Flucht vor der Sehnsucht

lexor

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Der kalte Wind schneidet mir in die Ohren, Lippen und Augen, ich mache wieder an der Mitte der Brücke halt und umklammere das Geländer. Wieso tue ich mir diese Spaziergänge auch an? Naja, die Aussicht von dieser Brücke ist wunderschön und die frische Luft soll ja gut tun. Ein Zyniker würde sagen, dass es keinen Unterschied mehr machen würde, aber das ist mir egal. “Es macht auch keinen mehr. Wieso versuchst du noch smart zu sein. Es sieht niemand zu!”

Das Rauschen des reissenden Flusses unter mir vermischt sich mit dem gehetzten Lärm des Verkehrs hinter mir und ich kann endlich einen Moment für mich allein sein. In diesem scheinbar unerträglichen Geräuschepegel finde ich Ruhe. Vielleicht weil es lauter ist als meine Gedanken?
“Unsinn, es liegt einfach nur daran, dass du diesen Grossstadtlärm gewohnt bist. Je lauter und grösser desto besser. So wie dein ganzes erbärmliches Leben läuft. Laute und grosse Partys, viel Alkohol, grosses Geld, laute Beziehungen…”
Schön, diesen Teil von mir noch bei mir zu wissen. “Ja, wunderschön.” Und die Ironie ist auch dabei, sehr gut.

“Schönen guten Abend junger Mann” Ich zucke zusammen und drehe mich umständlich zu der Quelle des Grusses. Ein älterer Herr wie aus dem Bilderbuch. Grosse dicke Brille, Gehstock, leicht gebeugt, wahrscheinlich ehemals Bänker oder Geschäftsleiter seiner Kleidung und Ausstrahlung nach zu urteilen.
Ich fühle mich etwas ertappt aber fange mich schnell wieder. “Einen schönen Abend zurück.” Murmle ich und mache anstalten mich wieder umzudrehen, nur um von ihm wieder angesprochen zu werden.
“Ja der ist es wohl. Wissen Sie, es freut mich, dass Sie einer der wenigen Menschen sind, die auch einen kalten Abend neben dem Abendverkehr als schön bezeichnen. Nur wenige Menschen können das. Dabei ist es doch so wichtig das Beste in allem zu sehen!” er sieht mich erwartungsvoll an. Was will der von mir? Sieht er nicht, dass ich beschäftigt bin? Wenigstens spricht er meine peinliche Situation nicht an.
“Tja was soll ich sagen.” Ich ziehe meine Achseln hoch. Er nickt nur vielsagend ohne mich aus den Augen zu lassen. Langsam nähert er sich, das Klopfen seines Gehstockes auf den Boden klingt merkwürdigerweise lauter als alle umgebenden Klänge. Nur einen Meter vor mir macht er halt und holt tief Luft.
“Was bringt dich in diese Situation, junger Mann? Was bedrückt dich?” Ich merke wie mir ein Hauch Röte ins Gesicht schiesst. Habe ich etwa erwartet. dass er nicht kapiert was ich hier tue?
“Bei allem Respekt, das geht Sie nichts an. Ich wollte Sie sowieso gerade bitten, mich alleine zu lassen. Ich habe noch etwas zu erledigen.” Ich mache wieder anstalten mich umzudrehen aber die Stimme des alten Mannes hat etwas so beruhigendes und überzeugende, dass ich es nicht übers Herz bringe ihm den Rücken zu kehren.
“Ich werde dir nicht zu Nahe treten, keine Sorge. Du bist ein erwachsener Mensch und ich bin sicher, dass du deine Gründe für dein Handeln hast. Ich würde lediglich gerne erfahren, was dich zu so einer Tat treibt. Meine Tochter war auf demselben Weg wie du, sie hat mir nie erzählt wieso.” Die Augen des alten Mannes glänzen. Ich bemitleide ihn. Zum Glück müssen meine Eltern das nicht erleben...

“Was soll ich sagen” wende ich mich an den Alten. “Ich habe lange und gründlich nachgedacht und bin auf folgenden Entschluss getroffen: Das Leben ist vergiftet mit ewiger Sehnsucht und es ist unmöglich diese auszuschalten. Erfüllen wir uns einen Wunsch, so wird dieser einfach von dem nächsten ersetzt und das Spiel beginnt von vorne. Bleibt ein Wunsch unerfüllt, so sind wir unglücklich. Was wiederum bedeutet, dass wir in einem Teufelskreis des Unglücks gefangen sind, verdammt dazu unser ganzes Leben lang der Sehnsucht nachzuhecheln wie ein Hund einem Stück Fleisch.” Er hört mir die ganze Zeit aufmerksam zu, so als würde er sich mental Notizen machen um auch jedes Wort in Erinnerung zu behalten. Der Alte begann vor sich hin zu nuscheln und langsam ging er zum Geländer.
“Ich glaube ich verstehe deine Gedankenansätze. Aber findest du nicht,dass deine Aussage etwas zu öberflächlich ist? Ich kann alles Schöne auf der Welt mit Sprache vernichten, alles Böse zum Guten wenden und alles Hässliche zum Schönen. Wie wäre es mit mehr Realismus statt Ideologie?”

“Ideologie? Zeigen Sie mir die Ideologie in meiner Feststellung. Ich habe wie erwähnt lange nachgedacht und habe keine vernünftigen Gegenargumente gefunden. Ich bin ein rationaler Mensch wissen Sie.” Antworte ich, diesmal etwas gereizter. Ideologie, dass ich nicht lache!

“Also gut mein Freund, kein Grund zu Aufregung. Als rationaler Mensch weisst du bestimmt, dass andere Menschen manchmal ganz andere Perspektiven haben und somit ganz neue Ideen bringen können, sind wir uns da einig?”

“Ja das kann man wohl sagen.”

“In Ordnung, dann hör mal, was ich zu bieten habe. Du erwähntest die ewige Sehnsucht in unserem Leben und dass man diese nie befriedigen kann. In der Tat kann ich diesen Umstand bestätigen. Rund 80 Jahre habe ich schon hinter mir und noch immer werde ich von der Sehnsucht bedrückt. Es sind andere Wünsche aber dennoch Wünsche.”

“Aber jetzt kommt der Punkt” unterbreche ich ihn, “die Sehnsucht macht das Leben erst schön, nicht wahr?”

“Ja ganz genau. Was wären wir ohne Wünsche? Ohne dass wir jemanden oder etwas in unserem Leben vermissen, begehren? Dieses bittersüsse Gefühl nach etwas greifen zu wollen, das wir noch nicht oder vielleicht niemals erreichen können, gibt unserem Leben Würze!”

“Das klingt zwar sehr romantisch, aber ich glaube Sie wissen genau so wie ich, dass es ein kläglicher Versuch der Schönmalerei ist. Wenn ich etwas übermalen muss damit es schön wird, so ist dessen Natur unschön. Die Realität des ewigen Begehrens ist eine sehr unschöne Seite des Lebens. Allerdings gibt es Menschen die mehr oder auch weniger betroffen sind. Je weniger sie begehren, desto glücklicher sind sie. Und was glauben Sie, wieso es so wenige Menschen gibt, die nicht von der Sehnsucht verfolgt werden?”

Dieses Mal unterbricht er mich: “Die mittellos Glücklichen wurden von der Evolution und somit dem Leben nicht akzeptiert. Ich verstehe worauf du hinaus willst.”

Ich antworte. “Absolut richtig. So zeigt sich, dass das Leben auf dieser Erde nicht dafür gemacht wurde ohne Sehnsucht und somit glücklich zu leben.”

“Aber junger Mann glaubst du denn nicht, dass es auch andere Quellen des Glücks haben kann, die das Unglück der Sehnsucht weit überragen?”

“Die Liebe zum Beispiel? Familie? Leidenschaft? Alle werden sie von Sehnsucht durchzogen und verfolgt. Das Dreieck der Uneinigkeit. Man kann immer nur zwei davon erfüllen und vom Dritten träumen. Sehen Sie es jetzt langsam? Das Leben ist nicht dafür gemacht glücklich zu sein!”

Ich werde langsam ungeduldig und will endlich erledigen wofür ich hierher gekommen bin. Für einen Augenblick hatte ich wohl gehofft, dass ich doch noch eine weise Antwort von ihm hören würde. Stattdessen bringt er nur die durchgekauten Sprüche, die sich in Kalendern und den Feeds in Social Media finden. Ich drehe mich jetzt langsam weg vom Alten, immerhin sehe ich ihn immer noch vom Augenwinkel. Der Fluss unter meinen Füsse rast unbekümmert weiter, so laut dass es die dreissig Meter Distanz wie zwei Handbreit scheinen lässt. Der Verkehr drückt sich weiterhin langsam in Richtung Stadtzentrum und der Alte hat sich auf das Geländer gestützt und vorgebeugt um mein Gesicht sehen zu können.
Eine Zeit lang redete keiner von uns.

Worauf wartet ich noch?
Es scheint mir aber unhöflich zu gehen, ohne mich bei diesem unverhofften Gesprächspartner zu verabschieden.
“Ich weiss nicht was ich sagen soll.” Der Alte stammelt und seine Stimme zittert wegen dem Kloss in seinem Hals. Einzelne Tränen bahnen sich ihren Weg durch sein faltiges Gesicht.

“Machen Sie sich keinen Kopf” antworte ich, “ich weiss was ich tue. Ich habe 10 Jahre lang alles versucht, die wildesten Begierden befriedigt, keine Begierden befriedigt, erfolglos meine Sehnsucht versucht auszulöschen, meditiert, gebetet, Medikamente eingenommen. Alles. Ich kann guten Gewissens sagen, dass ich alles mögliche getan habe, bevor ich mich zu diesem Schritt entschieden habe. Und auch wenn sich meine Brust mit Angst füllt je näher ich dem endgültigen Augenblick komme, ich weiss, es ist das Richtige für mich.”
Ich trete noch etwas weiter weg vom Geländer, rutsche fast ab und sehe noch einmal zurück. “Auf wiedersehen, ich lasse ihre Tochter von Ihnen grüssen.” Meine Stimme zittert jetzt so wie seine vorhin. Während ich das Geländer loslasse und unwiderruflich in die Tiefen des Flusses stürze, höre ich den Alten noch rufen, “Warte!” So viel Verzweiflung lag in seiner Stimme. Als hätten sich meine ganzen Gefühle auf einmal in diesem kleinen Satz ausgedrückt.
Ich hatte keine Gelegenheit mehr zu antworten. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit zu denken. Nach weniger als zwei Sekunden spürte ich einen gleissenden Schmerz durch meinen ganzen Körper ziehen und dann trat ich in die ewige Dunkelheit...
 

ThomasQu

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Hallo lexor,

ich finde, dein Text muss noch stark überarbeitet werden, in dieser Form wäre er mit zwei Sternen bereits überbewertet.

Es geht schon mal damit los, dass sich dein Ich-Erzähler am Ende umbringt und danach seine Geschichte erzählt. Wie kann das funktionieren?

Dann sollte es bei einer Kurzgeschichte so sein, dass jeder Satz das Geschehen ein Stück weiterbringt. Das heißt: Den ersten Absatz könnte man z.B. ersatzlos streichen, der birgt keinerlei wichtige Informationen und wenn du deine Geschichte mit dem zweiten Absatz beginnen lässt, hast du gleich einen schönen unmittelbaren Einstieg. Bestimmt findest du noch mehr Wörter, Sätze und Satzteile, die mehr oder weniger Füllmaterial sind, die du rauskürzen könntest, ohne dass wichtige Infos verloren gehen.

Als nächstes die Sprache, die wirkt auf mich einerseits flapsig und andererseits gestelzt. Das klingt für meinem Geschmack einfach nicht gut, aber mein Hauptproblem ist: Du drückst dich an vielen Stellen viel zu ungenau aus. Ich fühle mich etwas ertappt ist ein Paradebeispiel. Was ist etwas ertappt? Ist das jetzt ertappt oder nicht? Und wobei ertappt? Ertappt dabei, im Schilde zu führen, von der Brücke springen zu wollen? Wie kann das einer, der nur vorbeigeht, wissen oder ahnen, was der Ich-Erzähler vorhat? Das kann er nur wissen, wenn der Protagonist schon außen am Geländer steht. Diese wichtige Info, ob er innen oder außen steht, fehlt aber in deinem Text.

Dabei finde ich den Grundgedanken deiner Geschichte nicht mal schlecht, aber für meinen Geschmack hast du alles so unrealistisch aufgebaut, irgendwie nicht richtig durchdacht, sondern mit heißer Nadel gestrickt. Wenn der Prot. bereits außen am Geländer hängt und neben ihm der Verkehr vorbeirauscht, da kannst du doch darauf wetten, dass es relativ schnell einen Auffahrunfall gibt, weil einer von den Autofahrern das sieht und eine Schockbremsung macht.

Sorry, der ganze Text ist noch nicht stimmig für mich.

Grüße, Thomas
 

lexor

Mitglied
Hallo Thomas

Danke dir viel Mal! Es freut mich, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Text zu lesen und eine ausführliche Kritik zu hinterlassen.

Du hast absolut recht! Ich werde den Text überarbeiten.

Danke nochmal!

Grüsse
Lexor
 



 
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