Titel: Fluchten.
Handlung: Afrika + Europa 2006. Flüchtlingsströme in Richtung Europa. Versuch diese, weg vom Tod, in sichere Bahnen zu lenken. Menschen, Hoffnung, Scheitern, Mord, Rache und die Liebe, was sonst. 130 Seiten.
1
Robert Memba war, als sein vierter Sohn David auf die Welt kam, in die Stadt geflüchtet. Sein seit Urzeiten von ihm und seiner Sippe bestelltes Land hatte die Wüste gefressen. Die Nachbarn sagten, die Viehnomaden mit ihren Kühen seien Schuld. Deren klapperdürre Rinder, verschmähten auch nicht das trockenste Hälmchen, um ihren Hunger zu stillen. Was sie übrigließen rupften die Ziegen samt Wurzel und fraßen es.
Sein Nachbar Joshua wusste die Dürre zu erklären, wegen des Kahlfraßes könne der Boden den immer seltener fallenden Regen nicht speichern, er hatte das von Ms. Francois dem Entwicklungshelfer. Ms. Francois habe gesagt, alles wäre rund, hinge von einander ab. Ohne Sträucher und Gras keine Wolken, ohne Wolken kein Regen.
Es stimmte, als er Kind und junger Mann war, schmückte sich die Savanne im Frühling mit bunten Blumen ohne Zahl, das Gras eine grüne Matte soweit das Auge reichte, die Sträucher hatten Blätter satt. Jetzt holten sich die hungrigen Tiere das Gras, sobald sich die ersten grünen Spitzen zeigten, und hinterließen braune verdorrende Wurzeln.
Die Sträucher hatten die faulen Frauen auf dem Gewissen, die wollten keine weiten Wege laufen, um dürres Akazienholz zu sammeln. Die stacheligen Akazien zerstächen Hände und Arme. Die weißen Frauen die sie ewig im Tivi vorm Dorfladen anstarrten, sammelten auch kein Holz und es ging ihnen gut.
Eine hatte angefangen den Sträuchern nahebei die Äste abzubrechen, die Anderen machten es schnell nach. Die Sträucher starben, den Rest gaben ihnen die Ziegen, bald war alles staubige Öde, tatsächlich schon Wüste.
Deshalb hockte Robert jetzt, zusammen mit Tausenden, in einem Verschlag aus Pappe und Wellblech vor der großen Stadt Hatta.
Bei Tagesanbruch ging er los, irgendeine Arbeit für ein paar Centimes zu ergattern. Das gelang nicht immer, an schlechten Tagen, wenn niemand seine Arbeit kaufen wollte, blieb nur die Müllhalde. Bis zum Einbruch der Dunkelheit durchwühlte er im Wettstreit mit Hunderten, den stinkenden Abfall nach Brauchbarem, das sich vielleicht verkaufen, tauschen oder essen ließ.
Robert weinte oft, er weinte tränenlos, Schwäche durfte er nicht zeigen. Seine Frau Nellie, die, der auf sechs Köpfe angewachsenen Kinderschar kaum Herr wurde, sah immer noch zu ihm auf. Sie und Robert konnten lesen und schreiben, er war ein guter Schüler gewesen, die sechs Jahre Unterricht bei den Barmherzigen Schwestern, hatten ihm eine Vorstellung von der Welt vermittelt.
Die Werbung und Lügen verbreitenden lokalen Sender ignorierte er. Als sie vor der Dürre, von den Feldern die sie bestellten gut lebten, hatte er sich einen Weltempfänger gekauft. Er hörte Radio Paris und Radio Quebec, erkannte schnell wie verschieden Afrika gesehen wurde. Erfuhr welche für ihn unvorstellbaren Summen, als Entwicklungshilfe auch in sein Land flossen. Außer Ms. Francois, hatte sich nie jemand der von dem Geld bezahlt wurde, im Dorf blicken lassen. Zwei, dreimal im Jahr erschien Ms. Francois mit einem großen Auto samt Fahrer, traf sich mit dem Vorsteher, ging die Hauptstraße entlang und war eine Stunde später verschwunden.
Robert ahnte wo das Geld blieb, er war nicht blind. Zehn Kilometer von dem Dreckloch in dem er hauste, hatte die Stadt ein anderes Gesicht. Saubere Straßen die dreimal täglich mit Wasser besprengt wurden, Häuser wie sie die Weißen in Europa bewohnten. Swimmingpools, Golfrasen, Tennisplätze; in Stand gehalten und bewohnt von Schwarzen. Er hatte sich durch die Straßen geschlichen, immer auf der Hut vor Entdeckung, in seinen Lumpen flog er leicht ins Gefängnis oder fing sich eine gehörige Tracht Prügel, sollte er den Aufpassern in die Hände fallen.
Trotz der Gefahr, zog es ihn immer wieder dorthin. Einmal hatte er eine noch leidlich erhaltene kakifarben Jacke, ein andermal eine dazu passende Hose aus dem Müll gezogen. Nellie hatte beides sorfältig eingeweicht, mehrmals gewaschen und gebügelt. Als er die Teile anzog, erschreckte ihn ihre Bestürzung. Man könnte sich vor dir fürchten, flüsterte sie, du bist von den Tam-Tams kaum zu unterscheiden, nein, nein beruhigte sie ihn, dein liebes Gesicht unterscheidet dich, sei nicht bös, Robert.
So verkleidet, fühlte er sich sicherer in den Straßen der Reichen. Er hoffte auf eine Gelegenheit, bei der er seine guten Manieren und Sprachkenntnisse, an die Frau oder den Mann bringen konnte. Bis dahin versuchte er sich unsichtbar zu machen, den Wächtern und Lakeien der Reichen nicht zu begegnen.
Bei seinen Expeditionen stieß er auf Gelegenheiten, die ihn elektrisierten. Abseits der Villen lagen unverschlossene kleine Häuser, in die Abfall gelagert wurde. Die Diener gaben sich keine Mühe den Abfall sorgfältig zu verstauen, vieles fiel neben die Tonnen und verrottete. Robert kannte bald jedes Müllhaus, wußte was darin zu finden, wann Brauchbares gefahrlos auszuräumen war.
Als er erstmals mit einem Müllsack voller Schätze nach Hause kam, diese vor Nellie ausbreitete, bekam sie grosse Kulleraugen. „Hast du das gestohlen?“ fragte sie ängstlich. Robert beruhigte sie, „gestohlen wo denkst du hin, wo das her kommt liegt noch mehr, es darf nur niemand erfahren! Nicht die Kinder, keine deiner Vettern und Basen, verstanden! Ich habe einen Plan, weiß noch nicht wie ich den hinbiege. Ich werde ein zwei Tage verschwinden, liebe Frau, ängstige dich nicht, es wird alles gut. Wo hast du das Buch mit den Quittungen vom Wucherer? Wir haben alles zurückgezahlt, oder gibt es noch einen Rest?“
„Keinen Rest, Mann, hier sieh selbst, oben die Summe die wir geliehen haben, darunter die Zinsen, darunter die Raten, die ich ihm jede Woche gebracht habe.“
„Schön, Nellie, wir sind also pünkliche Zahler?“
„Ganz bestimmt, Robert, Ms. Ondurman hat mich oft gelobt, wenn alle so zuverlässig wären, wie du und Robert, hat er gesagt, hätte ich weniger Sorgen.“
„Das ist gut, Nellie, ich kann mich darauf berufen?“
„Ganz sicher kannst du dich darauf berufen, aber was willst du von ihm, neuen Kredit, wofür?“
„Liebe Frau, das ist vorerst mein Geheimnis. Mach dir keine Sorgen, du weißt ich bin kein Mann, der Geld zu schlechten Frauen trägt, es versäuft oder verspielt. Wir beide placken uns, um über die Runden zu kommen, bemühen uns wie verrückt und kommen doch nicht raus, aus der Scheiße. Unserer Armut zum Trotz, laufen wir nicht herum wie Bettler, auch die schlechtesten Lumpen, wäscht und flickst du. Wie gesagt zu keinem ein Wort, niemand soll meine Abwesenheit bemerken.“
Am nächsten Morgen zog Robert sein Arbeitszeug an, packte den Kakidress in den Sack, küsste seine Frau und machte sich auf den Weg zum Wucherer. Ihm durfte er nicht geschniegelt unter die Augen kommen, der könnte glauben, bei ihm sei der Wohlstand ausgebrochen und höhere Zinsen verlangen. Ich werde ihm erzählen, wir brauchen eine Hütte mit mehr Platz, die Kinder werden größer, die Mädchen sollen nicht mit den Jungen in einem Bett schlafen.
Ms. Ondurman war strenggläubiger Moslem, der eigentlich nicht wuchern durfte, ihm war bekannt, Robert und Nellie waren Christen, auch dass beide sechs Jahre bei den Barmherzigen Schwestern zur Schule gegangen waren. Deshalb behandelte er Robert mit Respekt, bot ihm einen Stuhl an und ließ ihm Tee servieren.
Als Robert ihm sein Anliegen vortrug, nickte er freundlich und sagte genau wie Nellie es vorhergesagt hatte: „An Kunden wie dich und deine Frau verleihe ich mein Geld gern, wieviel willst du leihen?“
Robert erklärte er wisse es noch nicht, er sei bei ihm, um auszuloten ob er auch eine wesentlich größere Summe, als sonst üblich leihen könne?
Der Blick des Wucherers wurde kalt, er griff sich ans Kinn, krauste die Stirn, ließ einen langen Moment verstreichen, bevor er fragte: „Wofür Robert?“
„Ich will raus aus dem Dreck.“
„Hast du schon was in Aussicht?“
„Wie soll ich das verstehen, Ms. Ondurman, in Aussicht?“
„Ganz einfach, du willst raus aus dem Dreck, also musst du doch wissen wohin, mit acht Personen?“
„Sicher, ich bin unterwegs was zu finden, deshalb sitz ich hier. Man wird Kaution verlangen, ich hab keine Ahnung wieviel, deshalb meine Frage nach einer größeren Summe.“
„Also Robert, um es auf den Punkt zu bringen, du willst in einem ordentlichen Haus wohnen, mit fließendem Wasser und einem Spülklo. Nun ist mir bekannt, du bist zwar ein selten ordentlicher Mensch, aber doch ein Gelegenheitsarbeiter und Abfallsammler der acht Personen durchzubringen hat, von der Hand in den Mund lebt. Wie willst du da Miete und Rückzahlung abzweigen?“
„Wenn ich mir darüber keine Gedanken gemacht hätte, säß ich nicht hier, würde Ihren Tee trinken, Ihnen und mir die Zeit stehlen. Ich brauche keine Luxuswohnung, kann mir Fließwasser und Spülklosett nicht leisten. Ich will der Kinder wegen raus aus dem Dreckloch, ich suche einen Verschlag, alten Stall, Garage mit genug Raum, um aus sechs Kindern anständige Menschen zu machen. Zudem habe ich eine Idee, wie ich in Zukunft unsere Lage verbessern kann, dafür brauche ich Platz.“
„Du hast kann gesagt, Robert, nicht könnte?“
„Richtig, Ms.Ondurman, kann.“
„Kannst du mir sagen, was du im Sinn hast?“
„Nein, Geschäftsgeheimnis.“
„Aber Geld von mir willst du, dazu eine Summe die deinen Rahmen sprengt. Willst mir jedoch vorenthalten, wie du zurückzuzahlen gedenkst, Robert sei vernünftig!“
„Ms. Ondurman, ich habe hier Ihr Quittungsbuch, Beleg unserer pünktlichen Zahlungsweise. Sie kennen uns persönlich, aber das Buch ist für andere Geldverleiher, die uns nicht persönlich kennen, sicher auch ein Zeichen unserer Zuverlässigkeit.“
„Robert willst du mich unter Druck setzen?“
„Nein, ich will Ihnen meine Geschäftsidee nicht offenbaren.“
„Du glaubst, ich plaudere die aus?“
„Nein, ich glaube Sie beuten die aus.“
„Ach du meinst ich hätte die Zeit, bei all meinen Geschäften auch noch....“
„Nicht doch, nicht Sie, aber jemand aus Ihrer sehr, sehr großen, in allen möglichen Geschäften tätigen Familie.“
„Aha Robert, das scheinen gute Ideen zu sein, die dich umtreiben, was hälst du davon: Du erklärst mir was du vor hast, und ich beteilige mich an deinem Vorhaben?“
Robert fühlte sich in die Enge getrieben, er verstand Ondurmans Bedenken. Der sollte ihm eine große Summe leihen, als Sicherheit hatte er nur seine Zahlungsmoral in die Waagschale zu werfen. Einerseits verlangte er Geld und Vertrauen, ein Vertrauen, das er andererseits ihm nicht schenken wollte. Er überlegte fieberhaft, das Problem war, egal wie er es drehte, immer war er der schwächere Partner. Was wäre, er ließ sich auf eine Partnerschaft ein, und sein Partner hielt sich nicht an die Bedingungen? Nichts, wer war er denn? Weniger als ein Niemand. Dabei war das Ganze nur eine vage Idee, keine Garantie, dass es funktionierte.
„Ich sehe dich fieberhaft nachdenken, das gefällt mir Robert. Erinnert mich an meine Jugend, ich war nicht immer reich, kam mir oft vor wie die Maus vor der Falle, die Katze im Rücken. Ich mach dir einen Vorschlag, der dir Zeit und Ruhe verschafft um deine Gedanken zu ordnen.“
Robert kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf: „Ms. Ondurman, ich habe weder Zeit, noch finde ich Ruhe, weil ich mit Ihnen verhandle, bleibt mir für heute nur der Müllberg. Wie Sie sagten, von der Hand in den Mund, acht Mäuler sind täglich zu stopfen.“
Ohne darauf einzugehen, hiefte Ondurman eine alte Geldkassette, der tausendfaches Befingern die Farbe geraubt hatte auf seinen Schreibtisch, klaubte aus einem Schlüsselbund den passenden Schlüssel, öffnete die Kassette, zählte 10 ein Dollarscheine ab und legte die vor sich hin.
Robert hatte mitgezählt, 10 amerikanische Dollar, in Landeswährung umgetauscht, genug um mit der ganzen Familie ein Vierteljahr gut, nein sehr gut zu leben.
Ondurman sagte nichts, machte sich an seiner Kassette zu schaffen, sah die Lippen lautlos bewegend hinein, schlug den Deckel zu, drehte den Schlüssel um, verstaute den Bund in der Hosentasche, erst dann sah er Robert an und erklärte:
„Ich weiß Junge, wie du täglich schuftest, eben deshalb bin ich so interessiert an dem, was du vor hast. Glaube mir Robert, zum erstenmal seit ich Geld verleihe, leistet es sich einer der Ärmsten eine Idee zu haben, und verteidigt obendrein noch seinen Stolz. Ich weiß das zu schätzen.
Hier liegen 10 US-Dollar auf dem Tisch, die Summe entspricht dem Darlehn das du so prompt zurückgezahlt hast. Diesmal leihe ich dir das Geld nicht, ich schenk es dir, damit du in Ruhe deine Gedanken ordnen kannst, dir darüber klar wirst, was du vor hast, was es kostet, ob ein Darlehn überhaupt ausreicht zur Finanzierung deines Projekts. Wenn du weißt was du willst, sprechen wir, was sagst du dazu?“
Robert sprang auf, griff Ondurmans Hand und küsste sie. „Ich danke Euch,“ stammelte er, „ich danke Euch so sehr, wie ich es garnicht ausdrücken kann.
Verzeiht mir mein Misstrauen, aber ich hätte eher an fliegende Esel geglaubt, als dass mir jemand 10 Dollar schenken würde. Ich werde die Zeit nutzen, bin sicher schon früher fertig, werde fein säuberlich aufschreiben was mir vorschwebt, und abzuschätzen versuchen wieviel Kapital nötig sein wird.
Nochmal Ms. Ondurman, meinen Dank auch von meiner Frau und den Kindern, bitte verzeiht mir meinen Argwohn.“
An diesem Mittag traf Ondurman, fröhlich pfeifend und aufgeräumt, bei seiner Frau Nummer vier ein, einer Dame jünger als seine jüngste Tochter.
Lefa war eine Haussa, er hatte sie bei seiner vorletzten großen Reise im Hause ihres Vaters kennengelernt, mit dem ihn umfangreiche Geschäfte verbanden. Kennengelernt, ist insofern nicht richtig, weil er sie von Kind an kannte, sie oft auf seinen Knien per Kamel nach Timbuktu geritten war, bis sie vor Vergnügen krähte und er keinen Atem mehr hatte.
Als sie mannbar geworden, zu einer Schönheit herangewachsen war, wurde er mit ihrem Vater schnell einig, sie zu seiner vierten und letzten Frau zu nehmen. Lefa willigte hocherfreut ein, sie mochte Onkel Achmed, er war ihr vertraut und viel lieber als irgendein Ehemann, an den sie verschachert werden würde, um in einem fremden Harem lebendig begraben zu werden.
„Was lieber Achmed,“ empfing sie ihn freundlich, „macht dich so fröhlich pfeifen?“
„Ach Kind,“ antwortete Ondurman, „zuerst dein Anblick, der meine alten Augen ob deiner Schönheit, immer aufs Neue ungläubig staunen lässt. Aber auch weil mir heute ungewöhnliches widerfuhr.“
Ondurman erzählte von Robert, dessen Projekt, Umständen, Familie und Lefa hörte aufmerksam zu.
„Ich bin was die Stadt angeht, völlig unwissend, stelle ich mir vor, wie Robert mit seiner Familie lebt, möchte ich es auch bleiben, lieber Mann. Ich höre aus deinem Bericht, Robert gefällt dir, weil er sein Schicksal wenden will? Vergleiche ich das mit meinen Erfahrungen, so fallen mir nur die Erzählungen von den tapferen Kriegern der Haussa ein, die in aussichtslosen Situationen, ihr Leben daran setzten, ihr Geschick zu besiegen.“
„Gut beobachtet, meine Kleine, ja Robert ist mit einem solchen Krieger zu vergleichen. Ich hoffe ihn, stelle ich es nicht zu dumm an, für mich gewinnen zu können, es soll sein Schaden nicht sein. Ich habe dir schon oft mein Herz ausgeschüttet, wenn ich die Hoffahrt meiner Söhne und ihrer Frauen, kaum noch ertragen konnte. Auch aus diesem Grunde, sind mir natürliche Menschen wie du und Robert, ein Labsal.
Du weißt wie verstimmt ich gestern von Alis Geburtstagsfeier zurückkam, Leila meine Schwiegertochter, paradierte mit operierter Nase, geraden blonden Haaren und gebleichter Haut. Eine widerliche Karikatur von einem Menschen, ähnlich dem verrückten amerikanischen Sänger, der sich an Kinder heranmacht.
Der Wahnsinn ist, Ali unterstützt sie, ich bin nicht sicher, ob er sich nicht auch eines Tages seine afrikanische Nase europäisieren lässt. All dies, und auch die Art wie meine Söhne ihre Geschäfte betreiben, macht mir das Herz schwer.“
„Lieber Mann,“ antwortete Lefa, „ich werde dich trösten. Überlass dich ganz meinen, wie du oft gelobt hast, geschickten Händen, und ich werde in kürzester Zeit, einen schnurrenden Kater aus dir machen. Wozu sonst ist eine Ehefrau gut, die keine Kinder gebären soll.“
Achmed lächelte zufrieden, „o du Unvergleichliche,“ flüsterte er, „jeden Tag den es mich noch gibt, danke ich Allah und deinem Vater, für das Geschenk das du bist.“
Lefa schälte ihn schnell und geschickt aus seinen Kleidern und nötigte ihn ins Bad, wo er sich auf einen niedrigen Massagetisch legte. „So,“ lachte sie mehr als sie sprach, „deine Ärgernisse kann ich dir nicht nehmen, aber ich werde sie unschädlich machen.“
Achmed gab sich willig ihren kundigen Händen hin, und spürte alsbald eine wohlige Wärme aus der Mitte seines Leibes, in Kopf, Beine und Arme strömen. Lefa knetete, kniff, streichelte, klopfte und drückte seinen Rücken, zog jeden seiner Finger lang und beugte ihn. Ähnliches geschah seinen Füßen, sie drückte seine Fußsohlen an verschiedenen Stellen, führte ihre Finger kreiselnd über die Ballen der großen Zehen, um sich darauf seinen Waden und Oberschenkeln zu widmen, bis hin zu den Bereichen, deren Behandlung er nicht in Ruhe über sich ergehen lassen konnte.
Leila zeigte das Ende der Behandlung mit einen Klaps auf seinen Hintern an, sprang aus den Kleidern und tauchte ab in das in den Boden eingelassene Becken, das Platz für acht Personen bot. Achmed folgte ihr prustend und platschend, versuchte sie zu fangen, doch sie entglitt seinen Griffen, wendig wie die Otter im Fluß, die trotz aller Nachstellungen der Fischer, sich den ihnen angestammten Teil der Beute holten.
Oft hatten die dummen Kerle sich bei ihm beschwert, verlangt er möge ihnen gestatten, ein Wehr aus Akazienästen aufzuschichten, um den Tieren den Weg zum Fluß zu verlegen, in den sie sich flüchteten, wenn Menschen ihnen zu nahe kamen. Er hatte sie stets ausgelacht und gefragt, wer denn wohl eher im Fluß gejagt habe, sie oder die Otter? Auf ihre Klagen, die Tiere hätten nicht Weib und Kind zu versorgen, hat er sie weggeschickt mit dem Bemerken, sie möchten doch einmal hinschauen und nachdenken, bevor sie solchen Unsinn vorbrächten. Jedenfalls dürften sie solange er lebe, in seinem Teil des Flusses unentgeltlich fischen, aber die Otter auch.
Während ihm das durch den Kopf ging, war Lefa aus dem Becken gestiegen und hatte sich, nass wie sie war, auf ein breites niedriges Bett gelegt, von wo aus sie ihn lockte, zu ihr zu kommen. Ihre süßen Worte verstärkte sie, durch heftiges strampeln mit den Beinen. Achmed nahm sich Zeit, weidete sich am Anblick seiner jungen Nixe, den Lichtreflexen auf ihrer feuchten dunkelbraunen Haut, den hellen Blitzen ihrer strampelnden Fußsohlen und der hellrosa lockenden Blüte zwischen ihren Beinen, die aus dem schwarzen Gekräusel ihres Schamhaars leuchtete.
Ich bin gleich bei dir, keuchte er und stemmte sich aus dem Wasser. Lefa half, reichte ihm beide Hände, und zog ihn neben sich auf das Bett.
So mein Otternschützer schnurrte sie, hier hast du eine Beute, herrlich dein zum Stoß bereiter Speer, nun stoß zu, aus deiner Hand fürchte ich keinen Tod.
Achmed schob sich zwischen ihre Beine und stieß ohne zu zögern, in ihr heißes, bereites Fleisch. Aus den vielen Begegnungen mit ihr, war er vorbereitet auf das, was ihn erwartete. Lefa verwandelte ihre Muschel, in eine seinen Stab zart umklammernde, pulsierende Manschette. Er hatte nichts zu tun, als sich ein wenig vor und zurück zu bewegen und seinen Pfahl so lange wie möglich steif zu halten. Lefa zufrieden zu stellen war ihm sehr wichtig, und er dachte, so schwer ihm das auch fiel, an alles, nur nicht an das herrliche Mädchen, dem er beiwohnte.
Schnell stand ihm seine operierte Schwiegertochter vor Augen, die er selbst für seinen Sohn ausgesucht hatte. Sie stammte aus einer hoch angesehenen Familie im Norden, die dem Land einige angesehene, noch heute respektierte Islamgelehrte beschert hatte. Ihr Vater war kein Gelehrter, aber ein Hadschi der dreimal nach Mekka gewallt war, eine Übung die er bisher versäumt, aus der wohl nichts mehr werden würde, schämte er sich ein wenig.
Hadschi Achmed Ondurman, hätte sich gut angehört, ob es im Jenseits nutzte, hatte er seine Zweifel, angesichts der Hadschis, die ihm im Leben untergekommen waren.
Diese schändliche Schwiegertochter, er konnte sie kaum noch aus seinen Gedanken verscheuchen. Was er nicht verstand, war die Art und Weise, wie sein Sohn sich an das Weib verloren hatte. Nicht auszudenken, auch er würde sich einer solchen Operation unterziehen, welches Licht würfe das auf ihn, seinen Vater? Wie sollte er seinen Geschäftspartnern und Freunden ins Gesicht sehen, was würde aus seinem Ansehen, der Reputation der Familie?
Bevor er weiter dachte, rührte sich Lefa, stöhnte, klammerte sich an ihn, augenblicklich stieß er, nicht mehr auf lange Haltbarkeit seines Stockes bedacht zu, und zu, und zu, was Lefa mit gleichen Gegenstößen belohnte. Sie wand sich unter ihm, umfing seine Hüften mit ihren schlanken Beinen, rieb ihr Fleisch gegen seins und verging mit dem schrillen, spitzen Schrei, den die Haussafrauen aus Glück, Wut oder Trauer, ausstossen.
„O mein Achmed,“ flüsterte sie dicht an seinem Ohr, „welche glückliche Fügung, dich zum Mann zu haben. Denke ich an das Eheleben meiner Schwestern, die ihren Männern Samengefäß sind, in das die sich erleichtern, ohne wahrnehmen zu wollen, dass die Benutzten Wünsche haben könnten. Noch schlimmer die armen Frauen die beschnitten wurden, bei vielen Haussa ist das immer noch Brauch. Mein Vater, dein Freund, hat seine Töchter zu sehr geliebt, als dass er ihnen das Schreckliche angetan hätte. Die Operation ist nicht nur grauenvoll schmerzhaft und oft tödlich, sie vernichtet die Ärmsten auch als Frauen, die nie die Wonnen zu genießen im Stande sind, zu denen du mein Gebieter, mir eben verholfen hast.“
„O meine dunkle Gazelle, wie du es verstehst einem alten Mann zu schmeicheln,“ freute sich Achmed über ihr Lob, sagte aber nichts weiter, küsste ihre Stirn und bat, sie möge eine Stunde über seinen verdienten Schlaf wachen.
Leila erhob sich, strich ihm den zerzausten Bart in Form, flüsterte: „Niemand wird dich stören,“ und verschwand.
Kaum war sie gegangen, fielen die quälenden Gedanken, wie ein Geierschwarm über ihn her.
Fantastisch aufgeputzte Barken, von unerfahrenen, trunkenen Besatzungen gesteuert, das waren die Geschäfte seiner Söhne. All die Ltd., Ltd. & CO, ineinander verschachtelt, mit zahllosen Inhabern, waren für ihn nichts als Blendwerk. Er hatte seinen Söhnen den Eintritt ins Geschäftsleben, mit nicht unbeträchtlichen Summen finanziert. Den Tag vergaß er nie, als beide, Selim wie Ali, ihm, sein ihnen geliehenes Anfangskapital, hohnlachend vor die Füße warfen. Es stimmte, er hatte das ausfleddern des mit Entwicklungsgeldern finanzierten Schwimmkrans im Hafen, Betrug genannt. Dabei bleib ich, Betrug ist Betrug! Selim’s Einwand, der Wirtschaftsminister, mit 25% an der Schwimmkrangesellschaft beteiligt, billige ihr Vorgehen, ja habe seinen Anteil freudig kassiert, änderte garnichts.
Er hatte sich danach aus allen Geschäften mit seinen Söhnen zurückgezogen, trug schwer an der Vorstellung, was nach seinem Tod aus seiner Hinterlassenschaft würde.
Da waren Menschen wie Lefa und Robert Leuchtfeuer. Lefa weil sie einem Alten reinen Herzens, die Illusion von Jugend schenkte, und, Allah möge sie dereinst belohnen, alle Schnikschnak Verlockungen ausschlug, mit der seine Frauen und die Schwiegertöchter, sie von seiner Seite zu locken versucht hatten.
Robert war ein Fall für sich, sofern er hielt, was er sich von ihm versprach. Jedenfalls hatte er jetzt eine Hoffnung, und es würde nicht lange dauern, bis er Gewissheit über die Statur des jungen Mannes haben würde.
Als Robert, Ondurman überglücklich verließ, konnte er nicht sofort nach Hause, es war viel zu früh, die Nachbarinnen würden sich fragen, wieso arbeitet der nicht, hat er das goldene Ei gefunden? Schon heute abend hatte er ihre Männer auf den Fersen, die wissen wollten, ob der Wohlstand bei ihm ausgebrochen sei.
Er verknotete die Dollarscheine in ein Tuch, band es so um die Hüfte, dass er den Knoten immer fühlte, und rannte los zum Müllberg.
Es war ein Tag wie alle Tage im Dreck, doch für ihn war es diesmal anders.
Er fühlte eine Kraft, die sich weniger seinen mechanisch sortierenden Händen mitteilte, sonder ihm in die Kehle stieg. Ein Lied im Dorf seit Generationen weitergegeben, gesungen bei Geburten, Hochzeiten und anderen freudigen Ereignissen, sang in seiner Kehle und er hatte alle Mühe es nicht herauszulassen.
Er rang mit dem Lied, versprach ihm: Lied, meine Kinder werden dich singen! Dabei wühlte und sortierte er, als ob seine zwei Hände, vier geworden.
Plötzlich waren seine Finger wie elektrisiert, was er da im Schlamm nicht sah, aber nun vorsichtig rieb und ertastete, kannte er. Das war Schlangenhaut, viele winzige Schlangenfüße, mit der die Schleichenden rannten, wie er mit seinen Beinen.
Vorsicht Robert! Stiefel konnten das sein, eine Handtasche, sicher wertvolles.
Es galt das Stück unbemerkt von den Anderen, in seinem Sammelsack zu stecken. Er sah sich vorsichtig um, stieß einen Schrei aus und reckte einen Arm zum Himmel, einen Augenblick folgten die Sammler seinem zeigenden Finger. „Was war das?“ rief er, bevor man ihn fragte, was er besonderes gesehen. Kopfschütteln überall, er zuckte die Achseln und arbeitete weiter, eine Handtasche sicher am Grund seines Sammelsackes.
Für heute durfte er nicht mehr viel finden, wollte er seine wertvolle Beute nicht verderben. Der Gedanke nichts mehr finden zu müssen, war schwer zu übersetzen. Seine Hände und Finger glaubten ihm nicht, immer wieder zupften oder rissen sie etwas aus der Scheiße, was er gestern sofort eingesackt hätte. Ein großer Fetzen, der einmal eine Wolldecke gewesen, half ihm und seinen emsigen Fingern. Er zog das dreckige Ding, unter etwas klammernd Schwerem hervor, faltete es so gut es ging, und legte es schützend über die Tasche. Jetzt konnte er seinen Schnappsack unbeschwert füllen, Hände und Finger wühlten sich wie erlöst durch den Unrat.
Kurz bevor es dunkel wurde, hatte er genug. Er band den Sack zu, warf in über die Schulter und machte sich auf den Weg nach Hause. Das war wie ein Signal, alle waren plötzlich fertig, packten zusammen, binnen Minuten waren die Möwen die alleinigen Herren des Mülls.
Robert stellte sich das Gesicht seiner Nellie vor. Erst einmal würde sie erstaunt sein, ihn zu sehen, hatte er sie doch darauf vorbereitet, eine Weile ohne ihn sein zu müssen, doch sie würde sich gewiss freuen. Er stellte sich vor wie er, nachdem die weniger wichtige Beute verstaut war, ihr die Schlangentasche präsentieren würde. Noch war ihm nicht klar, wie ein solches Stück auf den Müll kam. Was soll‘s, entschied er, werde feststellen was es damit auf sich hat.
Es kam, wie er es sich vorgestellt hatte, nein, nicht ganz so, denn als seine Frau ihn sah, sprangen ihr die Tränen aus den Augen. Er warf den Sack ab und nahm sie in den Arm. „Was ist los, Nellie? Warum weinst du?“.
Nellie machte sich frei, schniefte, nahm ihre Schürze und wischte sich die Tränen ab. „Mach dir nichts draus, mein Lieber,“ ihre Stimme schwankte, als sie das sagte, doch dann lachte sie und meinte: „Bin eben nur ein dummes Dorfweib, Robert, das sich immer noch vor Blitz und Donner fürchtet.“
Das bist du wahrlich nicht, meine Nellie, wenn das mit der Gewitterfurcht auch nicht so ganz abwegig ist, dacht Robert bei sich, sagte aber nichts.
Nellie fragte, ob er hungrig sei, oder ob sie vor ihm die Kinder versorgen dürfe?
„Ich hab noch eine Kleinigkeit zu besorgen, Frau, bin in einer halben Stunde zurück,“ beruhigte er sie.
Schreibpapier brauchte er, und einen anständigen Kugelschreiber, keines von den Dingern, die schon zigmal nachgefüllt worden waren, und beim Schreiben kleksten. Er würde Ms. Ondurman seinen Plan aufschreiben, aber ohne den langen und mühseligen Aufbau. Mit ihm als Teilhaber, konnte er sofort mit dem loslegen, wovon er bisher nur geträumt hatte. Monsieur hatte Beziehungen zu sämtlichen wichtigen Leuten der Stadt, so dürfte es nicht schwer sein, ein Monopol zu ergattern. Niemand würde seinen Plan als lukratives Geschäft erkennen, dazu fehlte den Reichen seine jahrelange Erfahrung im Müll.
Paul Bleu fragte neugierig: „Willst einen Roman schreiben, Robert?“ als er absolut fleckenloses liniertes Papier, samt einem ungebrauchten Kugelschreiber verlangte.
Bleu kramte unter der Theke herum und tauchte mit einem noch eingeschlagenen Paket wieder auf. „Schreibmaschinenpapier Din A4,“ er schob die Lippen vor und nickte vielsagend. „Ist nicht billig,“ fuhr er fort und musterte ihn abschätzend.
„Ich will nicht wissen, was das kostet, Bleu. Ich habe liniertes Papier verlangt, nichts für die Schreibmaschine, was soll ich damit. Hast du kein Heft mit Linien, Din A4 wäre gut, aber ein normales Schulheft tut’s auch.“
Bleu räumte sein Paket weg und verschwand eine Weile hinter einem Vorhang, der den winzigen Raum von dem Verschlag trennte, in dem er mit seiner Mutter und drei Kindern hauste. Vor drei Jahren war seine Frau verstorben. Einfach weg und tot und ich steh da mit der Bagage, hatte er monatelang gegreint. Eine Neue find ich nicht, gibt keine, die einen Witwer mit drei Kindern und halbblinder Mutter nimmt.
Jetzt kam er mit einem Heft und noch eingepacktem Kugelschreiber und verlangte 30 Centimes. Robert kramte die Münzen aus seiner Hosentasche, zählte sie Bleu auf die Hand. Der strich sie ein, drehte sich um und wollte verschwinden, aber Robert hielt ihn zurück. „Einen Moment, Bleu,“ er ließ die Blätter des Heftes langsam durch die Finger laufen, um zu prüfen ob alle unbeschrieben waren. Das war der Fall, „Bon Bleu, au revoir,“ verabschiedete er sich und ging.
Nellie wartete schon, als er sein Papphaus betrat. Sie hatte seinen Sammelsack auf den Tisch gestellt, aber nicht hineingesehen, wie sie versicherte. Die kaum zu beherrschende Neugier, stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Robert lachte, holte die Tasche aus dem Sack und untersuchte síe zusammen mit Nellie, der die Finger zitterten. Er war überrascht, wie gut die Tasche erhalten war, klippte den Verschluss auf und erschrack. Von innen war sie makellos sauber und enthielt Portemonee, Puderdose, Lippenstift und einen Schlüsselring mit vier Schlüsseln, wovon einer ein Autoschlüssel zu sein schien. Nellie wollte das Portemonee nehmen, aber Robert packte sie beim Handgelenk. „Nichts berühren,“ zischte er, „das ist kein normaler Abfall, das sieht nach Verbrechen aus. Fände man die Tasche bei uns, wäre ich willkommenes Opfer! Die Polizei würde sich nicht weiter bemühen, der Täter wäre bereits verhaftet! Nein Nellie, nichts davon können wir verkaufen.“ Er nahm die Tasche vorsichtig beim Henkel, um möglichst keine Spuren zu hinterlassen, und ließ sie in den Sack fallen.
„Morgen bringe ich sie zu Ms. Ondurman,“erklärte er.
Nellie sah ihn verständnislos an, im Gesicht eine einzige große Frage: „Zu Ondurman, dem Wucherer?“
Wieder konnte Robert nur lachen, als seine Frau ihn so hilflos staunend ansah.
„Nellie, du weißt noch nicht alles, setz dich zu mir an den Tisch. Was ich dir jetzt erzähle, ist nur für deine Ohren bestimmt, kein Sterbenswörtchen zu Niemandem, verstehst du?“ Nellie nickte zaghaft, ihr Robert hatte sich binnen eines Tages, sehr verändert.
„Also hör zu,“ fuhr er fort, „ich war, wie du weißt, bei Ondurman, um mit ihm über einen Kredit zu sprechen, der es uns erlauben sollte, von hier weg in eine andere Gegend zu ziehen. Natürlich fragte er, wie ich zurückzahlen wolle? Ich erzählte ihm von meiner Geschäftsidee. Er wollte wissen, wie die Idee funktioniert, was es damit auf sich habe. Als ich nicht bereit war ihn einzuweihen, meinte er, ich soll dir also vertrauen und viel Geld riskieren, du aber vertraust mir nicht.
War schwierig für mich, Nellie, denn er hatte recht. Er schlug mir eine Teilhaberschaft vor. Als ich weiter zögerte, vorgab alles überdenken zu müssen, fand er das gut und schenkte mir 10 US-Dollar. Damit, meinte er, könne ich mir Zeit zum überlegen nehmen, wenn ich seinen Vorschlag annähme, den Plan aufschreiben.“
Nellie, die aufmerksam aber skeptisch zugehört hatte, bekam den Mund nicht mehr zu, als Robert ihr die Dollarscheine vorzählte. Hinter ihrer Stirn arbeitete es, sie kam schwer mit der neuen Lage zurecht. Erst der Fund einer so wertvollen Tasche, die aber nicht verkauft werden durfte, dann das Geldgeschenk! 10 Dollar hatten sie vor zwei Jahren bei dem Wucherer geliehen, und bis vor zwei Monaten mit Zinsen zurückgezahlt. Jetzt behauptete Robert, der Dicke habe ihm die gleiche Summe geschenkt! Das wollte ihr nicht in den Kopf, auch verstand sie nicht, warum die Tasche ausgerechnet der Wucherer bekommen sollte? Der würde sie sofort mit hohem Profit weiterverkaufen. Sollte sie aus einem Verbrechen stammen, die Polizei bei ihm aufkreuzen, würde er auf Robert zeigen, was war da gewonnen?
Sie hob den Kopf, suchte Roberts Blick, legte einen Arm um seinen Nacken und seufzte: „Lieber Mann, ich fürchte mich,“ und sie trug ihm ihre Sorge, hinsichtlich Tasche und Geschäftsplan vor.
„Ist es nicht so,“ gab sie zu bedenken, „dass Menschen die sich in die Hand von Leuten wie Ondurman begeben, immer verlieren? Er ist so viel mächtiger als wir, die kleinen Würmer unter unseren Füßen, sind uns gegenüber stärker, als wir gegenüber dem Wucherer. Ich mag ihn nicht, habe sein Gesicht studiert, wenn er unsere Rückzahlungen einstrich. Ich sah nur Gier, blanke Gier. Dabei ist unser Geld für ihn wertlos, die paar Centimes die ich ihm wöchentlich brachte, braucht er nicht. Jetzt schenkte er dir 10 Dollar, ist mächtig viel für uns, aber draußen in der richtigen Welt, sind 10 Dollar nichts.
Ich hab gesehen was Kleider für Damen kosten, hab die Preise in Dollar umgerechnet, Robert da gibt es Kleider die kosten $200! Kleider die Frauen draußen tragen, nicht nur ein paar Frauen, viele, ich sehe sie im Tivi. Nicht mit meinen richtigen Augen, sehe ich sie. Mit meinen richtigen Augen sehe ich dich und die Kinder, den Dreck und das Elend sehe ich nicht, weil ich es nicht ertragen könnte, es wirklich wahrzunehmen. Die Frauen und die Kleider, sehe ich als flache Figuren auf dem Tivi Glas, nicht aus Fleisch und Blut, sonst könnte ich sie nicht ansehn. Aber mir ist klar, wir sitzen in der Hölle und die im Himmel!“
Robert hatte aufmerksam zugehört, und freute sich an den scharfen Beobachtungen seiner Frau. Dorftrampel von wegen! Was Ondurman anging, sie hatte ihn so kennengelernt und sich ihr Urteil gebildet, er hatte seine andere Seite gesehen. Das geschenkte Geld mochte ihm nichts bedeuten, für ihn aber war es ein kleines Vermögen, Ondurman wusste das, also schenkte er ihm ein kleines Vermögen. Ich werde nicht mit Nellie rechten, wir brauchen alle Kraft um unsere Verhältnisse zu ändern und ich glaube fest, wir werden sie ändern.
Er küsste Nellie zärtlich, erklärte, er müsse seine Überlegungen aufschreiben und morgen in aller Frühe bei Ondurman sein. Die Schreibarbeit ging ihm flott von der Hand, obwohl er seit 10 Jahren nicht mehr so viel und lange geschrieben hatte. Als er fertig war, zeigte der alte Wecker der auf dem Küchenkasten stand, drei Uhr in der Nacht. Robert reckte sich, spülte seinen Mund mit einem Schluck Wasser und kroch neben Nellie auf die Pritsche.
Als seine Frau ihn weckte, hatte er das Gefühl sich eben erst gelegt zu haben, aber sie lachte, erklärte es sei acht Uhr, und die Kinder schon unterwegs zur Schule.
Er stand auf und aß seinen Hirsebrei, unter den Nellie gesüßten Zitronensaft gerührt hatte. An ihrer besorgten Miene erkannte er, sie war garnicht zufrieden mit dem was er vorhatte. So einfach würde sie nicht lockerlassen wusste er, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen, ließ er sie lesen was er in der Nacht aufgeschrieben hatte.
Sie nahm das Heft und vertiefte sich in den Text. Robert saß wortlos neben ihr und beobachtete sie. Seite um Seite schlug sie um, weder Zustimmung noch Ablehnung war ihrer Miene zu entnehmen. Als sie durch war, blätterte sie zurück bis fast zum Anfang und las nocheinmal, einiges flüchtig überschlagend, anderes mehrmals. Dann klappte sie zu.
„Gut was du dir da ausgedacht hast,“ sagte sie und sah ihm in die Augen.
„Wieviel willst du vom Profit, und wieviel kriegt der Wucherer?“
„Das zu entscheiden überlasse ich ihm, Nellie. Es wird die Waage sein, ich bin gespannt, ob sie sich zu deiner oder meiner Einschätzung neigt!“
„O Robert, du bist sehr hochherzig, können wir uns das erlauben?“
„Nellie, sollte er ein solch kleinliches Stück Scheiße sein wie du glaubst, wird nichts aus der Sache.“
„Und dann kennt er deinen Plan?!“
„Nellie um den umzusetzen, braucht es einen Dreckfresser wie mich, der lesen und schreiben kann, dem was einfällt, das weiß der Wucherer.“
„Gut lieber Mann! Ich wünsche uns Glück, solltest du Recht behalten, mit deinem Ms. Ondurman, werde ich ihn nie wieder einen Wucherer nennen.“
Ondurman war erstaunt, Robert sobald wiederzusehen. Er hatte noch einen Gast, und bat ihn in einen Nebenraum, wo außer einer großen Ottomane nichts stand. Robert erinnerte das Möbel eindringlich an seine Müdigkeit, und er machte es sich bequem. Als Ondurman Zeit für ihn hatte, fand er ihn in tief schlafend. Das kam ihm nicht ungelegen, denn bis Mittag hatte er noch zwei Besprechungen. Als er fertig war, schlief Robert immer noch.
Er befahl dem Hausmädchen, ein Becken mit kaltem Wasser und ein Handtuch bereit zu stellen, dann weckte er Robert.
„Entschuldigen sie Ms. Ondurman, ich bin eingeschlafen.“ stammelte der, und klopfte seinen Kakidress ab, den er zur Feier des Tages angezogen hatte.“
„Was gibt es da zu entschuldigen,“ Ondurman legte ihm einen Arm um die Schulter, „du warst müde und hast vier Stunden geschlafen, mir passte es, ich hatte noch zwei Termine.“
Mittlerweile stand die Schale mit Wasser auf dem Tisch. „Hier nimm das Handtuch und mach dich frisch, ich warte auf dich im Kontor nebenan,“ sagte er, und ließ ihn allein.
Robert öffnete sofort seinen Müllsack, die Tasche war noch da. Dann tauchte er das Handtuch ins Wasser, legte es auf sein Gesicht. Das wiederholte er, bis die Schwere aus seinen Augenlidern wich.
Im Kontor stand schon ein Glas Tee für ihn bereit, Ondurman lächelte freundlich, bat ihn sich zu setzen.
„Sag bloß, du weißt schon, was du mir anbieten wirst?“ eröffnete er das Gespräch, und Robert antwortet: „Sicher, aber im Moment gibt es Dringenderes, wäre es möglich die Tür abzuschließen?“
Ondurman sah ihn überrascht an, stand aber auf und drehte den Schlüssel um. Robert hatte seinen Sack auf die Knie genommen, hob die Tasche heraus und legte sie auf den Schreibtisch, wobei er gleichzeitig erklärte wo er sie gefunden, und was er vermutete.
Ondurmann kraulte sich, wie es seine Gewohnheit war den Bart, und schloss die Augen für einen Augenblick. Dann sah er auf und sagte: „Robert, ich glaube du liegst richtig, wenn du an ein Verbrechen denkst. Die Tasche ist gewiss kein herrenloses Gut, nicht von der Besitzerin in den Müll geworfen worden. Es war weise, das Ding und den Inhalt nicht zu versetzen. Sollte tatsächlich ein Verbrechen vielleicht sogar ein Mord vorliegen, man hätte die Spur bis zu dir zurück verfolgt, stecktest du bös in der Klemme. Mit deinem Einverständnis rufe ich sofort Kommissar Petaux an, der soll herkommen und das Weitere veranlassen.“
Robert war nicht wohl bei dieser Wendung, von der Polizei erwartete er nichts Gutes, was war, die fragten ihn, wo er wohne, wovon er lebe?
Ondurman las seine Gedanken, und beschwichtigte ihn. „Petaux ist einer meiner ältesten Freunde, Robert. In meinem Geschäft geht es oft nicht ohne polizeiliche Hilfe. Der Kommissar weiß, die dreiviertel der Einwohner unserer Stadt leben in bedrückender Armut, hätten nichts zu beißen, ohne Müllkippe und kleinere Gaunereien.
Er wird dir hoch anrechnen ein solches Stück, auf dem Markt brächte es 150.- Dollar, das heißt für dich wären sicher 25 Dollar dabei rumgekommen, abgegeben zu haben. Vielleicht ist für die Aufklärung eine Belohnung ausgesetzt, da bekämst du sicher deinen Anteil.“
Robert nickte, „rufen Sie ihn an!“
Petaux war nicht im Büro, würde aber von dem Anruf unterrichtet werden, zurückrufen, oder gleich vorbeikommen. Ondurman hängte ein, „wir haben getan was wir konnten, sollen wir weiter machen?“
Robert reichte ihm das Heft.
Es dauerte sehr, sehr lange bis Ondurman aufblickte, das Heft zuklappte und fragte: „Wo hast du das her?“
„Her?“ Robert verstand nicht, Ondurman erklärte, „her ich meine, wo hast du das gelernt, Organisation, Analyse?“
„Gelernt? Sie wissen doch, ich war sechs Jahre bei den Barmherzigen Schwestern.“ „Ja doch, Robert, aber die haben keine Betriebswirtschaft unterrichtet.“
„Betriebswirtschaft? Nein. Aber viel Wert auf selbstständiges Denken gelegt. Schwester Eloise nannte es den Kopf wertvoll machen. Es bringt nichts etwas nur zu lernen, hat sie uns unablässig gepredigt, wichtig ist das Gelernte in Situationen zu gebrauchen, für die es nicht vorgesehen war. Was euch als Erwachsene geschehen mag, sieht die Schule nicht voraus, kann sie nicht. Euren Verstand zu einem gebrauchstüchtigen Werkzeug zu machen, wenn ihr ernsthaft mitarbeitet, das kann und muss sie.“
„Aha, und dieses gebrauchstüchtige Werkzeug hast du beim Entwurf dieses Organisationsplans eingesetzt?“
„So ist es, Monsieur.“
„Sehr beindruckend, sehr schlüssig, und viel zu schade für die Müllverwertung.
Robert gib mir mal deine Hand, ab sofort bin ich für dich Achmed, den Ms. Ondurman vergessen wir. Auf jemanden wie dich habe ich gewartet, es ist beinah als ob der Allmächtige, meine Nöte erkennend, dich mir zugeführt hätte. Felix Petaux, der Kommissar, wird gleich eintreffen, er wird deinen Entwurf lesen, dann sprechen wir. Felix ist nicht nur mein Freund, sondern auch mein Teilhaber. Als Regierungsangestellter darf er nicht geschäftlich tätig sein. Er hat jedoch von seinem Großvater ein beträchtliches Vermögen, Mietshäuser, Plantagen, eine Transportfirma etc. geerbt, ich betreibe diese Geschäfte für ihn, in meinem Namen.
Felix ist nicht Polizist um seinen Unterhalt zu verdienen, seine Leidenschaft ist die Gerechtigkeit, da sind wir bei der zweiten Besonderheit meines Freundes: Felix ist schwarz, schwärzer als du und ich, obwohl seine Haut weiß ist. Vorige Woche war er bei mir, als im Fernsehen gezeigt wurde, wie mit unseren Brüdern in Ceuta und Melilla umgesprungen wird. Felix spricht von Tausenden, die in der Wüste verdurstet, oder im Meer ertrunken sind. Das junge verzweifelte Afrika, ist auf ungezählten Pfaden unterwegs nach Norden, mit der absurden Vorstellung in Europa ein besseres Leben zu finden.
Felix sagt daraus wird nichts. Europa ist habgierig, gleichgültig und rassistisch. Ein Schwarzer ist dort, trotz aller frommen Reden, ein Mensch zweiter Klasse.
Andererseits wird, wenn wir nichts tun, ganz Afrika sich binnen kurzer Zeit in ein Dreckloch verwandeln, wie das, aus dem du jetzt ausziehen wirst.“
Bevor er weiter reden konnte, wurde Ms. Felix Petaux gemeldet, der direkt hinter dem Diener reinkam. „Achmed, ein dringender Ruf, will dir wer ans Leder,“ fragte Felix lachend, und klopfte ihm den Rücken.
Achmed blieb Ernst und stellte Robert vor. „Dieser junge Mann birgt zwei Überraschungen, er hilft eine Straftat aufklären und, nein, entschuldige Felix, halten wir uns an die Reihenfolge, Robert berichte du.“
Robert erzählte wie und wo er die Tasche gefunden und wie er sich entschloss, am nächsten Morgen zu Ms. Ondurman zu gehen, um seinen Rat einzuholen.
„Wohlgetan, Ms.Robert, der Kommissar reicht ihm die Hand, vielen Dank! Die Tasche wurde der bekannten Fernsehmoderatorin, Madelaine Obidol, vor Wochen von zwei Straßenräubern die auf einem Motorrad dicht an sie heranfuhren, entrissen.
Madame Obidol gab an, 200$ bei sich gehabt zu haben. Haben sie die Tasche untersucht?“
„Nein, Ms. Kommissar, als wir erkannten die Tasche ist kein Abfall, sondern ein Wertstück, haben wir sie nicht weiter angerührt. Ehrlich gesagt wir hatten große Angst.“
„Wer ist wir, Ms. Robert?“
„Meine Frau Nellie und ich.“
Der Kommissar öffnete die Geldbörse. „Natürlich leer,“ brummte er. „Die Gauner haben das Geld genommen, und die auffällige Tasche schleunigst in den nächsten Müllcontainer geworfen. Na ja, der Fall ist erledigt. Aber da war doch noch ein zweiter Überraschung, Achmed, hängt die auch mit Ms. Robert zu sammen?“
„Und ob, Felix, die Tasche war nur ein Nebenkriegsschauplatz. Hast du Zeit? Wenn ja, dann arbeite bitte dieses Heft durch, es enthält den Geschäftsplan für einen Müllverwertungbetrieb, den Robert mit mir gründen will. Nachdem ich den Plan studiert habe, meine ich er ist zu Besserem geboren.“
„Du meinst?“
„Bitte Felix, es ist zu wichtig, mache dir selbst ein Bild, bleibst du zum Essen?“
„Wie spät ist es?“
„Gleich Zeit was in den Magen zu kriegen, wenn du bleibst, gehe ich jetzt mit Robert ein paar Leckereien kaufen, in einer Stunde ist der Tisch gedeckt, und du hast gecheckt was ich meine.“
Robert war noch nie im Basar, selbst in seinen sauberen Kakikleidern hätte er sich ohne Ondurmans Begleitung, nicht in die Hallen getraut. Was er sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Wozu nur war diese ungeheure Fülle von Fleisch, Fisch, Reis, Zucker, Tee, Kaffee, Gewürzen, Fahrrädern, Autoreifen, Fliegenklatschen, Büstenhaltern, Lippenstiften, Geschirr, Fotoapparaten, alten Schallplatten, neuen CD’s, Computern, Faxgeräten, Kugelschreibern aus Gold und Plastic, Damenhandtaschen, ähnlich der von ihm gefundenen, nötig? Wer kauft das? Gab es so viel Geld, das alles zu kaufen? Achmed stieß ihn an, „komm weiter Robert, du wirst noch oft genug hier einkaufen, dich an das Angebot gewöhnen. Wir müssen zum Fisch. Bagingo ist mein Händler, dem sage ich nur Felix ist da, wir wollen ein Essen für drei, das genügt, eine halbe Stunde später liefert er.“
Auf dem Weg zurück, hielt Robert seine Augen im Zaum, er wurde mit der Fülle des Angebotenen nicht fertig. Seine, und seiner Familie Kümmerexistenz, verglichen mit den Möglichkeiten der Menschen die hier einkaufen konnten, brachten ihn um seine Balance. Wir sind keine Menschen ging ihm auf, noch nicht einmal Tiere sind wir. Welches Tier haust so erbärmlich wie wir? Er sah wie die Metzger Fleisch beschnitten. Der Abfall landete in einer Tonne, der Rest aus dieser Tonne, nachdem er sorgfältig sortiert worden war, auf dem Müll.
Ondurman wusste, wie es in seinem Begleiter arbeitete. Er hatte ihm mit Vorbedacht, die ungeheure Kluft zwischen der Existenz eines Müllflederers, und seiner vor Augen geführt. Felix würde dort ansetzen, Robert erklären, nicht ich und Achmed sind afrikanische Realität, sondern Sie Robert und Ihre Familie. Europa ist der Basar, gefüllt mit allem was Menschen sich wünschen. Europa, das über fünf Jahrhunderte, die afrikanische Identität zerstört hat. Afrikaner versklavte, willkürliche Grenzen zog, Völker und Kulturen teilte, heute den korrupten Eliten half, diese unnatürlichen Grenzen für sakrosankt zu erklären. Sogar Kriege unterstützte, die um diese Grenzen geführt wurden, weil Völker sich mit ihren Stammesbrüdern vereinen wollten. Europa das seit fünf Jahrzehnten diese Kleptokraten mit Geld fütterte, die Zahlungen als Entwicklungshilfe ausgab, Zinsen und Rückzahlungen jedoch von den betrogenen Armen Afrikas verlangte. Jetzt waren Afrikaner unterwegs nach Europa, und Europa wehrte sich. Diesen Widerstand zu unterlaufen, war sein und Felix‘ Plan.
Als sie zurückkamen, legte Felix eben das Heft aus der Hand. „Erstaunlich Ms. Robert, was Sie da aufgeschrieben haben,“ erklärte er kopfschüttelnd. „Wie Sie leben, können Sie keine Universität besucht haben, des ungeachtet entwickeln Sie ein Organigramm, wie ein Hochschulabsolvent das nicht besser könnte. Achmed ich bin ganz deiner Meinung, Ms. Robert, sollte der Mann werden, der uns hilft unseren Plan umzusetzen.“
Robert sah von Einem zum Anderen, bevor er den Mund aufmachen konnte, griff Achmed ein, und verbot während des Essens, das sofort aufgetragen werden würde, jegliche geschäftliche Erörterung. Böse Dchinns werden uns mit jedem Bissen in die Eingeweide fahren, dort furchtbar wüten, warnte er. Nachdem wir gesättigt, klären wir alles bei einem Tschibuk, und einigen Gläschen Tee.
Felix und Achmed machten sich über die herrlichen Fische her, die gebraten, gesotten und gekocht, mit kleinen Soßenchälchen verschiedensten Inhalts angerichtet waren. Robert saß da, die Hände im Schoß, und sah zu. Felix wollte ihn auffordern zuzugreifen, als ihm plötzlich aufging, der arme Mann hatte noch nie an einem reichaltig gedecktem Tisch gesessen.
Ohne Federlesens nahm er Roberts Teller, garnierte Fisch, Reis und Soßen so geschickt, dass alles unvermischt blieb und reichte ihn zurück. Robert bedankte sich, nahm Messer und Gabel und versuchte die Gräte, so wie er das Achmed tun sah, aus einem Fisch zu ziehen. Daraus wurde nichts, binnen kurzen war Fisch, Gräte und Haut ineinander verwickelt. So geht das also nicht, stand ihm bei seinen hilflosen Bemühen ins Gesicht geschrieben.
Achmed wusste Rat, er rief das Mädchen und befahl, seinem Gast sämtliche Fische ohne Gräte vorzulegen.
Erstmals in seinem Leben aß Robert keinen Hirsebrei um seinen Hunger zu stillen. Fisch war für ihn immer unerschwinglich gewesen, nie hatte er einen Gedanken an die Tiere als Nahrung verschwendet. Jetzt war sein Mund voll Fisch, an den Minen seiner Tischgenossen abzulesen, köstlichem Fisch. Was schmecke ich, versuchte er zu ergründen, und konnte nur mit Mühe die Sehnsucht nach dem Hirsebrei unterdrücken, den seine liebe Nellie so unvergleichlich zubereitete.
Handlung: Afrika + Europa 2006. Flüchtlingsströme in Richtung Europa. Versuch diese, weg vom Tod, in sichere Bahnen zu lenken. Menschen, Hoffnung, Scheitern, Mord, Rache und die Liebe, was sonst. 130 Seiten.
1
Robert Memba war, als sein vierter Sohn David auf die Welt kam, in die Stadt geflüchtet. Sein seit Urzeiten von ihm und seiner Sippe bestelltes Land hatte die Wüste gefressen. Die Nachbarn sagten, die Viehnomaden mit ihren Kühen seien Schuld. Deren klapperdürre Rinder, verschmähten auch nicht das trockenste Hälmchen, um ihren Hunger zu stillen. Was sie übrigließen rupften die Ziegen samt Wurzel und fraßen es.
Sein Nachbar Joshua wusste die Dürre zu erklären, wegen des Kahlfraßes könne der Boden den immer seltener fallenden Regen nicht speichern, er hatte das von Ms. Francois dem Entwicklungshelfer. Ms. Francois habe gesagt, alles wäre rund, hinge von einander ab. Ohne Sträucher und Gras keine Wolken, ohne Wolken kein Regen.
Es stimmte, als er Kind und junger Mann war, schmückte sich die Savanne im Frühling mit bunten Blumen ohne Zahl, das Gras eine grüne Matte soweit das Auge reichte, die Sträucher hatten Blätter satt. Jetzt holten sich die hungrigen Tiere das Gras, sobald sich die ersten grünen Spitzen zeigten, und hinterließen braune verdorrende Wurzeln.
Die Sträucher hatten die faulen Frauen auf dem Gewissen, die wollten keine weiten Wege laufen, um dürres Akazienholz zu sammeln. Die stacheligen Akazien zerstächen Hände und Arme. Die weißen Frauen die sie ewig im Tivi vorm Dorfladen anstarrten, sammelten auch kein Holz und es ging ihnen gut.
Eine hatte angefangen den Sträuchern nahebei die Äste abzubrechen, die Anderen machten es schnell nach. Die Sträucher starben, den Rest gaben ihnen die Ziegen, bald war alles staubige Öde, tatsächlich schon Wüste.
Deshalb hockte Robert jetzt, zusammen mit Tausenden, in einem Verschlag aus Pappe und Wellblech vor der großen Stadt Hatta.
Bei Tagesanbruch ging er los, irgendeine Arbeit für ein paar Centimes zu ergattern. Das gelang nicht immer, an schlechten Tagen, wenn niemand seine Arbeit kaufen wollte, blieb nur die Müllhalde. Bis zum Einbruch der Dunkelheit durchwühlte er im Wettstreit mit Hunderten, den stinkenden Abfall nach Brauchbarem, das sich vielleicht verkaufen, tauschen oder essen ließ.
Robert weinte oft, er weinte tränenlos, Schwäche durfte er nicht zeigen. Seine Frau Nellie, die, der auf sechs Köpfe angewachsenen Kinderschar kaum Herr wurde, sah immer noch zu ihm auf. Sie und Robert konnten lesen und schreiben, er war ein guter Schüler gewesen, die sechs Jahre Unterricht bei den Barmherzigen Schwestern, hatten ihm eine Vorstellung von der Welt vermittelt.
Die Werbung und Lügen verbreitenden lokalen Sender ignorierte er. Als sie vor der Dürre, von den Feldern die sie bestellten gut lebten, hatte er sich einen Weltempfänger gekauft. Er hörte Radio Paris und Radio Quebec, erkannte schnell wie verschieden Afrika gesehen wurde. Erfuhr welche für ihn unvorstellbaren Summen, als Entwicklungshilfe auch in sein Land flossen. Außer Ms. Francois, hatte sich nie jemand der von dem Geld bezahlt wurde, im Dorf blicken lassen. Zwei, dreimal im Jahr erschien Ms. Francois mit einem großen Auto samt Fahrer, traf sich mit dem Vorsteher, ging die Hauptstraße entlang und war eine Stunde später verschwunden.
Robert ahnte wo das Geld blieb, er war nicht blind. Zehn Kilometer von dem Dreckloch in dem er hauste, hatte die Stadt ein anderes Gesicht. Saubere Straßen die dreimal täglich mit Wasser besprengt wurden, Häuser wie sie die Weißen in Europa bewohnten. Swimmingpools, Golfrasen, Tennisplätze; in Stand gehalten und bewohnt von Schwarzen. Er hatte sich durch die Straßen geschlichen, immer auf der Hut vor Entdeckung, in seinen Lumpen flog er leicht ins Gefängnis oder fing sich eine gehörige Tracht Prügel, sollte er den Aufpassern in die Hände fallen.
Trotz der Gefahr, zog es ihn immer wieder dorthin. Einmal hatte er eine noch leidlich erhaltene kakifarben Jacke, ein andermal eine dazu passende Hose aus dem Müll gezogen. Nellie hatte beides sorfältig eingeweicht, mehrmals gewaschen und gebügelt. Als er die Teile anzog, erschreckte ihn ihre Bestürzung. Man könnte sich vor dir fürchten, flüsterte sie, du bist von den Tam-Tams kaum zu unterscheiden, nein, nein beruhigte sie ihn, dein liebes Gesicht unterscheidet dich, sei nicht bös, Robert.
So verkleidet, fühlte er sich sicherer in den Straßen der Reichen. Er hoffte auf eine Gelegenheit, bei der er seine guten Manieren und Sprachkenntnisse, an die Frau oder den Mann bringen konnte. Bis dahin versuchte er sich unsichtbar zu machen, den Wächtern und Lakeien der Reichen nicht zu begegnen.
Bei seinen Expeditionen stieß er auf Gelegenheiten, die ihn elektrisierten. Abseits der Villen lagen unverschlossene kleine Häuser, in die Abfall gelagert wurde. Die Diener gaben sich keine Mühe den Abfall sorgfältig zu verstauen, vieles fiel neben die Tonnen und verrottete. Robert kannte bald jedes Müllhaus, wußte was darin zu finden, wann Brauchbares gefahrlos auszuräumen war.
Als er erstmals mit einem Müllsack voller Schätze nach Hause kam, diese vor Nellie ausbreitete, bekam sie grosse Kulleraugen. „Hast du das gestohlen?“ fragte sie ängstlich. Robert beruhigte sie, „gestohlen wo denkst du hin, wo das her kommt liegt noch mehr, es darf nur niemand erfahren! Nicht die Kinder, keine deiner Vettern und Basen, verstanden! Ich habe einen Plan, weiß noch nicht wie ich den hinbiege. Ich werde ein zwei Tage verschwinden, liebe Frau, ängstige dich nicht, es wird alles gut. Wo hast du das Buch mit den Quittungen vom Wucherer? Wir haben alles zurückgezahlt, oder gibt es noch einen Rest?“
„Keinen Rest, Mann, hier sieh selbst, oben die Summe die wir geliehen haben, darunter die Zinsen, darunter die Raten, die ich ihm jede Woche gebracht habe.“
„Schön, Nellie, wir sind also pünkliche Zahler?“
„Ganz bestimmt, Robert, Ms. Ondurman hat mich oft gelobt, wenn alle so zuverlässig wären, wie du und Robert, hat er gesagt, hätte ich weniger Sorgen.“
„Das ist gut, Nellie, ich kann mich darauf berufen?“
„Ganz sicher kannst du dich darauf berufen, aber was willst du von ihm, neuen Kredit, wofür?“
„Liebe Frau, das ist vorerst mein Geheimnis. Mach dir keine Sorgen, du weißt ich bin kein Mann, der Geld zu schlechten Frauen trägt, es versäuft oder verspielt. Wir beide placken uns, um über die Runden zu kommen, bemühen uns wie verrückt und kommen doch nicht raus, aus der Scheiße. Unserer Armut zum Trotz, laufen wir nicht herum wie Bettler, auch die schlechtesten Lumpen, wäscht und flickst du. Wie gesagt zu keinem ein Wort, niemand soll meine Abwesenheit bemerken.“
Am nächsten Morgen zog Robert sein Arbeitszeug an, packte den Kakidress in den Sack, küsste seine Frau und machte sich auf den Weg zum Wucherer. Ihm durfte er nicht geschniegelt unter die Augen kommen, der könnte glauben, bei ihm sei der Wohlstand ausgebrochen und höhere Zinsen verlangen. Ich werde ihm erzählen, wir brauchen eine Hütte mit mehr Platz, die Kinder werden größer, die Mädchen sollen nicht mit den Jungen in einem Bett schlafen.
Ms. Ondurman war strenggläubiger Moslem, der eigentlich nicht wuchern durfte, ihm war bekannt, Robert und Nellie waren Christen, auch dass beide sechs Jahre bei den Barmherzigen Schwestern zur Schule gegangen waren. Deshalb behandelte er Robert mit Respekt, bot ihm einen Stuhl an und ließ ihm Tee servieren.
Als Robert ihm sein Anliegen vortrug, nickte er freundlich und sagte genau wie Nellie es vorhergesagt hatte: „An Kunden wie dich und deine Frau verleihe ich mein Geld gern, wieviel willst du leihen?“
Robert erklärte er wisse es noch nicht, er sei bei ihm, um auszuloten ob er auch eine wesentlich größere Summe, als sonst üblich leihen könne?
Der Blick des Wucherers wurde kalt, er griff sich ans Kinn, krauste die Stirn, ließ einen langen Moment verstreichen, bevor er fragte: „Wofür Robert?“
„Ich will raus aus dem Dreck.“
„Hast du schon was in Aussicht?“
„Wie soll ich das verstehen, Ms. Ondurman, in Aussicht?“
„Ganz einfach, du willst raus aus dem Dreck, also musst du doch wissen wohin, mit acht Personen?“
„Sicher, ich bin unterwegs was zu finden, deshalb sitz ich hier. Man wird Kaution verlangen, ich hab keine Ahnung wieviel, deshalb meine Frage nach einer größeren Summe.“
„Also Robert, um es auf den Punkt zu bringen, du willst in einem ordentlichen Haus wohnen, mit fließendem Wasser und einem Spülklo. Nun ist mir bekannt, du bist zwar ein selten ordentlicher Mensch, aber doch ein Gelegenheitsarbeiter und Abfallsammler der acht Personen durchzubringen hat, von der Hand in den Mund lebt. Wie willst du da Miete und Rückzahlung abzweigen?“
„Wenn ich mir darüber keine Gedanken gemacht hätte, säß ich nicht hier, würde Ihren Tee trinken, Ihnen und mir die Zeit stehlen. Ich brauche keine Luxuswohnung, kann mir Fließwasser und Spülklosett nicht leisten. Ich will der Kinder wegen raus aus dem Dreckloch, ich suche einen Verschlag, alten Stall, Garage mit genug Raum, um aus sechs Kindern anständige Menschen zu machen. Zudem habe ich eine Idee, wie ich in Zukunft unsere Lage verbessern kann, dafür brauche ich Platz.“
„Du hast kann gesagt, Robert, nicht könnte?“
„Richtig, Ms.Ondurman, kann.“
„Kannst du mir sagen, was du im Sinn hast?“
„Nein, Geschäftsgeheimnis.“
„Aber Geld von mir willst du, dazu eine Summe die deinen Rahmen sprengt. Willst mir jedoch vorenthalten, wie du zurückzuzahlen gedenkst, Robert sei vernünftig!“
„Ms. Ondurman, ich habe hier Ihr Quittungsbuch, Beleg unserer pünktlichen Zahlungsweise. Sie kennen uns persönlich, aber das Buch ist für andere Geldverleiher, die uns nicht persönlich kennen, sicher auch ein Zeichen unserer Zuverlässigkeit.“
„Robert willst du mich unter Druck setzen?“
„Nein, ich will Ihnen meine Geschäftsidee nicht offenbaren.“
„Du glaubst, ich plaudere die aus?“
„Nein, ich glaube Sie beuten die aus.“
„Ach du meinst ich hätte die Zeit, bei all meinen Geschäften auch noch....“
„Nicht doch, nicht Sie, aber jemand aus Ihrer sehr, sehr großen, in allen möglichen Geschäften tätigen Familie.“
„Aha Robert, das scheinen gute Ideen zu sein, die dich umtreiben, was hälst du davon: Du erklärst mir was du vor hast, und ich beteilige mich an deinem Vorhaben?“
Robert fühlte sich in die Enge getrieben, er verstand Ondurmans Bedenken. Der sollte ihm eine große Summe leihen, als Sicherheit hatte er nur seine Zahlungsmoral in die Waagschale zu werfen. Einerseits verlangte er Geld und Vertrauen, ein Vertrauen, das er andererseits ihm nicht schenken wollte. Er überlegte fieberhaft, das Problem war, egal wie er es drehte, immer war er der schwächere Partner. Was wäre, er ließ sich auf eine Partnerschaft ein, und sein Partner hielt sich nicht an die Bedingungen? Nichts, wer war er denn? Weniger als ein Niemand. Dabei war das Ganze nur eine vage Idee, keine Garantie, dass es funktionierte.
„Ich sehe dich fieberhaft nachdenken, das gefällt mir Robert. Erinnert mich an meine Jugend, ich war nicht immer reich, kam mir oft vor wie die Maus vor der Falle, die Katze im Rücken. Ich mach dir einen Vorschlag, der dir Zeit und Ruhe verschafft um deine Gedanken zu ordnen.“
Robert kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf: „Ms. Ondurman, ich habe weder Zeit, noch finde ich Ruhe, weil ich mit Ihnen verhandle, bleibt mir für heute nur der Müllberg. Wie Sie sagten, von der Hand in den Mund, acht Mäuler sind täglich zu stopfen.“
Ohne darauf einzugehen, hiefte Ondurman eine alte Geldkassette, der tausendfaches Befingern die Farbe geraubt hatte auf seinen Schreibtisch, klaubte aus einem Schlüsselbund den passenden Schlüssel, öffnete die Kassette, zählte 10 ein Dollarscheine ab und legte die vor sich hin.
Robert hatte mitgezählt, 10 amerikanische Dollar, in Landeswährung umgetauscht, genug um mit der ganzen Familie ein Vierteljahr gut, nein sehr gut zu leben.
Ondurman sagte nichts, machte sich an seiner Kassette zu schaffen, sah die Lippen lautlos bewegend hinein, schlug den Deckel zu, drehte den Schlüssel um, verstaute den Bund in der Hosentasche, erst dann sah er Robert an und erklärte:
„Ich weiß Junge, wie du täglich schuftest, eben deshalb bin ich so interessiert an dem, was du vor hast. Glaube mir Robert, zum erstenmal seit ich Geld verleihe, leistet es sich einer der Ärmsten eine Idee zu haben, und verteidigt obendrein noch seinen Stolz. Ich weiß das zu schätzen.
Hier liegen 10 US-Dollar auf dem Tisch, die Summe entspricht dem Darlehn das du so prompt zurückgezahlt hast. Diesmal leihe ich dir das Geld nicht, ich schenk es dir, damit du in Ruhe deine Gedanken ordnen kannst, dir darüber klar wirst, was du vor hast, was es kostet, ob ein Darlehn überhaupt ausreicht zur Finanzierung deines Projekts. Wenn du weißt was du willst, sprechen wir, was sagst du dazu?“
Robert sprang auf, griff Ondurmans Hand und küsste sie. „Ich danke Euch,“ stammelte er, „ich danke Euch so sehr, wie ich es garnicht ausdrücken kann.
Verzeiht mir mein Misstrauen, aber ich hätte eher an fliegende Esel geglaubt, als dass mir jemand 10 Dollar schenken würde. Ich werde die Zeit nutzen, bin sicher schon früher fertig, werde fein säuberlich aufschreiben was mir vorschwebt, und abzuschätzen versuchen wieviel Kapital nötig sein wird.
Nochmal Ms. Ondurman, meinen Dank auch von meiner Frau und den Kindern, bitte verzeiht mir meinen Argwohn.“
An diesem Mittag traf Ondurman, fröhlich pfeifend und aufgeräumt, bei seiner Frau Nummer vier ein, einer Dame jünger als seine jüngste Tochter.
Lefa war eine Haussa, er hatte sie bei seiner vorletzten großen Reise im Hause ihres Vaters kennengelernt, mit dem ihn umfangreiche Geschäfte verbanden. Kennengelernt, ist insofern nicht richtig, weil er sie von Kind an kannte, sie oft auf seinen Knien per Kamel nach Timbuktu geritten war, bis sie vor Vergnügen krähte und er keinen Atem mehr hatte.
Als sie mannbar geworden, zu einer Schönheit herangewachsen war, wurde er mit ihrem Vater schnell einig, sie zu seiner vierten und letzten Frau zu nehmen. Lefa willigte hocherfreut ein, sie mochte Onkel Achmed, er war ihr vertraut und viel lieber als irgendein Ehemann, an den sie verschachert werden würde, um in einem fremden Harem lebendig begraben zu werden.
„Was lieber Achmed,“ empfing sie ihn freundlich, „macht dich so fröhlich pfeifen?“
„Ach Kind,“ antwortete Ondurman, „zuerst dein Anblick, der meine alten Augen ob deiner Schönheit, immer aufs Neue ungläubig staunen lässt. Aber auch weil mir heute ungewöhnliches widerfuhr.“
Ondurman erzählte von Robert, dessen Projekt, Umständen, Familie und Lefa hörte aufmerksam zu.
„Ich bin was die Stadt angeht, völlig unwissend, stelle ich mir vor, wie Robert mit seiner Familie lebt, möchte ich es auch bleiben, lieber Mann. Ich höre aus deinem Bericht, Robert gefällt dir, weil er sein Schicksal wenden will? Vergleiche ich das mit meinen Erfahrungen, so fallen mir nur die Erzählungen von den tapferen Kriegern der Haussa ein, die in aussichtslosen Situationen, ihr Leben daran setzten, ihr Geschick zu besiegen.“
„Gut beobachtet, meine Kleine, ja Robert ist mit einem solchen Krieger zu vergleichen. Ich hoffe ihn, stelle ich es nicht zu dumm an, für mich gewinnen zu können, es soll sein Schaden nicht sein. Ich habe dir schon oft mein Herz ausgeschüttet, wenn ich die Hoffahrt meiner Söhne und ihrer Frauen, kaum noch ertragen konnte. Auch aus diesem Grunde, sind mir natürliche Menschen wie du und Robert, ein Labsal.
Du weißt wie verstimmt ich gestern von Alis Geburtstagsfeier zurückkam, Leila meine Schwiegertochter, paradierte mit operierter Nase, geraden blonden Haaren und gebleichter Haut. Eine widerliche Karikatur von einem Menschen, ähnlich dem verrückten amerikanischen Sänger, der sich an Kinder heranmacht.
Der Wahnsinn ist, Ali unterstützt sie, ich bin nicht sicher, ob er sich nicht auch eines Tages seine afrikanische Nase europäisieren lässt. All dies, und auch die Art wie meine Söhne ihre Geschäfte betreiben, macht mir das Herz schwer.“
„Lieber Mann,“ antwortete Lefa, „ich werde dich trösten. Überlass dich ganz meinen, wie du oft gelobt hast, geschickten Händen, und ich werde in kürzester Zeit, einen schnurrenden Kater aus dir machen. Wozu sonst ist eine Ehefrau gut, die keine Kinder gebären soll.“
Achmed lächelte zufrieden, „o du Unvergleichliche,“ flüsterte er, „jeden Tag den es mich noch gibt, danke ich Allah und deinem Vater, für das Geschenk das du bist.“
Lefa schälte ihn schnell und geschickt aus seinen Kleidern und nötigte ihn ins Bad, wo er sich auf einen niedrigen Massagetisch legte. „So,“ lachte sie mehr als sie sprach, „deine Ärgernisse kann ich dir nicht nehmen, aber ich werde sie unschädlich machen.“
Achmed gab sich willig ihren kundigen Händen hin, und spürte alsbald eine wohlige Wärme aus der Mitte seines Leibes, in Kopf, Beine und Arme strömen. Lefa knetete, kniff, streichelte, klopfte und drückte seinen Rücken, zog jeden seiner Finger lang und beugte ihn. Ähnliches geschah seinen Füßen, sie drückte seine Fußsohlen an verschiedenen Stellen, führte ihre Finger kreiselnd über die Ballen der großen Zehen, um sich darauf seinen Waden und Oberschenkeln zu widmen, bis hin zu den Bereichen, deren Behandlung er nicht in Ruhe über sich ergehen lassen konnte.
Leila zeigte das Ende der Behandlung mit einen Klaps auf seinen Hintern an, sprang aus den Kleidern und tauchte ab in das in den Boden eingelassene Becken, das Platz für acht Personen bot. Achmed folgte ihr prustend und platschend, versuchte sie zu fangen, doch sie entglitt seinen Griffen, wendig wie die Otter im Fluß, die trotz aller Nachstellungen der Fischer, sich den ihnen angestammten Teil der Beute holten.
Oft hatten die dummen Kerle sich bei ihm beschwert, verlangt er möge ihnen gestatten, ein Wehr aus Akazienästen aufzuschichten, um den Tieren den Weg zum Fluß zu verlegen, in den sie sich flüchteten, wenn Menschen ihnen zu nahe kamen. Er hatte sie stets ausgelacht und gefragt, wer denn wohl eher im Fluß gejagt habe, sie oder die Otter? Auf ihre Klagen, die Tiere hätten nicht Weib und Kind zu versorgen, hat er sie weggeschickt mit dem Bemerken, sie möchten doch einmal hinschauen und nachdenken, bevor sie solchen Unsinn vorbrächten. Jedenfalls dürften sie solange er lebe, in seinem Teil des Flusses unentgeltlich fischen, aber die Otter auch.
Während ihm das durch den Kopf ging, war Lefa aus dem Becken gestiegen und hatte sich, nass wie sie war, auf ein breites niedriges Bett gelegt, von wo aus sie ihn lockte, zu ihr zu kommen. Ihre süßen Worte verstärkte sie, durch heftiges strampeln mit den Beinen. Achmed nahm sich Zeit, weidete sich am Anblick seiner jungen Nixe, den Lichtreflexen auf ihrer feuchten dunkelbraunen Haut, den hellen Blitzen ihrer strampelnden Fußsohlen und der hellrosa lockenden Blüte zwischen ihren Beinen, die aus dem schwarzen Gekräusel ihres Schamhaars leuchtete.
Ich bin gleich bei dir, keuchte er und stemmte sich aus dem Wasser. Lefa half, reichte ihm beide Hände, und zog ihn neben sich auf das Bett.
So mein Otternschützer schnurrte sie, hier hast du eine Beute, herrlich dein zum Stoß bereiter Speer, nun stoß zu, aus deiner Hand fürchte ich keinen Tod.
Achmed schob sich zwischen ihre Beine und stieß ohne zu zögern, in ihr heißes, bereites Fleisch. Aus den vielen Begegnungen mit ihr, war er vorbereitet auf das, was ihn erwartete. Lefa verwandelte ihre Muschel, in eine seinen Stab zart umklammernde, pulsierende Manschette. Er hatte nichts zu tun, als sich ein wenig vor und zurück zu bewegen und seinen Pfahl so lange wie möglich steif zu halten. Lefa zufrieden zu stellen war ihm sehr wichtig, und er dachte, so schwer ihm das auch fiel, an alles, nur nicht an das herrliche Mädchen, dem er beiwohnte.
Schnell stand ihm seine operierte Schwiegertochter vor Augen, die er selbst für seinen Sohn ausgesucht hatte. Sie stammte aus einer hoch angesehenen Familie im Norden, die dem Land einige angesehene, noch heute respektierte Islamgelehrte beschert hatte. Ihr Vater war kein Gelehrter, aber ein Hadschi der dreimal nach Mekka gewallt war, eine Übung die er bisher versäumt, aus der wohl nichts mehr werden würde, schämte er sich ein wenig.
Hadschi Achmed Ondurman, hätte sich gut angehört, ob es im Jenseits nutzte, hatte er seine Zweifel, angesichts der Hadschis, die ihm im Leben untergekommen waren.
Diese schändliche Schwiegertochter, er konnte sie kaum noch aus seinen Gedanken verscheuchen. Was er nicht verstand, war die Art und Weise, wie sein Sohn sich an das Weib verloren hatte. Nicht auszudenken, auch er würde sich einer solchen Operation unterziehen, welches Licht würfe das auf ihn, seinen Vater? Wie sollte er seinen Geschäftspartnern und Freunden ins Gesicht sehen, was würde aus seinem Ansehen, der Reputation der Familie?
Bevor er weiter dachte, rührte sich Lefa, stöhnte, klammerte sich an ihn, augenblicklich stieß er, nicht mehr auf lange Haltbarkeit seines Stockes bedacht zu, und zu, und zu, was Lefa mit gleichen Gegenstößen belohnte. Sie wand sich unter ihm, umfing seine Hüften mit ihren schlanken Beinen, rieb ihr Fleisch gegen seins und verging mit dem schrillen, spitzen Schrei, den die Haussafrauen aus Glück, Wut oder Trauer, ausstossen.
„O mein Achmed,“ flüsterte sie dicht an seinem Ohr, „welche glückliche Fügung, dich zum Mann zu haben. Denke ich an das Eheleben meiner Schwestern, die ihren Männern Samengefäß sind, in das die sich erleichtern, ohne wahrnehmen zu wollen, dass die Benutzten Wünsche haben könnten. Noch schlimmer die armen Frauen die beschnitten wurden, bei vielen Haussa ist das immer noch Brauch. Mein Vater, dein Freund, hat seine Töchter zu sehr geliebt, als dass er ihnen das Schreckliche angetan hätte. Die Operation ist nicht nur grauenvoll schmerzhaft und oft tödlich, sie vernichtet die Ärmsten auch als Frauen, die nie die Wonnen zu genießen im Stande sind, zu denen du mein Gebieter, mir eben verholfen hast.“
„O meine dunkle Gazelle, wie du es verstehst einem alten Mann zu schmeicheln,“ freute sich Achmed über ihr Lob, sagte aber nichts weiter, küsste ihre Stirn und bat, sie möge eine Stunde über seinen verdienten Schlaf wachen.
Leila erhob sich, strich ihm den zerzausten Bart in Form, flüsterte: „Niemand wird dich stören,“ und verschwand.
Kaum war sie gegangen, fielen die quälenden Gedanken, wie ein Geierschwarm über ihn her.
Fantastisch aufgeputzte Barken, von unerfahrenen, trunkenen Besatzungen gesteuert, das waren die Geschäfte seiner Söhne. All die Ltd., Ltd. & CO, ineinander verschachtelt, mit zahllosen Inhabern, waren für ihn nichts als Blendwerk. Er hatte seinen Söhnen den Eintritt ins Geschäftsleben, mit nicht unbeträchtlichen Summen finanziert. Den Tag vergaß er nie, als beide, Selim wie Ali, ihm, sein ihnen geliehenes Anfangskapital, hohnlachend vor die Füße warfen. Es stimmte, er hatte das ausfleddern des mit Entwicklungsgeldern finanzierten Schwimmkrans im Hafen, Betrug genannt. Dabei bleib ich, Betrug ist Betrug! Selim’s Einwand, der Wirtschaftsminister, mit 25% an der Schwimmkrangesellschaft beteiligt, billige ihr Vorgehen, ja habe seinen Anteil freudig kassiert, änderte garnichts.
Er hatte sich danach aus allen Geschäften mit seinen Söhnen zurückgezogen, trug schwer an der Vorstellung, was nach seinem Tod aus seiner Hinterlassenschaft würde.
Da waren Menschen wie Lefa und Robert Leuchtfeuer. Lefa weil sie einem Alten reinen Herzens, die Illusion von Jugend schenkte, und, Allah möge sie dereinst belohnen, alle Schnikschnak Verlockungen ausschlug, mit der seine Frauen und die Schwiegertöchter, sie von seiner Seite zu locken versucht hatten.
Robert war ein Fall für sich, sofern er hielt, was er sich von ihm versprach. Jedenfalls hatte er jetzt eine Hoffnung, und es würde nicht lange dauern, bis er Gewissheit über die Statur des jungen Mannes haben würde.
Als Robert, Ondurman überglücklich verließ, konnte er nicht sofort nach Hause, es war viel zu früh, die Nachbarinnen würden sich fragen, wieso arbeitet der nicht, hat er das goldene Ei gefunden? Schon heute abend hatte er ihre Männer auf den Fersen, die wissen wollten, ob der Wohlstand bei ihm ausgebrochen sei.
Er verknotete die Dollarscheine in ein Tuch, band es so um die Hüfte, dass er den Knoten immer fühlte, und rannte los zum Müllberg.
Es war ein Tag wie alle Tage im Dreck, doch für ihn war es diesmal anders.
Er fühlte eine Kraft, die sich weniger seinen mechanisch sortierenden Händen mitteilte, sonder ihm in die Kehle stieg. Ein Lied im Dorf seit Generationen weitergegeben, gesungen bei Geburten, Hochzeiten und anderen freudigen Ereignissen, sang in seiner Kehle und er hatte alle Mühe es nicht herauszulassen.
Er rang mit dem Lied, versprach ihm: Lied, meine Kinder werden dich singen! Dabei wühlte und sortierte er, als ob seine zwei Hände, vier geworden.
Plötzlich waren seine Finger wie elektrisiert, was er da im Schlamm nicht sah, aber nun vorsichtig rieb und ertastete, kannte er. Das war Schlangenhaut, viele winzige Schlangenfüße, mit der die Schleichenden rannten, wie er mit seinen Beinen.
Vorsicht Robert! Stiefel konnten das sein, eine Handtasche, sicher wertvolles.
Es galt das Stück unbemerkt von den Anderen, in seinem Sammelsack zu stecken. Er sah sich vorsichtig um, stieß einen Schrei aus und reckte einen Arm zum Himmel, einen Augenblick folgten die Sammler seinem zeigenden Finger. „Was war das?“ rief er, bevor man ihn fragte, was er besonderes gesehen. Kopfschütteln überall, er zuckte die Achseln und arbeitete weiter, eine Handtasche sicher am Grund seines Sammelsackes.
Für heute durfte er nicht mehr viel finden, wollte er seine wertvolle Beute nicht verderben. Der Gedanke nichts mehr finden zu müssen, war schwer zu übersetzen. Seine Hände und Finger glaubten ihm nicht, immer wieder zupften oder rissen sie etwas aus der Scheiße, was er gestern sofort eingesackt hätte. Ein großer Fetzen, der einmal eine Wolldecke gewesen, half ihm und seinen emsigen Fingern. Er zog das dreckige Ding, unter etwas klammernd Schwerem hervor, faltete es so gut es ging, und legte es schützend über die Tasche. Jetzt konnte er seinen Schnappsack unbeschwert füllen, Hände und Finger wühlten sich wie erlöst durch den Unrat.
Kurz bevor es dunkel wurde, hatte er genug. Er band den Sack zu, warf in über die Schulter und machte sich auf den Weg nach Hause. Das war wie ein Signal, alle waren plötzlich fertig, packten zusammen, binnen Minuten waren die Möwen die alleinigen Herren des Mülls.
Robert stellte sich das Gesicht seiner Nellie vor. Erst einmal würde sie erstaunt sein, ihn zu sehen, hatte er sie doch darauf vorbereitet, eine Weile ohne ihn sein zu müssen, doch sie würde sich gewiss freuen. Er stellte sich vor wie er, nachdem die weniger wichtige Beute verstaut war, ihr die Schlangentasche präsentieren würde. Noch war ihm nicht klar, wie ein solches Stück auf den Müll kam. Was soll‘s, entschied er, werde feststellen was es damit auf sich hat.
Es kam, wie er es sich vorgestellt hatte, nein, nicht ganz so, denn als seine Frau ihn sah, sprangen ihr die Tränen aus den Augen. Er warf den Sack ab und nahm sie in den Arm. „Was ist los, Nellie? Warum weinst du?“.
Nellie machte sich frei, schniefte, nahm ihre Schürze und wischte sich die Tränen ab. „Mach dir nichts draus, mein Lieber,“ ihre Stimme schwankte, als sie das sagte, doch dann lachte sie und meinte: „Bin eben nur ein dummes Dorfweib, Robert, das sich immer noch vor Blitz und Donner fürchtet.“
Das bist du wahrlich nicht, meine Nellie, wenn das mit der Gewitterfurcht auch nicht so ganz abwegig ist, dacht Robert bei sich, sagte aber nichts.
Nellie fragte, ob er hungrig sei, oder ob sie vor ihm die Kinder versorgen dürfe?
„Ich hab noch eine Kleinigkeit zu besorgen, Frau, bin in einer halben Stunde zurück,“ beruhigte er sie.
Schreibpapier brauchte er, und einen anständigen Kugelschreiber, keines von den Dingern, die schon zigmal nachgefüllt worden waren, und beim Schreiben kleksten. Er würde Ms. Ondurman seinen Plan aufschreiben, aber ohne den langen und mühseligen Aufbau. Mit ihm als Teilhaber, konnte er sofort mit dem loslegen, wovon er bisher nur geträumt hatte. Monsieur hatte Beziehungen zu sämtlichen wichtigen Leuten der Stadt, so dürfte es nicht schwer sein, ein Monopol zu ergattern. Niemand würde seinen Plan als lukratives Geschäft erkennen, dazu fehlte den Reichen seine jahrelange Erfahrung im Müll.
Paul Bleu fragte neugierig: „Willst einen Roman schreiben, Robert?“ als er absolut fleckenloses liniertes Papier, samt einem ungebrauchten Kugelschreiber verlangte.
Bleu kramte unter der Theke herum und tauchte mit einem noch eingeschlagenen Paket wieder auf. „Schreibmaschinenpapier Din A4,“ er schob die Lippen vor und nickte vielsagend. „Ist nicht billig,“ fuhr er fort und musterte ihn abschätzend.
„Ich will nicht wissen, was das kostet, Bleu. Ich habe liniertes Papier verlangt, nichts für die Schreibmaschine, was soll ich damit. Hast du kein Heft mit Linien, Din A4 wäre gut, aber ein normales Schulheft tut’s auch.“
Bleu räumte sein Paket weg und verschwand eine Weile hinter einem Vorhang, der den winzigen Raum von dem Verschlag trennte, in dem er mit seiner Mutter und drei Kindern hauste. Vor drei Jahren war seine Frau verstorben. Einfach weg und tot und ich steh da mit der Bagage, hatte er monatelang gegreint. Eine Neue find ich nicht, gibt keine, die einen Witwer mit drei Kindern und halbblinder Mutter nimmt.
Jetzt kam er mit einem Heft und noch eingepacktem Kugelschreiber und verlangte 30 Centimes. Robert kramte die Münzen aus seiner Hosentasche, zählte sie Bleu auf die Hand. Der strich sie ein, drehte sich um und wollte verschwinden, aber Robert hielt ihn zurück. „Einen Moment, Bleu,“ er ließ die Blätter des Heftes langsam durch die Finger laufen, um zu prüfen ob alle unbeschrieben waren. Das war der Fall, „Bon Bleu, au revoir,“ verabschiedete er sich und ging.
Nellie wartete schon, als er sein Papphaus betrat. Sie hatte seinen Sammelsack auf den Tisch gestellt, aber nicht hineingesehen, wie sie versicherte. Die kaum zu beherrschende Neugier, stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Robert lachte, holte die Tasche aus dem Sack und untersuchte síe zusammen mit Nellie, der die Finger zitterten. Er war überrascht, wie gut die Tasche erhalten war, klippte den Verschluss auf und erschrack. Von innen war sie makellos sauber und enthielt Portemonee, Puderdose, Lippenstift und einen Schlüsselring mit vier Schlüsseln, wovon einer ein Autoschlüssel zu sein schien. Nellie wollte das Portemonee nehmen, aber Robert packte sie beim Handgelenk. „Nichts berühren,“ zischte er, „das ist kein normaler Abfall, das sieht nach Verbrechen aus. Fände man die Tasche bei uns, wäre ich willkommenes Opfer! Die Polizei würde sich nicht weiter bemühen, der Täter wäre bereits verhaftet! Nein Nellie, nichts davon können wir verkaufen.“ Er nahm die Tasche vorsichtig beim Henkel, um möglichst keine Spuren zu hinterlassen, und ließ sie in den Sack fallen.
„Morgen bringe ich sie zu Ms. Ondurman,“erklärte er.
Nellie sah ihn verständnislos an, im Gesicht eine einzige große Frage: „Zu Ondurman, dem Wucherer?“
Wieder konnte Robert nur lachen, als seine Frau ihn so hilflos staunend ansah.
„Nellie, du weißt noch nicht alles, setz dich zu mir an den Tisch. Was ich dir jetzt erzähle, ist nur für deine Ohren bestimmt, kein Sterbenswörtchen zu Niemandem, verstehst du?“ Nellie nickte zaghaft, ihr Robert hatte sich binnen eines Tages, sehr verändert.
„Also hör zu,“ fuhr er fort, „ich war, wie du weißt, bei Ondurman, um mit ihm über einen Kredit zu sprechen, der es uns erlauben sollte, von hier weg in eine andere Gegend zu ziehen. Natürlich fragte er, wie ich zurückzahlen wolle? Ich erzählte ihm von meiner Geschäftsidee. Er wollte wissen, wie die Idee funktioniert, was es damit auf sich habe. Als ich nicht bereit war ihn einzuweihen, meinte er, ich soll dir also vertrauen und viel Geld riskieren, du aber vertraust mir nicht.
War schwierig für mich, Nellie, denn er hatte recht. Er schlug mir eine Teilhaberschaft vor. Als ich weiter zögerte, vorgab alles überdenken zu müssen, fand er das gut und schenkte mir 10 US-Dollar. Damit, meinte er, könne ich mir Zeit zum überlegen nehmen, wenn ich seinen Vorschlag annähme, den Plan aufschreiben.“
Nellie, die aufmerksam aber skeptisch zugehört hatte, bekam den Mund nicht mehr zu, als Robert ihr die Dollarscheine vorzählte. Hinter ihrer Stirn arbeitete es, sie kam schwer mit der neuen Lage zurecht. Erst der Fund einer so wertvollen Tasche, die aber nicht verkauft werden durfte, dann das Geldgeschenk! 10 Dollar hatten sie vor zwei Jahren bei dem Wucherer geliehen, und bis vor zwei Monaten mit Zinsen zurückgezahlt. Jetzt behauptete Robert, der Dicke habe ihm die gleiche Summe geschenkt! Das wollte ihr nicht in den Kopf, auch verstand sie nicht, warum die Tasche ausgerechnet der Wucherer bekommen sollte? Der würde sie sofort mit hohem Profit weiterverkaufen. Sollte sie aus einem Verbrechen stammen, die Polizei bei ihm aufkreuzen, würde er auf Robert zeigen, was war da gewonnen?
Sie hob den Kopf, suchte Roberts Blick, legte einen Arm um seinen Nacken und seufzte: „Lieber Mann, ich fürchte mich,“ und sie trug ihm ihre Sorge, hinsichtlich Tasche und Geschäftsplan vor.
„Ist es nicht so,“ gab sie zu bedenken, „dass Menschen die sich in die Hand von Leuten wie Ondurman begeben, immer verlieren? Er ist so viel mächtiger als wir, die kleinen Würmer unter unseren Füßen, sind uns gegenüber stärker, als wir gegenüber dem Wucherer. Ich mag ihn nicht, habe sein Gesicht studiert, wenn er unsere Rückzahlungen einstrich. Ich sah nur Gier, blanke Gier. Dabei ist unser Geld für ihn wertlos, die paar Centimes die ich ihm wöchentlich brachte, braucht er nicht. Jetzt schenkte er dir 10 Dollar, ist mächtig viel für uns, aber draußen in der richtigen Welt, sind 10 Dollar nichts.
Ich hab gesehen was Kleider für Damen kosten, hab die Preise in Dollar umgerechnet, Robert da gibt es Kleider die kosten $200! Kleider die Frauen draußen tragen, nicht nur ein paar Frauen, viele, ich sehe sie im Tivi. Nicht mit meinen richtigen Augen, sehe ich sie. Mit meinen richtigen Augen sehe ich dich und die Kinder, den Dreck und das Elend sehe ich nicht, weil ich es nicht ertragen könnte, es wirklich wahrzunehmen. Die Frauen und die Kleider, sehe ich als flache Figuren auf dem Tivi Glas, nicht aus Fleisch und Blut, sonst könnte ich sie nicht ansehn. Aber mir ist klar, wir sitzen in der Hölle und die im Himmel!“
Robert hatte aufmerksam zugehört, und freute sich an den scharfen Beobachtungen seiner Frau. Dorftrampel von wegen! Was Ondurman anging, sie hatte ihn so kennengelernt und sich ihr Urteil gebildet, er hatte seine andere Seite gesehen. Das geschenkte Geld mochte ihm nichts bedeuten, für ihn aber war es ein kleines Vermögen, Ondurman wusste das, also schenkte er ihm ein kleines Vermögen. Ich werde nicht mit Nellie rechten, wir brauchen alle Kraft um unsere Verhältnisse zu ändern und ich glaube fest, wir werden sie ändern.
Er küsste Nellie zärtlich, erklärte, er müsse seine Überlegungen aufschreiben und morgen in aller Frühe bei Ondurman sein. Die Schreibarbeit ging ihm flott von der Hand, obwohl er seit 10 Jahren nicht mehr so viel und lange geschrieben hatte. Als er fertig war, zeigte der alte Wecker der auf dem Küchenkasten stand, drei Uhr in der Nacht. Robert reckte sich, spülte seinen Mund mit einem Schluck Wasser und kroch neben Nellie auf die Pritsche.
Als seine Frau ihn weckte, hatte er das Gefühl sich eben erst gelegt zu haben, aber sie lachte, erklärte es sei acht Uhr, und die Kinder schon unterwegs zur Schule.
Er stand auf und aß seinen Hirsebrei, unter den Nellie gesüßten Zitronensaft gerührt hatte. An ihrer besorgten Miene erkannte er, sie war garnicht zufrieden mit dem was er vorhatte. So einfach würde sie nicht lockerlassen wusste er, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen, ließ er sie lesen was er in der Nacht aufgeschrieben hatte.
Sie nahm das Heft und vertiefte sich in den Text. Robert saß wortlos neben ihr und beobachtete sie. Seite um Seite schlug sie um, weder Zustimmung noch Ablehnung war ihrer Miene zu entnehmen. Als sie durch war, blätterte sie zurück bis fast zum Anfang und las nocheinmal, einiges flüchtig überschlagend, anderes mehrmals. Dann klappte sie zu.
„Gut was du dir da ausgedacht hast,“ sagte sie und sah ihm in die Augen.
„Wieviel willst du vom Profit, und wieviel kriegt der Wucherer?“
„Das zu entscheiden überlasse ich ihm, Nellie. Es wird die Waage sein, ich bin gespannt, ob sie sich zu deiner oder meiner Einschätzung neigt!“
„O Robert, du bist sehr hochherzig, können wir uns das erlauben?“
„Nellie, sollte er ein solch kleinliches Stück Scheiße sein wie du glaubst, wird nichts aus der Sache.“
„Und dann kennt er deinen Plan?!“
„Nellie um den umzusetzen, braucht es einen Dreckfresser wie mich, der lesen und schreiben kann, dem was einfällt, das weiß der Wucherer.“
„Gut lieber Mann! Ich wünsche uns Glück, solltest du Recht behalten, mit deinem Ms. Ondurman, werde ich ihn nie wieder einen Wucherer nennen.“
Ondurman war erstaunt, Robert sobald wiederzusehen. Er hatte noch einen Gast, und bat ihn in einen Nebenraum, wo außer einer großen Ottomane nichts stand. Robert erinnerte das Möbel eindringlich an seine Müdigkeit, und er machte es sich bequem. Als Ondurman Zeit für ihn hatte, fand er ihn in tief schlafend. Das kam ihm nicht ungelegen, denn bis Mittag hatte er noch zwei Besprechungen. Als er fertig war, schlief Robert immer noch.
Er befahl dem Hausmädchen, ein Becken mit kaltem Wasser und ein Handtuch bereit zu stellen, dann weckte er Robert.
„Entschuldigen sie Ms. Ondurman, ich bin eingeschlafen.“ stammelte der, und klopfte seinen Kakidress ab, den er zur Feier des Tages angezogen hatte.“
„Was gibt es da zu entschuldigen,“ Ondurman legte ihm einen Arm um die Schulter, „du warst müde und hast vier Stunden geschlafen, mir passte es, ich hatte noch zwei Termine.“
Mittlerweile stand die Schale mit Wasser auf dem Tisch. „Hier nimm das Handtuch und mach dich frisch, ich warte auf dich im Kontor nebenan,“ sagte er, und ließ ihn allein.
Robert öffnete sofort seinen Müllsack, die Tasche war noch da. Dann tauchte er das Handtuch ins Wasser, legte es auf sein Gesicht. Das wiederholte er, bis die Schwere aus seinen Augenlidern wich.
Im Kontor stand schon ein Glas Tee für ihn bereit, Ondurman lächelte freundlich, bat ihn sich zu setzen.
„Sag bloß, du weißt schon, was du mir anbieten wirst?“ eröffnete er das Gespräch, und Robert antwortet: „Sicher, aber im Moment gibt es Dringenderes, wäre es möglich die Tür abzuschließen?“
Ondurman sah ihn überrascht an, stand aber auf und drehte den Schlüssel um. Robert hatte seinen Sack auf die Knie genommen, hob die Tasche heraus und legte sie auf den Schreibtisch, wobei er gleichzeitig erklärte wo er sie gefunden, und was er vermutete.
Ondurmann kraulte sich, wie es seine Gewohnheit war den Bart, und schloss die Augen für einen Augenblick. Dann sah er auf und sagte: „Robert, ich glaube du liegst richtig, wenn du an ein Verbrechen denkst. Die Tasche ist gewiss kein herrenloses Gut, nicht von der Besitzerin in den Müll geworfen worden. Es war weise, das Ding und den Inhalt nicht zu versetzen. Sollte tatsächlich ein Verbrechen vielleicht sogar ein Mord vorliegen, man hätte die Spur bis zu dir zurück verfolgt, stecktest du bös in der Klemme. Mit deinem Einverständnis rufe ich sofort Kommissar Petaux an, der soll herkommen und das Weitere veranlassen.“
Robert war nicht wohl bei dieser Wendung, von der Polizei erwartete er nichts Gutes, was war, die fragten ihn, wo er wohne, wovon er lebe?
Ondurman las seine Gedanken, und beschwichtigte ihn. „Petaux ist einer meiner ältesten Freunde, Robert. In meinem Geschäft geht es oft nicht ohne polizeiliche Hilfe. Der Kommissar weiß, die dreiviertel der Einwohner unserer Stadt leben in bedrückender Armut, hätten nichts zu beißen, ohne Müllkippe und kleinere Gaunereien.
Er wird dir hoch anrechnen ein solches Stück, auf dem Markt brächte es 150.- Dollar, das heißt für dich wären sicher 25 Dollar dabei rumgekommen, abgegeben zu haben. Vielleicht ist für die Aufklärung eine Belohnung ausgesetzt, da bekämst du sicher deinen Anteil.“
Robert nickte, „rufen Sie ihn an!“
Petaux war nicht im Büro, würde aber von dem Anruf unterrichtet werden, zurückrufen, oder gleich vorbeikommen. Ondurman hängte ein, „wir haben getan was wir konnten, sollen wir weiter machen?“
Robert reichte ihm das Heft.
Es dauerte sehr, sehr lange bis Ondurman aufblickte, das Heft zuklappte und fragte: „Wo hast du das her?“
„Her?“ Robert verstand nicht, Ondurman erklärte, „her ich meine, wo hast du das gelernt, Organisation, Analyse?“
„Gelernt? Sie wissen doch, ich war sechs Jahre bei den Barmherzigen Schwestern.“ „Ja doch, Robert, aber die haben keine Betriebswirtschaft unterrichtet.“
„Betriebswirtschaft? Nein. Aber viel Wert auf selbstständiges Denken gelegt. Schwester Eloise nannte es den Kopf wertvoll machen. Es bringt nichts etwas nur zu lernen, hat sie uns unablässig gepredigt, wichtig ist das Gelernte in Situationen zu gebrauchen, für die es nicht vorgesehen war. Was euch als Erwachsene geschehen mag, sieht die Schule nicht voraus, kann sie nicht. Euren Verstand zu einem gebrauchstüchtigen Werkzeug zu machen, wenn ihr ernsthaft mitarbeitet, das kann und muss sie.“
„Aha, und dieses gebrauchstüchtige Werkzeug hast du beim Entwurf dieses Organisationsplans eingesetzt?“
„So ist es, Monsieur.“
„Sehr beindruckend, sehr schlüssig, und viel zu schade für die Müllverwertung.
Robert gib mir mal deine Hand, ab sofort bin ich für dich Achmed, den Ms. Ondurman vergessen wir. Auf jemanden wie dich habe ich gewartet, es ist beinah als ob der Allmächtige, meine Nöte erkennend, dich mir zugeführt hätte. Felix Petaux, der Kommissar, wird gleich eintreffen, er wird deinen Entwurf lesen, dann sprechen wir. Felix ist nicht nur mein Freund, sondern auch mein Teilhaber. Als Regierungsangestellter darf er nicht geschäftlich tätig sein. Er hat jedoch von seinem Großvater ein beträchtliches Vermögen, Mietshäuser, Plantagen, eine Transportfirma etc. geerbt, ich betreibe diese Geschäfte für ihn, in meinem Namen.
Felix ist nicht Polizist um seinen Unterhalt zu verdienen, seine Leidenschaft ist die Gerechtigkeit, da sind wir bei der zweiten Besonderheit meines Freundes: Felix ist schwarz, schwärzer als du und ich, obwohl seine Haut weiß ist. Vorige Woche war er bei mir, als im Fernsehen gezeigt wurde, wie mit unseren Brüdern in Ceuta und Melilla umgesprungen wird. Felix spricht von Tausenden, die in der Wüste verdurstet, oder im Meer ertrunken sind. Das junge verzweifelte Afrika, ist auf ungezählten Pfaden unterwegs nach Norden, mit der absurden Vorstellung in Europa ein besseres Leben zu finden.
Felix sagt daraus wird nichts. Europa ist habgierig, gleichgültig und rassistisch. Ein Schwarzer ist dort, trotz aller frommen Reden, ein Mensch zweiter Klasse.
Andererseits wird, wenn wir nichts tun, ganz Afrika sich binnen kurzer Zeit in ein Dreckloch verwandeln, wie das, aus dem du jetzt ausziehen wirst.“
Bevor er weiter reden konnte, wurde Ms. Felix Petaux gemeldet, der direkt hinter dem Diener reinkam. „Achmed, ein dringender Ruf, will dir wer ans Leder,“ fragte Felix lachend, und klopfte ihm den Rücken.
Achmed blieb Ernst und stellte Robert vor. „Dieser junge Mann birgt zwei Überraschungen, er hilft eine Straftat aufklären und, nein, entschuldige Felix, halten wir uns an die Reihenfolge, Robert berichte du.“
Robert erzählte wie und wo er die Tasche gefunden und wie er sich entschloss, am nächsten Morgen zu Ms. Ondurman zu gehen, um seinen Rat einzuholen.
„Wohlgetan, Ms.Robert, der Kommissar reicht ihm die Hand, vielen Dank! Die Tasche wurde der bekannten Fernsehmoderatorin, Madelaine Obidol, vor Wochen von zwei Straßenräubern die auf einem Motorrad dicht an sie heranfuhren, entrissen.
Madame Obidol gab an, 200$ bei sich gehabt zu haben. Haben sie die Tasche untersucht?“
„Nein, Ms. Kommissar, als wir erkannten die Tasche ist kein Abfall, sondern ein Wertstück, haben wir sie nicht weiter angerührt. Ehrlich gesagt wir hatten große Angst.“
„Wer ist wir, Ms. Robert?“
„Meine Frau Nellie und ich.“
Der Kommissar öffnete die Geldbörse. „Natürlich leer,“ brummte er. „Die Gauner haben das Geld genommen, und die auffällige Tasche schleunigst in den nächsten Müllcontainer geworfen. Na ja, der Fall ist erledigt. Aber da war doch noch ein zweiter Überraschung, Achmed, hängt die auch mit Ms. Robert zu sammen?“
„Und ob, Felix, die Tasche war nur ein Nebenkriegsschauplatz. Hast du Zeit? Wenn ja, dann arbeite bitte dieses Heft durch, es enthält den Geschäftsplan für einen Müllverwertungbetrieb, den Robert mit mir gründen will. Nachdem ich den Plan studiert habe, meine ich er ist zu Besserem geboren.“
„Du meinst?“
„Bitte Felix, es ist zu wichtig, mache dir selbst ein Bild, bleibst du zum Essen?“
„Wie spät ist es?“
„Gleich Zeit was in den Magen zu kriegen, wenn du bleibst, gehe ich jetzt mit Robert ein paar Leckereien kaufen, in einer Stunde ist der Tisch gedeckt, und du hast gecheckt was ich meine.“
Robert war noch nie im Basar, selbst in seinen sauberen Kakikleidern hätte er sich ohne Ondurmans Begleitung, nicht in die Hallen getraut. Was er sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Wozu nur war diese ungeheure Fülle von Fleisch, Fisch, Reis, Zucker, Tee, Kaffee, Gewürzen, Fahrrädern, Autoreifen, Fliegenklatschen, Büstenhaltern, Lippenstiften, Geschirr, Fotoapparaten, alten Schallplatten, neuen CD’s, Computern, Faxgeräten, Kugelschreibern aus Gold und Plastic, Damenhandtaschen, ähnlich der von ihm gefundenen, nötig? Wer kauft das? Gab es so viel Geld, das alles zu kaufen? Achmed stieß ihn an, „komm weiter Robert, du wirst noch oft genug hier einkaufen, dich an das Angebot gewöhnen. Wir müssen zum Fisch. Bagingo ist mein Händler, dem sage ich nur Felix ist da, wir wollen ein Essen für drei, das genügt, eine halbe Stunde später liefert er.“
Auf dem Weg zurück, hielt Robert seine Augen im Zaum, er wurde mit der Fülle des Angebotenen nicht fertig. Seine, und seiner Familie Kümmerexistenz, verglichen mit den Möglichkeiten der Menschen die hier einkaufen konnten, brachten ihn um seine Balance. Wir sind keine Menschen ging ihm auf, noch nicht einmal Tiere sind wir. Welches Tier haust so erbärmlich wie wir? Er sah wie die Metzger Fleisch beschnitten. Der Abfall landete in einer Tonne, der Rest aus dieser Tonne, nachdem er sorgfältig sortiert worden war, auf dem Müll.
Ondurman wusste, wie es in seinem Begleiter arbeitete. Er hatte ihm mit Vorbedacht, die ungeheure Kluft zwischen der Existenz eines Müllflederers, und seiner vor Augen geführt. Felix würde dort ansetzen, Robert erklären, nicht ich und Achmed sind afrikanische Realität, sondern Sie Robert und Ihre Familie. Europa ist der Basar, gefüllt mit allem was Menschen sich wünschen. Europa, das über fünf Jahrhunderte, die afrikanische Identität zerstört hat. Afrikaner versklavte, willkürliche Grenzen zog, Völker und Kulturen teilte, heute den korrupten Eliten half, diese unnatürlichen Grenzen für sakrosankt zu erklären. Sogar Kriege unterstützte, die um diese Grenzen geführt wurden, weil Völker sich mit ihren Stammesbrüdern vereinen wollten. Europa das seit fünf Jahrzehnten diese Kleptokraten mit Geld fütterte, die Zahlungen als Entwicklungshilfe ausgab, Zinsen und Rückzahlungen jedoch von den betrogenen Armen Afrikas verlangte. Jetzt waren Afrikaner unterwegs nach Europa, und Europa wehrte sich. Diesen Widerstand zu unterlaufen, war sein und Felix‘ Plan.
Als sie zurückkamen, legte Felix eben das Heft aus der Hand. „Erstaunlich Ms. Robert, was Sie da aufgeschrieben haben,“ erklärte er kopfschüttelnd. „Wie Sie leben, können Sie keine Universität besucht haben, des ungeachtet entwickeln Sie ein Organigramm, wie ein Hochschulabsolvent das nicht besser könnte. Achmed ich bin ganz deiner Meinung, Ms. Robert, sollte der Mann werden, der uns hilft unseren Plan umzusetzen.“
Robert sah von Einem zum Anderen, bevor er den Mund aufmachen konnte, griff Achmed ein, und verbot während des Essens, das sofort aufgetragen werden würde, jegliche geschäftliche Erörterung. Böse Dchinns werden uns mit jedem Bissen in die Eingeweide fahren, dort furchtbar wüten, warnte er. Nachdem wir gesättigt, klären wir alles bei einem Tschibuk, und einigen Gläschen Tee.
Felix und Achmed machten sich über die herrlichen Fische her, die gebraten, gesotten und gekocht, mit kleinen Soßenchälchen verschiedensten Inhalts angerichtet waren. Robert saß da, die Hände im Schoß, und sah zu. Felix wollte ihn auffordern zuzugreifen, als ihm plötzlich aufging, der arme Mann hatte noch nie an einem reichaltig gedecktem Tisch gesessen.
Ohne Federlesens nahm er Roberts Teller, garnierte Fisch, Reis und Soßen so geschickt, dass alles unvermischt blieb und reichte ihn zurück. Robert bedankte sich, nahm Messer und Gabel und versuchte die Gräte, so wie er das Achmed tun sah, aus einem Fisch zu ziehen. Daraus wurde nichts, binnen kurzen war Fisch, Gräte und Haut ineinander verwickelt. So geht das also nicht, stand ihm bei seinen hilflosen Bemühen ins Gesicht geschrieben.
Achmed wusste Rat, er rief das Mädchen und befahl, seinem Gast sämtliche Fische ohne Gräte vorzulegen.
Erstmals in seinem Leben aß Robert keinen Hirsebrei um seinen Hunger zu stillen. Fisch war für ihn immer unerschwinglich gewesen, nie hatte er einen Gedanken an die Tiere als Nahrung verschwendet. Jetzt war sein Mund voll Fisch, an den Minen seiner Tischgenossen abzulesen, köstlichem Fisch. Was schmecke ich, versuchte er zu ergründen, und konnte nur mit Mühe die Sehnsucht nach dem Hirsebrei unterdrücken, den seine liebe Nellie so unvergleichlich zubereitete.