Flucht über die Nordsee 38: Nächtliche Schatten

ahorn

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Nächtliche Schatten

Tanja schaute zur Terrassentür. „Da ist was?“
Aishe Fingerkuppen strichen über ihre Schultern. „Eine Katze.“
Sie schnappte sich den Slip, den ihr die Freundin entrissen hatte, stand auf und schlich zur Tür. „Nein! Der Schatten sah aus, wie der eines Menschen.“ Sie legte eine an ihre Stirn, drückte sie gegen die Scheibe.
Ihre Freundin schritt auf sie zu, berührte sie an der Schulter. „Ich sehe nichts.“
Tanja zerrte den Tanga über ihre Beine. „Du hast recht. War eine Halluzination.“ Sie zupfte an ihrem Gesäß. „Wie du diese Dinger tragen kannst?“
Aishes Fingernägel touchierten das zarte Bändchen an Tanjas Hüfte. „Sieht aber sexy aus!“
Sie verzog ihren Mund zu einem Grinsen. „Trotzdem unbequem.“
Weiterhin mit starrem Blick zur Fensterscheibe zog sie die Vorhänge zu, wandte sich sodann um und drückte Aishe einen Kuss auf die Wange. Ein weiteres Mal drehte sie ihr Gesicht der Terrassentür zu, lauschte, schüttelte den Kopf und schritt zu einer Reisetasche. Aus dieser schnappte sie sich ein Nachthemd.
„Zieh dir etwas über“, wies sie Aishe an, während das Nachthemd über ihren Körper glitt.
Aishe runzelte die Stirn, kratzte sich am Genick. „Warum?“
Die Augenlider halb geschlossen, das Kinn auf ihren rechten Zeigefinger gelegt, lächelte sie ihre Freundin an. „Beabsichtigst du unverhüllt, zum Bauernhaus zu wandeln.“
Aishe kopierte die Gestik. „Gelüstetest es dir, meinem Manne beizuschlafen?“
Tanja zog ihre Oberlippe hoch und zischte: „Was soll das heißen. Wir planten, uns treffen. Er wollte mir irgendetwas sagen. Jetzt ist es ohnehin zu spät.“
Die Unterarme verschränkt, wandte Aishe ihr den Rücken zu. „Willst mich loswerden? Außerdem kann ich mir mein Kleid überziehen.“
Tanja schloss ein Auge und zupfte an dem Nachthemd. Sie kicherte. „Hui! Aishe das Nachtgespenst. Natürlich dein Kleid, was den sonst.“
Tanja schlang ihre Arme um den Brustkorb der Freundin. „Nein! Gern würde ich mit dir die Nacht verbringen.“ Sie kicherte abermals. „Es sieht nur ein wenig komisch aus, wenn du morgen aus dem Zimmer der Brautleute schlenderst.“
Aishe drehte sich, presste ihren Busen gegen den ihren, sogleich ihren Oberschenkel an ihrer Scham reibend, hauchte sie ihr einen Kuss auf den Hals. „Zuerst gehe ich duschen. Kommst du mit?“
Tanja schob die Augenbrauen zusammen. „Das Zimmer hat eine Badewanne.“
Aishes Zähne zwackten an ihrem Ohrläppchen. Sie schmachtet: „Umso besser“, sogleich erfasste sie ihre Hand und zerrte sie zur Badezimmertür. „Ich verstehe nicht, warum du glaubst, dass Stephen dich geschwängert hat, geschweige vergewaltigt. Kann ich mir bei ihm nicht vorstellen.“
Tanja blieb stehen. „Du sagtest, du kennst ihn kaum.“
Den Kopf zur Seite gewandt griff Aishe sich ins Haar und stotterte: „Gefühl“.

Am selben Tag war sie zum Ex-Freund ihrer Mutter gefahren, setzte Tanja ihre Geschichte fort. Wie immer saß er vor der Hütte auf seiner Veranda. Eine zerrissene Jeans, ein Unterhemd, Doppelripp grau-weiß, sowie ein über den drei Tage Status hinausgehenden Bart, zierte seinen verschwitzen Körper. Sie verschwieg ihm ihre Schwangerschaft, fragte ihn aus. Viel erzählte er nicht, starrte dafür unentwegt in sein Whiskeyglas. Ein Wesenszug, den sie von ihm kannte. Er sprach nie. Geschieden war er und ließ kein gutes Haar an der Ex-Gattin. Sie wollten ein anderes Leben führen, hatten wunderschöne Jahre in Belgien verlebt, bis die Geschichte sie einholte und sie ihre Träume in den Wind geschlagen hätten.
Er hatte sie verdrängt, vergessen. Erst als ihr Sohn erschien, holte ihn die Lebensgeschichte ein. Er nahm einen kräftigen Schluck und verfluchte das Kind. Verfluchte es mit Worten. Seine Augen dabei glasig von Tränen unterlaufen.
Ins gemachte Nest wollte er sich legen, die Farm an sich reißen, dieser Waschlappen, schrie er durch sie hindurch, als wäre sie Luft. Fortgejagt h#tte er ihn, damit er sich die Höhner abstieße, zu einem Mann würde. Erst gereift könne er zurückkehren.

Aishe zupfte mit den Fingernägeln an ihren Zähnen.
„Dies waren Antons Worte?“
„Glaubst du, ich lüge!“
„Warum hast du mir den Teil nie erzählt?“
Tanja zuckte mit den Schultern. „Hatte für mich nie Bewandtnis.“
Den Kopf zur Seite gelehnt, strich Aishe über die Wange der Freundin. „Du hättest eher gewusst, …“
„Ja!“, unterbrach sie. „Anders gehandelt. Jetzt bin ich klüger.“
Aishe schlug ihre Augen auf. „Und Stephen?“
„Der“, murmelte sie. „Der weiß nichts. Wir reden ohnehin nie miteinander.“
Den Mund verdeckt, starrte Aishe sie an. „Hat er dich wiedererkannt?“
Sie stemmte ihre Fäuste in die Taille. „Zum letzten Mal. Es war finster.“ Ihre Finger berührten ihre Lippen. „Na ja! Manchmal schaut er mich komisch an. Du musst wissen, meine Freundin und ich, sahen uns zum Verwechseln ähnlich.“ Tanja betrachtete ihre Hände, drehte den Siegelring an ihrem Zeigefinger. „Nein. Es gibt eine Verbindung, die hieß Anton und der kann nichts mehr ausplaudern.“

Aishe ergriff ihren Oberarm, presste die Fingernägel in ihre Haut. „Wie konntest du ihn heiratet, wenn er dein Bruder ist?“
Tanja schüttelte den Kopf. „Annahme, logische Kombination.“
Sie senkte die Schultern, schaute zur Zimmerdecke. Aishe drängte sie in eine Ecke, in die sie nicht wollte.
„Anton und meine Mutter hatten eine gemeinsame Tochter.“
Die Freundin verengt ihre Augen. „Wie?“
„Er ist tot und sie …“ Tanja brach den Satz ab, dafür schlug sie an ihre Stirn.
Aishes Arme glitten an Tanjas Oberkörper hinab, schließlich senkte sie ihren Kopf. „Du hast mir nie erzählt, dass du eine Schwester hast?“
Tanja winkte ab und zischte: „Ach, ich war damals fast erwachsen“, derweil sie ihren Blick abwandte. „Ich habe Antonia seitdem nicht mehr gesehen.“
Die Freundin verdeckte ihr Gesicht. „Antonia?“
Die Augen verdrehend, die Lippen benetzend, schwankte sie ihren Kopf. „Ja. Das ist ihr Name! Erzähl das bloß nicht Toni.“
„Warum?“

Sie verriet die Story. Jene, die sie Toni erzählt hatte. Denn ihr war an diesem Tag bewusst gewesen, wie verheerend die Tatsachen für sie war.
Gewissensbisse plagten sie. Ob sie zu weit ging? Es gab immer Momente im Leben, das Schiff zu wenden oder den Anker zu werfen. Einzig im Sturm, wenn die Gewalten der See an einem zogen, war jeder den Elementen ausgeliefert. Sie riss sich los und eilte zur Badezimmertür.
Aishe folgte ihr. „Friedl weiß das?“
Tanja wandte sich um. Wie eine Katze zum Angriff bereit blickte sie Aishe an „Quatsch! Würde ich ihm nie erzählen!“
„Was hat er gegen dich in der Hand?“
Ihre Freundin erfasste erneut ihren Arm, quetschte ihre Haut, bis der Schmerz von ihr verlangte, sich zu befreien.
„Las mich!“
„Red!“
„Es geht um Bares. Ich bin pleite.“ Dabei zuckte sie mit ihren Achseln, als wäre es ihr egal.
Aishe verzog den Mund. „Hat er dir Geld geliehen?“
Tanja grinste, wobei sie mit dem rechten Zeigefinger um ihre Schläfe kreiste. „Bin ich blöd. Nie würde ich mich in die finanzielle Abhängigkeit von einem Kerl begeben!“
„Warum bist du pleite?“, erkundigte Aishe sich, dabei ergriff sie ihre Finger. „Soll ich dir aushelfen?“
Die Mundwinkel nach unten hängend, schüttelte Tanja den Kopf. „Danke für das Angebot. Mit ein paar Segeltörns und Aushilfsjob fürs Institut kommt man nicht weit, nichtsdestotrotz würde ich mich nie in deine Abhängigkeit begeben.“

Aishe stieß sie an. „Arbeite als Krankenschwester!“
„Ersten habe ich kein Examen und zweitens“, sie verdrehte ihre Augen und zürnte: „Wie stellst du dir das vor. Ärztin wollte ich werden.“
„Beende dein Studium. Nein! Beginn ein Neues. Werde Ärztin!“
Tanja streckte ihre Zunge heraus. „Dann würde ich mich als Betrügerin fühlen.“
„Das aus deinem Mund. Erzähl!“

„Der Admiral …“, begann sie.
Aishe sah sie fragend an.
„Bärbel und ich hatten eine Idee, an das Erbe ihrer Mutter zu kommen.“
„Das wieß Friedl?“
„Nein! Bloß nicht“
Was redete sie für einen Blödsinn? Manchmal ist schwerer, den Mund zu halten, als die rechten Worte zu finden.
Es war ihr Plan gewesen, wie Tanja berichtete. In dieser Nacht hätte Jannette ihr ihre Lebensgeschichte gebeichtet. Den immerwährenden Wechsel zwischen Pflegefamilien und Heimen, die damit verbundenen, erfahrenden Erniedrigungen. Den Hass ihrer leiblichen Mutter gegenüber, die sie weggeschmissen hätte. Sie schaffte es, arbeitete sich empor, baute ihr Abitur, anschließend begann sie ihr Jurastudium. Helfen war ihr Ziel. Arme, Schwache vor Willkür und Ausbeuterei zu schützen. Es war Schicksal. Der schüchterne Kommilitone im Seminar hatte es ihr angetan. War es Gunst oder Hilfsbereitschaft, sie konnte es nicht mehr sagen. Sie kamen sich näher, verbrachten Nächte miteinander, unterhielten sich. Es war nichts Körperliches, diesbezüglich stand eine Mauer zwischen ihnen. Er war ihr Bruder.
Der Hass kochte wieder in ihr auf, wie sollte sie sich rächen. Sie hatte keine Ahnung.
Aishe runzelte die Stirn, kratzte sich am Genick. Tanja ließ sich nicht stören, berichtete weiter.
In der Nacht erzählte sie ihr von dem Testament, obwohl sie ihm eine Ehe gönnte, steigerte sich bei ihr die Freude bei dem Gedanken daran, ihr Bruder bekäme nie eine Ehefrau. Zumindest so lange ihr Großvater lebte. Sie, Tanja, war gerührt von ihrer Lebensgeschichte, hätte gern ihre Last mit Jannette geteilt. Ihre Zwangslage, die Angst vor den Konsequenzen, verschlossen ihren Mund. Deswegen hätte sie ihr von ihrem finanziellen Problem erzählt, inwieweit sie sich verzockt hätte.
Ein paar Monate später rief Jannette sie an. Sie, Tanja, war im Glauben auf ein Wiedersehen, sodann ernüchtert von der Frage, ob sie sich vorstellen könnte, ihren Bruder zu ehelichen.
Zehn Prozent Anteil gebe sie ihr. War es die Enttäuschung oder Gier, Tanja forderte ein Drittel. Für ein einziges Wort immens. Gleichwohl stimmte Jannette zu.

Aishe öffnete ihren Mund und leckte über Tanjas Unterlippe. „Wie Anteil?“
Die Wangen gespannt, schlug Tanja mit der flachen Hand an ihre Stirn. „Verkaufen wollten sie den Hof.“
Aishe Zunge schnellte an ihren Gaumen, wobei sich ihre Augenbrauen trafen. „Friedl hat davon erfahren?“
Die Augen geschlossen, stöhnte Tanja: „Ja! Verplappert habe ich mich“.
„Wo ist dein Problem? Dir kann es egal sein, was sie mit dem Erbe machen“.
Tanja streichelte Aishes Brust. „Ja, war es mir …“, flugs ihre Augenlider senkend, brach sie den Satz ab.
Aishe schob die Hand von ihrem Busen. „Wie?“ Sie schritt zum Bett, setzte sich.
Tanja setze sich an ihre Seite, faltete ihre Hände und vergrub sie zwischen ihren Schenkeln und flüsterte ohne ihre Freundin anzublicken: „Vale hat mir Geld gegeben, damit er und Franziska den Hof behalten können. Ich hatte keine Skrupel, doppelt abzukassieren. Verstehst du, ich hatte keinen Schimmer“. Erst dann wandte sie sich zu ihr um und zürnte: „Eigentlich hast du an allen Schuld.“
Aishe berührte mit beiden Händen ihren Brustkorb. „Wie ich!“
Tanjas Oberkörper sackte zusammen. „Nach unserem letzten unsäglichen Streit“
„Gezänke“, fuhr ihre Aishe ins Wort.
„Nenne es, wie du willst, das Ergebnis war dasselbe.“
Aishe hob ihr Gesicht und murmelte: „Du stehst nicht zu deinen Gefühlen“.
„Wir haben Schluss gemacht“, konterte Tanja.
Aishe stupste sie an und erklärte sie mit einem zaghaften Lächeln: „Du hast Schluss gemacht“,

Es war gut ein Jahr, bevor Josephine ihr Kind zur Welt gebracht hatte, begann Tanja. Sie saß im Zug nach Passau, Umsteiger München Bremen. Wütend war sie gewesen, auf Aishe, die Welt und sich selbst. Da rief sie an. Ich wollte quatschen. Warum sie ihr erzählte, wo sie war, konnte sie nicht mehr sagen, sie telefonierten öfters, sahen sich dagegen selten. Josephine war wegen eines Seminars in Passau. Tanja sollte bei ihr übernachten und am nächsten Tag weiterreisen.
In einer heruntergekommen, ärmlich Kneipe hätten sie sich getroffen. Josephine erwartete sie, umarmte sie. Unter Tränen berichtete sie, weshalb sie sich von ihrem Ehemann trennen wollte. Männer sind alles Schweine, grunzte sie. Frauen sind nicht besser, philosophierte Tanja.
Sie umfasste Aishes Oberarm. „Auf einmal war sie widerwärtig. Sie hat dich schlechtgemacht, dass sie mich verstünde, mich beschütze. Immer für mich da wär“.
Sie bekamen sich in die Wolle, nahm Tanja den Faden wieder auf. Der zweite Streit an diesem Tag. Josephine verließ aufbrausend das Lokal, ließ sie zurück.
„Ich habe mich an ein paar Mädels herangemacht“, schmunzelte Tanja.
Aishe verschränkte die Arme vor ihrer Brust, reckte ihren Kopf in die Höhe und zischelte: „Tolle Freundin. Erst machst du mit mir Schluss. Dann wirfst du dich fremden Frauen an den Hals“ Sie runzelte die Stirn, kniff ein Auge zu. „Halt Stopp. Woher wusstest du, dass die Mädchen auf Frauen standen?“
Es war eine Schwulen- und Lesbenkneipe, erklärte Tanja. Wieso Josephine sich dort mit ihr verabredet hatte, war ihr schleierhaft. Eine Eroberung hätte sie keine in dieser Nacht. Zum Weiterfahren war es zu früh, für ein Hotelzimmer zu spät. Sie setzte sich an einen Tisch.
Ein Mann in ihrem Alter, träumte in eine Cola, berichtete sie des Weiteren. Der Erfolg bei ihm in diesem Lokal zu erringen schwindend gering. Zum Quatschen kam er ihr gelegen. Er war nett, zuvorkommen und verständnisvoll. Klischee! Er gefiel ihr, obwohl ihr bewusst war, welche Art Gefühle er empfand und zu wem, jedenfalls nicht zu ihr.
Irgendwie, auf einer gewissen Art, kam er ihr bekannt vor. Seine Augen, seine Gestik, seine Mimik dockten in ihrem Gehirn ein, spülten Hass sowie Liebe in ihre Adern. Die Gedanken verwarf sie. Zu viele Kneipengänge allein in fremden Ländern täuschten ihre Sinne.

Aishe lehnte ihren Kopf zur Seite. „Sag bloß nicht, dass der Mann Friedl war“.
Tanja nickte. „Ja!“
Aishe bedeckte ihre himbeerroten Lippen und pustete: „Wenn das seine Parteifreunde erführen. Das würde ein Kracher“.
Tanja verzog ihren Mund. „Welche Parteifreunde?“
„Weißt du nicht, dass er Kreisvorsitzender der Partei der deutschen Bürger ist. Im Stadtrat sitz.“
Sie schaute ihrer Freundin in die Augen und grunzte: „Nein! Ich kann diese Typen nicht ausstehen. Dabei ist er mit einer Türkin verheiratet“.
Aishe sprang auf, verschränkte die Arme. „Ich bin Österreicherin!“
„Türkeistämmige“, schmunzelte Tanja und liebkoste ihr Gesäß. „Und sehr erotisch.“
Aishe schwang sich auf ihren Schoß und klemmte die Taille ihrer Freundin zwischen ihre Oberschenkel. „Meinst du das ehrlich?“
Anstatt einer Antwort küsste sie ihre Brüste.
Aishe lehnte ihren Kopf in den Nacken. „Hör bitte auf, sonst vergesse ich mich. Erzähl mir lieber, was Friedl in der Kneipe gemacht hat?“
Tanja zuckte mit den Achseln. „Nichts.“
„Wie nichts“
„Er saß bloß da.“
Geredet hatte er nicht, fuhr sie fort. Er saß da, ertrug das Geschnatter seiner neuen Tischnachbarin. Sie lehrte ein Proseccoglas nach dem anderen, lachte und stupste ihn gelegentlich mit dem Zeigefinger an.
Bis er aufstand, sie fragte, ob er sie mit nach München mitnehmen solle. Sie nahm an. Die Reise in seinem tiefschwarzen BMW verging wie im Flug. Er musste kurz vor dem Ziel tanken. Sie auf die Toilette.
Den Wagen fand sie abseits der Raststätte. Er saß am Lenkrad und studierte Unterlagen. Sie stieg ein, fiel über ihn her.
Tanja tippte an ihre Schläfe. „Absurde Idee, einen homosexuellen Mann zu küssen. An dessen Schritt zu fassen“, stellte sie fest, wobei sie grinste.
Aishe sah sie abfällig an. „Auf einem Rasthof hab ihr es getrieben!“
„Zumindest war er nicht schwul, wie er o-LA-LA“, kicherte Tanja.
Er ließ sie am Hauptbahnhof raus, lenkte Tanja ein, nachdem sie Aishe beschwichtigt hatte, dass an dieser Nacht nicht geschehen war. Sie tauschten ihre Telefonnummern aus. Ihre Blicke sagten das Gleiche aus. Keine Namen, keine Geschichte, nicht einmal eine Affäre sollte es werden. Sie trafen sich regelmäßig in Hotels. Immer andere Städte wählten sie aus, bis Tanja die Einladung zu der Hochzeit im Briefkasten fand. Da sah sie ihn an der Seite ihrer Freundin.
Aishe faste sich an die Stirn, schüttelte den Kopf. „Warum hast du mir da nicht alles erzählt, anstatt knapp zu sagen, du hättest keine Zeit?“
Tanja lachte. „Ich hatte mit deinem Zukünftigen eine Affäre, obwohl …“ Sie atmete tief ein, beinahe hätte sie ihr zu viel erzählt.
Aishe zeterte: „Seit wann interessieren mich Männer“
„Ich gebe dir recht. Ich wäre nie in diese Situation gekommen, wenn? Schluss habe ich mit ihm gemacht. Ihn vergessen, abgehakt“.
Das Vergangene holte sie erst wieder ein, als sie bei Franziska in der Küche saß, murmelte sie Aishe ins Ohr. Da stand es in der Vitrine und lächelte sie an. Das Hochzeitsfoto. Sie vernahm kaum die von ihrer zukünftigen Schwiegermutter ausgeworfene Freude. Das bedächtige Wippen des Kopfes des Mannes, von dem sie das Geld bekommen hatte, verdrängte sie. Jenen, den sie seit gestern für ihren Peiniger hielt. Sie wich den Blicken aus, überlegte, wie sie aus der Bredouille heraus kommen könnte. Bis er die Küche betrat und Vale ihn als seinen Sohn vorgestellt hatte. Es begann von Neuem, schloss sie mit geschlossenen Augen.

Tanja schritt ins Bad. „Du hast recht, ein Wannenbad ist genau das Richtige.“
Aishe überholte sie, drückte ihre Finger an den Wasserhahn, stockte, drehte den Kopf zur Seite. „Hat es da nicht geklopft?“
Tanja öffnete den Mund, setzte zu einem Ausspruch an.
Ihre Freundin hielt den rechten Zeigefinger vor ihre Lippen. „Still“
Erneut erklang ein Klopfen an der Tür.
Die Augen halb geschlossen, richtet sich Aishe auf. „Um diese Uhrzeit?“
„Ich mach auf“, flüsterte Tanja.
„Und ich?“
„Du bleibst im Bad“.
Aishe stammelte: „Wenn es Friedl ist. Er über dich herfällt und danach zur Toilette muss?“
Tanja deutete auf das Badezimmerfenster. „Dann kletterst du raus.“
Aishe hob ihre Brüste. „So?“
Tanja schlüpfte aus ihrem Nachthemd, drückte es ihrer Freundin zwischen die Finger und hüllte sich in ein Badetuch. Auf dem Weg zur Zimmertür sah sie sich um. Erst als die Tür einen Spalt offen stand, erkannte sie, inwiefern das Partykleid einer Frau wie Aishe einmalig war.
Zu spät zum Schließen fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Es war Zeit, den Anker zu werfen. Den großen Hafen anzusteuern, zur Ruhe zu kommen. Sie begriff, dass die immerwährende Flucht ihr nichts eingebracht hatte. Außer neue Ängste, neuen Ärger gab es nichts, was sie an ihrem Leben fesselte. Sie strich über ihren Bauch und lächelte. Da gab es was. Sie schaute zur Badezimmertür. Nein! Es gab noch jemanden. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde die Tür aufreißen, ihn verjagen, sodann mit den Oberländer reinen Tisch machen. Das war sie Franziska schuldig. Sodann sich baldig von Stephen trennen, Aishes Familie überzeugen und ein zweites Mal um ihre Hand anhalten. Die schwersten vor ihr liegende Wege waren einzusehen. Einerseits war ihr Herzenskind, ihr Wunsch verstorben, und andererseits ihre Rache am Leben. Valentin ins Gesicht zu schreien, sagen, was sie von ihm hielte, um ihm im Anschluss zu verzeihen.



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