Flieh, wenn du kannst

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DarkskiesOne

Mitglied
Flieh, wenn du kannst

Donnernd schießt der Zug in den Tunnel, taucht ein in das schwarze Niemandsland zwischen zwei Stationen. Das monotone Rütteln der Wagen schüttelt die Fahrgäste, drängt Körper gegen Körper. Mit leerem Blick stiert sie auf ihre Hände. Schmale, feingliedrige Finger, die ineinander verkrampft in ihrem Schoß liegen, als könne sie dadurch das unbändige Zittern unterdrücken, das ihren gesamten Körper wie Stromschläge durchläuft. Nach einer Ewigkeit hebt sie langsam, wie in Trance, den Kopf und blickt aus dem Wagenfenster. Die reflektierende Scheibe wirft ein leichenblasses Gesicht zurück, umrahmt vom dunklen Nichts des Tunnels jenseits des Glases.
Warum kann es niemand sehen, fragt sie sich voller Verzweiflung, als sie ihr makelloses Äußeres mit der unvoreingenommenen Distanz eines Fremden betrachtet.
Der Schatten eines blauen Auges.
Verkrustetes Blut auf den aufgesprungenen Lippen.
Dunkelrote Kratzer, die sich wie feine Äderchen durch die anmutige Blässe ihrer Wangen zögen.
Irgendein Zeichen, eine stumme Anklage, ein lautloses Flehen um Hilfe und Verständnis.
Doch es gibt nichts zu sehen.
Er hatte es gut verborgen. Die ganzen verfluchten Jahre über. Kein Außenstehender hätte auch nur ahnen können, was er ihr angetan hatte.
Sie wendet den Blick ab und zwingt sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen.
Der Zug verlangsamt seine Fahrt und kommt ächzend und quietschend an der Haltestelle zum Stehen. Zischend öffnen sich die Türen und ergießen einen Strom von Fahrgästen auf den schmutzig-grauen Bahnsteig. Andere Menschen drängen in das Abteil, für die Dauer ihrer Reise zu einer unangenehmen Nähe gezwungen.
Sie späht um sich. Waren sie bereits hinter ihr her?
Ein junger Mann in Anzug und Krawatte lässt sich auf dem freigewordenen Platz neben ihr nieder. Sein eleganter Mantel streift ihren Ärmel und sie zuckt bei der Berührung unwillkürlich zusammen. Er wirft einen flüchtigen, überraschten Blick auf die hübsche junge Frau mit dem bleichen Gesicht, bevor er kaum merklich von ihr abrückt und sich der Lektüre seines abgegriffenen Taschenbuches widmet.
Verdammt noch mal, bleib ruhig, versucht sie ihr aufgewühltes Selbst zur Ordnung zu rufen.
Um Gottes Willen nicht auffallen. Nur wenn sie unsichtbar bleibt, hat sie vielleicht eine Chance.
Sie sinkt in sich zusammen und gibt sich wieder ihren quälenden Gedanken hin.
Geschlagen hatte er sie nie.
"Ich würde dir doch niemals wehtun, Kleines", hörte sie ihn mit sanfter Stimme sagen, während er sie mit diesem kalten Lächeln bedachte, das sein Gesicht zu einer dämonischen Fratze verzerrte und seine Worte Lügen strafte. Die Wunden, die er ihr zugefügt hatte, saßen tief unter der Oberfläche.
Für den arglosen Betrachter nicht zu erkennen.
Die U-Bahn setzt unbeirrbar ihren Weg fort, ratternd und schüttelnd von Station zu Station. Lässt die Distanz zum Ort des Grauens größer und größer werden, doch die schrecklichen Bilder trägt sie in sich, wohin auch immer sie flüchten mag.
Grell gefärbte, schreiende Schnappschüsse, die ihren wehrlosen Geist mit ihrem unheimlichen Eigenleben füllen. Unaufhörlich kreisen ihre Gedanken um diese letzten Sekunden vor ihrer Befreiung, die ihr Leben auf so brutale Weise verändert haben. Das gleißende Neonlicht der nächsten Station verwandelt die Gesichter der Fahrgäste in wächserne Masken. Menschen treten hastig aus der sich öffnenden Tür, streben schnellen Schrittes ihrem wohl geordneten Leben entgegen.
Sie und eine weitere junge Frau bleiben als einzige Fahrgäste zurück.
Die Bahn nähert sich der Stadtgrenze. Der stetig dahinrollende Zug hat das dunkle Gewand des Tunnels gegen den schützenden Schleier der hereinbrechenden Nacht getauscht. Vereinzelt funkeln silberne Sterne verheißungsvoll in der befreienden Weite des Abendhimmels.
Ob sie hier aussteigen soll? Aber da es kein Ziel gibt, ist es egal, wann und wo die Fahrt endet.
Nächster Halt. Der Bahnsteig wartet still und verlassen. Keine Polizei.
Nur ein einzelner Mann lehnt an einem hell erleuchteten Süßwarenautomaten.
Eifrig in ein Telefongespräch vertieft, schenkt er soeben seinem unsichtbaren Gesprächspartner ein zustimmendes Nicken, bevor er das Handy in seiner Jackentasche verschwinden lässt. Langsam nähert sich der Fremde jetzt der Wagentür und betritt das Abteil am äußersten Ende. Mit einem Ruck setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Sie verspürt eine vage Erleichterung, bevor sich erneut das grauenhafte Geschehen vor ihrem inneren Auge abspielt.
Seine verzerrten Gesichtszüge, die einen Hauch von Überraschung und Unglauben tragen. Weit aufgerissene Augen starren sie hasserfüllt an. Der grobe Körper, seltsam gekrümmt auf dem cremefarbenen Teppichboden. Pulsierendes Rot und glänzendes Metall.
Eiskalt in ihrer Hand. Scharf und ohne Gnade.
Sie beobachtet sich selbst, wie sie in blinder Panik aus dem Appartement stürzt. Im Treppenhaus prallt sie mit einer Nachbarin zusammen, strauchelt, fängt sich und stolpert schluchzend und keuchend die Treppe hinunter. Von weither vernimmt ihr Unterbewusstsein einen gellenden Aufschrei, dann erreicht sie die Straße und läuft um ihr Leben.

Der junge Mann am anderen Ende des Wagens hat sich währenddessen unaufhaltsam näher geschoben. Eben neigt er mit gewinnendem Lächeln den Kopf zu der jungen Frau, ihrer einzigen Reisegenossin. Die beiden wechseln ein paar Worte. Die Frau beginnt, in ihrer Handtasche zu wühlen. Was will er bloß? Gebannt beobachtet sie die Szene. Verfolgt, wie die Frau zunächst ein Schminketui, einen silberfarbenen Taschenspiegel und zu guter Letzt eine schwarze, lederne Brieftasche zu Tage fördert.
Auf dem letzten Wegstück gibt es keine weitere Haltestelle. Bitte, lass´ ihn nur die Fahrscheine kontrollieren. Ihre trockenen Lippen formen ein stummes Stoßgebet. Natürlich hat sie keinen Fahrschein. Aber das ist im Moment ihr geringstes Problem.
Schweiß rinnt ihren Rücken hinab, benetzt ihre Stirn, perlt von der Nasenspitze auf die Oberlippe, den salzigen Geschmack von Angst und Verzweiflung zurücklassend. Kein Ausweg. Die Brieftasche wird geöffnet. Die junge Frau scheint nicht zu finden, was sie sucht. Mit wachsender Hast durchwühlt sie die Brieftasche, der junge Mann trommelt nun bereits ungeduldig mit den Fingerspitzen gegen die Lehne ihres Sitzes, wirft einen prüfenden Blick den Gang hinunter.
Eine geschlechtslose Stimme aus dem knackenden Lautsprecher über ihren Köpfen verkündet die Einfahrt in die Endstation. Noch zwei Minuten.
Zwei unendliche Minuten, die mit jeder ihrer zähflüssig verstreichenden Sekunden zu einem unüberwindlichen Berg von quälender Zeit anwachsen.
Zeit, die gegen sie arbeitet.
Die plötzliche, erdrückende Enge ihres unfreiwilligen Gefängnisses ist kaum noch zu ertragen.
Schließlich hält die junge Frau dem wartenden Mann eine kleine Karte entgegen. Er nimmt sie an sich und mustert das Gesicht seines Gegenübers aufmerksam, bevor er die Karte mit einem flüchtigen Lächeln zurückgibt. Mit schnellen Schritten nähert er sich jetzt ihr, seinem letzten Opfer.
Schwankend erhebt sie sich von ihrem Platz und stolpert der rettenden Tür entgegen.
"Hey, Lady", seine Stimme klingt freundlich und klar durch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. "Dürfte ich ihren Ausweis sehen?" Mit einem triumphierenden kleinen Klacken schnappt die Falle zu. Er tritt jetzt ganz nah an sie heran. Greift ihren Arm und dreht sie behutsam zu sich herum, als sie stocksteif verharrt. Blickt ihr prüfend ins Gesicht. Stutzt. In seiner linken Hand hält er das Handy. Er senkt seine grünen Augen auf das winzige Display und starrt so konzentriert darauf, als wolle er mit seinem Blick ein Loch hineinbrennen. Dann hebt er den Kopf.
Der Schock der Erkenntnis malt eine tiefe Falte zwischen seine dichten, dunklen Augenbrauen. Seine Augen finden die ihren und halten sie fest, als könne er irgendwo in der Tiefe ihres Blickes die Antworten auf die unausgesprochenen Fragen finden, die sich unaufhaltsam in seinem Kopf formen.
Wie in einem offenen Buch vermag sie den Widerstreit der Gefühle in seinem sympathischen Gesicht zu lesen.
Nein, man kann es niemandem ansehen, denkt sie fast schadenfroh. Keiner kann ahnen, wozu ein Mensch fähig sein mag. Nicht einmal der Betreffende selbst. Bis er eines Tages die Grenze überschreitet und schließlich das Unfassbare tut.
Der junge Polizist hat sie identifiziert. Sie haben ihm ein Foto von ihr geschickt. Ganz sicher.
Hier also endet ihr Weg.
Er schüttelt den Kopf, als wolle er seine Gedanken, die sich sicherlich darin überschlagen müssen, gewaltsam wieder an Ort und Stelle rücken.
Wo sind die Handschellen? Wäre dies hier ein Krimi im Fernsehen, hätte er ihr jetzt bereits Handschellen angelegt. Aber im richtigen Leben wird ein Zivilpolizist anscheinend mit einer Frau auch ohne diese albernen Hilfsmittel fertig.
Sogar, wenn sie eine Mörderin ist.
Der Zug hält mit einem scharfen Ruck an der Endstation.
Einladend öffnet sich die Tür, jetzt, da alles verloren ist, mit einem lang anhaltenden, schrillen Quietschen. Es klingt wie ein höhnisches Kichern.
Die junge Frau vom anderen Ende des Wagens ist nirgendwo mehr zu sehen.
Sie sind allein.
Er zögert.
Schaut sie eine Ewigkeit durchdringend an.

"Er wird es verdient haben", sagt er und nichts weiter.

Dann schubst er sie aus der geöffneten Zugtür hinaus in die erlösende Weite eines menschenleeren Bahnsteigs.
 

Gandl

Mitglied
grandios

Hi DarkskiesOne,
diese Geschichte ist sowas von spannend. Supergut. Absolute Spitzenklasse.
Du haltst die Spannung bis zur letzten Zeile. Und das Ende find ich grandios.
Überhaupt finde ich alles grandios.
Liebe Grüße
Gandl

P.S.
Die klitzekleinen Tippfehler ignoriere ich mal.
 

DarkskiesOne

Mitglied
Hi Gandl,

vielen Dank für dein ausgiebiges Lob!!
Hab` mich natürlich sehr drüber gefreut!!
Eine Bitte habe ich an dich: Die Tippfehler NICHT ignorieren!
Verrätst du mir, wo du welche entdeckt hast? Dann könnte ich korrigieren.
lg
DO
 

Gandl

Mitglied
as requested

Hi DO,
gut.
Das ß, das dumme ß. Nein! Das schöne ß!
Und weil es so schön und sinnvoll ist, hat die NDR hat das ß nicht abgeschafft.
Es gibt es immer noch. Und das ist gut so.
Also in diesen Worten ist das "ss" durch mein geliebtes "ß" zu ersetzen:
Schoss, gleichmässig, sassen, grösser, Strasse, bloss, Stossgebet, Schweiss.

Und sonst:
wohlgeordnetes = wohl geordnetes
langanhaltenden = lang anhaltenden

Bei "Grellgefärbte" bin ich mir unsicher....
(aber solche Worte, Gandl, nimmst Du doch auch gerne selber, solche ellenlangenzusammengesetzten)

Und hier sind fehlende Satzzeichen:
„Ich würde ...., Kleines“, hörte... sagen, während...
„Dürfte ich ihren Ausweis sehen?“

Wo ich gestutzt habe: sagt man: IN der Haltestelle / IN der Endstation? Nicht AN?

An dieser Stelle ein herzliches "Dankeschön" an all die, die meine Texte korrigiert haben.
Aber jetzt wird alles besser, ich hab ein neues Text-Korrektur-Programm (mit NDR!) (obwohl, manchmal kann man ihm nicht trauen. Wie oben: Schoss. Das erkennt es als Vergangenheitsform von schiessen an. Das Dumm-Programm!)

Ganz liebe Grüße
in Eile (wie immer)
Gandl
 

DarkskiesOne

Mitglied
Danke!

Hi Gandl,

hast natürlich Recht! Die NDR hat das "ß" nicht abgeschafft, sondern ich schreibe es seit der Reform konsequent überhaupt nicht mehr. Weil ich nämlich eine passionierte Zehnfinger-Tipperin bin. Leider kam ich in dem Computerschreibkurs nicht bis zur oberen Buchstabenreihe. Das "ß" fällt daher immer aus meinem Repertoire. *g*
Aber ich gelobe Besserung! Und über den Rest schaue ich auch in einer ruhigen Minute noch mal!
Danke dir!
liebe Grüße
DarkskiesOne
 

Empi

Mitglied
Hi Darkskies,

die geschichte ist wirklich toll. vor allem die beschreibungen über den vollgestopften zug und die angst der frau vor entdeckung sind klasse. auch der schluss ist unerwartet, selbst wenn man ahnen kann, dass sie ihren alten umgebracht hat und deswegen gesucht wird.

und das mit dem "ss" "ß" kriegst du sicher noch hin ;-)

Empi
 
R

rilesi

Gast
DO

hallo DOne,
klassetext, kompliment. meistens habe ich die geduld nicht geschichte dieser länge bis zum schluss durchzulesen, aber hier habe ich es problemlos geschafft. der text, vielmehr die bilder, bleiben mir sogar noch tage nachher im gedaechtnis.

"Nein, man kann es niemandem ansehen, denkt sie fast schadenfroh. Keiner kann ahnen, wozu ein Mensch fähig sein mag. Nicht einmal der Betreffende selbst. Bis er eines Tages die unsichtbare Grenze überschreitet und schließlich das Unfassbare tut."

ja, das ist ja das erstaunliche, wozu ein mensch fähig sein kann.
auf welche seite wie auch immer. schöner und unendlich besser ist natürlich schon auf die gute seite. seufz.

der schluss kommt für mich überraschend. und die justiz, ob es einfach gut ist, zu sagen 'er wird es verdient haben' ist etwas anarchisch. in einem gerecht organisierten staat würde ich sagen: bitte keine selbstjustiz. aber bei der ungerechtigkeit, die in unserem rechtssystem herrscht (unschuldige todeskandidaten in usa), kann ich schon etwas nachvollziehen, dass sich eigene vorstellungen von recht entwickeln können. aber so ganz richtig befürworten kann ich es trotz allem nicht. sonst hätte man ja wieder die anarchie.

beste grüsse von rilesi
 

DarkskiesOne

Mitglied
Keine Anarchie

Hi rilesi,

freut mich, dass es mir gelungen ist, dich mit meiner Geschichte zu fesseln und dich dazu zu bewegen, trotz ihrer Länge bis zum Ende durchzuhalten. Vielen Dank für das Lob! Stimmt, das Ende ist überraschend. Für mich übrigens auch. Ich habe die Geschichte nämlich vor einigen Tagen komplett umgeschrieben. Vorher war sie mir viel zu vorhersehbar.
Natürlich befürworte ich die Selbstjustiz nicht!! Ich weiss, dass es ein gewagter Schritt war, den Polizisten innerhalb von Sekunden darüber urteilen zu lassen, ob er der Protagonistin trotz ihrer unfassbaren Tat die Chance zur Flucht geben soll. Im Sinne der Justiz hat er in diesem Fall natürlich nicht gehandelt. Hätte er seine Pflicht getan, hätte er nicht mal darüber nachdenken dürfen, die Frau laufen zu lassen. Aber in diesem Moment ist er einfach nur Mensch gewesen. Und Menschen handeln nicht immer, wie es von ihnen verlangt wird. Ich möchte natürlich auf keinen Fall für Selbstjustiz und Anarchie plädieren!!
lg
DarkskiesOne
 
Hallo Darkskies,

ich kann mich meinen Vorgängern nur anschließen.
Die Geschichte ist sehr gut geschrieben, mit knappen
präzisen, geschickt formulierten Sätzen, und einem
perfekt ausbalancierten Spannungsbogen!
Ich bin beeindruckt, und der Schluss:
Das nennt man wohl ausgleichende Gerechtigkeit!

Liebe Grüße

black sparrow
 

DarkskiesOne

Mitglied
Hi Black Sparrow,

auch dir vielen Dank für das tolle Lob! Ich bin wirklich glücklich, dass ich die Story größtenteils umgeschrieben habe. Vor allem das Ende. Freue mich, dass mein Werk dir so gut gefällt!
lg
DO
 
E

Edgar Güttge

Gast
die Angst des Schwarzfahrers vor dem Schaffner

Hallo DarkskiesOne,

toll geschrieben, Wortwahl, Aufbau, Spannung, da kann ich mich meinen Vorrednern nur anschließen. Sehr gut!
Die Angst des Schwarzfahrers vor dem Kontrolleur wird sehr gut geschildert. Frage mich bitte nicht, woher ich die kenne.
Eine Frage habe ich allerdings doch. Sie flüchtet doch direkt nach der Tat in die U-Bahn? Ich sehe keinen anderen Hinweis im Text. Sie hat ja noch nicht einmal einen Fahrschein gelöst. Dann kann sie alles zusammen genommen doch nicht viel länger als eine Stunde unterwegs gewesen sein. Das Ganze ist schließlich so geschrieben, als ob die Tat gerade erst stattgefunden hat. Die Angst der Fliehenden ist m.E. sehr realistisch dargestellt.
Aber ist die Polizei denn so effektiv, dass sie in der kurzen Zeit eine Großfahndung einleiten kann? Die Zeit läuft, seit die Nachbarin das entdeckt, dann muss die Polizei gerufen werden, der Tatort muss inspiziert werden, usw. Ich kenne mich da nicht so aus. Und dann steigt da zufällig ein Zivilbeamter, der schon von der Fahndung weiß, an der vorletzten Haltestelle - also ziemlich weit draußen - ein und erkennt sie sofort. Das ist doch eine Großstadt, sonst hätte sie keine U-Bahn. Und keiner wusste, wo sie hin wollte.
Ich bin zwar auch schon mal bei einer Fahndung nach einem Raubüberfall in eine Kontrolle geraten. Da haben mich dann aber drei Polizisten mit vorgehaltener Maschinenpistole auf offener Straße gestellt. Ein tolles Gefühl übrigens.
Ich meine, in der Literatur werden oft Zufälle beschrieben, aber ist dein Text in dieser Hinsicht plausibel, oder habe ich den Zeitablauf falsch interpretiert? Vielleicht hilft ein Hinweis, das sie schon den ganzen Tag oder einige Tage herumirrt. Ich weiß nur, dass es abends ist.
Eine weitere Überlegung: Zwischen den beiden letzten Stationen ist es tagsüber oft leer. Aber sind es nicht gerade die Pendler, die abends bis zur letzten Station fahren, um dort am P&R in den eigenen Wagen steigen?
Noch ein Widerspruch: Das blaue Auge und 'Geschlagen hat er sie nie'.
Bitte entschuldige meine Pingeligkeit!
Ansonsten wie gesagt: Spitze!
Gruß
Edgar
 

DarkskiesOne

Mitglied
Hallo Edgar,

deine "Pingeligkeiten" nehme ich dir nicht übel! Vielen Dank erst Mal für dein Lob!! Die eventuell unplausible Konstruktion in meiner Story, die Schnelligkeit, mit der die Polizei in diesem Fall handelt, habe ich auch schon kritisch beäugt. Obwohl ich hoffte, deutlich gemacht zu haben, in welchem kurzen Zeitraum sich das ganze Geschehen abspielt. Es könnte nämlich sein, dass das Ehepaar mitten in der Stadt wohnt, U-Bahn Station vor dem Haus. Dann liegt für die Polizei auf der Hand, die U-Bahn-Strecken als erstes unter die Lupe zu nehmen. Als die Protagonistin aus dem Haus stürzt, stösst sie bekanntlich mit ihrer Nachbarin zusammen. Diese hat nur Sekunden später die Leiche entdeckt. Das ist die Stelle, an der das Unterbewusstsein meiner Protagonistin von weither einen gellenden Aufschrei registriert, bevor sie aus dem Haus auf die Strasse flieht. Die Nachbarin ist natürlich durch das mehr als seltsame Verhalten der sonst immer so stillen und unauffälligen Frau von nebenan misstrauisch geworden und hat einen Blick in die "Tatwohnung" geworfen, deren Tür sperrangelweit offen steht. Hysterisch schluchzende Fliehende halten sich nicht mit dem sorgfältigen Schliessen von Türen auf. Es folgen Schock der Nachbarin beim Anblick des Toten, besagter Aufschrei und das Polizei Alarmieren. Das alles spielt sich innerhalb kürzester Zeit ab. Die Leiche ist bereits entdeckt, als meine Mörderin die Strasse erreicht. Und die Polizei wird in diesem Fall die flüchtende Ehefrau als Hauptverdächtige verfolgen. Die Nachbarin ist ja fast sowas wie eine Zeugin des Mordes.Ich warte allerdings noch, dass jetzt jemand schreit: "Und wo ist das ganze Blut?" Das ist nur auf dem Teppichboden. Basta! ;-)
Aha, die Angst des Schwarzfahrers kennst du?? Interessant...;-)
Nächster Punkt, die Pendler. Was mache ich mit denen?
Ich könnte sie einfach Fahrgäste nennen und da die Nacht bereits hereinbricht, könnte es schon relativ spät sein. Im Sommer zumindest. Also kein Berufsverehr mehr. Deshalb leert sich der Zug zusehends. Bis zur Endstation fahren dann eben nur noch zwei Leute. Ich wollte, dass am Ende nur noch meine Protagonistin und der Zivilpolizist im Zug sind. Deshalb habe ich die Mitreisenden nach und nach aussteigen lassen.
Bei dem "blauen Auge" hast du dich allerdings verlesen: Sie hat ja gar keines. Sie wünscht sich, es hätte Spuren von Gewaltanwendung gegeben. Aber ihr Mann hat sie viel tiefer verletzt, als es Schläge hätten tun können.
Ich danke dir für das ausführliche Beschäftigen mit meiner Story. Sobald ich eine ruhige Minute habe, werde ich sehen, ob ich noch ein wenig dran feilen kann.
lg
DarkskiesOne
 
E

Edgar Güttge

Gast
wie groß ist das U-Bahn-Netz?

Hallo DarksiesOne,

zunächst erst mal vielen Dank für Deine Erläuterung.
So ungefähr hatte ich mir das auch vorgestellt. In deiner Darstellung werden die Zeiträume sogar noch kürzer?
Bei einem kleinen U-Bahn-Netz lässt sich das so vielleicht machen. Aber was ist das für ein Foto in seiner linken Hand? Ich meine, mit DFÜ ist heute zwar Vieles möglich. Da hängt in der Wohnung ein Bild an der Wand, ein Polizist nimmt es, legt es auf ein Faxgerät oder scant es ein, ein PC steht da irgendwo herum, das Revier ist in der Nähe ... Aber geht das alles in einer halben Stunde? Vielleicht solltest du dem Polizisten lieber ein Handy oder einen Zettel in die Hand drücken, damit er die Personalien vergleichen kann.
Das kommt davon, wenn man zu viele Schwedenkrimis lesen musste. Bei Åke Edwardsson kann Erik Winter ein paar Autodiebe innerhalb von 20 Minuten stellen lassen, aber er hatte ein Handy in der Hand und stand zufällig daneben, als das Auto geklaut wurde. Bei Karen Alvtegen ist übrigens eine Frau ihr ganzes Leben auf der Flucht.
Nun, die Gebühren fürs Schwarzfahren sind inzwischen so hoch, das kann sich ja niemand mehr leisten. Bei mir ist das alles verjährt. :)
Das blaue Auge ist klar. Sie denkt es nur. Sorry, hatte ich tatsächlich überlesen.
Das mit den Pendlern lässt sich tatsächlich leicht lösen, so wie du es vorschlägst.
Viele Grüße
Edgar
 
Hallo Darkskysone,
eine ausgezeichnete Geschichte, zu der es für mich nichts weiter zu sagen gibt, als daß mir meine 10, mit der ich die Geschichte bewerte, irgendwie lächerlich vorkommmt.

Gruss, Marcus
 

Gandl

Mitglied
Hi DO,
neun Tage später drängt es mich, Dir nochmal zu sagen,
dass es eine superklasse Geschichte ist. Täglich schaue ich in die LL
um zu sehen, was meine Kollegen/innen finden und anmerken.
Was sie loben, was sie kritisieren. Auch das ist sehr spannend.
Und wie Du darauf antwortest, was Du Dir gedacht hast.
Und - wie ich finde - so klug schon im Original hineingedacht hast...
Ja, das wollte ich Dir sagen: ich denke jeden Tag an Deine Geschichte.
Und ich habe von ihr (und den Kommentaren/Antworten) viel gelernt.
Auch dafür
vielen Dank.
Gandl
 

DarkskiesOne

Mitglied
Viel lernen...

...kann man tatsächlich hier in der Lupe!
Hi Gandl, hi Edgar Güttge,
freue mich über das Lob und vor allem über eure konstruktive Kritik! Habe die Geschichte eben noch minimal verändert. Das Dilemma mit den Pendlern und vor allem dem Foto, habe ich jetzt, dank Edgars Vorliebe für handybewaffnete, blitzschnelle Kriminalbeamte in Schwedenkrimis ;-), hoffentlich zufriedenstellend gelöst.
Ich danke euch noch mal für den überaus hilfreichen Input. Weiterhin frohes Schreiben wünscht euch
mit lieben Grüßen
DarkskiesOne
 
C

catbea

Gast
Echt spitze

Wow, ich liebe solche Geschichten.
Aufbau, Spannung usw. wurde ja schon genügend unter die Lupe genommen. Schliesse mich diesen "Lobeshymnen" gerne an..deshalb nur noch ein kurzes:
"ich glaube ich habe nicht einmal beim Durchlesen geblinzelt" von mir :))
Mehr davon!
Tschau
Catbea
 



 
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