Fluchten Teil 10
Robert kletterte herunter aus der Luke, und ließ sich neben Darja auf den Beifahrersitz fallen. „Merde!“ fluchte er, „das hätte ins Auge gehen können.“ Darja seufzte, und Robert sah, wie ihre Hände das Lenkrad umklammerten. Er fragte ob er fahren solle, als Antwort trat sie aufs Gaspedal.
Darja kämpfte verzweifelt mit ihrer Angst, die sich ihrer jetzt, da die unmittelbare Gefahr gebannt, bemächtigte. Mit all der in ihr steckenden Kraft, stemmte sie sich gegen das Zittern der Knie und das Flattern der Hände. Sie machte sich keine Illusionen über ihr Schicksal in den Händen der Wegelagerer. Robert hätte keine Minute überlebt und auch sie wäre, nach dem die Bande sich reichlich ihrer bedient, erschlagen worden. Was ihr Furcht einjagte, war die Möglichkeit weiterer Hinterhalte. Sollte die Gangster an verschiedenen Stellen der Piste operieren, standen sie sicher in Funkverbindung. Der nächste holdeup wäre über unsere Entschlossenheit uns zu wehren informiert; mit der Konsequenz es würde geschossen bevor wir eine Gefahr für die Bande wurden. Das hieß: Null Chance! Sie schielte rüber zu Robert. Der hockte mit schmalen Augen auf seinem Sitz, machte nicht den Eindruck eines Siegers.
„Robert,“ sprach sie ihn an, aber er winkte ab: „Einen Moment bitte, lass mich nachdenken, Darja.“
Sie konzentrierte sich auf die Piste, drosselte das Tempo, überschlug im Kopf welche Umwege sie sich mit ihrem Spritvorrat leisten konnten. Umfahren, das war die einzige Möglichkeit die ihnen blieb. Vorzeitig erkennen, und weiträumig umfahren.
Robert nahm ihre Schulter, hauchte ihr einen Kuss auf‘s Ohr und flüsterte: „Wird werden Mädchen, wir lassen uns nicht unterkriegen!“ Bevor er weitere Tröstungen spendete, unterbrach sie: „Schon einverstanden, aber wie?“
„Also das ist so, nein falsch, ich sehe das so, hör mal gut zu.“ Und er legte ihr haarklein ihre eigenen Folgerungen dar. Funkgerät, beschießen aus der Entfernung, ausweichen durch Umfahren bevor sie gesichtet wurden und reicht der Sprit?
Darja atmete auf, „Genau so, das ist unsere einzige Chance!“
„Das heißt, Darja, ich setze mich oben auf‘s Dach, bleib nicht in der Luke stehen, gibt schätze ich ein plus von vierzig Zentimeter an Höhe, ca. einen Kilometer mehr Fernsicht. Die werden auch Ferngläser haben, müssen sich aber nicht die Mühe machen, uns so zeitig zu erkennen. Wir laufen auf die zu, wie der Aal auf die Reuse.
Für Robert wurden es qualvolle Stunden auf dem heißen Dach. Um die Zeit tot zuschlagen, zählte er bis zweihundertfünfzig, hundert oder auch vierhundert, dann das Glas vor die Augen, und hineinspähen in die immer gleiche gelb, graue Ödnis. Nach jedem Spähblick meldete er hinunter zum Maschinenraum, Steuermann voraus freie See, kein Eisberg in Sicht. Eisberg, an die Vorstellung klammerte er sich. Würde er je im Leben einem solch kühlen Monster begegnen, hineingraben würd er sich mit Zähnen und Klauen, stellte er sich vor.
Wasser und Eis hatten ihn im Griff. Das lauwarme Gesöff, von Darja alle halbe Stunde heraufgereicht, löschte seinen Durst nicht. Bewahrte ihn vor der Austrocknung, verstärkte jedoch mit jedem labrigen Schluck seine Sehnsucht nach kaltem Eisberg. Die Sonne schien an den Himmel genagelt, wie oft er an diesem Tag ihren Abstand zu Horizont abgeschätzt, hatte er nicht gezählt. Nur die Vermutung, sie würde niemals mehr sinken, krallte sich jenseits besseren Wissens in sein Bewusstsein.
Mit den verfließenden Stunden, verfiel er in eine Art Trance, die ihm das Gefühl für die Zeit nahm. Einzig seine Angst vor der Gefahr, die jederzeit am Horizont auftauchen konnte, hielt ihn wach und seine Augen scharf.
Plötzlich stieß Darjas Stimme hinein in diese Melange von wachen, dösen und träumen. „Robert hinter uns eine Riesenstaubwolke!“
Augenblicklich ließ er sich in den Wagen fallen, stellte sich auf den Sitz den Rücken zur Fahrtrichtung, sah die Wolke hoch am Himmel, und darunter die Quelle, ein schnell näherkommender schmaler Staubkeil. Durch das Glas erkannte er zwei vierachsige Panzerwagen mit den Abzeichen der Republik.
„Es sind Soldaten! Darja, rief er zu ihr hinunter, Soldaten!“
Darja nahm den Fuß vom Gas, ließ den Wagen mit kleiner Geschwindigkeit rollen. Robert riss sich das Hemd vom Leib und schwenkte den Lappen wie besessen. Als höchstens noch ein Kilometer zwischen ihnen und den Militärwagen war, lenkte Darja den Rover von der Piste, sprang raus und beide stellten sich den heranbrausenden Ungetümen in den Weg. Kurz vor ihnen stoppten die Panzer, einen alle Sicht nehmenden Staubschwall produzierend. Als die Wolke sich gelegt hatte, Darja und Robert, die Hände von den Augen nahmen, sich vorsichtig blinzelnd orientierten, hörten sie eine erstaunte Stimme fragen: „Madame Darja, um Gottes Willen, was hat sie in diese gefährliche Einöde verschlagen?“
Die Person die zu der Stimme gehörte, war der Kommandant der Patrouille. Er gab Darja die Hand, maß Robert mit einem kurzen Blick, legte die Hand an den Helm, und stellte sich als Captain Paul Gifre vor. Einen winzigen Moment war Robert verblüfft, doch fasste er sich sofort, deutete eine Verbeugung an und stellte sich vor: „Robert Memba, mit Madame Darja in Geschäften auf dem Wege nach Timbuktu.“
Der Captain verzog das Gesicht. „Nach Timbuktu? Das lassen sie lieber, seit gestern tobt ein Aufruhr im Land, Timbuktu und Hatta sind in der Hand der Aufständischen, nichts davon gehört?“
Darja berichtete sie seien seit gestern, vier Uhr früh, unterwegs und außer einem holdup, dem sie entkommen konnten, auf keine Menschen gestoßen.
Der Captain pfiff leise durch die Zähne, dann erklärte er: „Nach Ihnen ist eine Reisegruppe überfallen worden, Touristen, die waren arglos und unbewaffnet. Zwei einheimische Führer fanden wir tot an der Piste, von den Touristen, zwei Männern und zwei Frauen fehlt jede Spur.
Was haben sie jetzt vor? Weiter nach Timbuktu zu fahren wäre tödlich, schließen sie sich uns an, wir sind in sechs Stunden mit einem Militärkonvoi verabredet, der nach Hatta fährt, der kann sie mitnehmen. So weit ich unterrichtet bin, herrscht in Hatta spätestens morgen wieder Ruhe. Was Agadez angeht, Madame Darja, hat es Zusammenrottungen gegeben und im Souk ist einiges zu Bruch gegangen. Weiter weiß ich nichts, wir haben keinen Militärposten dort, wie sie wissen. Außer einer Streife alle sechs bis acht Wochen, war das bisher nicht nötig. An den Aufenthalt anlässlich solcher Streifen, Madame, in Ihrem Hause erinnern sich meine Kameraden und ich, immer gern. Das beste Restaurant zwischen Kairo und Lagos.“
„Danke Captain,“ freute sich Darja, „sie übertreiben nicht einmal, wer betreibt schon ein Restaurant in der Sahara? Was mich beunruhigt sind die Unruhen in Agadez, muss ich mir Sorgen machen?“
„Wie gesagt, Madame, es gab Rangeleien im Souk, mehr erfahren wir sobald wir den Konvoi getroffen haben. Ich glaube Sorgen müssen sie sich nicht machen. Ein Aufstand in Agadez ist blitzschnell niedergeschlagen, Aufrührer sind auf Nachschub angewiesen, Nachschub über Wege die sie kontrollieren. Erfahrene Unruhestifter meiden Plätze wie Agadetz. Madame wir müssen weiter, sie schließen sich uns an?“
„Selbstverständlich, Captain, aber wie sollen wir bei Ihrem Tempo mithalten?“
„Kein Problem, Madame, wir nehmen sie ins Schlepp.“
Captain Gifre bellte einen Befehl, sofort standen die Besatzungen beider Panzer bereit, hoben die Hinterräder des Landrover auf ein Vorrichtung und fixierten die Vorderräder so, dass sie ein wenig auspendeln konnten. Robert und Darja kletterten auf ihre jetzt etwas abschüssigen Sitze und schon waren sie unterwegs.
Erst einmal sagten beide nichts, dann zwängte sich Darja in die hintere Abteilung und reichte Robert zwei Flaschen Bier. Bevor sie wieder saß, hatte Robert die Kronenkorken mit den Zähnen abgerissen und seine Flasche am Hals. Fasziniert beobachtete Darja, seinen bei jedem Schluck auf und abhüpfenden Adamsapfel. Als er die leere Flasche absetzte, sie mit leicht glasigen Augen ansah, etwas sagen wollte, hielt sie ihm schnell ihre Flasche an den Mund, und er trank gehorsam noch einmal die ganze Flasche.
„O Gott,“ stöhnte er als er ausgetrunken hatte, „das war der Eisberg der auf der Höllenfahrt um die Ecke stets auf mich lauerte.“
„War es sehr schlimm, du Armer?“ Darja nahm seine Hand und küsste seine Finger.
„Ja, war schlimm, hab schon viel Schlimmes erduldet, aber dies war kein erdulden, konntest dich nicht drein schicken, und hoffen es geht vorüber. Da oben musstest du wach bleiben, hellwach und träumtest und döstest doch vor dich hin, während deine Erschöpfung mit deinem Gewissen rang. Gewissen, Darja, nicht zu hoch gegriffen. Pflichtbewusstsein wäre nicht stark genug. Angst und Gewissen, waren die Peitschen die mich wach hielten. Was soll‘s, ist überstanden und vorbei. Jetzt, mit den zwei hastig heruntergestürzten Flaschen, fallen mir die Augen zu.“ Seine letzten Worte waren schon undeutlich und gingen in Schnarchen über.
Darja kroch nach hinten und packte um, schob die Vordersitze soweit zurück, dass Liegesitze entstanden. Als sie fertig war, hatte sie keinen trockenen Faden mehr am Leib, würde jedoch in fünf Minuten pulvertrocken sein. Im Windschatten des Panzers war es irrsinnig heiß, sie ließ die Fenster einen winzigen Spalt herunter, und empfand die sie umspielende heiße Luft, als kühle Wohltat. Davon gekommen, summte eine Stimme tief in ihrem Kopf. Haarscharf davon gekommen. Ohne Roberts Kaltblütigkeit, würden sie zwei fliegenübersähte, an der Piste vertrocknende Leichen sein.
Was wird aus Achmed in Hatta geworden sein? Beliebt waren er uns seine Sippe nicht, von seinen Söhnen hatte sie nur Übles gehört. Achmed hatte sie immer als korrekten Partner erlebt, auch gehört, er habe sich geschäftlich von seinen Söhnen getrennt.
Nur der Mob machte da keinen Unterschied, hatte den die Mordlust erst gepackt. Höchstfraglich war, ob das Projekt noch wie geplant durchzuführen war. Ohne Achmed lief nichts, für sie wäre es das Klügste ihren Arsch auf schnellstem Wege zurück nach Hause zu bewegen.
Nach des Captains Auskunft war es in Agadez ziemlich ruhig, mehr würde sie bald hören. Blieb Robert, dass ihr das ausgerechnet jetzt passieren musste. Sie stand in Flammen, loderte. Sie war verliebt in den Kerl, der nichts anderes als seine Nellie und die Kinder im Kopf hatte. Naja, mögen wird er mich, war zu spüren, aber gegen seine Familie komm ich nicht an. Will ihn nicht heiraten, brauche keine Kinder. Robert als Liebhaber pflegen, wäre ein Ausweg. Sollte Achmed nicht mehr leben, ist er auf jeden Fall aufgeschmissen. Hat er Pech, fliegt er zurück ins Dreckloch. Könnte ich dagegenhalten? Sicher, ihn nach Agadez kommen lassen, da find ich was für ihn samt Familie. Doch zur Familie gehört Nellie, wenn die den Braten röche, ging die lieber zurück ins Dreckloch, als mir ihren Robert zu gönnen.
Hätte sofort nein sagen sollen, als Felix mich heiß auf die Sache machte. Was mich lockte war die schöne Kopfprämie, konnt nicht nein sagen. Obendrein wäre den armen Teufeln geholfen worden. Wird sich alles entscheiden, jetzt erst mal schlafen.
Sie wurden wach als ihr Rover auf den Boden knallte. Captain Gifre stand am Fenster: „Ein wenig poltrig das Erwachen, Madame,“grinste er. „Wir haben neue Order, müssen ohne Verzug weiter. Ich habe sie Colonel Ngeda empfohlen, ein Freund, der hängt sie an und nimmt sie mit nach Hatta. Bleiben sie im Auto bis sie angehängt sind, wenn sie sich frisch machen wollen, bitte nur einzeln. Einer immer beim Auto bleiben. Au revoir, bis später einmal in Agadez!“
„Frisch machen täte not, Robert, nur wo?“ „Bleib hier Darja, wie Gifre das empfohlen hat, ich finde das raus.“
Robert sah sich um, ein Trupp Soldaten lungerten um einen Lastwagen. Er fragte nach der Latrine. Hundert Meter weiter am Flussufer, zeigten sie. Am Ufer waren Stangen, darauf Soldaten, die direkt in den Fluss schissen. Robert setzte sich dazu, und erleichterte sich. Das war nichts für Darja. Er fragte ob es auch Stangen für Frauen gäbe, die Antwort war Kopfschütteln, Frauen, Frauen gibt’s hier nicht. In weitem Bogen ging er zurück zum Wagen, auf der Suche nach einer brauchbaren Deckung für Darja und ihr Geschäft.
Beim Auto standen zwei Wachen aber keine Darja. Die Kerle kriegten das Maul nicht auf, sprachen einen ihm fremden Dialekt und kaum Französisch. Er verstand nur Colonel und Madame. Er wollte in den Wagen, doch das ließen sie nicht zu, also setzte er sich in den Sand und wartete. Die Zeit wurde ihm nicht lang, gab genug zu bedenken und leider auch zu befürchten. Um Nellie und die Kinder machte er sich keine Sorgen, es hatte schon öfter Aufstände und Revolten gegeben, deren Ziel aber nie die Armen waren. Anders war das mit Achmed. Der lebte in seinem herrschaflichen Haus auf dem Präsentierteller, wie geschaffen für getretene, am Rande des Hungers Lebende, endlich einmal Zurückzuschlagen. Er kannte dieses Gefühl nur zu genau, musste nur die Augen schließen, vergessen was in den letzten Wochen geschehen, schon war die kalte Wut zurück, die ihn jahrelang beherrscht hatte. Da war er schon am Kern seines Problems. Was würde, wenn es Achmed nicht mehr gab? Er musste nicht tot sein, irgendwelche Beschützer hatte ein so viele Jahre zu den ersten Geschäftsleuten der Stadt Gehörender sicher. Vielleicht schlüge es zum Guten für ihn aus. Da war immer noch das Müllgeschäft, brauchte nicht allzuviel Geld, um das anzukurbeln. Außerdem war das sicherer, sein erster Ausflug zeigte überdeutlich, wie prekär auch ohne Aufstand, seine Lage vor noch nicht einmal einem Tag gewesen war.
Nicht auszudenken was aus Nellie und den Kindern geworden wäre, wenn ihn die Banditen erschlagen hätten. Nellie, er hatte sie seit er Darja getroffen in den Hintergrund gedrängt, aber präsent war sie stets. Selbst beim Liebestaumel der ersten Nacht war sie da.
Darja, er biss die Zähne zusammen bis es schmerzte, auch für sie würden Entscheidungen zu treffen sein. Was hatte sie in Hatta verloren? Timbuktu war ihr Ziel gewesen, nun, mit der erst einmal verlorenen Perspektive, konnte es für sie nur heißen: Zurück nach Agadez. Sollte sie ihn fragen, würde er dazu raten. Die Frage war, wie kam sie hin? Über die Piste nie und nimmer, wäre Selbstmord. Also was tun? Was tun, Robert? Was wird aus ihr, Darja war kein one nite stand. Darja war mehr, viel mehr, so viel mehr, er wusste es nicht in Worte zu fassen, was sie für ihn war. Stopp nicht lügen, Schwester Eloise, hatte es Gewissenserforschung genannt. „Egal was sein mag, selbst wenn es schmerzt wie glühendes Eisen in der Hand, suche die Wahrheit! Nur mit der Wahrheit, Robert, ist Leben gelebt. Ist nicht für heute, mein Junge, gedenke meiner Worte in der Stunde!“ Ihr Gesicht war heilig geworden, als sie so zu ihm sprach. Das heilige Gesicht hatte sie auch, wenn Pater Pierre, ihr die Hostie auf die Zunge legte.
Nach Schwester Eloise hieß das auspacken. Alles weglegen was sich in Jahren dort angesammelt, wo Darja jetzt so viel Raum einnahm. Nellie und er, Vater und Mutter, Mann und Frau. Zwei Menschen, die zwanzig Jahre in emsigster Arbeit verbracht, ihre Kinder zu ernähren. Zwanzig Jahre die nicht zu tilgen, aber kein Grund waren Darja nicht lieben zu dürfen. Liebe, liebte er Darja anders als er Nellie, als sie jung war, geliebt hatte? Nicht anders, sondern unvergleichbar anders. Nicht das kaum zu zügelnde Verlangen nach ihrem Leib, war Darja. Darja waren seine Worte, sein Sehen, Riechen, Hören,Schmecken. Darja war Lachen, Weinen, Schmerz, Trauer, Wut und Erlösung. Darja war Sonnenauf und Untergang. Die Reise des Mondes und sein Wettbewerb mit den Sternen.
Dann stand sie vor ihm, sah ihn an mit ihren Namaaugen, die in der Iris die Goldkörnchen vom Veld der Kalahari bewahrten. Neben ihr ein baumlanger Colonel. Robert sprang auf, der Lange überragte ihn um einen Kopf und lachte ihn an: „Hast gedacht wärst länger als ich, Robert?“ fragte er, und reichte ihm die Hand. Madame hat mir erzählt was euch widerfuhr, habt Schwein gehabt, hast gute Arbeit geleistet, Robert, hättest du die Uzzi einen halben Meter tiefer gehalten, wärst du jetzt ein Lebenretter.“
Robert zog die Schultern hoch, „bin kein Soldat Colonel, hab das Töten nicht so drauf, will gelernt sein, nehm ich an?“
„Stimmt Robert, kostet viel Überwindung. Als ich meinen ersten Mann tot schoss, war ich nachher tagelang krank.“
„Robert,“ unterbrach Darja, „ich muss dir was sagen. Der Colonel gibt mir die Gelegenheit, in zwei Stunden mit einem Hubschrauber der nach Agadez fliegt mitzukommen, ist eine einmalige Chance für mich. Was soll ich in Hatta. Wenn du einverstanden bist, nimmst du den Rover, bringst ihn mir zurück nach Agadez sobald wieder Ruhe ist und wir sehen was weiter wird.“
Robert sah den langen Colonel und Darja an, fühlte sich selbst nicht mehr. Bin ich noch da, dachte er? Ist das meine Geliebte, die Frau da vor mir, die das Netz in das sich unsere Liebe so behutsam gefangen, jäh zerreißt? Nach Agadez, mit dem Colonel?
„Ich kann aber in der Stadt nicht fahren, Darja, versuchte er einen schwachen Einwand.“
„Ist nicht nötig, Robert, beruhigte Colonel Ngeda, wir hängen das Auto an eins von unseren, du fährst vorn bei mir mit. Ich liefere dich ab, wo du willst. Ich veranlasse alles Nötige, reicht eine Stunde Darja?“
Darja nickte, Ngeda ging. Robert war erleichtert, Ngeda flog nicht mit nach Agadez, halleluja. Ein erster Eifersuchtsanfall war das, stellte er fest.
Zu Darja sagte er: „Die einzig richtige Entscheidung. Eine solche Gelegenheit kommt nicht wieder. Mir zerreißt es das Herz. Leg dein Ohr an meine Brust und hör mich weinen. Vernünftiges verlang nicht von mir, Liebste, ich möchte Träne sein, weiß aber, es ist eines Mannes nicht würdig.
Darja umschlang seinen Hals, zog seinen Mund zu ihrem herunter. Sie küssten sich, zuerst atemlos voll Verlangen, dann zärtlich und immer zärtlicher, bis ihre Lippenpaare wie Schmetterlingsflügel übereinander huschten.
Nachdem sie voneinander abgelassen, wurde Darja wieder geschäftlich. Sie suchte ihr Zeug zusammen, dazu gehörte die Uzzi und die Pistole. Robert bekam das Handy, im Register sind alle wichtigen Nummern gespeichert, erklärte sie. „Du kannst mich, wenn du Sehnsucht nach mir hast anrufen. Ich rufe dich, deiner Nellie wegen, nicht an. Au revoir, Liebster, bis hoffentlich bald in Agadez. Bitte vergiss mich nicht, lass mich schnell gehen, sonst weiß ich nicht was ich tue.“
Sie stieg in den Jeep den der Colonel geschickt hatte, ihre flatternde, winkende Hand war zuviel für Robert. Er verkroch sich in den Rover, schlug die Hände vor’s Gesicht, und wartete auf das plop-plop des Hubschraubers wie auf seine Hinrichtung.
Robert kletterte herunter aus der Luke, und ließ sich neben Darja auf den Beifahrersitz fallen. „Merde!“ fluchte er, „das hätte ins Auge gehen können.“ Darja seufzte, und Robert sah, wie ihre Hände das Lenkrad umklammerten. Er fragte ob er fahren solle, als Antwort trat sie aufs Gaspedal.
Darja kämpfte verzweifelt mit ihrer Angst, die sich ihrer jetzt, da die unmittelbare Gefahr gebannt, bemächtigte. Mit all der in ihr steckenden Kraft, stemmte sie sich gegen das Zittern der Knie und das Flattern der Hände. Sie machte sich keine Illusionen über ihr Schicksal in den Händen der Wegelagerer. Robert hätte keine Minute überlebt und auch sie wäre, nach dem die Bande sich reichlich ihrer bedient, erschlagen worden. Was ihr Furcht einjagte, war die Möglichkeit weiterer Hinterhalte. Sollte die Gangster an verschiedenen Stellen der Piste operieren, standen sie sicher in Funkverbindung. Der nächste holdeup wäre über unsere Entschlossenheit uns zu wehren informiert; mit der Konsequenz es würde geschossen bevor wir eine Gefahr für die Bande wurden. Das hieß: Null Chance! Sie schielte rüber zu Robert. Der hockte mit schmalen Augen auf seinem Sitz, machte nicht den Eindruck eines Siegers.
„Robert,“ sprach sie ihn an, aber er winkte ab: „Einen Moment bitte, lass mich nachdenken, Darja.“
Sie konzentrierte sich auf die Piste, drosselte das Tempo, überschlug im Kopf welche Umwege sie sich mit ihrem Spritvorrat leisten konnten. Umfahren, das war die einzige Möglichkeit die ihnen blieb. Vorzeitig erkennen, und weiträumig umfahren.
Robert nahm ihre Schulter, hauchte ihr einen Kuss auf‘s Ohr und flüsterte: „Wird werden Mädchen, wir lassen uns nicht unterkriegen!“ Bevor er weitere Tröstungen spendete, unterbrach sie: „Schon einverstanden, aber wie?“
„Also das ist so, nein falsch, ich sehe das so, hör mal gut zu.“ Und er legte ihr haarklein ihre eigenen Folgerungen dar. Funkgerät, beschießen aus der Entfernung, ausweichen durch Umfahren bevor sie gesichtet wurden und reicht der Sprit?
Darja atmete auf, „Genau so, das ist unsere einzige Chance!“
„Das heißt, Darja, ich setze mich oben auf‘s Dach, bleib nicht in der Luke stehen, gibt schätze ich ein plus von vierzig Zentimeter an Höhe, ca. einen Kilometer mehr Fernsicht. Die werden auch Ferngläser haben, müssen sich aber nicht die Mühe machen, uns so zeitig zu erkennen. Wir laufen auf die zu, wie der Aal auf die Reuse.
Für Robert wurden es qualvolle Stunden auf dem heißen Dach. Um die Zeit tot zuschlagen, zählte er bis zweihundertfünfzig, hundert oder auch vierhundert, dann das Glas vor die Augen, und hineinspähen in die immer gleiche gelb, graue Ödnis. Nach jedem Spähblick meldete er hinunter zum Maschinenraum, Steuermann voraus freie See, kein Eisberg in Sicht. Eisberg, an die Vorstellung klammerte er sich. Würde er je im Leben einem solch kühlen Monster begegnen, hineingraben würd er sich mit Zähnen und Klauen, stellte er sich vor.
Wasser und Eis hatten ihn im Griff. Das lauwarme Gesöff, von Darja alle halbe Stunde heraufgereicht, löschte seinen Durst nicht. Bewahrte ihn vor der Austrocknung, verstärkte jedoch mit jedem labrigen Schluck seine Sehnsucht nach kaltem Eisberg. Die Sonne schien an den Himmel genagelt, wie oft er an diesem Tag ihren Abstand zu Horizont abgeschätzt, hatte er nicht gezählt. Nur die Vermutung, sie würde niemals mehr sinken, krallte sich jenseits besseren Wissens in sein Bewusstsein.
Mit den verfließenden Stunden, verfiel er in eine Art Trance, die ihm das Gefühl für die Zeit nahm. Einzig seine Angst vor der Gefahr, die jederzeit am Horizont auftauchen konnte, hielt ihn wach und seine Augen scharf.
Plötzlich stieß Darjas Stimme hinein in diese Melange von wachen, dösen und träumen. „Robert hinter uns eine Riesenstaubwolke!“
Augenblicklich ließ er sich in den Wagen fallen, stellte sich auf den Sitz den Rücken zur Fahrtrichtung, sah die Wolke hoch am Himmel, und darunter die Quelle, ein schnell näherkommender schmaler Staubkeil. Durch das Glas erkannte er zwei vierachsige Panzerwagen mit den Abzeichen der Republik.
„Es sind Soldaten! Darja, rief er zu ihr hinunter, Soldaten!“
Darja nahm den Fuß vom Gas, ließ den Wagen mit kleiner Geschwindigkeit rollen. Robert riss sich das Hemd vom Leib und schwenkte den Lappen wie besessen. Als höchstens noch ein Kilometer zwischen ihnen und den Militärwagen war, lenkte Darja den Rover von der Piste, sprang raus und beide stellten sich den heranbrausenden Ungetümen in den Weg. Kurz vor ihnen stoppten die Panzer, einen alle Sicht nehmenden Staubschwall produzierend. Als die Wolke sich gelegt hatte, Darja und Robert, die Hände von den Augen nahmen, sich vorsichtig blinzelnd orientierten, hörten sie eine erstaunte Stimme fragen: „Madame Darja, um Gottes Willen, was hat sie in diese gefährliche Einöde verschlagen?“
Die Person die zu der Stimme gehörte, war der Kommandant der Patrouille. Er gab Darja die Hand, maß Robert mit einem kurzen Blick, legte die Hand an den Helm, und stellte sich als Captain Paul Gifre vor. Einen winzigen Moment war Robert verblüfft, doch fasste er sich sofort, deutete eine Verbeugung an und stellte sich vor: „Robert Memba, mit Madame Darja in Geschäften auf dem Wege nach Timbuktu.“
Der Captain verzog das Gesicht. „Nach Timbuktu? Das lassen sie lieber, seit gestern tobt ein Aufruhr im Land, Timbuktu und Hatta sind in der Hand der Aufständischen, nichts davon gehört?“
Darja berichtete sie seien seit gestern, vier Uhr früh, unterwegs und außer einem holdup, dem sie entkommen konnten, auf keine Menschen gestoßen.
Der Captain pfiff leise durch die Zähne, dann erklärte er: „Nach Ihnen ist eine Reisegruppe überfallen worden, Touristen, die waren arglos und unbewaffnet. Zwei einheimische Führer fanden wir tot an der Piste, von den Touristen, zwei Männern und zwei Frauen fehlt jede Spur.
Was haben sie jetzt vor? Weiter nach Timbuktu zu fahren wäre tödlich, schließen sie sich uns an, wir sind in sechs Stunden mit einem Militärkonvoi verabredet, der nach Hatta fährt, der kann sie mitnehmen. So weit ich unterrichtet bin, herrscht in Hatta spätestens morgen wieder Ruhe. Was Agadez angeht, Madame Darja, hat es Zusammenrottungen gegeben und im Souk ist einiges zu Bruch gegangen. Weiter weiß ich nichts, wir haben keinen Militärposten dort, wie sie wissen. Außer einer Streife alle sechs bis acht Wochen, war das bisher nicht nötig. An den Aufenthalt anlässlich solcher Streifen, Madame, in Ihrem Hause erinnern sich meine Kameraden und ich, immer gern. Das beste Restaurant zwischen Kairo und Lagos.“
„Danke Captain,“ freute sich Darja, „sie übertreiben nicht einmal, wer betreibt schon ein Restaurant in der Sahara? Was mich beunruhigt sind die Unruhen in Agadez, muss ich mir Sorgen machen?“
„Wie gesagt, Madame, es gab Rangeleien im Souk, mehr erfahren wir sobald wir den Konvoi getroffen haben. Ich glaube Sorgen müssen sie sich nicht machen. Ein Aufstand in Agadez ist blitzschnell niedergeschlagen, Aufrührer sind auf Nachschub angewiesen, Nachschub über Wege die sie kontrollieren. Erfahrene Unruhestifter meiden Plätze wie Agadetz. Madame wir müssen weiter, sie schließen sich uns an?“
„Selbstverständlich, Captain, aber wie sollen wir bei Ihrem Tempo mithalten?“
„Kein Problem, Madame, wir nehmen sie ins Schlepp.“
Captain Gifre bellte einen Befehl, sofort standen die Besatzungen beider Panzer bereit, hoben die Hinterräder des Landrover auf ein Vorrichtung und fixierten die Vorderräder so, dass sie ein wenig auspendeln konnten. Robert und Darja kletterten auf ihre jetzt etwas abschüssigen Sitze und schon waren sie unterwegs.
Erst einmal sagten beide nichts, dann zwängte sich Darja in die hintere Abteilung und reichte Robert zwei Flaschen Bier. Bevor sie wieder saß, hatte Robert die Kronenkorken mit den Zähnen abgerissen und seine Flasche am Hals. Fasziniert beobachtete Darja, seinen bei jedem Schluck auf und abhüpfenden Adamsapfel. Als er die leere Flasche absetzte, sie mit leicht glasigen Augen ansah, etwas sagen wollte, hielt sie ihm schnell ihre Flasche an den Mund, und er trank gehorsam noch einmal die ganze Flasche.
„O Gott,“ stöhnte er als er ausgetrunken hatte, „das war der Eisberg der auf der Höllenfahrt um die Ecke stets auf mich lauerte.“
„War es sehr schlimm, du Armer?“ Darja nahm seine Hand und küsste seine Finger.
„Ja, war schlimm, hab schon viel Schlimmes erduldet, aber dies war kein erdulden, konntest dich nicht drein schicken, und hoffen es geht vorüber. Da oben musstest du wach bleiben, hellwach und träumtest und döstest doch vor dich hin, während deine Erschöpfung mit deinem Gewissen rang. Gewissen, Darja, nicht zu hoch gegriffen. Pflichtbewusstsein wäre nicht stark genug. Angst und Gewissen, waren die Peitschen die mich wach hielten. Was soll‘s, ist überstanden und vorbei. Jetzt, mit den zwei hastig heruntergestürzten Flaschen, fallen mir die Augen zu.“ Seine letzten Worte waren schon undeutlich und gingen in Schnarchen über.
Darja kroch nach hinten und packte um, schob die Vordersitze soweit zurück, dass Liegesitze entstanden. Als sie fertig war, hatte sie keinen trockenen Faden mehr am Leib, würde jedoch in fünf Minuten pulvertrocken sein. Im Windschatten des Panzers war es irrsinnig heiß, sie ließ die Fenster einen winzigen Spalt herunter, und empfand die sie umspielende heiße Luft, als kühle Wohltat. Davon gekommen, summte eine Stimme tief in ihrem Kopf. Haarscharf davon gekommen. Ohne Roberts Kaltblütigkeit, würden sie zwei fliegenübersähte, an der Piste vertrocknende Leichen sein.
Was wird aus Achmed in Hatta geworden sein? Beliebt waren er uns seine Sippe nicht, von seinen Söhnen hatte sie nur Übles gehört. Achmed hatte sie immer als korrekten Partner erlebt, auch gehört, er habe sich geschäftlich von seinen Söhnen getrennt.
Nur der Mob machte da keinen Unterschied, hatte den die Mordlust erst gepackt. Höchstfraglich war, ob das Projekt noch wie geplant durchzuführen war. Ohne Achmed lief nichts, für sie wäre es das Klügste ihren Arsch auf schnellstem Wege zurück nach Hause zu bewegen.
Nach des Captains Auskunft war es in Agadez ziemlich ruhig, mehr würde sie bald hören. Blieb Robert, dass ihr das ausgerechnet jetzt passieren musste. Sie stand in Flammen, loderte. Sie war verliebt in den Kerl, der nichts anderes als seine Nellie und die Kinder im Kopf hatte. Naja, mögen wird er mich, war zu spüren, aber gegen seine Familie komm ich nicht an. Will ihn nicht heiraten, brauche keine Kinder. Robert als Liebhaber pflegen, wäre ein Ausweg. Sollte Achmed nicht mehr leben, ist er auf jeden Fall aufgeschmissen. Hat er Pech, fliegt er zurück ins Dreckloch. Könnte ich dagegenhalten? Sicher, ihn nach Agadez kommen lassen, da find ich was für ihn samt Familie. Doch zur Familie gehört Nellie, wenn die den Braten röche, ging die lieber zurück ins Dreckloch, als mir ihren Robert zu gönnen.
Hätte sofort nein sagen sollen, als Felix mich heiß auf die Sache machte. Was mich lockte war die schöne Kopfprämie, konnt nicht nein sagen. Obendrein wäre den armen Teufeln geholfen worden. Wird sich alles entscheiden, jetzt erst mal schlafen.
Sie wurden wach als ihr Rover auf den Boden knallte. Captain Gifre stand am Fenster: „Ein wenig poltrig das Erwachen, Madame,“grinste er. „Wir haben neue Order, müssen ohne Verzug weiter. Ich habe sie Colonel Ngeda empfohlen, ein Freund, der hängt sie an und nimmt sie mit nach Hatta. Bleiben sie im Auto bis sie angehängt sind, wenn sie sich frisch machen wollen, bitte nur einzeln. Einer immer beim Auto bleiben. Au revoir, bis später einmal in Agadez!“
„Frisch machen täte not, Robert, nur wo?“ „Bleib hier Darja, wie Gifre das empfohlen hat, ich finde das raus.“
Robert sah sich um, ein Trupp Soldaten lungerten um einen Lastwagen. Er fragte nach der Latrine. Hundert Meter weiter am Flussufer, zeigten sie. Am Ufer waren Stangen, darauf Soldaten, die direkt in den Fluss schissen. Robert setzte sich dazu, und erleichterte sich. Das war nichts für Darja. Er fragte ob es auch Stangen für Frauen gäbe, die Antwort war Kopfschütteln, Frauen, Frauen gibt’s hier nicht. In weitem Bogen ging er zurück zum Wagen, auf der Suche nach einer brauchbaren Deckung für Darja und ihr Geschäft.
Beim Auto standen zwei Wachen aber keine Darja. Die Kerle kriegten das Maul nicht auf, sprachen einen ihm fremden Dialekt und kaum Französisch. Er verstand nur Colonel und Madame. Er wollte in den Wagen, doch das ließen sie nicht zu, also setzte er sich in den Sand und wartete. Die Zeit wurde ihm nicht lang, gab genug zu bedenken und leider auch zu befürchten. Um Nellie und die Kinder machte er sich keine Sorgen, es hatte schon öfter Aufstände und Revolten gegeben, deren Ziel aber nie die Armen waren. Anders war das mit Achmed. Der lebte in seinem herrschaflichen Haus auf dem Präsentierteller, wie geschaffen für getretene, am Rande des Hungers Lebende, endlich einmal Zurückzuschlagen. Er kannte dieses Gefühl nur zu genau, musste nur die Augen schließen, vergessen was in den letzten Wochen geschehen, schon war die kalte Wut zurück, die ihn jahrelang beherrscht hatte. Da war er schon am Kern seines Problems. Was würde, wenn es Achmed nicht mehr gab? Er musste nicht tot sein, irgendwelche Beschützer hatte ein so viele Jahre zu den ersten Geschäftsleuten der Stadt Gehörender sicher. Vielleicht schlüge es zum Guten für ihn aus. Da war immer noch das Müllgeschäft, brauchte nicht allzuviel Geld, um das anzukurbeln. Außerdem war das sicherer, sein erster Ausflug zeigte überdeutlich, wie prekär auch ohne Aufstand, seine Lage vor noch nicht einmal einem Tag gewesen war.
Nicht auszudenken was aus Nellie und den Kindern geworden wäre, wenn ihn die Banditen erschlagen hätten. Nellie, er hatte sie seit er Darja getroffen in den Hintergrund gedrängt, aber präsent war sie stets. Selbst beim Liebestaumel der ersten Nacht war sie da.
Darja, er biss die Zähne zusammen bis es schmerzte, auch für sie würden Entscheidungen zu treffen sein. Was hatte sie in Hatta verloren? Timbuktu war ihr Ziel gewesen, nun, mit der erst einmal verlorenen Perspektive, konnte es für sie nur heißen: Zurück nach Agadez. Sollte sie ihn fragen, würde er dazu raten. Die Frage war, wie kam sie hin? Über die Piste nie und nimmer, wäre Selbstmord. Also was tun? Was tun, Robert? Was wird aus ihr, Darja war kein one nite stand. Darja war mehr, viel mehr, so viel mehr, er wusste es nicht in Worte zu fassen, was sie für ihn war. Stopp nicht lügen, Schwester Eloise, hatte es Gewissenserforschung genannt. „Egal was sein mag, selbst wenn es schmerzt wie glühendes Eisen in der Hand, suche die Wahrheit! Nur mit der Wahrheit, Robert, ist Leben gelebt. Ist nicht für heute, mein Junge, gedenke meiner Worte in der Stunde!“ Ihr Gesicht war heilig geworden, als sie so zu ihm sprach. Das heilige Gesicht hatte sie auch, wenn Pater Pierre, ihr die Hostie auf die Zunge legte.
Nach Schwester Eloise hieß das auspacken. Alles weglegen was sich in Jahren dort angesammelt, wo Darja jetzt so viel Raum einnahm. Nellie und er, Vater und Mutter, Mann und Frau. Zwei Menschen, die zwanzig Jahre in emsigster Arbeit verbracht, ihre Kinder zu ernähren. Zwanzig Jahre die nicht zu tilgen, aber kein Grund waren Darja nicht lieben zu dürfen. Liebe, liebte er Darja anders als er Nellie, als sie jung war, geliebt hatte? Nicht anders, sondern unvergleichbar anders. Nicht das kaum zu zügelnde Verlangen nach ihrem Leib, war Darja. Darja waren seine Worte, sein Sehen, Riechen, Hören,Schmecken. Darja war Lachen, Weinen, Schmerz, Trauer, Wut und Erlösung. Darja war Sonnenauf und Untergang. Die Reise des Mondes und sein Wettbewerb mit den Sternen.
Dann stand sie vor ihm, sah ihn an mit ihren Namaaugen, die in der Iris die Goldkörnchen vom Veld der Kalahari bewahrten. Neben ihr ein baumlanger Colonel. Robert sprang auf, der Lange überragte ihn um einen Kopf und lachte ihn an: „Hast gedacht wärst länger als ich, Robert?“ fragte er, und reichte ihm die Hand. Madame hat mir erzählt was euch widerfuhr, habt Schwein gehabt, hast gute Arbeit geleistet, Robert, hättest du die Uzzi einen halben Meter tiefer gehalten, wärst du jetzt ein Lebenretter.“
Robert zog die Schultern hoch, „bin kein Soldat Colonel, hab das Töten nicht so drauf, will gelernt sein, nehm ich an?“
„Stimmt Robert, kostet viel Überwindung. Als ich meinen ersten Mann tot schoss, war ich nachher tagelang krank.“
„Robert,“ unterbrach Darja, „ich muss dir was sagen. Der Colonel gibt mir die Gelegenheit, in zwei Stunden mit einem Hubschrauber der nach Agadez fliegt mitzukommen, ist eine einmalige Chance für mich. Was soll ich in Hatta. Wenn du einverstanden bist, nimmst du den Rover, bringst ihn mir zurück nach Agadez sobald wieder Ruhe ist und wir sehen was weiter wird.“
Robert sah den langen Colonel und Darja an, fühlte sich selbst nicht mehr. Bin ich noch da, dachte er? Ist das meine Geliebte, die Frau da vor mir, die das Netz in das sich unsere Liebe so behutsam gefangen, jäh zerreißt? Nach Agadez, mit dem Colonel?
„Ich kann aber in der Stadt nicht fahren, Darja, versuchte er einen schwachen Einwand.“
„Ist nicht nötig, Robert, beruhigte Colonel Ngeda, wir hängen das Auto an eins von unseren, du fährst vorn bei mir mit. Ich liefere dich ab, wo du willst. Ich veranlasse alles Nötige, reicht eine Stunde Darja?“
Darja nickte, Ngeda ging. Robert war erleichtert, Ngeda flog nicht mit nach Agadez, halleluja. Ein erster Eifersuchtsanfall war das, stellte er fest.
Zu Darja sagte er: „Die einzig richtige Entscheidung. Eine solche Gelegenheit kommt nicht wieder. Mir zerreißt es das Herz. Leg dein Ohr an meine Brust und hör mich weinen. Vernünftiges verlang nicht von mir, Liebste, ich möchte Träne sein, weiß aber, es ist eines Mannes nicht würdig.
Darja umschlang seinen Hals, zog seinen Mund zu ihrem herunter. Sie küssten sich, zuerst atemlos voll Verlangen, dann zärtlich und immer zärtlicher, bis ihre Lippenpaare wie Schmetterlingsflügel übereinander huschten.
Nachdem sie voneinander abgelassen, wurde Darja wieder geschäftlich. Sie suchte ihr Zeug zusammen, dazu gehörte die Uzzi und die Pistole. Robert bekam das Handy, im Register sind alle wichtigen Nummern gespeichert, erklärte sie. „Du kannst mich, wenn du Sehnsucht nach mir hast anrufen. Ich rufe dich, deiner Nellie wegen, nicht an. Au revoir, Liebster, bis hoffentlich bald in Agadez. Bitte vergiss mich nicht, lass mich schnell gehen, sonst weiß ich nicht was ich tue.“
Sie stieg in den Jeep den der Colonel geschickt hatte, ihre flatternde, winkende Hand war zuviel für Robert. Er verkroch sich in den Rover, schlug die Hände vor’s Gesicht, und wartete auf das plop-plop des Hubschraubers wie auf seine Hinrichtung.