Alexander Lingrön
Mitglied
Über der nordamerikanischen Prärie lag tiefste Dunkelheit. Lediglich der schwache Schein der Sterne und des Mondes gaukelte eine Lichtquelle in dieser wolkenlosen Nacht vor. Nichts regte sich in dieser endlosen Prärie.
Vor vielen, vielen Jahren war das noch anders. Die Ureinwohner lebten in einer perfekten Symbiose mit Fauna und Flora. Die Natur konnte jederzeit die Bedürfnisse ihrer Bewohner erfüllen. Doch dann schlich sich ein Krankheitserreger ein. Er brachte Feuer in Bleirohren und giftiges Wasser mit. Er tötete die Tiere, die die Ureinwohner zum Leben benötigten, in großer Zahl und auch die Ureinwohner selbst fielen durch das Feuerrohr oder starben am giftigen Wasser. Bald erhielt diese Krankheit einen Namen. Sie nannten sie Bleichgesicht, aufgrund der blassen Gesichter dieser Männer, die ohne zu fragen in ihren Lebensraum eindrangen und ihre Sinne vernebelten.
Die Prärie verstummte nach und nach. Die Prüfungen, die jeder junge Indianer zu bestehen hatte, um in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden und einen Namen zu erhalten, wurden zusehends schwieriger. Sie passten sich den Verhältnissen an. Es war jedoch nicht so, dass sie sich nicht wehrten. Vielmehr führte es dazu, dass viele, nicht alle, verfeindete Stämme sich zusammentaten um gegen das Bleichgesicht vorzugehen, auch wenn die Hoffnung gering war. Das Bleichgesicht war einfach zu mächtig.
Das Einmischen des Bleichgesichtes führte jedenfalls dazu, dass der junge Indianer bereits fünf Nächte lang von seinen Stamm getrennt war, um sich einen Namen zu machen. Er ernährte sich von dem, was die Natur ihm gab. Üblicherweise waren es Beeren, essbare Pilze und einmal sogar einen Fisch. Er klagte jedoch nicht. Er vertraute auf den großen Geist, der überall war. Er war überzeugt, mit einen Namen zurückkehren zu können.
Sein Vertrauen sollte sich in der fünften Nacht erfüllen. Es war nämlich nicht nur so, dass das Bleichgesicht den Indianer die Lebensgrundlage raubte sondern auch den Tieren, die hier lebten. So kam es, als der junge Mensch schlief, um Kraft zu tanken, dass sich ihm drei ausgehungerte Jaguare näherten um sich an ihm gütlich zu tun.
Die Sinne des Indianers waren jedoch Gott sei Dank hellwach und gerade als sie ihn angreifen wollten, stand er auch schon auf den Beinen, bewaffnet nur mit einem Tomahawk. Die Situation war klar. Entweder würde er heute im Kampf sterben oder die drei Jaguare würden seinem Stamm eine willkommene Mahlzeit bieten.
Er entschied sich für die zweite Variante. Die Wut und der Hunger der Jaguare waren groß. Der Indianer hatte Schwierigkeiten, sie niederzuringen und er kam nicht ohne Verletzungen davon. Doch nach einigen Minuten lagen die Tiere tot vor ihm.
Am nächsten Morgen zog er den Jaguaren das Fell ab. Er bearbeitete es, um es selbst tragen zu können. Sodann improvisierte er eine Trage, wie er es schon bei den Bleichgesichtern gesehen hatte, lud die Kadaver da drauf und drei Tage später erreichte er seinen Stamm. Ohne zu zögern wurde das Fleisch nun verarbeitet und haltbar gemacht. Er selbst aber erhielt den Namen Jaguar und man dankte dem großen Geist für seine Gabe.
Viele Male kam und ging der Frühling ins Land. Nahuel wurde irgendwann zum Häuptling ernannt. Er regierte seinen Stamm weise, begrub einige Kriegsbeile mit benachbarten Stämmen und wehrte mehrmals die Bleichgesichter ab, die es auf seinen Stamm und sein Land abgesehen hatten. Und natürlich gründete er auch eine Familie. Das Ergebnis war die Geburt von Antinanco und er war der einzige, der noch vor dem Aufnahmeritual einen Namen erhielt. Antinanco heißt Adler der Sonne. Seine Augen waren so scharf wie die eines Adlers und die Sonne war für seinen Stamm der Inbegriff des Lebens und der Hoffnung. Nahuel unterzog ihm einer harten Ausbildung. Seine besten Krieger sollten ihn zu einem großen Kämpfer heranziehen und sein Medizinmann sowie die weisesten Frauen sollten ihm ihr Wissen vermitteln.
Nahuel hatte einen Plan mit seinen einzigen Sohn und er würde selbigen Antinanco offenbaren, sobald er seine Ausbildung abgeschlossen hatte.
Sein Haupt war bereits in Würde ergraut, als sein Sohn endlich seine Ausbildung als vollendet betrachten konnte. Es gab jetzt nur noch eines zu tun. Über alles weitere hatte nur Antinanco und der große Geist Kontrolle. So saß er also denn an einen nebligen Morgen, der einen schönen Tag versprach, in seinen Zelt und wartete auf seinen Sohn, den er um sein Erscheinen bat.
Während er wartete, da gingen ihm die vielen Erlebnisse der letzten Jahre mit den Bleichgesichtern durch den Kopf. Es gelang ihm natürlich, großen Schaden von seinen Stamm abzuwehren. Aber wie lange noch? Nicht nur mit dem Feuerrohr spricht das Bleichgesicht, sondern auch mit gespaltener Zunge. Es führte dazu, dass die Indianer immer mehr Land und ihre ursprüngliche Stärke verloren. Wie viele hatten sich wohl schon auf ihre Seite geschlagen, nur um nicht endgültig aufgerieben zu werden? Nahuel selbst würde mit Sicherheit nicht dazugehören.
Man möge aber fair sein. Nicht alle Bleichgesichter waren üble Gestalten. Einige wenige Bleichgesichter zollten den Wilden, wie sie bei Ihnen auch hießen, vielmehr Respekt und glichen einen Indianer eher als einen Eindringling. Aber es waren ihrer viel zu wenige. Und hatte er auch gehofft, dass es noch eine andere Lösung gab, so musste er diese Idee begraben. Es gab keinen anderen Weg.
Antinanco betrat das Zelt seines Vaters, als dieser noch gedankenverloren an seiner Pfeife zog. Seine Mutter musste auf Anordnung Nahuel’s draußen warten. Er nahm Platz und wartete darauf, dass sein Vater das Wort ergriff. Das war so Sitte. Der Häuptling hatte stets das erste Wort und auch der eigene Sohn durfte da keine Ausnahme bilden.
Was er ihm mitteilen wollte, fiel ihm offensichtlich sehr schwer. Erst, als die Friedenspfeife erlosch, schien er zu bemerken, dass er schon lange nicht mehr alleine war. Etwas, was man als lächeln deuten konnte, huschte über sein Gesicht. Eine Emotion, die man bei ihm ganz, ganz selten sah. Diese Reaktion entging auch Antinanco nicht, doch er wagte nicht zu sprechen.
Als Nahuel endlich sein Anliegen darbrachte, konnte man, wenn man ihn gut kannte, ein leichtes Zittern vernehmen. „Mein lieber Antinanco, du hast mit dem heutigen Tag deine Ausbildung beendet. Meine besten Krieger haben dich unterrichtet und unser Medizinmann und unsere weisen Frauen haben dir ihr Wissen vermittelt. Doch es gibt noch eine Sache, auf die ich bestehen muss. Auch wenn du mein eigen Fleisch und Blut bist. Und obwohl du bereits einen Namen hast.“ Er holte etwas Luft, zündete erneut seine Pfeife an, nahm ein paar Züge und überreichte sie seinen Sohn. Dann sprach er weiter. „Jeder Stammesangehörige hat eine Prüfung abzulegen. Das Bestehen dieser Prüfung erhebt dich in den Kreis der Erwachsenen und berechtigt dich, einen Namen zu tragen.“
Das leuchtete Antinanco ein. Viele seiner Brüder vor ihm haben bereits die Prüfung abgelegt. Sie muss wohl sehr schwer sein, doch jeder hat sie mit Erfolg bestanden und jeder seiner Brüder bekam daraufhin einen Namen, je nachdem, auf welche Weise er die Prüfung absolvierte. Einer seiner Brüder kam einmal mit vier Skalpen zurück, die einst vier Bleichgesichtern gehörten. Die Skalpe hingen seither vor seinen Zelt und unter den Kriegern würde er bald zu den größten zählen.
Also ging es um die Prüfung, die Antinanco absolvieren sollte. Das einzige was er davon wusste war, das jeder junge Krieger fortgeschickt wurde mit der Maßgabe, erst zurückzukehren, wenn er eine große Tat vollbracht hatte.
Nahuel fuhr fort. „Dir wird bekannt sein, das die Bleichgesichter an Einfluss gewinnen. Sie sind stark. Sie schießen Feuer aus metallenen Rohren und ihr Wasser ist vergiftet. Ihre Zahl wächst. Und bald werden auch wir ihrem Einfluss erliegen. Damit meine ich, dass die Bleichgesichter uns ausrotten werden. Denn wir werden und dürfen uns nicht vor ihnen beugen.“
Antinanco hörte aufmerksam zu, während er an der Friedenspfeife zog. Sein Vater schwieg und so erhob er nun selbst das Wort. Der Sitte wurde genüge getan. „Wünscht du, dass ich ein Lager der Bleichgesichter ausrotte, Vater?“ Er hoffte es beinahe, denn auch er hatte schon unangenehme Erfahrungen mit den bleichen Menschen gemacht. Und sollte er einst zum Häuptling ernannt werden, so würde er die Strategie seines Vaters fortsetzen. Doch Nahuel schüttelte lediglich den Kopf.
„Nein Antinco. So einfach darf ich es dir nicht machen. Zumal du unser gesamtes Wissen gesammelt und erlernt hast, was unser Stamm zum Überleben braucht. Du bist zu etwas größerem bestimmt.“ In Nahuel arbeitete es, das spürte Antinanco. Er überreichte die Pfeife wieder seinen Vater. Er nahm ein paar Züge und setzte fort. „Deine Prüfung wird es sein, unseren Stamm zu verlassen. Reitest du der untergehenden Sonne entgegen, noch bevor selbige den Horizont küsst, so hast du die Prüfung bestanden. Natürlich darfst du dich auch entscheiden, einfach hier zu bleiben. Dann werde ich dir aber eine andere, nicht minder schwere Aufgabe geben, denn ohne Prüfung darfst du nicht mein Nachfolger sein. Des Weiteren wird unser Stamm zudem früher oder später in Vergessenheit geraten.“
Antinanco ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Also entweder bleiben und gemeinsam mit seinen Brüdern und Schwestern untergehen oder weggehen und den Stamm retten. Aber wie sollte das bloß funktionieren? Der Krieger in ihm befahl ihm zu bleiben und zu kämpfen. Doch der Medizinmann in ihm forderte ihn auf, den Worten seines Vaters Folge zu leisten. Nahuel spürte den inneren Kampf seines Sohnes und er kam ihm zu Hilfe.
„Lass mich dir erklären, was ich für dich überlegt habe. Danach musst du dich aber entscheiden. Sieh es vielleicht auch als Teil der Prüfung an.“ Er zog erneut an seiner Pfeife und verstummte für eine Weile. Jetzt arbeitete es auch in ihm. Antinanco musste sein Schweigen erneut respektieren. Schließlich, als beide Männer tief in Gedanken versunken schon fast der Welt entrückt waren, setzte Nahuel fort.
„Deine Prüfung soll es also sein, unseren Stamm zu verlassen. Genau genommen sollst du der untergehenden Sonne entgegenreiten. In die Stämme der Bleichgesichter, deren leblosen Zelte aus Stein und Holz bestehen. Suche dir dort eine Arbeit. Ich habe vernommen, dass man dort unterrichten kann. Und das sollst du auch tun. Du wirst nämlich von uns und unserer Lebensweise erzählen, auf das wir zumindest in den Köpfen der Bleichgesichter weiterleben werden. Eine Bürde dafür, dass sie uns bald auslöschen werden. Nimm dir zudem eine weiße Squaw zur Frau und gründe mit ihr eine Familie. Für einige Generationen wird unser Erbe also noch fortbestehen, auch wenn die Verbindung mit jeder Generation schwächer wird. Das wird deine zukünftige Aufgabe sein. Die Bewahrung unseres Erbes. Sie wird erst enden, wenn du dein Haupt einst müde auf das Lager legst, um dich mit dem großen Geist zu vereinen.“
Nahuel sprach langsam und ohne Hast und Groll. Die Pfeife erlosch erneut. Sie wurde nicht mehr angezündet. Antinanco begriff die Größe und die Bedeutung dieser Aufgabe. Und deswegen konnte seine Antwort an seinen Vater selbstverständlich nur sein, dass er die Prüfung annahm. Auch wenn es ihm unendlich schwer fiel. Nahuel nickte bedächtig. Sein Sohn hatte die richtige Entscheidung getroffen.
Es hatte den Anschein für Antinanco, als hätte sein Vater ihm nun nichts mehr zu sagen. Er erhob sich also, teilte ihm mit, dass er noch ein paar Habseligkeiten zusammenpacken wollte und hub an, das Zelt zu verlassen. Da erhob Nahuel doch noch einmal die Stimme.
„Halte ein mein Sohn. Es gibt noch einiges, was du über die Bleichgesichter wissen solltest. Wissen, dass dir unsere Krieger und weisen Frauen unmöglich vermitteln konnten. Doch es wird wichtig sein, um sich in den steinernen Wigwams der Bleichgesichter zu behaupten.“
Antinco wendete sich also wieder seinen Vater zu, um die letzten Lektionen zu erhalten. Nahuel verstummte erneut, doch nur, um sich in Erinnerung zu rufen, welche Erfahrungen er selbst mit den Bleichgesichtern gemacht hatte. Erfahrungen, die sein Sohn zum Glück noch nicht machen musste.
„Mein lieber Antinanco. Mit dem heutigen Tag gehören die Zelte deiner Brüder und Schwestern der Vergangenheit an. Mit deinen Wissen und deinen Talenten hast du in den steinernen Wigwams der Bleichgesichter eine bessere Zukunft vor dir. Aber du musst auf der Hut sein. Einige Bleichgesichter werden deine Ankunft nicht gut heißen und dir das auch kundtun.“
„Ich fürchte mich vor diesen Bleichgesichtern nicht Vater. Sie werden meinen Bogen und meinen Tomahawk zu spüren bekommen, wenn sie meinen Skalp haben wollen.“ Diesmal lächelte Nahuel nicht nur, sondern er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Nur um sogleich wieder ernst zu werden. „Das glaube ich dir. Aber es wäre nicht der Weg, den ich dir beigebracht habe. Ich meine folgendes: wenn du die Bleichgesichter beobachtest und studierst, wirst du Gefahren für dich und deine zukünftige Familie abwehren können, ohne von den Waffen Gebrauch zu machen. Das wollte ich dir damit sagen.“
Eine weitere Pause trat ein. Nahuel sortierte seine Gedanken und fuhr fort. „Selbstverständlich wirst du auch tatsächlich in Situationen kommen, in denen man dir ans Leben will. Dann darfst und musst du dich selbstverständlich verteidigen. Aber vergiss dabei nicht die Lehren unserer Krieger. Alle deine Taten müssen im Einklang mit dem großen Geist stehen, wenn du ihn nicht erzürnen möchtest. Hüte dich also davor, Schande über uns zu bringen.“
Antinanco ließ sich die Worte seines Vaters, des großen Häuptlings Nahuel, einige Zeit durch den Kopf gehen. Er wollte ihn natürlich nicht enttäuschen. Und wie er so nachdachte, da drängte sich eine Frage in den Vordergrund, die er unbedingt noch stellen musste, bevor sein großes Abenteuer begann.
„Vater, werden wir uns denn gar nicht mehr wiedersehen?“ Seine Stimme klang ruhig, innerlich fürchtete er aber die Antwort. „Du bist von heute an nicht mehr auf uns angewiesen, Antinanco. Doch selbstverständlich werde ich auch weiterhin für dich da sein. Ich werde noch viele Lenze auSf dem Erdball verbringen. Solltest du also einmal nicht weiterwissen, so steht es dir frei, uns aufzusuchen und für ein paar Stunden bist du wieder unter deinesgleichen.“ „Aber sag, wie kann ich euch denn finden?“ Für diese Frage hatte Nahuel eigentlich nur Staunen übrig. Entsprechend fiel auch seine Antwort aus: „Nun, hast du nicht erlernt Spuren zu lesen, mein lieber Sohn? Wenn du zudem die Büffel findest, so findest du ganz sicher auch uns.“
Damit war alles gesagt. Antinanco erhob sich erneut, verabschiedete sich von seinen Vater mit dem Wunsch, dass er tatsächlich noch viele Lenze auf der Erde weilt und verließ das Zelt. Es brauchte nicht viel Reisevorbereitung und noch bevor die Sonne ihren Zenit erreichte hatte, lagen die Zelte seiner Brüder und Schwestern schon weit hinter dem Horizont.
Vor vielen, vielen Jahren war das noch anders. Die Ureinwohner lebten in einer perfekten Symbiose mit Fauna und Flora. Die Natur konnte jederzeit die Bedürfnisse ihrer Bewohner erfüllen. Doch dann schlich sich ein Krankheitserreger ein. Er brachte Feuer in Bleirohren und giftiges Wasser mit. Er tötete die Tiere, die die Ureinwohner zum Leben benötigten, in großer Zahl und auch die Ureinwohner selbst fielen durch das Feuerrohr oder starben am giftigen Wasser. Bald erhielt diese Krankheit einen Namen. Sie nannten sie Bleichgesicht, aufgrund der blassen Gesichter dieser Männer, die ohne zu fragen in ihren Lebensraum eindrangen und ihre Sinne vernebelten.
Die Prärie verstummte nach und nach. Die Prüfungen, die jeder junge Indianer zu bestehen hatte, um in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden und einen Namen zu erhalten, wurden zusehends schwieriger. Sie passten sich den Verhältnissen an. Es war jedoch nicht so, dass sie sich nicht wehrten. Vielmehr führte es dazu, dass viele, nicht alle, verfeindete Stämme sich zusammentaten um gegen das Bleichgesicht vorzugehen, auch wenn die Hoffnung gering war. Das Bleichgesicht war einfach zu mächtig.
Das Einmischen des Bleichgesichtes führte jedenfalls dazu, dass der junge Indianer bereits fünf Nächte lang von seinen Stamm getrennt war, um sich einen Namen zu machen. Er ernährte sich von dem, was die Natur ihm gab. Üblicherweise waren es Beeren, essbare Pilze und einmal sogar einen Fisch. Er klagte jedoch nicht. Er vertraute auf den großen Geist, der überall war. Er war überzeugt, mit einen Namen zurückkehren zu können.
Sein Vertrauen sollte sich in der fünften Nacht erfüllen. Es war nämlich nicht nur so, dass das Bleichgesicht den Indianer die Lebensgrundlage raubte sondern auch den Tieren, die hier lebten. So kam es, als der junge Mensch schlief, um Kraft zu tanken, dass sich ihm drei ausgehungerte Jaguare näherten um sich an ihm gütlich zu tun.
Die Sinne des Indianers waren jedoch Gott sei Dank hellwach und gerade als sie ihn angreifen wollten, stand er auch schon auf den Beinen, bewaffnet nur mit einem Tomahawk. Die Situation war klar. Entweder würde er heute im Kampf sterben oder die drei Jaguare würden seinem Stamm eine willkommene Mahlzeit bieten.
Er entschied sich für die zweite Variante. Die Wut und der Hunger der Jaguare waren groß. Der Indianer hatte Schwierigkeiten, sie niederzuringen und er kam nicht ohne Verletzungen davon. Doch nach einigen Minuten lagen die Tiere tot vor ihm.
Am nächsten Morgen zog er den Jaguaren das Fell ab. Er bearbeitete es, um es selbst tragen zu können. Sodann improvisierte er eine Trage, wie er es schon bei den Bleichgesichtern gesehen hatte, lud die Kadaver da drauf und drei Tage später erreichte er seinen Stamm. Ohne zu zögern wurde das Fleisch nun verarbeitet und haltbar gemacht. Er selbst aber erhielt den Namen Jaguar und man dankte dem großen Geist für seine Gabe.
Viele Male kam und ging der Frühling ins Land. Nahuel wurde irgendwann zum Häuptling ernannt. Er regierte seinen Stamm weise, begrub einige Kriegsbeile mit benachbarten Stämmen und wehrte mehrmals die Bleichgesichter ab, die es auf seinen Stamm und sein Land abgesehen hatten. Und natürlich gründete er auch eine Familie. Das Ergebnis war die Geburt von Antinanco und er war der einzige, der noch vor dem Aufnahmeritual einen Namen erhielt. Antinanco heißt Adler der Sonne. Seine Augen waren so scharf wie die eines Adlers und die Sonne war für seinen Stamm der Inbegriff des Lebens und der Hoffnung. Nahuel unterzog ihm einer harten Ausbildung. Seine besten Krieger sollten ihn zu einem großen Kämpfer heranziehen und sein Medizinmann sowie die weisesten Frauen sollten ihm ihr Wissen vermitteln.
Nahuel hatte einen Plan mit seinen einzigen Sohn und er würde selbigen Antinanco offenbaren, sobald er seine Ausbildung abgeschlossen hatte.
Sein Haupt war bereits in Würde ergraut, als sein Sohn endlich seine Ausbildung als vollendet betrachten konnte. Es gab jetzt nur noch eines zu tun. Über alles weitere hatte nur Antinanco und der große Geist Kontrolle. So saß er also denn an einen nebligen Morgen, der einen schönen Tag versprach, in seinen Zelt und wartete auf seinen Sohn, den er um sein Erscheinen bat.
Während er wartete, da gingen ihm die vielen Erlebnisse der letzten Jahre mit den Bleichgesichtern durch den Kopf. Es gelang ihm natürlich, großen Schaden von seinen Stamm abzuwehren. Aber wie lange noch? Nicht nur mit dem Feuerrohr spricht das Bleichgesicht, sondern auch mit gespaltener Zunge. Es führte dazu, dass die Indianer immer mehr Land und ihre ursprüngliche Stärke verloren. Wie viele hatten sich wohl schon auf ihre Seite geschlagen, nur um nicht endgültig aufgerieben zu werden? Nahuel selbst würde mit Sicherheit nicht dazugehören.
Man möge aber fair sein. Nicht alle Bleichgesichter waren üble Gestalten. Einige wenige Bleichgesichter zollten den Wilden, wie sie bei Ihnen auch hießen, vielmehr Respekt und glichen einen Indianer eher als einen Eindringling. Aber es waren ihrer viel zu wenige. Und hatte er auch gehofft, dass es noch eine andere Lösung gab, so musste er diese Idee begraben. Es gab keinen anderen Weg.
Antinanco betrat das Zelt seines Vaters, als dieser noch gedankenverloren an seiner Pfeife zog. Seine Mutter musste auf Anordnung Nahuel’s draußen warten. Er nahm Platz und wartete darauf, dass sein Vater das Wort ergriff. Das war so Sitte. Der Häuptling hatte stets das erste Wort und auch der eigene Sohn durfte da keine Ausnahme bilden.
Was er ihm mitteilen wollte, fiel ihm offensichtlich sehr schwer. Erst, als die Friedenspfeife erlosch, schien er zu bemerken, dass er schon lange nicht mehr alleine war. Etwas, was man als lächeln deuten konnte, huschte über sein Gesicht. Eine Emotion, die man bei ihm ganz, ganz selten sah. Diese Reaktion entging auch Antinanco nicht, doch er wagte nicht zu sprechen.
Als Nahuel endlich sein Anliegen darbrachte, konnte man, wenn man ihn gut kannte, ein leichtes Zittern vernehmen. „Mein lieber Antinanco, du hast mit dem heutigen Tag deine Ausbildung beendet. Meine besten Krieger haben dich unterrichtet und unser Medizinmann und unsere weisen Frauen haben dir ihr Wissen vermittelt. Doch es gibt noch eine Sache, auf die ich bestehen muss. Auch wenn du mein eigen Fleisch und Blut bist. Und obwohl du bereits einen Namen hast.“ Er holte etwas Luft, zündete erneut seine Pfeife an, nahm ein paar Züge und überreichte sie seinen Sohn. Dann sprach er weiter. „Jeder Stammesangehörige hat eine Prüfung abzulegen. Das Bestehen dieser Prüfung erhebt dich in den Kreis der Erwachsenen und berechtigt dich, einen Namen zu tragen.“
Das leuchtete Antinanco ein. Viele seiner Brüder vor ihm haben bereits die Prüfung abgelegt. Sie muss wohl sehr schwer sein, doch jeder hat sie mit Erfolg bestanden und jeder seiner Brüder bekam daraufhin einen Namen, je nachdem, auf welche Weise er die Prüfung absolvierte. Einer seiner Brüder kam einmal mit vier Skalpen zurück, die einst vier Bleichgesichtern gehörten. Die Skalpe hingen seither vor seinen Zelt und unter den Kriegern würde er bald zu den größten zählen.
Also ging es um die Prüfung, die Antinanco absolvieren sollte. Das einzige was er davon wusste war, das jeder junge Krieger fortgeschickt wurde mit der Maßgabe, erst zurückzukehren, wenn er eine große Tat vollbracht hatte.
Nahuel fuhr fort. „Dir wird bekannt sein, das die Bleichgesichter an Einfluss gewinnen. Sie sind stark. Sie schießen Feuer aus metallenen Rohren und ihr Wasser ist vergiftet. Ihre Zahl wächst. Und bald werden auch wir ihrem Einfluss erliegen. Damit meine ich, dass die Bleichgesichter uns ausrotten werden. Denn wir werden und dürfen uns nicht vor ihnen beugen.“
Antinanco hörte aufmerksam zu, während er an der Friedenspfeife zog. Sein Vater schwieg und so erhob er nun selbst das Wort. Der Sitte wurde genüge getan. „Wünscht du, dass ich ein Lager der Bleichgesichter ausrotte, Vater?“ Er hoffte es beinahe, denn auch er hatte schon unangenehme Erfahrungen mit den bleichen Menschen gemacht. Und sollte er einst zum Häuptling ernannt werden, so würde er die Strategie seines Vaters fortsetzen. Doch Nahuel schüttelte lediglich den Kopf.
„Nein Antinco. So einfach darf ich es dir nicht machen. Zumal du unser gesamtes Wissen gesammelt und erlernt hast, was unser Stamm zum Überleben braucht. Du bist zu etwas größerem bestimmt.“ In Nahuel arbeitete es, das spürte Antinanco. Er überreichte die Pfeife wieder seinen Vater. Er nahm ein paar Züge und setzte fort. „Deine Prüfung wird es sein, unseren Stamm zu verlassen. Reitest du der untergehenden Sonne entgegen, noch bevor selbige den Horizont küsst, so hast du die Prüfung bestanden. Natürlich darfst du dich auch entscheiden, einfach hier zu bleiben. Dann werde ich dir aber eine andere, nicht minder schwere Aufgabe geben, denn ohne Prüfung darfst du nicht mein Nachfolger sein. Des Weiteren wird unser Stamm zudem früher oder später in Vergessenheit geraten.“
Antinanco ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Also entweder bleiben und gemeinsam mit seinen Brüdern und Schwestern untergehen oder weggehen und den Stamm retten. Aber wie sollte das bloß funktionieren? Der Krieger in ihm befahl ihm zu bleiben und zu kämpfen. Doch der Medizinmann in ihm forderte ihn auf, den Worten seines Vaters Folge zu leisten. Nahuel spürte den inneren Kampf seines Sohnes und er kam ihm zu Hilfe.
„Lass mich dir erklären, was ich für dich überlegt habe. Danach musst du dich aber entscheiden. Sieh es vielleicht auch als Teil der Prüfung an.“ Er zog erneut an seiner Pfeife und verstummte für eine Weile. Jetzt arbeitete es auch in ihm. Antinanco musste sein Schweigen erneut respektieren. Schließlich, als beide Männer tief in Gedanken versunken schon fast der Welt entrückt waren, setzte Nahuel fort.
„Deine Prüfung soll es also sein, unseren Stamm zu verlassen. Genau genommen sollst du der untergehenden Sonne entgegenreiten. In die Stämme der Bleichgesichter, deren leblosen Zelte aus Stein und Holz bestehen. Suche dir dort eine Arbeit. Ich habe vernommen, dass man dort unterrichten kann. Und das sollst du auch tun. Du wirst nämlich von uns und unserer Lebensweise erzählen, auf das wir zumindest in den Köpfen der Bleichgesichter weiterleben werden. Eine Bürde dafür, dass sie uns bald auslöschen werden. Nimm dir zudem eine weiße Squaw zur Frau und gründe mit ihr eine Familie. Für einige Generationen wird unser Erbe also noch fortbestehen, auch wenn die Verbindung mit jeder Generation schwächer wird. Das wird deine zukünftige Aufgabe sein. Die Bewahrung unseres Erbes. Sie wird erst enden, wenn du dein Haupt einst müde auf das Lager legst, um dich mit dem großen Geist zu vereinen.“
Nahuel sprach langsam und ohne Hast und Groll. Die Pfeife erlosch erneut. Sie wurde nicht mehr angezündet. Antinanco begriff die Größe und die Bedeutung dieser Aufgabe. Und deswegen konnte seine Antwort an seinen Vater selbstverständlich nur sein, dass er die Prüfung annahm. Auch wenn es ihm unendlich schwer fiel. Nahuel nickte bedächtig. Sein Sohn hatte die richtige Entscheidung getroffen.
Es hatte den Anschein für Antinanco, als hätte sein Vater ihm nun nichts mehr zu sagen. Er erhob sich also, teilte ihm mit, dass er noch ein paar Habseligkeiten zusammenpacken wollte und hub an, das Zelt zu verlassen. Da erhob Nahuel doch noch einmal die Stimme.
„Halte ein mein Sohn. Es gibt noch einiges, was du über die Bleichgesichter wissen solltest. Wissen, dass dir unsere Krieger und weisen Frauen unmöglich vermitteln konnten. Doch es wird wichtig sein, um sich in den steinernen Wigwams der Bleichgesichter zu behaupten.“
Antinco wendete sich also wieder seinen Vater zu, um die letzten Lektionen zu erhalten. Nahuel verstummte erneut, doch nur, um sich in Erinnerung zu rufen, welche Erfahrungen er selbst mit den Bleichgesichtern gemacht hatte. Erfahrungen, die sein Sohn zum Glück noch nicht machen musste.
„Mein lieber Antinanco. Mit dem heutigen Tag gehören die Zelte deiner Brüder und Schwestern der Vergangenheit an. Mit deinen Wissen und deinen Talenten hast du in den steinernen Wigwams der Bleichgesichter eine bessere Zukunft vor dir. Aber du musst auf der Hut sein. Einige Bleichgesichter werden deine Ankunft nicht gut heißen und dir das auch kundtun.“
„Ich fürchte mich vor diesen Bleichgesichtern nicht Vater. Sie werden meinen Bogen und meinen Tomahawk zu spüren bekommen, wenn sie meinen Skalp haben wollen.“ Diesmal lächelte Nahuel nicht nur, sondern er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Nur um sogleich wieder ernst zu werden. „Das glaube ich dir. Aber es wäre nicht der Weg, den ich dir beigebracht habe. Ich meine folgendes: wenn du die Bleichgesichter beobachtest und studierst, wirst du Gefahren für dich und deine zukünftige Familie abwehren können, ohne von den Waffen Gebrauch zu machen. Das wollte ich dir damit sagen.“
Eine weitere Pause trat ein. Nahuel sortierte seine Gedanken und fuhr fort. „Selbstverständlich wirst du auch tatsächlich in Situationen kommen, in denen man dir ans Leben will. Dann darfst und musst du dich selbstverständlich verteidigen. Aber vergiss dabei nicht die Lehren unserer Krieger. Alle deine Taten müssen im Einklang mit dem großen Geist stehen, wenn du ihn nicht erzürnen möchtest. Hüte dich also davor, Schande über uns zu bringen.“
Antinanco ließ sich die Worte seines Vaters, des großen Häuptlings Nahuel, einige Zeit durch den Kopf gehen. Er wollte ihn natürlich nicht enttäuschen. Und wie er so nachdachte, da drängte sich eine Frage in den Vordergrund, die er unbedingt noch stellen musste, bevor sein großes Abenteuer begann.
„Vater, werden wir uns denn gar nicht mehr wiedersehen?“ Seine Stimme klang ruhig, innerlich fürchtete er aber die Antwort. „Du bist von heute an nicht mehr auf uns angewiesen, Antinanco. Doch selbstverständlich werde ich auch weiterhin für dich da sein. Ich werde noch viele Lenze auSf dem Erdball verbringen. Solltest du also einmal nicht weiterwissen, so steht es dir frei, uns aufzusuchen und für ein paar Stunden bist du wieder unter deinesgleichen.“ „Aber sag, wie kann ich euch denn finden?“ Für diese Frage hatte Nahuel eigentlich nur Staunen übrig. Entsprechend fiel auch seine Antwort aus: „Nun, hast du nicht erlernt Spuren zu lesen, mein lieber Sohn? Wenn du zudem die Büffel findest, so findest du ganz sicher auch uns.“
Damit war alles gesagt. Antinanco erhob sich erneut, verabschiedete sich von seinen Vater mit dem Wunsch, dass er tatsächlich noch viele Lenze auf der Erde weilt und verließ das Zelt. Es brauchte nicht viel Reisevorbereitung und noch bevor die Sonne ihren Zenit erreichte hatte, lagen die Zelte seiner Brüder und Schwestern schon weit hinter dem Horizont.
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