hatte sie getobt, Zwieback. Wolf, bring mir zum Frühstück Zwieback. Das hätte sie gesagt? Nie und nimmer. Sie wüsste ja noch, was sie sage, oder ob er denke, dass sie diese Krankheit habe. Wie heißt sie noch mal? Alzheimer. Ja, genau die, die habe sie jedenfalls nicht. Also keinen Zwieback. Brötchen. Frische Brötchen. Das könne man ja doch verlangen.

Als Wolf später mit den noch warmen Brötchen zurückkam, stand sie, nur mit Schlüpfer bekleidet, in der Küche und aß krachend den Zwieback. Da ist er geplatzt. Wütend hat er die Tür ins Schloss geschmissen und ist mit seinem neuen Rad losgefahren. Ich halte es nicht mehr aus. Irgendetwas muss passieren, sonst passiert noch irgendetwas. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Diese Worte trat er mit aller Kraft in die Pedale. Mit jedem Tritt wurde er wütender. Lautlose Tränen trieb der Fahrtwind in einer dünnen Spur bis zu den Ohren und weiter dann den Hals hinab. Irgend. Etwas.

Später, gegen Mittag, fuhr er zum Selbstbedienungsrestaurant des großen Möbelhauses. Er genoss diese kleine Freiheit: essen, wonach es duftete und nicht, was befohlen wurde. Und ein Bierchen dazu. Kein Bellen über die Schädlichkeit solch verwerflicher Genüsse. Kein: Du müsstest doch eigentlich alt genug sein, um dieses und jenes zu wissen. Es waren die wenigen Augenblicke des bewussten Genießens, die ihm eine kleine Überlebensfreude schenkten.
Heute? Schlimm war es. Gekreische in der Nacht, Gestank nach Kot und Urin, Betten neu beziehen. Was er sich einbilde. Sie sei es auf keinen Fall gewesen. Ob er denn denke, seine eigene Mutter würde einfach so ins Bett machen? Schämen solle er sich. Das müsse sie sich ja nicht sagen lassen. Nein, sie möchte nicht gewaschen werden. Das fehlte ja noch, der eigene Sohn wäscht die Mutter. Ob er denn überhaupt kein Schamgefühl habe? Nein, sie wolle jetzt nicht schlafen. Sie wolle fernsehen. Nein, kein Video. Höchstens das mit den lustigen Musikanten. Lauter, sie könne ja gar nichts verstehen. Dann, endlich, nächtliche Volksmusikruhe. Nach genau neunzig Minuten ging das Gekreische erneut los. Videos einlegen bis zum Morgen, dann Zwieback statt Brötchen. Senf. Wo ist mein Senf? Seit wann sie Senf auf Zwieback esse? Schon immer. Nur er gönne ihr das ja nicht. Er wolle ja nur an ihr sparen.

Oh, wie wünschte er sich Ruhe. Irgendetwas muss diese doch ermöglichen. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Die Beruhigungstropfen. Wo standen sie nur? Wolf mischte Tee und Tropfen. Noch mehr. Noch mehr. Und nun weg hier! Warum nur hatte das Rad einen Platten? Sein geliebtes neues Fahrrad. Er schrieb auf einen Zettel: Flickzeug. Und Senf.
Wolf balancierte ohne Flügelschlag auf dem dünnen Seil zurück ins Leben, gab den Bürgersteig auf und fürchtete schon die Gespräche der Belanglosigkeit mit dem Frisör. Es stimmte, beim Frisör war er nun wirklich lange nicht mehr gewesen. Es wurde Zeit. Irgend. Etwas.
Als Wolf durch die offene Glastür des Salons trat, biss der scharfe Geruch von gesprühtem Haarlack den warmen Frühlingsduft aus seiner Nase. Und mit jedem weiteren Schritt stieg seine Abneigung gegen diese, wie er meinte, Folterstätte der Moderne. Mit ihm nahmen auf dem freien Drehstuhl all die Erinnerungen Platz, die Frisöre bei ihm hinterlassen hatten. Warum muss man das nur erdulden. All die Fragen, die sie jedem stellen. Und ohne abzuwarten, blubbern sie die Antworten gleich hinterher. „Haben Sie gehört? Der Kindergarten soll geschlossen werden. Na ja, es gibt wohl zu wenig Kinder in dieser Stadt. Wo sollen sie auch herkommen. Die müssten mal zu Weihnachten den Strom abstellen. Und wissen Sie, warum? Die Paare würden den Liebesfilm, den sie eigentlich sehen wollten, selber spielen. Und im September hätten wir dann eine schöne Ernte. In ein paar Jahren kämen die kleinen Wänster dann zu mir und lernten endlich einmal still zu sitzen. Waschen, der Herr?“

Es gab nur einen Grund, der für das Waschen der Haare sprach. Die Hände des Frisörs. Wolf ertrug den Geruch der nahen Hände nicht. Sie rochen nach Zigarettenschweißsalami. Mit seinem „Ja, bitte“ kaufte er sich für die Zeit des Schneidens einen Apfelhandduft. Der Körper wurde abgesenkt, und dann plätscherte warmbrausendes Wasser über seinen Kopf. Wolf wünschte sich mit fest geschlossenen Augen, dass der Spiegel fortan dem Frisör Grimmassen schneiden möge. Irgendetwas musste doch den Frisör zum Schweigen bringen. Irgend. Etwas.

Morgen? Die Gedanken verloren sich an jene Frau, fluteten eine wildhitzige Erregung durch seinen Körper. Was willst du eigentlich, beschwor er konzentriert die aufkommende Erektion. Nur weil dieser Fred dir einen Floh ins Ohr gesetzt hat, geht nun die Phantasie mit dir durch.
Ganz wollte das verlangende Rauschen nicht verschwinden. Auch nicht, als Wolf wieder aufgerichtet wurde. Er sah den Frisör entsetzt in den Spiegel blicken und genoss die entstandene eigenartige Stille. Morgen, entschied Wolf für seinen Körper, morgen sind wir schlauer. Und bis dahin ist Ruhe, klar?


War es acht Uhr? War es neun? Erschrocken suchten Füße nach Hausschuhen, stocherten verschlafen auf kaltem Boden, drehten die gefundenen, schlurften so bekleidet ins Bad und stiegen wie jeden Morgen auf die Waage. War da etwas? Nichts. Etwas zu hören? Kein Geräusch? Kein Fluchen? Nichts. Kein 'Wolf, das wird ja Zeit, dass Du aufstehst, du verschläfst noch mal dein ganzes Leben'? Nichts. Statt dessen Ruhe. Himmlische Ruhe. Langsam ging Wolf in den Flur. Lauschen. Gestern Abend schon, als er müde von seiner Arbeit die Treppen hinaufstieg, war es so übertrieben still. Schlief sie schon? Genau wusste er es nicht, aber man kommt nicht ungestraft in das nächtliche Zimmer der Mutter. Mitunter flogen ihm dann zurechtgelegte Pantoffelwurfgeschosse entgegen. War da ein leises Schnarchen? Wolf ging zurück ins Bad, öffnete das Fenster zum Sonnenfrühlingsmorgen und genoss tief einatmend den Zwitscherlärm der alten Kastanie. Er schloss die Augen und wünschte sich zu jener Frau, die ihn auch in seinen nächtlichen Träumen gefesselt hielt. Irgendetwas müsste dies doch möglich machen. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Was macht denn da das Polizeiauto? Wollen die zu mir? Bitte nicht heute. Heute nicht. Heute bin ich mal dran mit Leben! Die Wohnungsklingel rasselte, als ob sie in den letzten Zügen läge. Unaufhörlich arbeitete sich der klägliche Ton an Wolfs Ohr.

„Moment!“, rief er in den Flur. Es klingelte wieder. Wolf sah erschrocken an sich herunter, zwängte eine schwarze Jeans auf seinen nackten Leib und lief den röchelnden Tönen entgegen.

„Wer da?“

Durch die vergitterte Milchglasscheibe der Wohnungstür sah er den Umriss eines schlanken Körpers. Eine dunkle feste Frauenstimme rief

„Hier ist die Polizei. Herr Zartmann? Bitte öffnen Sie!“

Drehendes Schlossgeräusch, Türklinkenabschwung, Öffnen der Tür. Sekunden des Staunens. „Das gibt es ja nicht. Sie sind Wolf Zartmann?“ Lustvoll betrachtete sie den halbnackten Mann.

„Und Sie sind bei der Polizei?“ Da stand sie. Die Frau, die er heute treffen wollte. Da stand die Frau, von der er wusste, dass er ihr gefiel, verkleidet in einer gut sitzenden Polizeiuniform, Handschellen blitzten am Gürtel.

„Die Dienste kann ich mir leider nicht raussuchen“, sagte sie und schob mit polizeilichem Ton nach: „Wissen Sie, wo Ihre Mutter ist?“

„Meine Mutter? Ist ihr irgendetwas passiert?“ Blitzschnell schossen ihm die einzelnen Möglichkeiten durch den Kopf.

„Ihre Mutter ist gestern, nur mit einem Nachthemd bekleidet, im Städtischen Krankenhaus erschienen. Sie behauptete, sie sei vergiftet worden. Man habe ihr Tropfen in den Tee gemischt. Aber außer eine Überdosis Baldrian konnte keine Vergiftung nachgewiesen werden. Da sie ihren Namen und ihre Adresse nicht wusste, hat man die alte Frau erst mal dabehalten.“

Bedächtig spielend legte die Polizistin eine Hand auf die seitlich blitzenden Handschellen. „Doch jetzt, da ich Sie so sehe, hätte ich doch noch einige Fragen. Darf ich reinkommen?“
Mit sieghaftem Lächeln ging sie an ihm vorüber und saugte im Vorbeigehen vom Strömungsduft seines Körpers.

„Ja, natürlich“, rief er ihr hinterher. Und schloss die Tür. „Sie dürfen alles!“
 
Hallo Wipfel,

vom Inhalt her eine interessante Geschichte und flüssig zu lesen. Auch wenn die Thematik nicht neu ist und oft in Geschichten zum Thema gemacht wird, hast du es verstanden, in deiner Geschichte Spannng durch das "Drumherum" zu erzeugen. Am Inhalt habe ich also nichts zu meckern.

Was mir aufgefallen ist, sind allerdings die vielen Absätze zwischen den Dialogen wie hier z. B.:

„Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest.

„Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“
Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln.

„Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee.

„Wie meinen Sie?“

„Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“

Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“
Aus Büchern kenne ich es in der Form (siehe unten). Ich würde es auch so schreiben, ohne zusätzliche Leerzeile dazwischen, nur mit einem Zeilenumbruch:

Beispiel:
„Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest.
„Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“
Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln.
„Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee.
„Wie meinen Sie?“
„Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“
Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“
Beispielende

In meinem Stilwörterbuch (Duden) steht übrigens unter Absatz:
Zitat
"3: Textabschnitt: ein kurzer, langer, neuer A.: einen A. machen (mit einer neuen Zeile beginnen" Zitatende.

Demnach bestünde ein Absatz gar nicht aus zwei Leerzeilen, sondern nur aus einem Zeilenumbruch.

Sorry, wenn ich mich an der Technik aufhalte, aber ich finde, das ist ein spannendes Thema :) Vielleicht äußert sich hier ja noch ein Fachmann dazu.
Für mich selbst stelle ich übrigens fest, dass es die Lesbarkeit eher erschwert als erleichtert und die Spannung mindert, wenn zwischen jeder einzelnen Dialogzeile zwei Leerzeilen stehen. Man, zumindest ich, kann hier nicht so schnell lesen wie ich will.

LG SilberneDelfine
 

Wipfel

Mitglied
Hi Silberne Delphine, vielen Dank für das wertschätzende Lesen und für die Anregung. Ich hatte den Ur-Text gestern auseinandergezogen und dachte, dass er dadurch lesbarer wird. Hier folgt jetzt die Ur-Fassung. Besser?

Geschirrklappern, Stimmengewirr, schweigendes Anstehen an der Kasse. Die Gerüche eines Schnellrestaurants gleichen einer Mischung dicker Farben; einzelne Duftstreifen durchziehen verlaufend und gerade noch erkennbar die Masse. Unmöglich sie herauszulösen, unmöglich sie voneinander zu trennen. Bald sind sie im Einheitsduftbrei entschwunden.
Mit einem Tablett balancierte Fred, auf der Suche nach einem freien Platz, seine heißdampfende Kartoffelsuppe durch die Reihen. „Noch frei?“ Zwei Blicke trafen sich. Nickend gab die Frau ihr Einverständnis und räumte ihre Tasche vom Stuhl. Das Tablett wurde abgestellt und Fred zog seine grüne Jacke aus. Unschlüssig stand er und suchte nach einer Garderobe. „Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest. „Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“ Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln. „Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee. „Wie meinen Sie?“ „Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“ Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“ Er rückte seine Brille zurecht und schaute vorsichtig auf seine Tischnachbarin. Die dunklen Haare hatte sie nach hinten gebunden. Ihr schmales Gesicht lächelte. Kaum spürbar winkte sie mit dem Kopf und lenkte Freds Blick an sich vorbei zum Nachbartisch. „Sie brauchen sich nur die Menschen anzusehen, dann wissen Sie alles! Sehen Sie zum Beispiel da drüben den älteren Herrn? Sehen Sie, welch unwiderstehliche Figur er hat? Wenn er wüsste, welche geheimen Kräfte in ihm schlummern! Die Frauen würden seinem Knackarsch scharenweise nachlaufen. Sehen Sie, wie er sich die Kopfhaut kratzt? Er kratzt nicht etwa, weil es ihn juckt. Vielleicht überlegt er gerade, wie er endlich von seiner Mutter loskommen könnte. Was hat er nur gegen sie? Warum glauben die Menschen nicht mehr an die Kraft des Wünschens? Sehen Sie seine struppigen Haare? Er glaubt nicht mehr daran, dass jemand ihn attraktiv finden könnte. Ganz im Gegensatz zu Ihnen. Und das lässt darauf schließen, dass Sie im Moment auf der Suche sind. Oder irre ich mich?“ Fred lauschte dem Gesagten hinterher. Er schaute immer noch zu dem älteren Herrn und sagte „Ich kann es nicht leugnen, Ihre Logik hat etwas.“ Er beugte sich über seine Suppe und löffelte weiter. Diese Frau gefiel ihm. Bei allem, was er bis jetzt gehört hatte, schwang in ihrer Stimme eine glucksende Offenheit. So war er nicht, aber diese unkomplizierte Art war Fred sympathisch. „Kennt ihr Euch denn?“ „Wir grüßen uns, mehr nicht.“ „So, so“, sagte Fred bedeutungsvoll. „Machen Sie das eigentlich öfter?“ Große braune Augen sahen ihn an. Er bemerkte die dichten, ungezupften Augenbrauen, die in der Mitte fast zusammenliefen. „Ich mache was?“ Entrüstet kam die Frage hervorgeschossen, und einen Augenblick nur schien es so, als ob eines ihrer Grübchen zum Lächeln heraus käme. „Leute beobachten, was dachten Sie denn?“ Ein schelmisches Grinsen zog sich versöhnlich über Freds Gesicht. Er gab sich reichlich Mühe zweideutig zu blinzeln
und sah sich dann suchend nach dem Geschirrwagen um. „Das Geschirr können Sie dahinten abstellen.“
Das Geschirr wurde auf dem dafür vorgesehenen Wagen abgestellt. Mit einem Blick streifte Fred die Reste der Selbstbedienungsspeisenden. Die Menschen kaufen Gerüche, die sie an wohlige Gefühle ihrer Kindheit erinnern. Haben sie ihren Hunger danach gestillt, legen sie die Gerüche ab und kehren zurück ins Leben. Sie kommen hierher, um sich satt zu riechen und sind doch nie ganz zufrieden.
Als Fred zurückkam, war der Platz der Frau leer. Suchend blickte er sich um. Schade. Er nahm seine Jacke, und im Gehen fiel sein Blick auf den sich kratzenden Mann. Fred ging kurz entschlossen auf ihn zu. „Entschuldigung, darf ich mich für zwei Minuten setzen?“ Das Kratzen wurde unterbrochen und ein erstauntes Nicken wies Fred auf einen freien Stuhl.
* * *
Die laue Frühlingsluft brachte Wolf immer neue Blütenbotschaften und lockte eine wilde Neuheit aus seiner gereiften Seele. Er vergaß seinen Juckreiz. Balancierend turnte er wie in Kindertagen auf der hohen Bordsteinkante entlang. Immer bevor sein linkes Bein auf dem unsichtbaren Seil Halt suchte, knickte das rechte auffällig ein, ließ so den linken Schuh für eben diesen Augenblick verschwinden. Der so gewonnene Schwung sollte die notwendige Sicherheit geben. Die Arme streckte Wolf seitlich von sich, seine so geweitete, offene grüne Joppe verlieh ihm das Aussehen eines Frühlingsvogels, der zum ersten Flugversuch ansetzt. Wolf schwebte. Er schwebte auf dem dünnen Seil seines Lebens. In sich verspürte er die
Sättigung eines etwas einfachen Selbstbedienungsmahles und den wohltuenden kleinen Rausch dreier Glas Bier. Eigentlich hatte er so seine Prinzipien. Ein Bier zum Essen und eines für die Verdauung. Aber dieser Fred spendierte noch eines und eine schöne Träumerei dazu. Eine Träumerei von jener Frau, die zu seinem Hintern Knackarsch sagte. Greifend nach diesem verlor er den Halt, hüpfte geübt auf das Straßenpflaster, um anschließend das Balancieren erneut aufzunehmen. Fred meinte, er wäre ein Glückspilz. So eine Frau wüsste, was sie wolle. Nur solle er mal wieder zum Frisör gehen. Ein gepflegtes Äußeres wirke immer!
Gestern? Gestern hatte er Streit. Streit mit seiner Mutter. Lang und laut. Sie wollte nicht aufstehen. Dabei gab es keines der Gebrechen, welche die Beweglichkeit der alten Frau eingeschränkt hätte. Wenn sie wollte, dann konnte sie wunderbar die Straße hinab laufen. Sicher, inzwischen nutzte die alte Frau einen Gehstock. Wenn es ihr in den Sinn kam, zog sie an Sonntagen mit einer würdigen Protesthaltung, zwar etwas wacklig, aber immerhin, in die nahe gelegene Kirche. Ihr Protest galt dabei Wolf, der schon lange nicht mehr seine Hand in Weihwasser getaucht hatte. Sie konnte also aufstehen, wenn sie wollte. Aber sie wollte nicht. War es das Spiel um Macht? Oder war es dieser Altersstarrsinn? Wie eine Furie schrie sie ihm aus dem Bett ihre Befehle zu. Wolf mach dies, Wolf mach das. Zieh mir die Vorhänge zu, die Sonne blendet mich. Mach mir einen Tee, aber diesmal einen richtigen. Nicht wieder so eine dünne Brühe. An ihr müsse er ja nicht sparen, er würde ja sowieso alles erben. Nicht am Tee müsse er sparen. Aber dass er sich ein neues Fahrrad gekauft hätte, dies sei ja reine Verschwendung. Das solle einer verstehen. Schließlich könne er ja auch ihres nehmen. Das sei ja noch gut, so schlecht sei es noch nicht. Was er denn mit zwei Fahrrädern wolle, dass sei reine Völlerei oder wie heißt noch das andere Wort? Verschwendung. Genau, das habe sie ja schon gesagt. Und warum bekäme sie zum Frühstück nur Zwieback? Wie? Den hätte sie sich doch gewünscht? Am Abend zuvor hatte sie getobt, Zwieback. Wolf, bring mir zum Frühstück Zwieback. Das hätte sie gesagt? Nie und nimmer. Sie wüsste ja noch, was sie sage, oder ob er denke, dass sie diese Krankheit habe. Wie heißt sie noch mal? Alzheimer. Ja, genau die, die habe sie jedenfalls nicht. Also keinen Zwieback. Brötchen. Frische Brötchen. Das könne man ja doch verlangen.
Als Wolf später mit den noch warmen Brötchen zurückkam, stand sie, nur mit Schlüpfer bekleidet, in der Küche und aß krachend den Zwieback. Da ist er geplatzt. Wütend hat er die Tür ins Schloss geschmissen und ist mit seinem neuen Rad losgefahren. Ich halte es nicht mehr aus. Irgendetwas muss passieren, sonst passiert noch irgendetwas. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Diese Worte trat er mit aller Kraft in die Pedale. Mit jedem Tritt wurde er wütender. Lautlose Tränen trieb der Fahrtwind in einer dünnen Spur bis zu den Ohren und weiter dann den Hals hinab. Irgend. Etwas.
Später, gegen Mittag, fuhr er zum Selbstbedienungsrestaurant des großen Möbelhauses. Er genoss diese kleine Freiheit: essen, wonach es duftete und nicht, was befohlen wurde. Und ein Bierchen dazu. Kein Bellen über die Schädlichkeit solch verwerflicher Genüsse. Kein: Du müsstest doch eigentlich alt genug sein, um dieses und jenes zu wissen. Es waren die wenigen Augenblicke des bewussten Genießens, die ihm eine kleine Überlebensfreude schenkten.
Heute? Schlimm war es. Gekreische in der Nacht, Gestank nach Kot und Urin, Betten neu beziehen. Was er sich einbilde. Sie sei es auf keinen Fall gewesen. Ob er denn denke, seine eigene Mutter würde einfach so ins Bett machen? Schämen solle er sich. Das müsse sie sich ja nicht sagen lassen. Nein, sie möchte nicht gewaschen werden. Das fehlte ja noch, der eigene Sohn wäscht die Mutter. Ob er denn überhaupt kein Schamgefühl habe? Nein, sie wolle jetzt nicht schlafen. Sie wolle fernsehen. Nein, kein Video. Höchstens das mit den lustigen Musikanten. Lauter, sie könne ja gar nichts verstehen. Dann, endlich, nächtliche Volksmusikruhe. Nach genau neunzig Minuten ging das Gekreische erneut los. Videos einlegen bis zum Morgen, dann Zwieback statt Brötchen. Senf. Wo ist mein Senf? Seit wann sie Senf auf Zwieback esse? Schon immer. Nur er gönne ihr das ja nicht. Er wolle ja nur an ihr sparen.
Oh, wie wünschte er sich Ruhe. Irgendetwas muss diese doch ermöglichen. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Die Beruhigungstropfen. Wo standen sie nur? Wolf mischte Tee und Tropfen. Noch mehr. Noch mehr. Und nun weg hier! Warum nur hatte das Rad einen Platten? Sein geliebtes neues Fahrrad. Er schrieb auf einen Zettel: Flickzeug. Und Senf.

Wolf balancierte ohne Flügelschlag auf dem dünnen Seil zurück ins Leben, gab den Bürgersteig auf und fürchtete schon die Gespräche der Belanglosigkeit mit dem Frisör. Es stimmte, beim Frisör war er nun wirklich lange nicht mehr gewesen. Es wurde Zeit. Irgend. Etwas.
Als Wolf durch die offene Glastür des Salons trat, biss der scharfe Geruch von gesprühtem Haarlack den warmen Frühlingsduft aus seiner Nase. Und mit jedem weiteren Schritt stieg seine Abneigung gegen diese, wie er meinte, Folterstätte der Moderne. Mit ihm nahmen auf dem freien Drehstuhl all die Erinnerungen Platz, die Frisöre bei ihm hinterlassen hatten. Warum muss man das nur erdulden. All die Fragen, die sie jedem stellen. Und ohne abzuwarten, blubbern sie die Antworten gleich hinterher. „Haben Sie gehört? Der Kindergarten soll geschlossen werden. Na ja, es gibt wohl zu wenig Kinder in dieser Stadt. Wo sollen sie auch herkommen. Die müssten mal zu Weihnachten den Strom abstellen. Und wissen Sie, warum? Die Paare würden den Liebesfilm, den sie eigentlich sehen wollten, selber spielen. Und im September hätten wir dann eine schöne Ernte. In ein paar Jahren kämen die kleinen Wänster dann zu mir und lernten endlich einmal still zu sitzen. Waschen?“
Es gab nur einen Grund, der für das Waschen der Haare sprach. Die Hände des Frisörs. Wolf ertrug den Geruch der nahen Hände nicht. Sie rochen nach Zigarettenschweiß-salami. Mit seinem „Ja, bitte“ kaufte er sich für die Zeit des Schneidens einen Apfelhandduft. Der Körper wurde abgesenkt, und dann plätscherte warmbrausendes Wasser über seinen Kopf. Wolf wünschte sich mit fest geschlossenen Augen, dass der Spiegel fortan dem Frisör Grimmassen schneiden möge. Irgendetwas musste doch den Frisör zum Schweigen bringen. Irgend. Etwas.
Morgen? Die Gedanken verloren sich an jene Frau, fluteten eine wildhitzige Erregung durch seinen Körper. Was willst du eigentlich, beschwor er konzentriert die aufkommende Erektion. Nur weil dieser Fred dir einen Floh ins Ohr gesetzt hat, geht nun die Phantasie mit dir durch.
Ganz wollte das verlangende Rauschen nicht verschwinden. Auch nicht, als Wolf wieder aufgerichtet wurde. Er sah den Frisör entsetzt in den Spiegel blicken und genoss die entstandene eigenartige Stille. Morgen, entschied Wolf für seinen Körper, morgen sind wir schlauer. Und bis dahin ist Ruhe, klar?
* * *
War es acht Uhr? War es neun? Erschrocken suchten Füße nach Hausschuhen, stocherten verschlafen auf kaltem Boden, drehten die gefundenen, schlurften so bekleidet ins Bad und stiegen wie jeden Morgen auf die Waage. War da etwas? Nichts. Etwas zu hören? Kein Geräusch? Kein Fluchen? Nichts. Kein Wolf, das wird ja Zeit, dass Du aufstehst, du verschläfst noch mal dein ganzes Leben? Nichts. Statt dessen Ruhe. Himmlische Ruhe. Langsam ging Wolf in den Flur. Lauschen. Gestern Abend schon, als er müde von seiner Arbeit die Treppen hinaufstieg, war es so übertrieben ruhig. Schlief sie schon? Genau wusste er es nicht, aber man kommt nicht ungestraft in das nächtliche Zimmer der Mutter. Mitunter flogen ihm dann zurechtgelegte Pantoffelwurfgeschosse entgegen. War da ein leises Schnarchen? Wolf ging zurück ins Bad, öffnete das Fenster zum Sonnenfrühlingsmorgen und genoss tief einatmend den Zwitscherlärm der alten Kastanie. Er schloss die Augen und wünschte sich zu jener Frau, die ihn auch in seinen nächtlichen Träumen gefesselt hielt. Irgendetwas müsste dies doch möglich machen. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Was macht denn da das Polizeiauto? Wollen die zu mir? Bitte nicht heute. Heute nicht. Heute bin ich mal dran mit Leben! Die Wohnungsklingel rasselte, als ob sie in den letzten Zügen läge. Unaufhörlich arbeitete sich der klägliche Ton an Wolfs Ohr. „Moment!“ rief er in den Flur. Es klingelte wieder. Wolf sah erschrocken an sich herunter, zwängte eine schwarze Jeans auf seinen nackten Leib und lief den röchelnden Tönen entgegen. „Wer da?“ Durch die vergitterte Milchglasscheibe der Wohnungstür sah er den Umriss eines schlanken Körpers. Eine dunkle feste Frauenstimme rief „Hier ist die Polizei. Herr Zartmann? Bitte öffnen Sie!“ Drehendes Schlossgeräusch, Türklinkenabschwung, Öffnen der Tür. Sekunden des Staunens. „Das gibt es ja nicht. Sie sind Wolf Zartmann?“ Lustvoll betrachtete sie den halbnackten Mann. „Und Sie sind bei der Polizei?“ Da stand sie. Die Frau, die er heute treffen wollte. Da stand die Frau, von der er wusste, dass er ihr gefiel, verkleidet in einer gut sitzenden Polizeiuniform, Handschellen blitzten am Gürtel. „Die Dienste kann ich mir leider nicht raussuchen“, sagte sie und schob mit polizeilichem Ton nach: „Wissen Sie, wo Ihre Mutter ist?“ „Meine Mutter? Ist ihr irgendetwas passiert?“ Blitzschnell schossen ihm die einzelnen Möglichkeiten durch den Kopf.
„Ihre Mutter ist gestern, nur mit einem Nachthemd bekleidet, im Städtischen Krankenhaus erschienen. Sie behauptete, sie sei vergiftet worden. Man habe ihr Tropfen in den Tee gemischt. Aber außer ein paar überschüssigen Baldriantropfen konnte keine Vergiftung nachgewiesen werden. Da sie ihren Namen und ihre Adresse nicht wusste, hat man die alte Frau erst mal dabehalten.“ Bedächtig spielend legte die Polizistin eine Hand auf die seitlich blitzenden Handschellen. „Doch jetzt, da ich Sie so sehe, hätte ich doch noch einige Fragen. Darf ich reinkommen?“ Mit sieghaftem Lächeln ging sie an ihm vorüber und saugte im Vorbeigehen vom Strömungsduft seines Körpers. „Ja, natürlich“, rief er ihr hinterher. Und schloss die Tür. „Sie dürfen alles!“

Nicht ganz sauber in den Umbrüchen. Doch besser? Lesbarer?

Grüße von wipfel
 
Hallo Wipfel,

nicht ganz. :) Ich meinte nicht, auf Zeilenumbrüche völlig zu verzichten.

Zwei Blicke trafen sich. Nickend gab die Frau ihr Einverständnis und räumte ihre Tasche vom Stuhl. Das Tablett wurde abgestellt und Fred zog seine grüne Jacke aus. Unschlüssig stand er und suchte nach einer Garderobe. „Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest. „Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“ Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln. „Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee. „Wie meinen Sie?“ „Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“ Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“
Richtig wäre:

„Noch frei?“
Zwei Blicke trafen sich. Nickend gab die Frau ihr Einverständnis und räumte ihre Tasche vom Stuhl. Das Tablett wurde abgestellt und Fred zog seine grüne Jacke aus. Unschlüssig stand er und suchte nach einer Garderobe. (Zeilenumbruch, mein Handy formatiert das hier nicht an der richtigen Stelle, sorry).
„Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest.
„Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“ Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln.
„Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee.
„Wie meinen Sie?“
„Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“
Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“


Immer einen Zeilenumbruch machen, wenn der Sprecher wechselt :)

LG SilberneDelfine
 

Wipfel

Mitglied
Geschirrklappern, Stimmengewirr, schweigendes Anstehen an der Kasse.
Mit einem Tablett balancierte Fred seine dampfende Kartoffelsuppe durch die Reihen.
„Noch frei?“
Zwei Blicke trafen sich. Nickend gab die Frau ihr Einverständnis und räumte ihre Tasche vom Stuhl. Fred stellte das Tablett ab und zog seine grüne Jacke aus. Unschlüssig stand er und suchte nach einer Garderobe.
„Hängen Sie die Jacke doch über die Stuhllehne.“ Die Frau sah kurz auf, ihr Blick war warm und fest.
„Ich lege sie mir lieber auf den Schoß. Sonst wird sie nur schmutzig.“
Fred faltete die Jacke zusammen, setzte sich etwas umständlich und begann seine Suppe zu löffeln.
„Selten so etwas.“ Die Frau neben ihm sagte es betont beiläufig und rührte dabei mechanisch in ihrem Kaffee.
„Wie meinen Sie?“
„Es ist selten, dass Männer sich so wie Sie um ihre Sachen sorgen. Die meisten achten nicht darauf oder machen zumindest das, was Frauen ihnen dazu raten.“
Es war Fred unangenehm so angesprochen zu werden. „Wie kommen Sie denn darauf?“
Er rückte seine Brille zurecht und schaute vorsichtig auf seine Tischnachbarin. Die dunklen Haare hatte sie nach hinten gebunden. Ihr schmales Gesicht lächelte. Kaum spürbar winkte sie mit dem Kopf und lenkte Freds Blick an sich vorbei zum Nachbartisch.
„Sie brauchen sich nur die Menschen anzusehen, dann wissen Sie alles! Sehen Sie zum Beispiel da drüben den älteren Herrn? Sehen Sie, welch unwiderstehliche Figur er hat? Wenn er wüsste, welche geheimen Kräfte in ihm schlummern! Die Frauen würden seinem Knackarsch scharenweise nachlaufen. Sehen Sie, wie er sich die Kopfhaut kratzt? Er kratzt nicht etwa, weil es ihn juckt. Vielleicht überlegt er gerade, wie er endlich von seiner Mutter loskommen könnte. Was hat er nur gegen sie? Warum glauben die Menschen nicht mehr an die Kraft des Wünschens? Sehen Sie seine struppigen Haare? Er glaubt nicht mehr daran, dass jemand ihn attraktiv finden könnte. Ganz im Gegensatz zu Ihnen. Und das lässt darauf schließen, dass Sie im Moment auf der Suche sind. Oder irre ich mich?“
Fred lauschte dem Gesagten hinterher. Er schaute immer noch zu dem älteren Herrn und sagte: „Ich kann es nicht leugnen, Ihre Logik hat etwas.“
Er beugte sich über seine Suppe und löffelte weiter. Diese Frau gefiel ihm. Bei allem, was er bis jetzt gehört hatte, schwang in ihrer Stimme eine glucksende Offenheit. So war er nicht, aber diese unkomplizierte Art war Fred sympathisch.
„Kennt Ihr Euch denn?“
„Wir grüßen uns, mehr nicht.“
„So, so“, sagte Fred bedeutungsvoll. „Machen Sie das eigentlich öfter?“
Große braune Augen sahen ihn an. Er bemerkte die dichten, ungezupften Augenbrauen, die in der Mitte fast zusammenliefen.
„Ich mache was?“ Entrüstet kam die Frage hervorgeschossen, und einen Augenblick nur schien es so, als ob eines ihrer Grübchen zum Lächeln heraus käme.
„Leute beobachten, was dachten Sie denn?“ Ein schelmisches Grinsen zog sich versöhnlich über Freds Gesicht. Er gab sich reichlich Mühe zweideutig zu blinzeln und sah sich dann suchend nach dem Geschirrwagen um.
„Das Geschirr können Sie dahinten abstellen.“
Mit einem Blick streifte Fred die Reste der Selbstbedienungsspeisenden. Die Menschen kaufen Gerüche, die sie an wohlige Gefühle ihrer Kindheit erinnern. Haben sie ihren Hunger danach gestillt, legen sie die Gerüche ab und kehren zurück ins Leben. Sie kommen hierher, um sich satt zu riechen und sind doch nie ganz zufrieden.
Als Fred zurückkam, war der Platz der Frau leer. Suchend blickte er sich um. Schade. Er nahm seine Jacke, und im Gehen fiel sein Blick auf den sich kratzenden Mann. Fred ging kurz entschlossen auf ihn zu. „Entschuldigung, darf ich mich für zwei Minuten setzen?“ Das Kratzen wurde unterbrochen und ein erstauntes Nicken wies Fred auf einen freien Stuhl.

Die laue Frühlingsluft brachte Wolf immer neue Blütenbotschaften und lockte eine wilde Neuheit aus seiner gereiften Seele. Er vergaß seinen Juckreiz. Balancierend turnte er wie in Kindertagen auf der hohen Bordsteinkante entlang. Immer bevor sein linkes Bein auf dem unsichtbaren Seil Halt suchte, knickte das rechte auffällig ein, ließ so den linken Schuh für eben diesen Augenblick verschwinden. Der so gewonnene Schwung sollte die notwendige Sicherheit geben. Die Arme streckte Wolf seitlich von sich, seine so geweitete, offene grüne Joppe verlieh ihm das Aussehen eines Frühlingsvogels, der zum ersten Flugversuch ansetzt. Wolf schwebte. Er schwebte auf dem dünnen Seil seines Lebens. In sich verspürte er die
Sättigung eines etwas einfachen Selbstbedienungsmahles und den wohltuenden kleinen Rausch dreier Glas Bier. Eigentlich hatte er so seine Prinzipien. Ein Bier zum Essen und eines für die Verdauung. Aber dieser Fred spendierte noch eines und eine schöne Träumerei dazu. Eine Träumerei von jener Frau, die zu seinem Hintern Knackarsch sagte. Greifend nach diesem verlor er den Halt, hüpfte geübt auf das Straßenpflaster, um anschließend das Balancieren erneut aufzunehmen. Fred meinte, er wäre ein Glückspilz. So eine Frau wüsste, was sie wolle. Nur solle er mal wieder zum Frisör gehen. Ein gepflegtes Äußeres wirke immer!

Gestern? Gestern hatte er Streit. Streit mit seiner Mutter. Lang und laut. Sie wollte nicht aufstehen. Dabei gab es keines der Gebrechen, welche die Beweglichkeit der alten Frau eingeschränkt hätte. Wenn sie wollte, dann konnte sie wunderbar die Straße hinab laufen. Sicher, inzwischen nutzte die alte Frau einen Gehstock. Wenn es ihr in den Sinn kam, zog sie an Sonntagen mit einer würdigen Protesthaltung, zwar etwas wacklig, aber immerhin, in die nahe gelegene Kirche. Ihr Protest galt dabei Wolf, der schon lange nicht mehr seine Hand in Weihwasser getaucht hatte. Sie konnte also aufstehen, wenn sie wollte. Aber sie wollte nicht. War es das Spiel um Macht? Oder war es dieser Altersstarrsinn? Wie eine Furie schrie sie ihm aus dem Bett ihre Befehle zu. Wolf mach dies, Wolf mach das. Zieh mir die Vorhänge zu, die Sonne blendet mich. Mach mir einen Tee, aber diesmal einen richtigen. Nicht wieder so eine dünne Brühe. An ihr müsse er ja nicht sparen, er würde ja sowieso alles erben. Nicht am Tee müsse er sparen. Aber dass er sich ein neues Fahrrad gekauft hätte, dies sei ja reine Verschwendung. Das solle einer verstehen. Schließlich könne er ja auch ihres nehmen. Das sei ja noch gut, so schlecht sei es noch nicht. Was er denn mit zwei Fahrrädern wolle, das sei reine Völlerei oder wie heißt noch das andere Wort? Verschwendung. Genau, das habe sie ja schon gesagt. Und warum bekäme sie zum Frühstück nur Zwieback? Wie? Den hätte sie sich doch gewünscht? Am Abend zuvor hatte sie getobt, Zwieback. Wolf, bring mir zum Frühstück Zwieback. Das hätte sie gesagt? Nie und nimmer. Sie wüsste ja noch, was sie sage, oder ob er denke, dass sie diese Krankheit habe. Wie heißt sie noch mal? Alzheimer. Ja, genau die, die habe sie jedenfalls nicht. Also keinen Zwieback. Brötchen. Frische Brötchen. Das könne man ja doch verlangen.
Als Wolf später mit den noch warmen Brötchen zurückkam, stand sie, nur mit Schlüpfer bekleidet, in der Küche und aß krachend den Zwieback. Da ist er geplatzt. Wütend hat er die Tür ins Schloss geschmissen und ist mit seinem neuen Rad losgefahren. Ich halte es nicht mehr aus. Irgendetwas muss passieren, sonst passiert noch irgendetwas. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Diese Worte trat er mit aller Kraft in die Pedale. Mit jedem Tritt wurde er wütender. Lautlose Tränen trieb der Fahrtwind in einer dünnen Spur bis zu den Ohren und weiter dann den Hals hinab. Irgend. Etwas.
Später, gegen Mittag, fuhr er zum Selbstbedienungsrestaurant des großen Möbelhauses. Er genoss diese kleine Freiheit: essen, wonach es duftete und nicht, was befohlen wurde. Und ein Bierchen dazu. Kein Bellen über die Schädlichkeit solch verwerflicher Genüsse. Kein: Du müsstest doch eigentlich alt genug sein, um dieses und jenes zu wissen. Es waren die wenigen Augenblicke des bewussten Genießens, die ihm eine kleine Überlebensfreude schenkten.

Heute? Schlimm war es. Gekreische in der Nacht, Gestank nach Kot und Urin, Betten neu beziehen. Was er sich einbilde. Sie sei es auf keinen Fall gewesen. Ob er denn denke, seine eigene Mutter würde einfach so ins Bett machen? Schämen solle er sich. Das müsse sie sich ja nicht sagen lassen. Nein, sie möchte nicht gewaschen werden. Das fehlte ja noch, der eigene Sohn wäscht die Mutter. Ob er denn überhaupt kein Schamgefühl habe? Nein, sie wolle jetzt nicht schlafen. Sie wolle fernsehen. Nein, kein Video. Höchstens das mit den lustigen Musikanten. Lauter, sie könne ja gar nichts verstehen. Dann, endlich, nächtliche Volksmusikruhe. Nach genau neunzig Minuten ging das Gekreische erneut los. Videos einlegen bis zum Morgen, dann Zwieback statt Brötchen. Senf. Wo ist mein Senf? Seit wann sie Senf auf Zwieback esse? Schon immer. Nur er gönne ihr das ja nicht. Er wolle ja nur an ihr sparen.
Oh, wie wünschte er sich Ruhe. Irgendetwas muss diese doch ermöglichen. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Die Beruhigungstropfen. Wo standen sie nur? Wolf mischte Tee und Tropfen. Noch mehr. Noch mehr. Und nun weg hier! Warum nur hatte das Rad einen Platten? Sein geliebtes neues Fahrrad. Er schrieb auf einen Zettel: Flickzeug. Und Senf.
Wolf balancierte ohne Flügelschlag auf dem dünnen Seil zurück ins Leben, gab den Bürgersteig auf und fürchtete schon die Gespräche der Belanglosigkeit mit dem Frisör. Es stimmte, beim Frisör war er nun wirklich lange nicht mehr gewesen. Es wurde Zeit. Irgend. Etwas.
Als Wolf durch die offene Glastür des Salons trat, biss der scharfe Geruch von gesprühtem Haarlack den warmen Frühlingsduft aus seiner Nase. Und mit jedem weiteren Schritt stieg seine Abneigung gegen diese, wie er meinte, Folterstätte der Moderne. Mit ihm nahmen auf dem freien Drehstuhl all die Erinnerungen Platz, die Frisöre bei ihm hinterlassen hatten. Warum muss man das nur erdulden. All die Fragen, die sie jedem stellen. Und ohne abzuwarten, blubbern sie die Antworten gleich hinterher. „Haben Sie gehört? Der Kindergarten soll geschlossen werden. Na ja, es gibt wohl zu wenig Kinder in dieser Stadt. Wo sollen sie auch herkommen. Die müssten mal zu Weihnachten den Strom abstellen. Und wissen Sie, warum? Die Paare würden den Liebesfilm, den sie eigentlich sehen wollten, selber spielen. Und im September hätten wir dann eine schöne Ernte. In ein paar Jahren kämen die kleinen Wänster dann zu mir und lernten endlich einmal still zu sitzen. Waschen, der Herr?“
Es gab nur einen Grund, der für das Waschen der Haare sprach. Die Hände des Frisörs. Wolf ertrug den Geruch der nahen Hände nicht. Sie rochen nach Zigarettenschweißsalami. Mit seinem „Ja, bitte“ kaufte er sich für die Zeit des Schneidens einen Apfelhandduft. Der Körper wurde abgesenkt, und dann plätscherte warmbrausendes Wasser über seinen Kopf. Wolf wünschte sich mit fest geschlossenen Augen, dass der Spiegel fortan dem Frisör Grimmassen schneiden möge. Irgendetwas musste doch den Frisör zum Schweigen bringen. Irgend. Etwas.

Morgen? Die Gedanken verloren sich an jene Frau, fluteten eine wildhitzige Erregung durch seinen Körper. Was willst du eigentlich, beschwor er konzentriert die aufkommende Erektion. Nur weil dieser Fred dir einen Floh ins Ohr gesetzt hat, geht nun die Phantasie mit dir durch.
Ganz wollte das verlangende Rauschen nicht verschwinden. Auch nicht, als Wolf wieder aufgerichtet wurde. Er sah den Frisör entsetzt in den Spiegel blicken und genoss die entstandene eigenartige Stille. Morgen, entschied Wolf für seinen Körper, morgen sind wir schlauer. Und bis dahin ist Ruhe, klar?

War es acht Uhr? War es neun? Erschrocken suchten Füße nach Hausschuhen, stocherten verschlafen auf kaltem Boden, drehten die gefundenen, schlurften so bekleidet ins Bad und stiegen wie jeden Morgen auf die Waage. War da etwas? Nichts. Etwas zu hören? Kein Geräusch? Kein Fluchen? Nichts. Kein 'Wolf, das wird ja Zeit, dass Du aufstehst, du verschläfst noch mal dein ganzes Leben'? Nichts. Statt dessen Ruhe. Himmlische Ruhe. Langsam ging Wolf in den Flur. Lauschen. Gestern Abend schon, als er müde von seiner Arbeit die Treppen hinaufstieg, war es so übertrieben still. Schlief sie schon? Genau wusste er es nicht, aber man kommt nicht ungestraft in das nächtliche Zimmer der Mutter. Mitunter flogen ihm dann zurechtgelegte Pantoffelwurfgeschosse entgegen. War da ein leises Schnarchen? Wolf ging zurück ins Bad, öffnete das Fenster zum Sonnenfrühlingsmorgen und genoss tief einatmend den Zwitscherlärm der alten Kastanie. Er schloss die Augen und wünschte sich zu jener Frau, die ihn auch in seinen nächtlichen Träumen gefesselt hielt. Irgendetwas müsste dies doch möglich machen. Irgend. Etwas. Irgend. Etwas. Was macht denn da das Polizeiauto? Wollen die zu mir? Bitte nicht heute. Heute nicht. Heute bin ich mal dran mit Leben! Die Wohnungsklingel rasselte, als ob sie in den letzten Zügen läge. Unaufhörlich arbeitete sich der klägliche Ton an Wolfs Ohr.
„Moment!“, rief er in den Flur. Es klingelte wieder. Wolf sah erschrocken an sich herunter, zwängte eine schwarze Jeans auf seinen nackten Leib und lief den röchelnden Tönen entgegen.
„Wer da?“
Durch die vergitterte Milchglasscheibe der Wohnungstür sah er den Umriss eines schlanken Körpers. Eine dunkle feste Frauenstimme rief
„Hier ist die Polizei. Herr Zartmann? Bitte öffnen Sie!“
Drehendes Schlossgeräusch, Türklinkenabschwung, Öffnen der Tür. Sekunden des Staunens. „Das gibt es ja nicht. Sie sind Wolf Zartmann?“ Lustvoll betrachtete sie den halbnackten Mann.
„Und Sie sind bei der Polizei?“ Da stand sie. Die Frau, die er heute treffen wollte. Da stand die Frau, von der er wusste, dass er ihr gefiel, verkleidet in einer gut sitzenden Polizeiuniform, Handschellen blitzten am Gürtel.
„Die Dienste kann ich mir leider nicht raussuchen“, sagte sie und schob mit polizeilichem Ton nach: „Wissen Sie, wo Ihre Mutter ist?“
„Meine Mutter? Ist ihr irgendetwas passiert?“ Blitzschnell schossen ihm die einzelnen Möglichkeiten durch den Kopf.
„Ihre Mutter ist gestern, nur mit einem Nachthemd bekleidet, im Städtischen Krankenhaus erschienen. Sie behauptete, sie sei vergiftet worden. Man habe ihr Tropfen in den Tee gemischt. Aber außer eine Überdosis Baldrian konnte keine Vergiftung nachgewiesen werden. Da sie ihren Namen und ihre Adresse nicht wusste, hat man die alte Frau erst mal dabehalten.“
Bedächtig spielend legte die Polizistin eine Hand auf die seitlich blitzenden Handschellen. „Doch jetzt, da ich Sie so sehe, hätte ich doch noch einige Fragen. Darf ich reinkommen?“
Mit sieghaftem Lächeln ging sie an ihm vorüber und saugte im Vorbeigehen vom Strömungsduft seines Körpers.
„Ja, natürlich“, rief er ihr hinterher. Und schloss die Tür. „Sie dürfen alles!“
 



 
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