zurück zum 1. Das Kleid
2. Die Wette
Da stand er, verlassen in einem Traum in Weiß. Nicht die Scham es zu tragen, wurmte ihn, er trug Tanjas Kleid, sondern die Gemeinheit der Tante, der Schwester sich nicht mehr um ihn kümmerten. Krampfhaft versuchte er, die hochgeschlossene Robe von sich abzustreifen. Es gelang ihm nicht. Er kam nicht an den Reißverschluss heran. Egal, wie er die Arme verschränkte, es gelangte ihm nicht den Zipper zu ergreifen. Er rief nach der Tante, der Schwester, niemand antwortete ihm. Kurzentschlossen raffte er den Rock, torkelte in die Küche. Keiner der beiden Damen nahm Kenntnis von ihm.
Bärbel saß auf ihrem angestammten Platz neben dem Fenster, seine Schwester, rechts von ihr, stützte ihre Ellenbogen auf der Tischplatte ab, hielt ein Glas Sekt in der Hand.
Tanja, obwohl sie im Jahr des Todes ihre Eltern volljährig, war sie bei Bärbel eingezogen. In die Wohnung, die ihr Vater und ihre Mutter vor dem Unfall gekauft hatten. Nicht weit vom Zentrum, nahe dem Park, damit ihr Sohn behütete aufwuchs.
Sie lehnte es ab, in Südafrika zu bleiben, dem Land, in dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Dafür hatte sie Bärbel ein Teil der Last abgenommen, die diese mit dem Säugling auf sich genommen hatte. Tanja besuchte vormittags die Schule, Nachmittag versorgte sie ihren Bruder, während ihre Tante im Ordnungsamt der Stadt ihrer Arbeit nachging. Tanjas größter Traum war es gewesen, Medizin zu studieren, wie ihre Eltern Menschen zu helfen. Was sie früher jedem auf die Nase band, der es nicht wissen wollte. Es hatte nicht gereicht. Die Erziehung von Torben hatte sie stärker gefordert. In seinen ersten Lebensjahren war sie mehr als die Schwester, eher Mutter, liebvoll und zärtlich. Dagegen Bärbel in ihrer Art vielmehr ein Vater.
Torben hielt weiterhin den Rock, schaute die Frauen an.
»Iss erst einmal ein Stück Kuchen«, zischte Tanja, als wäre es das Selbstverständlichste, dass er im Brautkleid vor ihnen stand.
»Aber ...«, empörte sich Bärbel, erhob den Körper.
»Er wird es nicht beflecken!«, zwinkerte Tanja und ergriff den Oberarm der Tante. »Oder!«, zischte sie ihm mit einen stechenden Blick an. Ihre nussbraune Iris glänzte.
Mit hängenden Schultern ergab er sich dem Schicksal, schnappte sich ein Stück Streuseluchen, setzte sich den Damen gegenüber hin. Die beiden steckten ihre Köpfe zusammen, tuschelten, wie zwei Ganoven, die über ihr nächstes Verbrechen, die letzten Instruktionen ihres Planes ausheckten.
Er folgte dem Gespräch nicht. Der Inhalt der Aussprache, wie er vermutete, waren die Vorbereitungen der anstehenden Hochzeit. Was bewegte ihn die Planung? Ihm verstimmte das Missachten, er ein Fremdkörper, ein ungebetener Gast in ihrem Leben. Wie gerne hätte er absichtlich irgendetwas fallengelassen, das Kleid besudelt, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, endlich von dem Gewand erlöst in sein Zimmer zurück zukehren. Anstatt diesen Frevel durchzuführen, schaute er aus dem Küchenfenster, kaute den Kuchen.
Er sehnte sich nach der Oma, dem einzigen Menschen, der ihn verstanden hatte. Ihn akzeptiert hatte. Torbens Gedanken schwangen zur Testamtseröffnung, nachdem die geliebte Großmutter verstarb, in der die Beiden in gleicher Art geflüstert, ihn verachtend angesehen hatten. Dabei hatte er nur ein Covert geerbt, welches er erst zu seinem achzehnten Geburtstag ausgehändigt bekommen würde. Hatten sie nicht mehr erhalten? Tante Bärbel das Haus der Großmutter, die Schwester das Geld.
Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme an sein Ohr.
Tanja verbarg ihren schmalen Mund hinter ihrer rechten Hand. »Gefällt dir mein Kleid?«, kicherte sie.
Bärbel hob ihren Arm, deutete auf ihn. »Wenn du heiratest«, gluckste sie, »kann ich es dir anpassen!«
Die beiden lachten. Obwohl er in dieser Sekunde der Mittelpunkt der Unterhaltung war, blieb er stumm.
Tanja zielte mit ihrem grazilen Zeigefinger auf Torben. »Bärbel erinnerst du dich«, zwinkerte sie ihr zu, »bei Josephines Hochzeit?«
»Ja, süß sah die Kleine aus!«, schmachtete die Tante mit verträumten Blick.
Er besuchte die zweite Klasse, erinnerte er sich blass an die Feier. Josephine, eine Freundin von Tanja, hatte geheiratete. Sie stammte aus demselben kleinen Dorf an der Nordsee, in dem die Großmutter gelebt hatte.
Das Haus der Oma stand direkt am Deich. Sie verbrachten oft die Ferien dort.
Bärbel hatte ihm für die Hochzeit einen Anzug genäht. Ihm war die Aufgabe zugeteilt, mit einem Mädchen aus derselben Ortschaft, Blumen zu streuen. Er hatte keine Lust darauf. An seiner Piratenunterkunft bauen oder am Strand spielen, fand er damals interessanter. Dieses tat er dann. Mit dem Resultat: Er erschien kurz vor der Trauung mit einer verdreckten, zerrissenen Hose. Bärbel hatte vor Wut geschäumt. Die Braut stand den Tränen nahe. Die Schwester hatte die Situation gerettete. Sie hatte einen schwarz-rot karierten Rock in ihren alten Sachen gefunden. Er wurde zum Schotte verkleidet.
Tanja wedelte mit den zarten Fingern vor ihren pralle Busen und wandte ihr langes Gesicht Bärbel zu. »Wie wäre es, ich kaufe mir morgen das schicke Kleid.« Sie blinzelte ihr zu. »Welches dir auf dem Foto gefallen hat. Und Toni schenke ich meins!«
»Streut Rosen wie ein Blumenmädchen!«, unterstrich die Tante ihre Aussage. Beide hielten ihre Bäuche und lachten.
Nachdem sie sich beruhigten, winkte Bärbel ab. »Nein! Ich sitz dann wieder Nächte an der Nähmaschine«, stöhnte sie, reckte ihren Oberkörper. »Es macht mir weniger Arbeit, wenn wir ein schlichtes Kleidchen kaufen?«, lallte sie. »Außerdem sind Mädchenkleider günstiger.«
Das Gespräch war ihm unangenehm.»Am besten in Rosa«, spöttelte er, »mit Rüschen und Schleifen!«
Er legte ein Lächeln auf, steckte sich ein weiteres Stück Kuchen in den Mund. Eine Antwort der Tante kam prompt, dabei bemerkte er, dass die Wortwahl nicht die von ihm erwartetet Reaktion hervorrief.
»Nein, Rosa finde ich nicht passend«, pustete, gackerte Bärbel und schüttelte den Kopf, drückte ihren rechten Zeigefinger auf den Rücken ihrer konkaven Nase. »Weiß! Schlichtes Weiß ist eleganter. Mit den Rüschen und Schleifen könnte ich mich anfreunden.«
Sie verzog ihren Mund, zu einem schiefen Lächeln. Der Einfluss des Alkohols blieb nicht folgenlos. Ihr Oberkörper schwankte, wie auf hoher See.
Tanja pustete eine sandgelbe, lockige Strähne von ihrer Stirn. »Das traut sich mein Brüderchen nie!«, blinzelte sie, prostete ihrer Tante zu.
Er konnte nicht darauf eingehen, sein Mund war voller Gebäck.
Er würgte den letzten Biss herunter. »Besser als der blöde Anzug«, quakte er.
Die Frauen schauten sich an, dann fixierten beide den Jungen.
Tanjas Augen leuchteten auf, ihre Lippen zu einem Grinsen verformt. Er kannte diesen Ausdruck. Irgendetwas brütete sie aus.
Sie verschränkte die Arme. »Traust dich nie!«, spottete sie.
Ihm schwante Böses, obwohl sie meistens hoch pokerte.
Er lehnte sich zurück. »Wetten doch!«, zischte er.
Bärbel schaute die Beiden fragend an.
»OK, Wette gilt«, quittierte die Schwester, indem sie ihre Hand ausstreckte.
»Und was bekomme ich, wenn ich gewinne?« Torben zupfte an seinem Ohrläppchen.
»Du hast einen Wunsch frei«, zwitscherte sie mit einem schelmischen Grinsen.
»Ich will deine Sophia!«, schoß die Antwort ihr entgegen.
Tanja sengte ihr langes Kinn. Sie hatte seit längeren vor, ihr Segelboot Sophia zu verkaufen, da sie keine Zeit mehr hatte zu segeln. Die Beiden waren von frühster Jugend an begeisterte Wassersportler. Seine Tante meinte, dieser Sport sei zu gefährlich. Die Geschwister hatten es jederzeit geschafft, sie umzustimmen. Tanja segelte immer hart am Wind.
Sie reichte ihm die Hand. »Abgemacht!« Dann schaute sie ihm in sein rundes Gesicht. »Wenn ich gewinne?« Verschränkte die Arme im Genick. »Mistest du eine Woche den Pferdestall aus!«
Sie im Bilde darüber wie er Pferde hasste. Mit einem Sonderfall, veredelt zu Würstchen, gegrillt mit Senf. Und Pferdedreck war das Schlimmste. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis er seine Schwester in Bayern besuchte, um die Wettschuld einzulösen, mit Ausnahme der paar Tage ihrer Hochzeit, aber sie würde es nicht vergessen.
Tanja entnahm einer Küchenschublade Papier und Stift, da mischte sich ihre Tante ein.
»Kinder! Seit ihr verrückt geworden!« Bärbel schlug auf den Tisch. »Das könnt ihr nicht machen!«
Die Nichte beschwichtigte ihre Bedenken, weil er sich eh nicht traue. Dann schrieb sie:
Ich Tanja Wette, dass sich, ein schelmisches Grinsen flog über ihr Gesicht, Torben nicht traut, bei meiner Hochzeit
Sie betrachtete das Geschriebene, strich sie die letzten beiden Wörter wieder durch.
meinen Hochzeitfeierlichkeiten, Mädchenkleidung zu tragen.
Er protestierte gegen den Wortlaut, weil es abgemacht war, dass er das Blumenmädchen spielte. Tanja klärte ihn über die Problematik auf, wenn sie kein passendes Kleid fänden, oder zum Ändern zuwenig Zeit vorhanden. Er dann die Wette, bevor sie anfing, verloren hätte. Somit kam sie ihm entgegen.
Torben schwankte. Der Gedanke daran trieb ihn die Schamesröte ins Gesicht. Der Tante Helfen oder wie ein Mädchen gekleidet, bei der Hochzeit der Schwester aufzutreten waren zweierlei. Anderseits begehrte er die Hansa-Jolle Sophia, schnittige 5 m lang 14 qm Segelfläche, die flog übers Wasser. Sogar eine Kajüte besaß sie, in der er schon mehrere Nächte geschlafen hatte, wenn er und Tanja einen Törn segelten. Er konnte sie nicht ohne Hilfe beherrschen, mit einem Vereinskameraden in Hafennähe ein paar Runden zu schippern, das sollte ihm gelingen.
Er würde alles für das Boot unternehmen. Außer von einem Großsegler vom höchsten Mast in die See springen, wie sein verstorbener Großvater Nahne von sich behauptete. Der Opa seines Zeichens Kapitän auf großer Fahrt, erzählte viele Geschichten, darunter eine Menge Seemannsgarn.
Torbens Kopf pendelte von einer Seite zur anderen. In Bayern, da sollte die Hochzeit stattfinden, kannte ihn niemand. Er fand keinen Grund oder das Verlangen, die Verwandten des Zukünftigen seiner Schwester aufzusuchen. Er, der Pirat der Weltmeere auf einer Alm Küche streicheln, ein abstruser Gedanke.
War es überhaupt eine Wette, die er erachtete einzugehen? Wetten! Wenn er hundertprozentig davon ausging, dass er gewann, dann akzeptierte er diese Abmachung. Alles andere waren Spekulationen oder … Sein Atem stockte. Schweiß schlug sich auf seinen Schläfen nieder. Eine Mutprobe! Er behauptete allerlei von sich, aber eines war nicht, mutig. Er war ein Weichei, ein Schlappschwanz, wie ihn Tanja titulierte. Immer auf der sicheren Seite bleiben. Ein Motto, welches er sich auf die Stirn geschrieben hatte. Egal, aus ihm mutierte nie ein richtiger Kerl, ebenso ein Spruch der Schwester. Und jetzt, in diesem Moment verlangte sie von ihm, dass er zu einem Mann gediehe, dadurch, dass er Frauenkleider trug.
Er schlug ein und sie nahm den Kugelschreiber wieder auf.
Sollte ich verlieren schenke ich Torben mein Segelboot. Wenn ich gewinne, dann reinigt er eine Woche die Ställe.
Tanja griff in den Besteckkasten. Sein Herz klopfte ihm bis in die Schläfen. Wie Mephisto übergab sie ihm das spitze Messer. Blut ist ein ganz besonderer Saft empfang er beim Unterzeichnen des Paktes, ihre Gedanken. Obwohl nur ein Zettel, umspannte eine okkultistische Aura das Blatt. Eine Frage verblieb für ihn unbeantwortet im Raum. Wer von beiden spielte Doktor Faust?
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