“Denn wer das Schwert nimmt,
der soll durchs Schwert umkommen.”
Mt 26,52
der soll durchs Schwert umkommen.”
Mt 26,52
Nicht dass mir der Strohtod besonders erstrebenswert erscheint, aber durch das Schwert umzukommen hat irgendwie den Beigeschmack eines vorzeitigen Ablebens. Möglicherweise möchte ich gerade im Hinblick darauf eine Reihe von Ereignissen schildern, die mich von ausgelassenen Parties, paradiesischen Stränden, Tennisclub und allem Drum und Dran eines wohldotierten Expertendaseins in der Karibik durch die Hölle tropischer Slums in die Rolle eines Geächteten zerrten.
Das ungewohnte Summen einer Klimaanlage drang beharrlich in mein, vom Schlaf umnebeltes, Bewusstsein. Langsam dämmerte es mir. Ich lag in einem Hotelbett. Dicht an mich gedrängt schlummerte Ninoska. Verstohlen stand ich auf. Das Fenster gab den Blick frei auf die Bucht von Puerto la Cruz. Im Meer glitzerten die ersten Sonnenstrahlen. Ein einsammer “Recogelatas” -Büchsensammler- schlurfte auf der Strandprommenade von Abfallkorb zu Abfallkorb. Meine Gedanken schweiften über Meer und Land, nach Caracas, zu meinem Heim, meinen Kindern, meiner Frau. Quälende Wehmut erfasste mich. Ich wandte mich ab. Ninoska schlief tief. Ihr dunkles Gesicht zwischen den weissen Bettlacken spiegelte gelassene Zufriedenheit. Sie war die Frau auf die ich mein ganzes Leben gewartet hatte. Als junger Bursche hatte ich von ihr geträumt, ohne sie zu kennen hatte ich mich nach ihr gesehnt. Doch als sich unsere Wege endlich kreuzten, war ich verheiratet gewesen und Vater von vier Kindern.
Ich schlüpfte in meine Khakihosen und Mokasins, streifte mir ein T-shirt über und verliess das Zimmer, überquerte die Strandprommenade und setzte mich auf den Steindeich am Strand gegenüber des Hotels. Wie lange ich dort gegrübelt und auf das Meer gestarrt hatte, wusste ich hernach nicht zu sagen. Schliesslich ging ich zurück zum Hotel, nahm den Aufzug in den achten Stock und schloss das Zimmer auf. Ninoska lag mit einem Kopfschuss tot im Bett.
Fassungslos fasste ich ihre schlaffe Hand. Meine verworrene Benommenheit wich einem dumpfen Schmerz und wandelte sich zum Entsetzen, als die Ungeheuerlichkeit meiner Lage schlagartig in mein Bewusstsein drang. Natürlich war ich der erste, und wahrscheinlich der einzige Tatverdächtigte. Ich hatte kein Alibi. Was würde die Polizei tun? Was würde ich sagen können, ausser der Wahrheit und die Wahrheit war eben, dass ich nichts wusste und das war für die Polizei gewiss zu wenig und ausserdem unglaubwürdig.
Was würde ich meiner Frau sagen, wie meinen Kindern die Situation erklären? Gab es so etwas wie eine Erklärung überhaupt?
Sollte ich einfach das Weite suchen, mein ganzes Leben gesucht, gejagt, gehasst werden für eine Tat, die ich nicht begangen hatte. Im Rückblick glaube ich jetzt es wäre das Beste, ganz bestimmt das Praktischte gewesen.Warum ich es nicht getan hatte, weiss ich nicht mehr.
Zitternd fasste ich den Hörer des Telefons und wählte die Nummer der gefürchteten, berühmt - berüchtigten PTJ- der Kriminalpolizei.
Dann rief ich meine Frau an.
“Wo bist du?”fragte sie schlaftrunken.
“Ich bin in einem Hotelzimmer in Puerto la Cruz. “
Es ist mir peinlich das nun folgende Gespräch wiederzugeben. Ausserdem könnte mein konfuses Gestammel einen Aussenstehenden langweilen.
Am Ende hängte ich ein, damit mich Maria nicht schluchzen hörte. Eigentlich hätte ich ihr ja noch sagen wollen, sie sollte die Kinder von mir grüssen und auch, dass ich sie sehr, sehr gern hatte. Aber ich fand das unter den gegebenen Umständen etwas unpassend.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und bereitete mich auf das Erscheinen der Kriminalpolizei vor. Die Venezolaner halten die PTJ für fähig eine viertausend Jahre alte Mumie zu Geständnissen zu zwingen.
Daran dachte ich während ich auf sie wartete. Natürlich verhaftete man mich und beschuldigte mich des Mordes. Selbstverständlich liess sich Maria scheiden. Ich überliess ihr alle unsere materiellen Güter, vor allem um zu verhindern von Rechtsanwälten und Gerichtsbeamten geschröpft zu werden und vielleicht sogar, um Busse zu tun, möglicher Weise auch weil mir alles egal war.
Das venezolanische Justizsystem ist vollkommen überlastet. Deshalb wartet die Mehrzahl der Häftlinge monatelang auf ein Urteil während sie im Knast schmoren. Als Ausländer genoss ich den Vorteil unverzüglich wegen Mordes im Affekt zu neun Jahren Haft verurteilt zu werden und landete in einem Zuchthaus in Yare, einer Kleinstadt in der Nähe von Caracas. Eigentlich verdienen die Zuchthäuser in Venezuela die Bezeichnung Unzuchthäuser. Hinter ihren Mauern blüht der Drogenkonsum, Perversität, Korruption. Banden bekriegen sich untereinander. Morde sind an der Tagesordnung. Viele Häftlinge sind bewaffnet mit chuzos -selbst gefertigten Dolchen- manchmal sogar mit Feuerwaffen. Wer keiner Bande angehört und ausserdem keine Protektion bezahlen kann, ist nicht nur allen erdenklichen Schikanen von Seiten der Mithäftlinge und des Wachpersonals ausgesetzt, selbst seine physische Integrität ist jede Sekunde in Gefahr. Achtzig bis hundert Häftlinge in eine Zelle gepfercht, genannt Pabellon, sind keine Seltenheit. Eine Schilderung der hygienischen Zustände könnte das Papier beschmutzen, worauf sie geschrieben wurde.
Als Mörder kam ich in den Pabellon der Elite dieser Hochschule der Kriminalität, jungen Unmenschen von kaum zwanzig Jahren, die bereits mehrfache Morde auf ihrem Konto hatten. Frauenmörder und “Intelektuelle” sind Sonderlinge unter ihnen und ihrem Spott und Sadismius ausgesetzt.
“Así que tu quebraste una jeva – du hast also eine Puppe umgelegt?” fragte mich geringschätzig grinsend Emiro, der Pran des Pabellons, am ersten Tag während sich “Burra Negra” von hinten an mich schob.
“No maté nunca a ninguna mujer- ich habe nie eine Frau getötet!“
In diesem erlesenen Kreis zuzugeben, dass ich überhaupt nie jemanden ermordet hatte, wäre nicht ratsam gewesen.
“Man hat mich reingelegt.”
Ich fühlte die Hand Burra Negras auf meiner Schulter, seinen Atem im Genick. Mein Puls raste. Scheinbar ohne Eile legte ich meine Hand auf die seine, umspannte seinen Daumen und drückte ihn in Richtung seines Handgelenks. Der schwergewichtigte Fettprotz stöhnte und liess mich los. Ich drehte mich zu ihm und als er zum Schlag ansetzte, verstärkte ich den Druck ruckartig. Er fauchte einen Schmerzenslaut und hielt grotesk nach hinten gekrümmt inne.
“Déjense de vainas –lasst den Blödsinn-,” sagte ich leise, fast unhörbar, aber im Ton der Gewissheit in diesem kurzen Moment Herr der Lage zu sein.
“Lasst mich in Ruhe.”
Offensichtlich hatten sie diese Reaktion nicht von einem Frauenmörder erwartet. Meinen Mitinsassen wäre es ein leichtes gewesen, mich zu überwältigen. Sie erwarteten ein Zeichen ihres Anführers. Der aber hatte anscheinend anderes im Sinn.
“Okay, beruhige dich,”sagte er spöttisch.
“Es war ja nur eine Frage.”
Ich liess Burra Negra los und wartete angstvoll auf den Angriff des schwarzen Fleischkolosses.
Er blieb aus, wenigstens im Moment.
Die folgenden Tage döste ich vor mich hin, die Nächte verbrachte ich gekrümmt auf dem Betonboden, wach aus Angst überfallen und vergewaltigt zu werden, wie das so der Brauch ist, wenn ein Kinder– oder Frauenmörder unter ehrbare Raubmörder und Drogenhändler fällt. Ich wagte nicht mich zu bewegen, um meine Mithäftlinge nicht aufzuwecken. Die Gewalttätigsten schliefen in Hängematten, wodurch wir anderen auf dem Boden wenigstens genug Raum gewannen, um ausgestreckt liegen zu können. Fast eine Woche war verstrichen. Furcht und Ekel waren einer stumpfen Lethargie gewichen. Ich versuchte zu tun was meine Mitinsassen taten, das heisst nichts.
Ein unschönes Detail meines neuen Daseins war unsere Toilette. In vielen Pabellons gab es nur ein Stück Pappkarton worauf die Sträflinge ihre Notdurft verrichteten und welches am morgen weggeschafft wurde. Unser Pabellon war privilegiert. Wir kackten in ein Loch im Boden der Zelle. Fast immer fehlte Wasser um zu spülen. Ausserden verfehlten die Benutzer oft das Ziel. Schwärme von Fliegen summten um das Loch und der Gestank war zum Erbrechen. Ich benutzte diese Annehmlichkeit immer im Morgengrauen, wenn alle anderen Zelleninsassen noch schliefen. An diesem Morgen fielen drei Schatten über mich. Mein Hinterkopf schlug hart auf den Betonboden. Rücklings wälzte ich mich im Kot. Sie drehten mich um und pressten mein Gesicht gegen das Loch. Erfolglos versuchte ich mich dagegen zu wehren. Schliesslich gab ich den Widerstand verzweifelt auf, stemmte meine Stirn in den schlüpfrigen Kot und presste meine geballten Fäuste unter mein Kinn um zu verhindern, dass Mund und Nase in die Exkremente gedrückt wurden. In dieser Stellung verharrte ich bis meine Peiniger ihren Frust an mir ausgetobt hatten.
Nach Sonnenaufgang durfte ich mich duschen.Natürlich wusste ich, wer mir diesen Denkzettel verpasst hatte, Burra Negra und Chichon de Piso, beim Dritten war ich mir nicht sicher. Burra Negra hatte immer noch nicht verkraftet, dass ihn ein „Interlektueller“ vor allen in die Schranken gewiesen hatte und Chichon de Piso –Bodenbeule- war stets damit beschäftigt zu zeigen, dass er trotz seiner Ministatur ein ganzer Mann war. Einmal hatte er versucht mir eine Arepa wegzunehmen und dafür einen Fusstritt verpasst bekommen, der ihn gegen die Wand geschleudert hatte. Hernach hatte ich mich geschämt wegen meiner Überreaktion, auch dachte ich, dass es nicht sinnvoll gewesen sei, mir einen Feind im Pabellon geschaffen zu haben. Aber meine Überlegungen waren zu spät gekommen. Tagelang wurde ich verhöhnt.
Selbstverständlich sann ich auf Rache, doch dann dachte ich meinem Ruf als “Intelektueller“ gerecht zu werden und ohne Gefühlsduselei zu reagieren. Rache ist unprofessionell und führt zu nichts für alle Beteiligten. Jede Reaktion würde wieder eine Gegenreaktion auslösen. Wenn ich sie mir einzeln vorknöpfte, würden sie mich bei nächster Gelegenheit wieder überrumpeln und sicherlich würden sie sich dann nicht damit begnügen, mich in der Scheisse zu wälzen. Ausserdem kostete es mich Mühe mir vorzustellen, wie ich mit einem Koloss wie Burra Negra abrechnen sollte. Das einzige was ich tun konnte, war beide zu eliminieren. Dazu war ich nicht fähig, auch war es zu riskant und aufwendig und ausserdem wäre da noch immer der Dritte. Wie oft hatte ich mich beim Zeitunglesen über den Terror der Palestinenser und den Gegenterror der Israelis gewundert. Ich musste vernüftiger sein.
WILL JEMAND WEITERLESEN??
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