Fluchten Teil 16

Haarkranz

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Fluchten Teil 16


Äußerlich lebte sich Darja ein, in den täglichen Trott ihres Lebens in Agadez. In ihrem Inneren jedoch vertiefte sich eine Traurigkeit, der sie schlecht Herr wurde. Vor vierzehn Tagen hatte sie sich von Robert verabschiedet, und bis jetzt nicht das geringste Lebenszeichen von ihm.
Mze, die sie genau beobachtete, mit ihr litt, hatte sich nicht so im Zaum, ließ bei sich ergebender Gelegenheit, sarkastische Bemerkungen über den Wert eines Autos fallen und stellte entsprechende Berechnungen an.
Es war schwer zu begreifen, warum er nicht einmal zum Handy griff, um sich zu melden. Ihre Nummer war programmiert, nur einen Knopfdruck war er von ihr entfernt. Über ihre Verbindung zum Militär hatte sie erfahren, die Einheit die Robert nach Hatta mitgenommen hatte, war unversehrt dort angekommen. Eine kurze Feindberührung habe es gegeben, aber keinerlei Verluste.
Warum also meldete er sich nicht ? Sie hatte versprochen, ihn seiner Familie wegen nicht anzurufen, dies natürlich in der Hoffnung mindestens einmal täglich seine Stimme zu hören.
Auch eine Verbindung zu Achmed herzustellen, war gescheitert. Felix anrufen durfte sie nicht, weil verabredet war, er würde während seines Frankreich Aufenthalts so tun, als gäbe es Hatta nicht.
Sie beschloss noch sechs Tage zu warten, die zwanzig voll zu machen. Sollte er sich bis dahin nicht gemeldet haben, würde sie ihn anrufen.
Mze die mit großer Sorge beobachtete, wie ihre schöne Herrin verfiel, bemutterte sie trotz der Wut, die sie auf den aufgeblasenen Stenz Robert hatte. Sie begriff nicht welchen Narren Darja an diesem Menschen gefressen hatte. Einmal, als sie wieder den Nutzen seines respektablen Werkzeugs relativierte, darlegte, sie beide hätten ähnliches, schon bei anderen Liebhabern genossen, wurde Darja knurrend wütend. Ich will nie mehr, verstehst du, nie mehr eine Anspielung dieser Art aus deinem Munde hören, hatte sie gebrüllt, die Tür hinter sich zu geknallt, einen ganzen Tag kein Wort mit ihr gesprochen. Auch an den folgenden Tagen war die Stimmung voll Gewitter, nur langsam kehrte die Sonne zurück.
Jetzt war ihre Wut verraucht, leider. Wäre sie wütend, hieße das Leben. Es konnte nicht so weitergehen. Seit neuestem lag sie auf der Couch, aß ein paar Früchte, nippte ein wenig Fruchtsaft, ansonsten stierte sie Löcher in die Luft.
Mze fasste sich ein Herz, setzte sich zu ihr, nahm ihre Hand und massierte mit allem Gefühl des sie fähig war, Finger für Finger. Darja sah sie an, ihre Goldaugen schwammen in Tränen, „was soll nur werden, Mze,“ flüsterte sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, er hätte mich einfach benutzt und weggeworfen, wie ein Fetzen Papier nach Verrichtung der Notdurft. So ist er nicht, mag auch der Anschein gegen ihn sprechen, mein Herz sagt mir, das wäre nicht Robert Memba. Irgend etwas Furchtbares ist geschehen. Ich könnte ihn anrufen, auch mit seiner Frau sprechen, vorgeben es gehe mir um mein Auto.
Ich tu es nicht, Mze, weil ich es nicht kann, mich nicht traue. Ein Tier hockt mir in der Brust, dehnt sich aus in meinem Körper, flüstert mir ein, es gibt zwar noch den Robert, aber dich und ihn nie mehr! Es hat nichts mit seiner Frau Nellie zu tun, von der spricht das Tier nicht, es flüstert unablässig mit feiner fistelnder Stimme: „Trau dich, und du erfährst!“
Mze überlegte, dann schlug sie vor, was ihr lange schon durch den Kopf ging: „Lass mich mit ihm sprechen, Darja. Was immer er sagen wird, du erfährst es gefiltert und tropfenweise. Sollte es so schlimm sein, wie dein Tier dich glauben machen will, bin ich ganz nah bei dir. Sollte es einen trivialen, nur ärgerlichen Grund haben, auch dann ist meine Schulter dein.“
Darja zog Mzes Kopf an ihr Gesicht, küsste ihr Ohr, die Wangen und ließ den Tränen freien Lauf. Nachdem sie ein Handtuch nass geweint hatte, beruhigte sie sich langsam, flüsterte etwas, was Mze nicht verstand, und schlief ein.
Wie lange sie nicht ordentlich geschlafen hatte, wusste Mze nicht, dass sie aber diesmal ungestört schlafen würde, dafür sorgte sie. Sie schlich aus dem Zimmer und stellte die Hausklingel ab, ging in die Wirtschaftsräume und schickte die Boys nach Hause. „Meckert nicht, herrschte sie die Verduzten an, euer Lohn wird nicht gekürzt, es gibt einen Tag Urlaub!“
Sie malte ein Schild mit der Aufschrift: Heute geschlossen! und hängte es an die Tür. Dann nahm sie eine Matratze, legte sich neben Darja auf den Boden und schlief ein.
Als sie wach wurde, war die Nacht vorbei, der nächste Tag schon in den späten Morgen unterwegs. Leise erhob sie sich, Darja schlief immer noch, etwas wie Friede verschönte ihr Gesicht. Mze freute sich, schlecht geträumt schien sie nicht zu haben. Leise schlich sie in die Küche und richtet ein ordentliches Frühstück, dass hoffentlich ihrer Herrin Lebensgeister stärken würde.
Darja schlief noch als sie zurück kam. Mze beschloss zu handeln. Sie rief Darjas Handynummer an, der Ruf ging ins Leere, brach nach langem tuten ab. Mze wiederholte den Ruf, das gleiche Ergebnis. Sie überlegte. Das Handy war intakt, der Ruf wurde empfangen, nur schien ihn keiner zu hören. Sie versuchte es ein drittes Mal und da meldete sich eine Stimme: „Handy von Ms. Memba, Hospital zu den Barmherzigen Schwestern, wer spricht?“
Mze riss sich zusammen, obwohl ihr die Knie nachgaben, sie erzählte von der Verabredung und dem Auto, das Ms. Memba nach Agadez zurückbringen wollte. „Einen Moment, sagte die Stimme, hier kommt Dr. Gomba.“
Mze erzählte Dr.Gomba von der Reise Darjas mit Ms. Memba nach Timbuktu und deren Ende. Der Doktor berichtete, was Robert bei seiner Ankunft in Hatta erleben musste und von seinem noch mindestens vierzehn Tage dauernden Heilschlaf. An ein funktionelles Leben in Geschäften etc., sei auf absehbare Zeit nicht zu denken. Wenn sie ihr Auto zurück haben wolle, solle sie es in Hatta abholen. Er würde sich gerne erkundigen, wo es abgestellt worden war.
Mze ließ sich Dr. Gombas Handynummer geben, bedankte sich für die Auskunft. Wenn es sicher genug war nach Hatta zu reisen, würde sie ihn kontaktieren, um zu erfahren, ob mit Ms. Memba gesprochen werden könne.
Sie ließ den Hörer sinken. Das war eine böse Nachricht, verpackt in eine gute oder umgekehrt. Jedenfalls würde es Darja aufrichten, der Grund für Roberts Schweigen war entdeckt.
Als sie an ihr Bett trat, blinzelte sie zu ihr hoch. Sie streckte sich katzengleich, wie Mze das aus guten Tagen kannte und fragte: „Wie lange habe ich geschlafen? Ich fühle mich wie neu.“
„Lange Schätzchen, und gleich das Wichtigste: Deinem Robert ist Schreckliches widerfahren, aber er lebt, befindet sich seit zwei Wochen in einem Heilschlaf und wird noch weitere zwei Wochen darin verbringen müssen. Das zu deiner Beruhigung. Jetzt die Geschichte die Dr. Gomba dazu hat, und sie erzählte was sie erfahren hatte.
Darja war erschüttert und beruhigt. Was sie heimlich befürchtet hatte, stimmte nicht, das tat ihr gut. Was dem armen Robert geschehen war, erfüllte sie mit Schmerz. Die Trauer für Frau und die Kinder war schwer zu teilen, sie hatte nur von ihnen gehört, keinen je zu Gesicht bekommen.
Klar war, Robert würde diesen Verlust ein Leben lang nicht verwinden und seinen Ehebruch ursächlich mit dem Massaker, als Gottes Strafe, in Verbindung bringen.
Das waren trübe Ausichten für ihre Hoffnung. Warum geschieht uns das haderte sie, ist Liebe verwerflich? Zwanzig Jahre war er seiner Nellie und der Familie treu, hat in hoffnungsloser Lage geschuftet, nie den Mut verloren.
Er hätte unsere Liebe still für sich behalten, mehr als einmal im Monat wären wir uns nicht begegnet. Was war das für ein grausamer Gott zu dem er aufsah? Warum bestrafte er jemanden, der ihm so sehr anhing, und nicht jemanden wie mich, die dich Gott hasst, wie ich noch nichts auf dieser Welt gehasst habe, sollte Robert so handeln wie ich fürchte.
Sie nahm Mzes Hand und richtete sich auf, lass uns frühstücken, ich rieche den Kaffee, sagte sie entschlossen. Kann mein Leben nicht weiter vertrödeln. Das Robert mich nicht benutzt hat, richtet mich auf, gleichzeitig weiß ich sicher, ein Leben mit mir und ihm wird es kaum geben. Muss mich dreinschicken, je eher je besser. Sollte ich mich täuschen, wunderbar! Schreiend vor Glück, stürzte ich mich in seine Arme.

Es dauerte keine vierzehn Tage, bis Robert aufwachte. Eines morgens fand ihn die Schwester im Bett sitzend, ein Riesenfragezeichen im Gesicht.
„Einen Augenblick, Ms. Memba,“ beeilte sie sich ihn zu beruhigen, bevor er ein Wort äußern konnte und eilte Dr. Gomba an sein Bett zu holen.
Als der Doktor das Zimmer betrat, durchmaß sein Patient den kleinen Raum, wie ein Löwe seinen Käfig.
Der Arzt setzte sich auf den einzigen im Zimmer vorhanden Stuhl und sah zu. Robert nahm vorerst keine Notiz von ihm, pendelte mit allmählich dem Raumangebot angepassten Schritten, hin und her, bis er plötzlich stehen blieb und mit sanfter Stimme feststellte: „Was mir widerfuhr weiß ich, was ist mit meiner Tochter?“
Gomba lächelte, „ihre Tochter ist hier bei uns in der Frauenabteilung, sie schläft, wie auch sie seit nunmehr drei Wochen geschlafen haben. Ich habe sie beide in einen Heilschlaf versetzt, der ihr Unbewusstes unterstützen soll, mit dem Grauen dass über sie gekommen, fertig zu werden. Sie liegen hier auf Kosten der Regierung, Ms. Felix Petaux, hat vom Innenminister eine entsprechende Zusage erwirkt.“
Robert nahm das mit unbewegtem Gesicht zur Kenntnis und verlangte Ms. Petaux zu sprechen.
Dr. Gomba konnte ihm diesen Wunsch nicht erfüllen, weil Ms. Petaux erst nach Abschluss des Prozesses gegen die Gebrüder Ondurman und den Leutnant Ofago, zurückkehren würde. Robert wollte wissen, warum Ms. Petaux nicht an der Verhandlung teilnehme, da er doch, wie er Memba, es einschätzte ein wichtiger Belastungszeuge sei?
Dr. Gomba, der den Prozessverlauf genau kannte, auf entsprechende Fragen seines Patienten vorbereitet war, berichtete in allen Einzelheiten, was sich seit der Entdeckung der Tat zugetragen hatte.
Robert sah auf seine Füße hinunter, die nur noch mit einigen kleinen Stücken Heftpflaster beklebt waren. „Alles verheilt, sagte er mehr zu sich selbst, ich erinnere den Schmerz, Doktor, hat mich einen kleinen Moment zögern lassen, mich in die glühenden Überreste meiner Behausung zu stürzen. Lange genug, Felix und seinen Männern Gelegenheit zu geben, mich daran zu hindern. Gott sei Dank, ich wusste da noch nicht, vom Überleben meiner Tochter Marie. Wie hat sie es überstanden?“
„Gut Ms. Memba, sie hat Mord und Todesfurcht gleichzeitig erlebt, das hat den Schock abgefedert. Was in ihrem Unbewussten abgespeichert ist, wird sich heraustellen. Vertrauen wir auf ihre Jugend und robuste Konstitution.“
„Wie, Doktor, geht es mit mir weiter. Bin ich geheilt?“
„Ich glaube nicht, Ms. Memba. Bevor ich etwas dazu sage, sollten wir uns unterhalten.“
„Wir sind dabei, Doktor.“
„Gut, Ms. Memba, fahren wir fort.“
„Lassen sie den, Ms. Memba, Doktor, sagen sie Robert.“
„Gut, Robert, was ist ihr dringenster Wunsch, nennen sie mir den, auch wenn sie den Wunsch für unerfüllbar halten, sprechen sie davon.“
„Doktor, ich glaube mein dringenster Wunsch ist, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, nicht unerfüllbar. Ich lechze nach einem Geräusch, habe ein solches Geräusch mein Lebtag nicht vernommen, habe aber gehört, es entsteht bei gewissen Handlungen.“
„Nur zu Robert, genieren sie sich nicht, bei welchen Handlungen entsteht das Geräusch, nach dem sie verlangt?“
„Es entsteht Doktor, wenn jemand einem Teufel in Menschengestalt einen Strick um den Hals legt, ihn einige Meter ins Bodenlose fallen lässt, der Strick den Fall stoppt. Es soll knirschen. Dies Geräusch muss ich hören, vielleicht kann ich danach versuchen, meinen Frieden zu finden.“
„Da kann ich sie beruhigen, Robert. Die Urteile gegen die Mörder werden noch in dieser Woche gesprochen, weil das Land unter Kriegsrecht steht, gibt es keine Berufung. Es ist fest damit zu rechnen, dass die Urteile drei Tage nach Verkündung vollstreckt werden. Ms. Petaux will wie sie, Zeuge der Hinrichtung sein. Ich bin sicher, einer seiner ersten Wege wird hierher zu Ihnen sein.“
„Doktor, dann möchte ich jetzt meine Tochter sehen.“
„Robert, sie schläft. Sehen geht nur durch eine Scheibe, sie dürfen sie nicht berühren, sie darf ihre Stimme nicht hören. Wenn ich Ihnen raten darf, verzichten sie. Warten sie die paar Tage, bis wir sie wecken, es wäre besser für sie beide.“
„Wieso bin ich aufgewacht, Doktor?“
„Beabsichtigt war es nicht, Robert. Ich glaube, nachdem ich sie jetzt angehört habe, ihr Rachedurst hat sie geweckt.“
Robert schwieg lange, saß auf seinem Bett, nickte, leckte sich die Lippen, sah Gomba an und fühlte plötzlich, wie eine nicht zu bekämpfende Müdigkeit ihn übermannte. Er ließ sich auf sein Bett fallen, versuchte vergeblich seine Beine hochzuziehen, war als der Doktor half, ihn zurechtrückte und zudeckte, tief eingeschlafen.
 



 
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