Flucht über die Nordsee 14: Alina

ahorn

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Voll unter Segel

Weiberkram

Franziska wusch ihre Hände an der Schürze ab, marschierte zum Küchentisch, griff einige Gläser.
Tanja band ihren Pferdeschwanz neu, lächelte und ging auf sie zu. »Warte Franzi, ich helfe dir!«
Sie stellte die Trinkgefäße wieder ab. »Schläft sie«, flüsterte Franziska.
»Ja! Setzt dich, ich räume ab.«
Franziska schob ihren Rock an die Beine, setzte sich. »Otonia is a richtig siasss Madl.« Sie grinste. »Grod a bissal frech!«
Tanja kniff ihre Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander.
»Pardon!« Franziska zuckte mit den Achseln. »Ich vergesse immer, dass du kein Bayrisch verstehst. Sie ist für ihr Alter ganz schön keck.«
Ein Glas in an ihre Brust gedrückt, spielte Tanja an ihrer Halskette und zog ihren Mund schief. »Sprechen wir von Antonia?«
»Lass die Sachen stehen«, forderte sie Tanja auf, »Das bisschen erledigte ich morgen.«
Franziska fasste eine Weinflasche, hielt den Flaschenhals oberhalb eines Weinglases. »Noch einen Schluck?«.
»Gerne«, entgegnete Tanja und setzte sich an Franziskas Seite. Dann stütze sie ihr Kinn auf und betrachtete sie.
»Eins verstehe ich nicht. Warum ist Anton, dein Ex-Mann, nicht mit ihr gegangen, obwohl sie schwanger war?«
Franziska klopfte auf Tanjas Arm, umklammerte mit der anderen Hand das Weinglas. »Ich habe es dir bereits erzählt«, presste sie hervor. »Er hatte nichts mit ihr. Eifersüchtig wollte er mich machen.« Sie senkte den Kopf. »Alle Mannsbilder waren hinter ihr her. Schen war sie mit ihren langen Rabenhaaren« Franziska grinste. »Die waren gefärbt, das sah man. Aber, sie strahlte was mystisches aus.« Franziska vergrub ihr Kinn in den Händen. Ihre Augen leuchteten. »Sie hatte irgendetwas von einer Zigeunerin. In ihren langen schwingenden Rock, ihrer Bluse, dessen Ärmel sie über die Schulter gezogen hatte. Mei, wie sie tanzte. Barfuß am Lagerfeuer mit den Hüften tänzelnd, wie eine aus dem Orient.«
Sie nahm einen Schluck, kratzte sich am Genick. »Kind, musst verstehen, das waren damals verrückte Zeiten. Überall waren diese jungen Leut, in ihren Lagern. Die Welt wollten sie verbessern. Mei, recht hatten sie.«,Sie wandte ihr Gesicht dem Fenster zu. »Der Olde hätte am liebsten son Raket in den Hof gestellt, um den Bolschewisten es Recht zu zeigen.«
Tanja zog die Augenbrauen zusammen und drehte sich eine Locke ins Haar. »Sie war doch schwanger?«
Franziska schlug auf den Tisch. »Die Leut haben es geredet«, schimpfte sie. »I war schwanger vom Vale. In der Scheun sind wir gewesen. I war gramisch auf den Anton. Hätte mich nie der Gerti anvertrauen sollen. Gut ist sie geworden seit damals. Ich habe ihr Vergeben.« Sie rieb ihre Hände, dabei wandte sie ihr Gesicht ab. »Da war die Geschicht von der Amisha.«

Tanja kniff ein Auge zu. »Amisha?«
Franziska schlingerte den Kopf, den Hals. »So nannte sie sich. Ihren richtigen Namen kannte keiner.« Sie zupfte an ihrem Glas. »Jedenfalls erzählte meine Schwester überall im Dorf, dass sie es mit dem Leibhaftigen in der Kirch auf dem Altar getrieben hätte.«
Tanja speerte den Mund auf. »Und dann?«,
»Mein Vater hat mich gerufen. Was mir einfiele mit dem Knecht, dem Damischen. Hab ihm gesagt, dass sie de Vale beschworen, und sie ihn verdammt hätte mich ebenfalls auf dem Altar. Bleed wa i.«
»Wo bleibt da übahabt.«
»Wer?«
»De Vale. Da woite doch grod weng des Obstlers zum Donau-Hof.«
»Wie?«
»Egal, de kommt bestimmt gleich. Hat sicher irgendeinen Parteibazi getroffen. Das de Mannsbilder immer mit de Politik. Verstehst? I ned.«
»Was ist aus Amisha geworden?«
»Vertrieben hat der Fone sie. Samt ihrer ganzen Gruppn, mit der Schrotflinte aus dem Dorf getrieben« Sie lächelte. »Die Amisha ist dann mit ihrer Freundin nach Indien. Ihr Karma suchen.« Sie rieb mit dem Zeigefinger an der Nase. »a nett‘s Feundin hat’s gehobt.«
Franziska klopfte auf den Tisch. »Gut mit den oidn Gschichdn.« Sie legte ihre Hand auf Tanjas Schulter. »Nach vorne müssen wir sehen. Mei bin ich froh das mein Bua dich jetzt hat.« Sie grinste. »Du wirst ihm a guts Weib und er dir a gut Mo. Du wirst ihm seine Flausen austreiben, des spür i.« Sie zwinkerte, klatschte sogleich in die Hände. »Wenn erst was Kleines unterwegs ist, dann seid ihr eine richtige Familie. Und dann die Ontonia, wenn dein Tante auf Weltreise geht. Den brauch sie net mehr bei ihrem Vater wohnen. Mei wird des schee.« Franziska stand auf, ergriff ihr Glas und drehte sich wie zum Tanz um ihre Achse.
Tanja zupfte an ihrer Kette. »Franzi ich muss dir auch was sagen.«
Franziska richtet sich auf, lauschte. »Wart«, wisperte sie, hob ihren Zeigefinger. »Da Bua, da Lauscher, den Hias krieg ich auch noch hin«, flüsterte sie.
Sie schlich zur Küchentür, schloss sie lautlos.



Nestbau

Ein paarungswilliges Männchen segelt durch die Nacht auf dem Weg zum Nest des Weibchens. Lange in Zuversicht des Erscheinens, der frohen Botschaft haarte sie aus.
»Mach das Licht aus!«
»Warum?«
»Es soll nicht jeder sehen, dass du da bist.«
Der Mann tippte auf den Lichtschalter, stolperte auf das Bett zu, legte sich zu ihr.
»Las das!«
»Ich dachte?
»Du kannst doch eh nicht. Alles klar mit deiner Tochter?«
»Welcher?«
»Hast du mehrere?«
»Du weißt wie ich das meine. Bei dir ist alles gut gelaufen?«
»Alles nach Plan.«
»Wärme mich. Mir wird kalt!«, erklang die Frauenstimme zittrig. »Ich weiß nicht, ob wir das richtig machen?«
»Schätzchen! Richtig oder falsch! Es ist die einfachste Lösung. Für Sentimentalität gibt es da keinen Platz.«
Er liebkoste ihren Rücke, küsste ihre Schulter.
»Ja! Ja!«, kam es gedehnt über ihre Lippen.
»Hallo! Was machst du da?«
»Wenn du schon bei mir bist«.



Klabautermann

»Do liagt wa in meim Bett!«, schrie ein Mädchen.
Sie stand auf dem Flur direkt an der geöffneten Tür ihres Kinderzimmers und deutete auf ihr Bett.
»Schätzchn sei leis«, flüsterte Franziska, die mit ihr zuvor das Obergeschoss bestiegen hatte, schritt sodann auf sie zu. »Des is de Ontonia. Tanjas Tochta«, tuschelte sie, stellte dabei eine Reisetasche neben dem Kind ab.
»Sprich Deutsch mit mir«, wisperte das Mädchen. Ihre Stirn fiel in Falten. »Tanja hat eine Tochter?« Sie kratze sich am Nacken. »Ich dachte, sie hat einen Bruder?«
Franziska stöhnte, verdrehte die Augen. »Hat sie. Der hat an Gripp oder so. Hom mia est gestan erfahrn!«
Das Mädchen stampfte mit einem Fuß auf. »Warum schläft sie in mein Bett?«
Franziska deutete auf Toni, der im Schlaf sich wendete. »Grod de Nochd. I hob für se an Luftmatratze hervorgeholt«, flüsterte sie und legte die rechte Hand auf ihre Schulter.
Alina ballte eine Faust. »Trotzdem ist das mein Zimmer!«
»Sei liab zua ihr. Des Heisl is voi! Und ...«, Franziska atmete durch. »Sie hat es nicht einfach, wusste ned einmal, ob se zur Hochzeit ihr Muada keman durft.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Ihr Vater soll a Tyrann sen.« Sie richtete sich auf. »Sagt Stephen!«

Torbens Körper schwankte wie bei Windstärke fünf, obwohl die See glatt vor ihm lag. Er raffte das Segel, damit das Schlingern aufhörte. Ohne Erfolg. Er kämpfte sich zum Ruder vor. Eine Stimme erklang, wie aus dem Nichts. Wer rief ihn? Er war allein auf dem Boot.
»Hey! Hey!«, drang an sein Ohr.
War es der Klabautermann, der ihn warnte? Ihn vor Unheil zu beschützten.
»Hey! Hey!«
Immer hörbarer vernahm er den Ruf. Zunehmend heftiger wühlte die See. Er sah zum Mast. Ein Mädchen mit rundem, sommersprossigen Gesicht, langen rotbraunen Zöpfen, die seitlich an ihrem Kopf baumelten, rief seinen Namen. War das sein Name?

»Antonia aufstehen!«

Er schlug die Augen auf. Düsternis überkam ihm, dann erhellt der Tag seine Netzhaut. Toni sah sich um. Es war nicht in seinem Zimmer, nicht in seiner Koje. Ein Mädchen, dessen Gesicht er im Traum gesehen hatte, saß neben ihm, wippte ausgelassen mit ihrem Hintern.
»Du liegst in meinem Bett!
»Wenn du weiter hüpfst nicht mehr lange.« Er gähnte. »Wie spät ist es?«
Sie spähte zum Fenster und gluckste: »Fast Mittag.«
Er zog seine Mundwinkel hinauf. »Welche Uhrzeit haben wir?«
»Neun!«
Toni tippte an seine Schläfe. »Ist das Mittag?«
Die Arme verschränkt, wandte sie ihren Blick ab. »Habe ja fast gesagt. Kommst wohl aus der Stadt. Bei uns steht man früh auf. Gleich nach dem Gocklenschrei.«
»Gocklenschrei?«
»Hahnenkrähen! Kannst du koa deitsch.«

Toni trocknete sich ab. Die morgendliche Dusche hatte ihm seine Kräfte geweckte. Ein gesicherter Start für den schwersten Törn seines Lebens. Der eine Tag mit der Schwester hatte ihm zugesetzt. Jetzt nahm er die Kampfansage an, vier Tage die Rolle eines braven Mädchens, er verdrehte seine Augen, einer braven Tochter zu spielen.
Warum war er nur so doof gewesen? Hatte dem Reiz nicht widerstanden? Es war nicht das Schicksal, dass ihn gepackt hatte, sondern der Zufall. Die Tante schneiderte und änderte Kleidungsstücke, die sie oft durchwusch.
Toni ergriff den Rucksack, sah hinein. Er starrte auf die Badezimmerwand, gefolgt von einem Blick in den Sack. Er hob ihn an, drehte ihn in alle Richtung. Es war seiner, ohne Frage, und weniger der Inhalt, der ihn verwunderte. Er leerte ihn aus. Vor ihm auf dem Boden lagen Mädchensachen. Er durchwühlte die Garderobe, fasste sich an die Nase, betastete sein Ohrläppchen und schüttelte den Kopf.

Toni schritt auf Alina zu. Sie beschäftigte sich damit, den Inhalt ihrer Reisetasche in ihren Kleiderschrank zu räumen. Ihre Jeans hatte sie durch eine Latzhose getauscht. Dessen rechter loser Träger bei jeder Rotation gegen die Schranktür schlug.
Er zerrte an seinen nassen Haaren. »Hast du einen Föhn für mich?«
Sie verharrte mit einen Stapel Oberwäsche auf der Hand, wandte ihm ihr Gesicht zu. »Der Rock steht dir echt krass.« Sie kicherte. »Krass grün. Könnte mir gefallen, solange«, sie stöhnte, »ich ihn nicht anziehen muss. Ich mag die Dinger nicht. Echt unpraktisch!«
Sie zuckte mit ihrem Kopf. »Antonia komm mit!«, befahl sie und schritt voran. »Die damische Schuluniform nervt mich eh. Weißt, warum de Junga Hosnn drogn dürfa? Echt ätzend!«

Sie gab ihm nicht den Haartrockner. Sie frisierte ihn. Ihr Geschnatter prasselte auf ihn ein und er sann über die Sachen mit dem Rucksack nach.
Das Brummen des Föhnes verstummt. Toni stellte sich, mit dem Gesicht zugewandt, vor den Badezimmerspiegel und strich mit den Fingern durch sein Haar. »Sieht echt scharf aus!«
»Danke. Ich frisierte gern mei Freindinna.« Sie grinste. »Kimmsd zum Friahstück!«
Er nickte. »Ich komme gleich nach.«

Alina hüpfte die Treppe herunter, stieß auf der letzten Stufe mit Tanja zusammen. Mit einem Faustkick beförderte sie diese abwärts, schrie sie an und zeigte ihr einen Vogel. Woraufhin Tanja sie anblaffte, die Finger gespreizt, ihre Hand vorm Gesicht wedelte, dann ihren Kopf in den Nacken warf und das Haus verlies.

Toni tappte durch das Kinderzimmer, stellte den Rucksack ab. Er schlich an Alinas Kleiderschrank, sah sich um und spähte hinein. Hosen, Pullover und T-Shirt lagen, hingen mehr oder weniger ordentlich in ihm. Keinen einzigen Rock geschweige ein Kleid fand er.

Eine stämmige Dame stand am Herd, knetete einen Teig und begrüßte Toni mit einem fröhlichen: »Grüß Gott.«
Franzi mit bürgerlichen Namen Franziska Obermeier, war eine freundliche und mit ihrer mütterlichen Art, beliebte Frau im Dorf. Arrangierte sich im Landfrauenbund sowie im örtlichen Trachtenverein. Mit ein Grund dafür, dass sie die Traditionen der Gegend pflegte, die sie gerne zu schau trug. Ihre Pensionsgäste erwarteten von ihr ein bäuerliches, niederbayrisches Äußeres, weshalb sie meist in Dirndl ihre Arbeit versah. Ihre zu einem Kranz geflochtenen mahagonibraunen Haare unterstrichen dieses Bild.
Sie bat Toni an den mit einem kräftigen Mahl gedeckt Küchentisch. Alina und ihr Vater unterhielten sich. Er gesellte sich zu ihnen, verstand kein Wort in ihrem Dialekt. Die Augen verdrehend haschte er sich ein Brötchen, schnitt es auf, schmiert Marmelade drüber.
Ein alter Mann mit krummen Rücken, gestützt durch einen Gehstock gleichsam einer Frau mit runzeligen Gesicht, faltigen Fingern sowie Armen, schlich in die Küche. Er setzte sich an Tonis Seite, betrachtete ihn mürrisch. Die Begleiterin schritt zu Alinas Mutter und ging ihr wortlos zur Hand.

Ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, stieß Franziska der anderen in die Seite. »Na Voda moang is de Houchzeid dann kannst du di enlich schlafa legn!«
Der Angesprochene stampfte mit dem Krückstock auf den Boden. »Wos sogt meine missratene Brut?«
Toni schaute beide abwechselnd an, spähte zu Alina, wobei Marmelade von seinem Brötchen auf den Tisch tropfte.
»Dei Tochta meint moang is endlich Houchzeid und ‚s werd Zeid fia di des zeidliche zua segna«, mischte sich die andere ein.
Alina verdrehte zuerst ihre Augen, dann rutschte sie auf Toni zu. »Du verstehst kein Wort«, flüsterte sie ihm zu.
Er nickte und stopfte sich das Brötchen in den Mund.
»Meine Großtante sagt, dass meine Mutter meint, ihr Vater, also mein Großvater, könne nach der Hochzeit endlich das seitliche Segnen«, übersetzte sie.
Toni schlug die Augen auf. »Wie meint sie das?«, flüsterte er mit vollen Mund.
Alina zuckte mir ihren Schultern und lauschte.
»Sie soi liaba aufpassn des ihr vadammta Oida sie ned oamoi mid sein bio kram vagifte. I übalebe sie no a boh Joare. I geh grod mitanand mid am Führa des hob i eahm gschwoan«, blubberte es über die Lippen von Alinas Opa.
»Sie soll lieber aufpassen das ihr verdammter Alter, mein Vater, sie nicht einmal mit seinen Bio-Kram vergiftet. Ich überlebe sie noch ein paar Jahre. Ich gehe zusammen mit dem Führer, das habe ich ihm versprochen«, übersetzte sie erneut.
»Drink dei Bier und Guad«, donnerte die Frau zurück, die der Hausherrin half.
»Tante Gerti möchte, dass Opa sein Bier trinkt.«
Toni griff ans sein Ohrläppchen, kniff ein Auge zu. »Das habe ich verstanden«, zischelte er, rückte näher an Alina heran. »Wer ist Tante Gerti?«
»Opas Schwester!«
Gertrud alias Gerti, Franziskas Tante half ihrer Nichte bei der Bewirtung der Gäste. Sie wohnte mit ihrem Bruder Alfons im ehemaligen Gesindehaus, gegenüber des zu einer Pension ausgebauten Bauernhaus. Mit Hingabe pflegte sie Alfons, hatte nie geheiratet, keine Kinder. Obwohl sie sich mühte, war ihr Ansehen im Ort nicht hoch. Ein Umstand, dem sie ihrem Lebenslauf schuldete.
»‘s is Zeid fia des zwoate Friahstück wo san meine Woasswürschd und de Breseln«, polterte widermal aus Gertruds Mund.
Sie schritt auf den Küchentisch zu, hob den Deckel eines Topfes. Sie fischte mehrere Weißwürste aus dem Gefäß, legte sie auf einen Teller. Dann schnappte sie sich eine Brezel, donnerte diese neben das Bierglas, jenes vor dem verschrumpelten Mann stand.
»Do ess und dring aba sei endlich still!«
Valentin, Alinas Vater erhob sich, zischte dem Alten ein paar Flüche entgegen und verließ die Küche.
»Mama, ich gehe zu den Tieren«, zwitscherte Alina und wandte sich an Toni. »Kimmsd mid?«
Franziska rieb ihre mit Mehl bestäubten Finger an ihrer Schürze ab. »I docht, du hilfst beim Bacha?«
Alina pustete ihre Wangen auf und eilte aus der Küche.
Toni stand auf. »Frau Obermeier ich kann ihnen helfen?«
Er wunderte sich selbst über die Frage. Bei der Tante floh er eher aus der Küche. Nur bei der Spekulation, mit Alina den Hof zu erkunden, und Kot besudelte Tiere zu streicheln, blieb er lieber bei den Damen.
Franziska schritt an ihm vorbei zur Zimmertür, packte eine Schürze von einem Haken, drehte sich zu Toni um. »Damit du dein Gewand nicht versaust, und sag Franzi zu mir, Ontonia.«
Mit Genuss knete er den Teig in Aussicht des fertigen Werkes, seinem geliebten Streuselkuchen.

Er schob die erste Komposition in den Ofen, da erschien Tanja in der Küche.
Sie schritt auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihm auf den Mund. »Morgen meine Kleine, machst du dich nützlich?« Die Brauen zusammengezogen, die Stirn gefaltet musterte sie ihn. »Das freut mich!«, grummelte sie.
»Franzi hat mir gezeigt, wie man Streuselkuchen backt«, frohlockte er.
Franziska lächelte ihn an. »Dei Tochta is ma a grouse Hilfe. De werd moi a guade Heislfrau. Do kenn i mi aus.«
Tanja flechte die Zähne, wie ein angriffslustiger Wolf. »Darf ich die Bäckerin kurz entführen? Ich möchte ihr was zeigen.«


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van Geoffrey

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Warten auf die Emanzipation Torbens

Ich folge meinem Instinkt und versuche, die Geschichte auf Glaubwürdigkeit und Lesbarkeit hin zu prüfen.
Auch Logikfehler interessieren mich.
Auf Detailfragen, Grammatik, Interpunktion will ich lieber später eingehen.

Das Kapitel "14. Alina" stellt große Anforderungen an die Merkfähigkeit des Lesers.

Wir lernen Franziska und deren Tochter Alina kennen.
Über beider Alter erfahren wir vorerst nichts, und sind auf unsere Kombinationsgabe angewiesen.
Alinas Zimmer gibt Hinweise darauf, dass sie ein junges Mädchen sein muss und keinesfalls eine erwachsene Frau ist. Sie besucht ein Internat, also müssen wir davon ausgehen, dass sie zwischen 12 und 18 ist.
Franziska hat offensichtlich die 60er miterlebt. Jedenfalls spricht sie von einer Zeit, die sie offensichtlich miterlebt hat, als die Welt voller junger Menschen war, die die Welt verändern wollten.
Vielleicht ziehe ich da die falschen Schlussfolgerungen, aber wenn sie Anfang der 70er sagen wir zwischen 16 und 18 Gewesen ist, dann wäre sie heute 65. Und auch wenn wir in Betracht ziehen, die Geschichte könne im Jahr 2009 spielen, wäre sie immer noch 55.
Ihr Sohn KÖNNTE zwischen 20 und 35 sein. (Ich gehe vom "besten Heiratsalter" aus.) Das geht sich gut aus, denn dann wäre Franziska bei der Geburt ihres Buam zwischen 20 und 35 Jahre alt gewesen. Ginge sich auch noch aus, wenn wir annehmen wollen, dass die Geschichte in der Gegenwart spielt und Franziska 65 ist.
Ich rechne weiter.
Über Alinas Alter wird ebenfalls NICHTS gesagt. Aus ihrem Verhalten, ihren Rangstreitigkeiten mit der "Nebenbuhlerin" Ontonia muss man eigentlich davon ausgehen, dass sie gleichaltrig oder ein wenig älter ist als "Ontonia".
Ich kann sie als nicht älter als 18 einschätzen. Da muss ich mich auf mein Gefühl verlassen, indem ich ihr Verhalten einschätze.
Oder sollte sie etwa so alt sein wie Tanjas Verlobter?
Dann hätten wir eine erwachsene Alina vor uns, die ein wenig kindisch und eifersüchtig darüber wacht, dass keine Nebenbuhlerin ihr Zimmer benützt.
Das ist immerhin denkbar.
Wenn Alina 18 ist, dann müssen wir davon ausgehen, dass Franziska sie im fortgeschrittenen Alter zur Welt gebracht hat: also zwischen 37 und 47. (Je nachdem, ob wir die Geschichte in der Gegenwart oder ein wenig früher, sagen wir 2009, ansetzen.)Gut, auch das ist denkbar. Aber der Hinweis darauf, dass sie ein Internat besucht grenzt die Frage nach ihrem Alter endgültig auf 12 - 18 ein.

Torbens Entwicklung läuft nach meinem Geschmack zufriedenstellend.
Er hat eindeutige männliche Attitüden.
Er wird - dem Himmel sei Dank! - nicht zum Mädchen, obwohl er sich von Alina frisieren lässt.
Ihr Geschnatter empfindet er als Geschnatter. - Also ist der junge Mann ein junger Mann geblieben. Gut so, ich bin zufrieden.
Auch als Tami ihn in seiner Bude besucht zeit er eindeutig männliche Attitüden und reißt ihr das Modellschiff seines Opas aus der Hand.
Was müssen die Weiber auch alles anfassen!

Der Einschub "Bettszene" mit zwei nicht näher definierten Menschen gibt Rätsel auf.
Warum wir nicht erfahren, wer die beiden sind, wird einen Grund haben.
Dennoch eine Schwierigkeit für sich, dem Leser verständlich zu machen, dass der Erzähler, der ja gewissermaßen der alles Überblickende ist, gerade hier den Sichtschutz herunterklappt, und die Identität des Mannes und der Frau nicht preisgibt.
Ein kleiner Logikfehler: Erst heißt es "paarungswilliges Männchen" und dann sagt sie "Aber du kannst doch sowieso nicht."

Schön, und dann haben wir ein paar sogenannte Running Gags.
Da sind etwa Tanjas Strumpfhosen, die AUFGEBRAUCHT werden.
Und da ist der ewige Streuselkuchen, der in Torben verschwindet.
UND Torbens ewiger Griff zum Ohrläppchen. (Das deute ich als Verlegenheitsgeste. Allerdings bezweifle ich, ob der Leser das jedesmal wissen muss, dass Torben sich ans Ohrläppchen greift. Ich gebe zu, ich bin kein Freund minutiöser Beschreibungen.)

Karl wird nicht näher beschrieben. Er ist Torbens Onkel und der Geliebte seiner Tante. Der Priester, der eine Affäre hat.
Das reicht aber für eine runde Beschreibung von Karl als Person meiner Meinung nach nicht aus. Er wird als eher unangenehm und scheinheilig wahrgenommen.

Die Geschichte von Amisha, die es angeblich mit dem Leibhaftigen getrieben haben soll ist wirklich haarsträubend.
WER soll so ein Gerücht im 20. Jahrhundert geglaubt haben.
Noch dazu in Bayern.
Katholisch heißt ja nicht leichtgläubig oder abergläubisch.
So eine Geschichte käme vielleicht noch im 18. Jahrhundert in Betracht.
Jo mei, aber denken wir mal, da streut ein böswilliges, eifersüchtiges Weib schlimme Gerüchte über Amisha aus. Das ist denkbar. Und dass ihre Bosheit und Eifersucht sie Szenen erfinden lässt, die aus "Rosemarys Baby" stammen könnten.
Das ist immerhin DENKBAR, wenn auch nicht wahrscheinlich.

Einer der witzigsten Sätze kommt im Kapitel "Die Fahrt":

"Es war für ihn das erste Mal, dass er als Junge bewusst eine Damentoilette aufsuchte. Nach nochmaligen Warten im Inneren stand eine freie Kabine zum Einlass bereit, er erkannte, warum ihm die Tante die Tücher zugesteckt hatte."

Ja, mit der Pause an der Raststation entpuppt sich Bärbel endgültig als Sadistin. Torben zu zwingen, dass Damen WC zu benutzen. Allerdings hatte er wohl auch keine andere Wahl, da er ja Mädchenkleigung trug. Aber da beginnt ja schon der Sadismus, ihn die Mädchenklamotten schon auf der Fahrt tragen zu lassen.
Er hätte sie ja auch vor seiner Ankunft anziehen können.

Alles in allem sehe ich der erhofften und bisher ausgebliebenen Emanzipation Torbens mit gemischten Gefühlen entgegen.

Ach, und gut, dass der Titel "Flucht über die Nordsee" nun endlich aufgeklärt wird.

Insgesamt hat sich Torben nicht wirklich von der Bekleidungsfrage emanzipieren können. Die Geschichte gleicht einem Kraken, der Torben umfängt, und in die Gewässer des Mädchentums verschleppt.
Als Leser warte ich gepannt darauf, WANN er sich aus der Umklammerung wird befreien können.
Bärbel macht einen scheinheiligen Eindruck, und scheint nicht weniger Anteil an Torbens Verweiblichung zu haben als Tanja.

Dass Tanja "Ontonia" als ihre Tochter vorstellt, gibt der Geschichte eine vorläufige überraschende Wendung. Finde, dass das ein guter Schachzug ist, plötzlich die Tochter aus dem Hut zu ziehen, wie ein Zauberer das sprichwörtliche Kaninchen.

So ergibt sich das Bild eines jungen Mannes, der trotz seiner eindeutig männlichen Attitüden von zwei Frauen zum Mädchen erzogen wird.
Wann er sich aus der Sache retten kann, ist ungewiss.
Ein Killer ist hinter dem jungen Mann her, der an seinem 18. Geburtstag eine rätselhafte Erbschaft antreten wird können.
Fragt sich nun, WER hier gefährlicher und mörderischer vorgeht - Tanja, Bärbel oder der Killer?
Wir wollen im Auge behalten, dass Torben eine gleichaltrige Freundin hat - Tami.
Man muss "Freundin" sagen, denn tatsächlich lässt sie sich dazu hinreißen, neben Torben auf dem Bett sitzend, seine Hand zu ergreifen. Eine Geste mit Symbolkraft möchte man meinen. Und sie lässt sich auf den Nachhilfedeal ein. Somit ergibt sich das Bild einer jugendlichen Freundschaft.

Man fühlt sich tatsächlich wie in einem mädchenhaften Kinderzimmer. Alles ist ein wenig kindlich-mädchenhaft.
Tanja gibt einige Rätsel auf. Eine Lesbe, die eine Scheinehe mit Stephen eingeht.
Nicht weniger dubios ist Bärbel, die eine Beziehung mit einem Priester unterhält.

Hier hat jeder etwas zu verbergen. Und dennoch fühlt man sich in rosa Plüsch eingehüllt.

Und ich warte auf den Augenblick, in welchem die Stimmung kippt und ENDLICH knallharte Action Platz greift.
Ja, wirklich - DARAUF warte und hoffe ich bei dieser Geschichte.
Wenn nicht so viel Dubioses in der Geschichte vorkäme, könnte man fast davon ausgehen, es handle sich um ein Kinder- oder Jugendbuch.

Schön, das Boot hat Fahrt aufgenommen und wir warten, welche Abenteuer unser Held noch zu bestehen hat. Die Damentoilette hat er überstanden. Somit ist er vor dem Schlimmsten gefeit. Was sollen ihn noch weitere Attentatsversuche schrecken.
Wir sind zuversichtlich, dass er wirklich ALLES bewältigen wird können.....
 

ahorn

Mitglied
van Geoffrey ich freue mich, dass du weiterhin in deinem Kanu sitzt und mit deinem Paddel ins Flusswasser meiner Geschichte stichst.
Am Rande:
Ein kleiner Logikfehler: Erst heißt es »paarungswilliges Männchen« und dann sagt sie »Aber du kannst doch sowieso nicht.«
Paarungswillig heißt nicht paarungsfähig. ;)

Die Geschichte von Amisha, die es angeblich mit dem Leibhaftigen getrieben haben soll ist wirklich haarsträubend.
WER soll so ein Gerücht im 20. Jahrhundert geglaubt haben.
Noch dazu in Bayern.
Realität und Wahrheit. Wer erzählt die Geschichte? Der Autor oder eine Person des Textes.
Du hast die Frage beantwortet.

Hier hat jeder etwas zu verbergen. Und dennoch fühlt man sich in rosa Plüsch eingehüllt.
Du zermarterst dir den Kopf, wie alt oder jung Alina und Franziska. Das erfreut mich, spielt zur Zeit aber keine Rolle. Suchst den Vergleich mit der 68 iger Generation. Es gab aber auch andere Bewegungen in der Geschichte der Bundesrepublik, die dir als Österreicher möglicherweise nicht ganz präsent. Lese weiter!

Und ich warte auf den Augenblick, in welchem die Stimmung kippt und ENDLICH knallharte Action Platz greift.
Auch wenn deine Seele nach Action schreit, muss ich deine Erwartungen dämpfen - die Geschichte kein Actionroman. Ein Krimi ist es – nicht im klassischen Sinn, experimentell.
Kein Detektiv überführt den unbekannten Täter.
Welche Tat überhaupt? Ist sie geschehen! Wird es passieren?
Ist der Ausflug zu dem Paarungswilligen ein Altarm mit trübem Gewässer, um den Leser zu verwirren, oder ist das ein Hinweis?

Ich hoffe, dass du die Kanufahrt fortsetzt, mir weiterhin Hinweise auf Unzulänglichkeiten übermittelst – ich lerne.
Denn die Info will ich dir bereits geben. Es erwartet dich mehre literarische Stromschnellen, ob und wie ich diese gemeistert habe, kann nur der Leser beurteilen.

Liebe Grüße
ahorn
 

van Geoffrey

Mitglied
Im Kanu sitzen und mit dem Paddel in das Flusswasser der Geschichte stechen finde ich wirklich schön gesagt.

Die Wasseroberfläche ist für mich ohnehin ein Symbol für das Menschliche Bewusstsein. Das Unterbewusstsein ist unter der Wasseroberfläche und das Kanu ist der gegenwärtige Augenblick, der Moment, in welchem wir gerade leben.

Schreibe gerade an weiterer, ausführlicher Kritik, die ich noch fertig stellen werde müssen.
Ich rudere fleißig weiter.....
 

ahorn

Mitglied
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14. Alina

Franziska wusch ihre Hände an der Schürze ab, marschierte zum Küchentisch, griff einige Gläser.
Tanja band ihren Pferdeschwanz neu. »Warte Franzi, ich helfe dir!«, lächelte sie und stolzierte auf sie zu.
Sie stellte die Trinkgefäße wieder ab. »Schläft sie«, flüsterte Franziska.
»Ja!«, hauchte ihr Gast, wies auf die hölzerne Bank. »Setzt dich, ich räume ab.«
Sie schob ihren Rock an die Beine, hockte sich nieder. »Otonia is a richtig siasss Madl«, grinste sie. »Grod a bissal frech!«
Tanja kniff ihre Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander.
»Pardon!« Franziska zuckte mit den Achseln. »Ich vergesse immer, dass du kein bayrisch verstehst«, flötete sie. »Sie ist für ihr Alter ganz schön keck!«.
Ein Glas in an ihre Brust gedrückt, spielte Tanja mit der linken Hand an ihrer Halskette und zog ihren Mund schief. »Sprechen wir von Antonia?«, stotterte sie.
Franziska berührte Tanjas Ellenbogen. »Lass die Sachen stehen«, forderte sie Tanja auf, »Das bisschen erledigte ich morgen.«

Sie ergriff eine Weinflasche, hielt den Flaschenhals oberhalb eines Weinglases. »Noch einen Schluck?«.
»Gerne«, entgegnete Tanja, setzte sich an Franziskas Seite. Sie stütze ihr Kinn auf und betrachtete sie.
»Eins verstehe ich nicht. Warum ist Anton, dein Ex-Mann, nicht mit ihr gegangen, obwohl sie schwanger war?«
Franziska klopfte auf Tanjas Arm, umklammerte mit der anderen Hand das Weinglas. »Ich habe es dir bereits erzählt«, schnaufte sie. »Er hatte nichts mit ihr. Eifersüchtig wollte er mich machen.« Sie senkte den Kopf. »Alle Mannsbilder waren hinter ihr her. Schen war sie mit ihren langen Rabenhaaren«, grinste Franziska. »Die waren gefärbt, das sah man. Aber, sie strahlte was mystisches aus.« Fransiska vergrub ihr Kinn in den Händen. Ihre Augen leuchteten. »Sie hatte irgendetwas von einer Zigeunerin. In ihren langen schwingenden Rock, ihrer Bluse, dessen Ärmel sie über die Schulter gezogen hatte«, schmachtete sie. »Mey wie sie tanzte. Barfuß am Lagerfeuer mit den Hüften tänzelnd, wie eine aus dem Orient.«
Sie nahm einen Schluck, kratzte sich am Genick. »Kind, musst verstehen, dass waren damals verrückte Zeiten«, schnaufte sie, sah Tanja in die Augen. »Überall waren diese jungen Leut, in ihren Lagern. Die Welt wollten sie verbessern. Mey, Recht hatten sie!«, stöhnte Franziska, sie schaute aus dem Fenster zum Gesindehaus. »Der Olde hätte am liebsten son Raket in den Hof gestellt«, grunzte sie, erhob ihre Faust, »um den Bolschewisten es Recht zu zeigen.«

Tanja zog die Augenbrauen zusammen, drehte mit einem Zeigefinger Locken in ihr Haar. »Sie war doch schwanger!«, hackte sie nach.,
Franziska schlug auf den Tisch. »Die Leut haben es geredet«, schimpfte sie. »I war schwanger vom Vale. In der Scheun sind wir gewesen. I war gramisch auf den Anton!« Sie ballte ihre Fäuste, verzog ihren Mund. »Hätte mich nie der Gerti anvertrauen«, zischelte sie. »Gut ist sie geworden seit damals. Ich habe ihr Vergeben.« Sie rieb ihre Hände, wandte ihr Gesicht ab. »Da war die Geschicht von der Amisha«, flüsterte sie.

Tanja kniff ein Auge zu. »Amisha?«, bohrte sie nach.
Franziska schlingerte den Kopf, den Hals. »So nannte sie sich. Ihren richtigen Namen kannte keiner.« Sie pausierte, sah in ihr Glas. »Jedenfalls erzählte meine Schwester überall im Dorf, dass sie es mit dem Leibhaftigen in der Kirch auf dem Altar getrieben hätte.«
Tanja speerte den Mund auf. »Und dann?«, wisperte sie.
»Mein Vater hat mich gerufen. Was mir einfiele mit dem Knecht, dem Damischen«, ihre Pupillen glänzten, »hab ihm gesagt, dass sie de Vale beschworen und sie ihm verdammt hatte mich ebenfalls auf dem Altar. …« , zischte sie durch die Zähne.
Tanjas Hände zitterten, ihre Augen flirten. »Was ist aus Amisha geworden?«, bebte ihre Stimme.
»Vertrieben hat der Fone sie. Samt ihrer ganzen Gruppn, mit der Schrotflinte aus dem Dorf getrieben«, grummelte sie. Sie rieb mit dem Zeigefinger an der Nase. »Die Amisha ist mit ihrer Freundin nach Indien«, lächelte sie. »Ihr Karma suchen.«

Franziska klopfte auf den Tisch. »Gut mit den oidn Gschichdn.« Sie legte ihre Hand auf Tanjas Schulter. »Nach vorne müssen wir sehen«, pustete sie, strich mit den Fingern über Tanjas Wange. »Mey bin ich froh das mein Bua dich jetzt hat«, grinste sie. »Du wirst ihm ein guts Weib und er dir ein gut Mo. Du wirst ihm seine Flausen austreiben, des spür i«, zwinkerte sie und klatschte in die Hände. »Und wenn erst was Kleines unterwegs ist, dann seit ihr eine richtige Familie«, schwärmte sie. »Und dann die Ontonia, wenn dein Tante auf Weltreise geht. Den brauch sie net mehr bei ihrem Vater wohnen. Mey wird des schee.« Franziska stand auf, ergriff ihr Glas und drehte sich wie zum Tanz um ihre Achse.

Tanja zupfte abwechselnd an ihrer Kette, ihren Hals. »Franzi ich muss dir auch was sagen«, stotterte sie.
Franziska richtet sich auf, lauschte. »Wart«, wisperte sie, hob ihren Zeigefinger. »Da Bua, da Lauscher, den Hias krieg ich auch noch hin!«, flüsterte sie.
Sie schlich zur Küchentür, schloss sie lautlos.


Ein paarungswilliges Männchen segelt durch die Nacht auf dem Weg zum Nest des Weibchens. Lange in Zuversicht des Erscheinens, der frohen Botschaft haarte sie aus.
»Mach das Licht aus!«, schnauzte sie ihn an.
»Warum?«
»Es soll nicht jeder sehen, dass du da bist!«
Der Mann tippte auf den Lichtschalter, stolperte auf das Bett zu, legte sich zu ihr.
»Las das!«, zischte sie.
»Ich dachte!«, flüsterte er.
»Du kannst doch eh nicht«, schnarrte sie. »Alles klar mit deiner Tochter?«
»Welcher?«
»Hast du mehrere?«, fragte sie verwundert, tastete über ihrem Körper.
»Du weißt wie ich das meine!«, stammelte sie. »Und bei dir ist alles gut ablaufen?«
»Alles nach Plan!«, zischte er.

»Wärme mich. Mir wird kalt!«, sprach sie mit zittriger Stimme. »Ich weiß nicht, ob wir das richtig machen!«
»Schätzchen! Richtig oder falsch! Es ist die einfachste Lösung. Für Sentimentalität gibt es da keinen Platz!«
Er liebkoste ihren Rücke, küsste ihre Schulter.
»Ja! Ja!«, kam es gedehnt über ihre Lippen.
»Hallo! Was machst du da?«, stöhnte er.
»Wenn du schon bei mir bist«.
Sie küsste ihn.

»Da liegt, wer in meinem Bett!«, schrie ein Mädchen.
Sie stand auf dem Flur direkt an der geöffneten Tür ihres Kinderzimmers, deutete auf ihre Schlafstätte.
»Schätzchen sei leise!«, flüsterte Franziska, die mit ihr zuvor das Obergeschoss bestiegen hatte, schritt auf sie zu. »Des is Otonia. Tanjas Tochta«, tuschelte sie, stellte eine Reisetasche neben dem Kind ab.
»Sprich Deutsch mit mir«, wisperte das Mädchen. Ihre Stirn fiel in Falten. »Tanja hat eine Tochter?« Sie kratze sich am Nacken. »Ich dachte, sie hat einen Bruder?«
Franziska stöhnte, verdrehte die Augen. »Hat sie. Der hat eine Grippe oder so. Haben wir erst gestern erfahren!«
Das Mädchen stampfte mit einem Fuß auf. »Und warum schläft sie in meinem Bett?«
Franziska deutete auf Torben, der im Schlaf sich wendete. »Nur diese Nacht. Ich habe für sie eine Luftmatratze hervorgeholt«, hauchte sie und legte die rechte Hand auf ihre Schulter.
Alina ballte eine Faust. »Trotzdem ist das mein Zimmer?«, knurrte sie.
»Sei lieb zu ihr. Das Haus ist voll! Und ...«, Franziska atmete durch. »Sie hat es nicht einfach, wusste nicht einmal, ob sie zur Hochzeit ihrer Mutter kommen durfte.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Ihr Vater soll ein Tyrann sein.« Sie richtete sich auf. »Sagt Stephen!«

Torbens Körper schwankte wie bei Windstärke fünf, obwohl die See glatt vor ihm lag. Er raffte das Segel, damit das Schlingern aufhörte. Ohne Erfolg. Er kämpfte sich zum Ruder vor. Eine Stimme erklang, wie aus dem Nichts. Wer rief ihn? Er war allein auf dem Boot.
»Hey! Hey!«, drang an sein Ohr.
War es der Klabautermann, der ihn warnte? Ihn vor Unheil zu beschützten.
»Hey! Hey!«
Immer hörbarer vernahm er den Ruf. Zunehmend heftiger wühlte die See. Er sah zum Mast. Ein Mädchen mit rundem, sommersprossigen Gesicht, langen rotbraunen Zöpfen, die seitlich an ihrem Kopf baumelten, rief seinen Namen. War das sein Name?
»Antonia aufstehen!«

Er schlug die Augen auf. Düsternis überkam ihm, dann erhellt der Tag die Netzhaut. Er sah sich um. Es war nicht in seinem Zimmer, nicht in seiner Koje. Ein Mädchen, dessen Gesicht er im Traum gesehen hatte, saß neben ihm, wippte ausgelassen mit ihrem Hintern.
»Du liegst in meinem Bett!«, fuhr sie ihn an.
»Wenn du weiter hüpfst nicht mehr lange!«, gähnte er. »Wie spät ist es?«
Sie spähte zum Fenster. »Fast Mittag«, gluckste sie.
Er zog die Mundwinkel hinauf. »Welche Uhrzeit haben wir?«
»Neun Uhr!«
Torben tippte an seine Schläfe. »Ist das Mittag?«
Die Arme verschränkt, wandte sie ihren Blick ab. »Habe ja fast gesagt. Kommst wohl aus der Stadt. Bei uns steht man früh auf. Gleich nach dem Hahnenschrei!«, trällerte sie, stand auf, verschwand.

Torben trocknete sich ab. Die morgendliche Dusche hatte ihm die Kräfte geweckte. Ein gesicherter Start für den schwersten Törn seines Lebens. Der eine Tag mit der Schwester hatte ihm zugesetzt. Jetzt nahm er die Kampfansage an, vier Tage die Rolle einer braven Tochter zu spielen.
Warum war er nur so doof gewesen? Hatte dem Reiz nicht widerstanden? Es war nicht das Schicksal, dass ihn gepackt hatte, sondern der Zufall. Die Tante schneiderte und änderte Kleidungsstücke, die sie oft durchwusch.

Torben ergriff den Rucksack, öffnete das Gepäck, sah hinein. Er starrte auf die Badezimmerwand, gefolgt von einem Blick in den Sack. Er hob ihn an, drehte ihn in alle Richtung. Es war seiner ohne Frage, nicht der Inhalt, der ihn verwunderte. Er leerte ihn aus. Vor ihm auf dem Boden lagen Mädchensachen. Er durchwühlte die Garderobe, fasste sich an die Nase, betastete sein Ohrläppchen und schüttelte den Kopf.

Torben schritt auf Alina zu. Sie beschäftigte sich damit, den Inhalt ihrer Reisetasche in ihren Kleiderschrank zu räumen. Ihre Jeans hatte sie durch eine Latzhose getauscht. Dessen rechter loser Träger bei jeder Rotation gegen die Schranktür schlug.

Er zog an seinen nassen Haaren. »Hast du einen Föhn für mich?«
Sie verharrte einen Stapel Oberwäsche in der Hand, wandte ihm ihren Blick zu. »Der Rock steht dir echt gut. Könnte mir gefallen, solange ich ihn nicht anziehen muss. Ich mag die Dinger nicht. Unpraktisch!«, stöhnte sie, verstaute ihre Sachen. Dann zuckte sie mit ihrem Kopf. »Antonia komm mit!«, befahl sie, schritt voran. »Die blöde Schuluniform nervt mich eh. Weißt du, warum die Jungen Hosen tragen dürfen? Echt ätzend!«

Sie gab ihm nicht den Haartrockner. Sie frisierte ihn. Ihr Geschnatter prasselte auf ihn ein und er sann über die Sachen mit dem Rucksack nach.

Das Brummen des Föhnes verstummt. Torben stellte sich, mit dem Gesicht zugewandt, vor den Badezimmerspiegel und strich mit den Finger durch sein Haar. »Sieht echt gut aus!«, lobte er sie.
»Danke. Ich frisierte gerne meine Freundinnen«, grinste sie. »Kommst du zum Frühstück!«
Er nickte. »Ich komme gleich nach!«

Alina hüpfte die Treppe herunter, stieß auf der letzten Stufe mit Tanja zusammen. Mit einem Faustkick beförderte sie sie abwärts, schrie sie an und zeigte ihr einen Vogel. Woraufhin Tanja sie anblaffte, die Finger gespreizt, ihre Hand vorm Gesicht wedelte, dann ihren Kopf in den Nacken warf und das Haus verlies.

Torben tappte durch das Kinderzimmer, stellte den Rucksack ab. Er schlich an Alinas Kleiderschrank, sah sich um und spähte hinein. Hosen, Pullover und T-Shirt lagen, hingen mehr oder weniger ordentlich in ihm. Keinen einzigen Rock geschweige ein Kleid fand er.

Eine stämmige Dame stand am Herd, knetete einen Teig und begrüßte Torben mit einem fröhlich, »Grüß Gott«.

Franzi mit bürgerlichen Namen Franziska Obermeier, war eine freundliche und mit ihrer mütterlichen Art, beliebte Frau im Dorf. Arrangierte sich im Landfrauenbund und im örtlichen Trachtenverein. Mit ein Grund dafür, dass sie die Traditionen der Gegend pflegte, die sie gerne zu schau trug. Ihre Pensionsgäste erwarteten von ihr ein bäuerliches, niederbayrisches Äußeres, weshalb sie meist in Dirndl ihre Arbeit versah. Ihre zu einem Kranz geflochtenen mahagonibraunen Haare unterstrichen dieses Bild.

Sie bat Torben an den mit einem kräftigen Mahl gedeckt Küchentisch. Alina und ihr Vater unterhielten sich. Er gesellte sich zu ihnen, verstand kein Wort in ihrem Dialekt. Die Augen verdrehend haschte ein Brötchen, schnitt es auf, schmiert Marmelade drüber.

Ein alter Mann mit krummen Rücken gestützt durch einen Gehstock und einer Frau mit runzeligen Gesicht, faltigen Fingern und Armen, schlich in die Küche. Er setzte sich an Torbens Seite, betrachtete ihn mürrisch. Die Begleiterin schritt zu Alinas Mutter und ging ihr wortlos zur Hand.

Ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, stieß Franziska der Anderen in die Seite. »Na Voda moang is de Houchzeid dann kannst du di enlich schlafa legn!«, donnerte sie durch den Raum,
Der Angesprochene stampfte mit dem Krückstock auf den Boden. »Wos sogt meine missratene Brut?«, schnauzte er zurück.
Torben schaute beide abwechselnd an, spähte zu Alina, wobei Marmelade von seinem Brötchen auf den Tisch tropfte.
»Dei Tochta meint moang is endlich Houchzeid und ‚s werd Zeid fia di des zeidliche zua segna«, mischte sich die Andere ein.
Alina rollte erst mit ihren Augen, dann rutschte sie auf Torben zu. »Du verstehst kein Wort«, flüsterte sie ihm zu.
Er nickte und stopfte sich das Brötchen in den Mund.
»Meine Großtante sagt, dass meine Mutter meint, ihr Vater, also mein Großvater, könne nach der Hochzeit endlich das seitliche Segnen«, übersetzte sie.
Torben schlug die Augen auf. »Wie meint sie das?«, flüsterte er mit vollen Mund.
Franziskas Tochter zuckte mir ihren Schultern und lauschte.
»Sie soi liaba aufpassn des ihr vadammta Oida sie ned oamoi mid sein bio kram vagifte. I übalebe sie no a boh Joare. I geh grod mitanand mid am Führa des hob i eahm gschwoan«, blubberte es über die Lippen von Alinas Opa.
»Sie soll lieber aufpassen das ihr verdammter Alter, mein Vater, sie nicht einmal mit seinen Bio-Kram vergiftet. Ich überlebe sie noch ein paar Jahre. Ich gehe zusammen mit dem Führer, das habe ich ihm versprochen«, übersetzte sie.
»Drink dei Bier und Guad«, donnerte die Frau zurück, die der Hausherrin half.
»Tante Gerti möchte, dass Opa sein Bier trinkt.«
Torben griff ans rechte Ohrläppchen, kniff ein Auge zu. »Das habe ich verstanden«, zischelte er, rückte näher an Alina heran. »Wer ist Tante Gerti?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Opas Schwester!«

Gertrud alias Gerti, Franziskas Tante half ihrer Nichte bei der Bewirtung der Gäste. Sie wohnte mit ihrem Bruder Alfons im ehemaligen Gesindehaus, gegenüber des zu einer Pension ausgebauten Bauernhaus. Mit Hingabe pflegte sie Alfons, hatte nie geheiratet, keine Kinder. Obwohl sie sich Mühe gab, war ihr Ansehen im Ort nicht hoch. Ein Umstand, dem sie ihrem Lebenslauf schuldete.

»‘s is Zeid fia des zwoate Friahstück wo san meine Woasswürschd und de Breseln«, polterte es wieder aus der Alten.
Gertrude schritt auf den Küchentisch zu, hob den Deckel eines Topfes. Sie fischte mehrere Weißwürste aus dem Gefäß, legte sie auf einen Teller. Dann schnappte sie sich eine Brezel, donnerte diese neben das Bierglas, welches vor dem verschrumpelten Mann stand.
»Do ess und dring aba sei endlich still!«

Valentin, Alinas Vater erhob sich, zischte dem Alten ein paar Flüche entgegen und verließ die Küche.
»Mama ich gehe zu den Tieren«, zwitscherte Alina, wandte sich an Torben, »kommst du mit?«
Franziska rieb ihre mit Mehl bestäubten Finger an ihrer Schürze ab. »Ich dachte, du hilfst beim Backen?«
Ihre Tochter pustete ihre Wangen auf und eilte aus der Küche.
Torben stand auf. »Frau Obermeier ich kann ihnen helfen?«, zwitscherte er.

Er wunderte sich selbst über die Frage. Bei der Tante floh er eher aus der Küche. Nur bei der Spekulation, mit Alina den Hof zu erkunden, und Kot besudelte Tiere zu streicheln, blieb er lieber bei den Damen.

Franziska schritt an ihm vorbei zur Zimmertür, packte eine Schürze von einem Haken, drehte sich zu Torben um. »Damit du dein Gewand nicht versaust, und sag Franzi zu mir, Ointonia«, zwinkerte sie ihm zu.
Mit Genuss knete er den Teig in Aussicht des fertigen Werkes, seinem geliebten Streuselkuchen.

Er schob die erste Komposition in den Ofen, da erschien Tanja in der Küche.
Sie schritt auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihm auf den Mund. »Morgen meine Kleine, machst du dich nützlich!«. Die Brauen zusammengezogen, die Stirn gefaltet musterte sie ihn. »Das freut mich!«, grummelte sie.
»Franzi hat mir gezeigt, wie man Streuselkuchen backt«, frohlockte er.
Franziska lächelte ihn an. »Deine Tochter ist mir eine große Hilfe.«
Tanja flechte die Zähne, wie ein angriffslustiger Wolf. »Darf ich die Bäckerin kurz entführen? Ich möchte ihr was zeigen«, grinste sie.

weiter zu 15. Er ist wieder da!
 



 
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