Fluchten Teil 19

Haarkranz

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Fluchten Teil 18

Darja mochte sich anstrengen so sehr sie wollte, an ein zur gewohnten Tagesordnung übergehen, war nicht zu denken. Mze beobachtete sie mit der ihr eigenen kleinteiligen Akribie. Jeden Seufzer, jedes zurückwerfen des Kopfes, jedes entschlossene Blitzen der Augen, sezierte und bewertete sie unbarmherzig. Die Schlüsse die sie zog, machten sie tief traurig, fast verzweifelt.
Ihre Darja, die aus der vor Robertzeit, verging vor ihren Augen. Was übrig bleiben würde, versuchte sie sich vergeblich vorzustellen. Sicher war nur eins, ein Leben wie bisher in Agadez, verlangte eine starke, schöne Herrin; ein Schattenwesen war dazu nicht geeignet.
In schlaflosen Nächten zerbrach sie sich den Kopf. Eine ihrer Optionen war Rückkehr nach Namaaqua. Die Apaartheid gab es nicht mehr, sie konnten ein Hotel aufmachen, mit einer Dependance am Rande des Blütenmeers. Geld dazu hatten sie. Aber auch dazu war ein Schatten nicht geeignet.
Andererseits, war sie über Roberts Zustand, nur durch den Doktor unterrichtet. Was war, der malte zu schwarz oder irrte sich. Auch Darjas Vorstellung, Robert würde sich die Schuld am Tode seiner Familie auf ewig zuschreiben, war nicht verbürgt. Sie schätzte ihn so ein, wieso? Ich kenn ihn so gut wie sie, hab ihn nicht als treuen Ehemann und Christen erlebt. Einen Tag später hat er Darja gevögelt, wie ich vermute gut, sonst wär sie nicht so maßlos darnieder.
Wir müssen ihn sehen, allein schon wegen des Autos ist das wichtig. Darja tut so als wär der Rover ein altes Stück Schrott, dabei ist das gute Stück erst drei Jahre alt. Vielleicht hat der Schlingel es schon zu Geld gemacht, steckt mit dem Doktor unter einer Decke, gibt dem was ab, damit der ihm die Weiber aus Agadez vom Leib hält.

Ich werde nochmal telefonieren. Seit die Hubschrauber die Piste kontrollieren, ist von dem Raubgesindel nichts mehr zu hören. Eine Rückfahrt mit dem Rover absolut sicher, nur wie hinkommen? Nicht mit dem unmöglichen Bus, da ist Darja gefragt, mit ihren Verbindungen zum Militär. Zuerst einmal will ich wissen wo das Auto steht, der Doktor hat gesagt er würde sich kümmern. Macht er keine Ausflüchte, nennt die Garage oder wo immer es untergebracht ist, bin ich einen Schritt weiter. Vielleicht geht es Robert mittlerweile besser, wenn ich Darja sage, sie wird ihn treffen, mit ihm sprechen können, setzt die Himmel und Hölle in Bewegung, um nach Hatta zu kommen.
Am nächsten Morgen fakelte Mze nicht lange, rief die Klinik in Hatta an und verlangte Dr. Gomba. Nach einigem Warten hatte sie ihn an der Strippe, erläuterte kurz wer sie war, doch er wusste Bescheid, sagte ihr wo das Auto stand und berichtete ungefragt von Roberts verbessertem Zustand. Kann man ihn sprechen, wollte Mze wissen, der Doktor zögerte einen Moment, dann meinte er. Es steht ein wichtiges Ereignis ins Haus, von dem ich mir für Robert viel verspreche. Rufen sie mich in einer Woche an, dann kann ich ihnen konkreters über seinen Zustand, und vielleicht sogar über die Aussichten für sein künftiges Leben sagen. Es ist nicht mehr so hoffnungslos wie ich anfangs befürchtete, als ich mit ihnen sprach. Gedulden sie sich bitte noch die paar Tage.
Das war es! Mze fand Darja in der Wanne, wie fast jeden Tag trieb sie stundenlang im lauwarmen Wasser und träumte vor sich hin. Sie nahm ein grosses Handtuch, und stellte sich mit augebreiten Armen vor den Wannenrand. Darja zog ein angeekeltes Gesicht, signalisierend: Geh! Ich will nicht.
Mze reagierte nicht, sah nur mit funkelnden Augen auf ihre Herrin herab.
"Was hast du, lass das, du kannst mich nicht hypnotisieren!"
"Will ich garnicht," lacht Mze, "hab besseres!"
"Besseres?" mit einem Satz war Darja aus der Wanne, "besseres?" schrie sie.
Mze wickelte sie in das Tuch und drängte sie auf die Liege, dann setzte sie sich und berichtete.
Was sie sagte, machte Darja im handumdrehen, zu einer Person die vor Energie barst. Ihre Schlussfolgerung war ganz eindeutig, wir brauchen einen Hubschrauberflug, war verdammt teuer, aber musste nicht sein, bei guten Verbindungen. Sie verbrachte den Tag am Telefon, war garnicht so einfach, als weiblicher Zivilist, den einzig für ihr Ansinnen zuständigen Offizier aufzutun. Der Tag neigte sich, noch war sie keinen Schritt weiter gekommen, ihre Telefon Nummer konnte sie nicht hinterlassen, garantiert würden andere versuchen herauszufinden, wer den Colonel so dringend zu sprechen wünschte.

Am nächsten Morgen war Colonel Ngeda am Telefon, Mze hob ab und der Offizier verlangte Madame Darja zu sprechen. Auf Darjas Frage, wie er wissen könne, dass sie ihn zu erreichen versucht hatte, wo sie doch keinerlei Spuren die auf ihre Person hinwiesen, hinterlassen habe? antwortete er, weil sie die einzige Zivilistin sei, die mit einem Helicopter im Einsatz mitgeflogen und obendrein an einem Gefecht, wenn auch passiv, teilgenommen habe. "So etwas spricht sich rum, auch Männer neigen zum Klatsch. Wenn bekannt wird, die beförderte Dame sei außerordentlich attraktiv, zu sehr viel Klatsch. Wo bitte drückt der Schuh, Madame?"
Darja berichtete von Roberts Schicksal, seiner möglichen Wiederherstellung und log Ngeda vor, der behandelnde Arzt verspreche sich eine günstige Wirkung von ihrer Anwesenheit. Mze die während des Telefonats neben ihr stand, drehte die Augen ob dieser dreisten Lüge zum Himmel. Hoffentlich fragt er jetzt nicht nach dem Namen des Arztes, und noch hoffentlicher ist er ihm unbekannt, betete sie.
Darja plauderte neckisch weiter, der Colonel schien keine derartige Frage im Sinn zu haben. Sie ist wieder ganz die Alte, freute sich Mze, und zweifelte nicht, dass es ihrer auferstandenen Herrin gelingen würde, einen Flug zu ergattern.
Das Ergebnis des Gesprächs war, einen festen Termin für den Flug würde es nicht geben, das Militär war kein Busunternehmen. Ob es Platz für zwei Personen gab war auch nicht sicher, würde sich erst in letzter Minute ergeben. Die Damen sollten sich auf jeden Fall bereit halten, wenn der Jeep zur Abholung vor der Tür steht, heißt es ohne jedes Zaudern, mit nicht mehr als einer 10 kg Tasche für jede, einsteigen.

Darja tanzte durch die Räume wie ein von der Leine gelassener junger Hund. Schnappte Mze um die Taille, sang improvisierte Lieder die alle nur einen Text hatten: das Leben ist nicht zu Ende, es beginnt mit jeder Sekunde, Minute, Stunde! Ich werde ihn sehen, Mze, sehen! Mehr braucht's nicht für's Erste, alles Weitere findet sich.
Allerdings wurde ihr Geduld auf eine harte Probe gestellt, als am vierten Tage immer noch nichts geschehen war, postierte Darja Leju in der Nähe des Militärpostens, gab ihm ein Handy, und schärfte ihm ein sie unverzüglich zu unterrichten, sobald sich ein Hubschrauber Agadez nähere.
Außer dass der arme Leju sich zu Tode langweilte, geschah nichts. Auch Darjas tägliche, mehrmalige Anrufe zauberten keinen Heli herbei. Mze überzeugte sie schließlich, einfach weiter zu machen wie gewöhnlich, verkürze die Wartezeit. Das dauernde auf dem Sprung sein dagegen, dehne die Tage ins unerträgliche, auch sie werde rattendoll, wenn das so weiter gehe.
Bei sich dachte sie, so habe ich sie noch nie erlebt, der lange Schlingel hat sich unzweifelhaft in ihr Gedächnis gebrannt, nur schade, dass ich nicht mehr dazu gekommen bin ihn zu vernaschen. Hätte ich sofort tun müssen, war dumm ihn nur mit meinem Flötenspiel zu ergötzen.
In der folgenden Nacht, die Sonne schob eben ihren Lichtkranz über den Horizont, klingelte es. Bevor sich Mze den Schlaf aus den Augen gewischt hatte, tanzte Darja fertig angezogen vor ihrem Bett und sang: "Es geht los! Mze, es geht los!" sie schnappte Mzs's fertig gepackte Tasche, rannte nach draußen und trieb die noch Schlaftrunkene an sich zu beeilen, wenn sie mitfliegen wolle.
Mze wollte, nein musste mit, hatte absolut keine Traute ihr halbverrücktes Schäfchen, dies Abenteuer allein bestehen zu lassen. Wer weiß was der Busch noch verbarg, dies ist ein anarchistisches Land, verglichen mit unserem Südafrika. Sicher war die Apaardheid mies, aber Gesetze an die sich die Leute auch hielten, gab es. Nur konnte sie das nicht laut sagen, mit Darja war, was Apaardheid anging, nicht zu spaßen. Sicher, sie hatte unter dem Regime gelitten, ich Mze, nicht. War einfach, aber ihrer Herrin nicht klar zu machen, die musste unbedingt einen Blank heiraten. Erledigt und vorbei, die Zahnbürste in die Tasche und ab in den Jeep.
Der Helicopter wartete mit laufenden Motoren, als sie aus dem Auto stiegen und in die Luke, dieser Libelle aus Eisen kletterten, wie Mze das Ding nannte. Sie hatten sich kaum angeschnallt, da brüllten die Rotoren los, die Konstruktion begann zu zittern und erhob sich unversehens in die Lüfte.
Nach einer Weile ebbte der Lärm ab, oder die Ohren hatten sich daran gewöhnt. Sie waren neben zwei Soldaten die einzigen Passagiere. Darja hielt Mze's Hand fest in der ihren, blinzelte aus den Augenwinkeln ab und zu prüfend zu ihr hinunter, sah aber nur ihre etwas wie im Trotz vorgeschobenen Lippen, ein Gesichtsausdruck der ihr geläufig war. Das monotone Motorgeräusch passte gut zu ihrem unterbrochenem Schlaf, keine Viertelstunde nach dem Start hingen die Damen, die Flugbewegungen mit leicht pendelnden Köpfen nachzeichnend, gut angeschnallt und fest schlafend in ihren Sitzen.
Geweckt vom, der nahen Landung wegen, lauteren Dröhnen der Maschine, konnten sie es nicht fassen gleich in Hatta zu sein. Darja wurde sofort hibbelig, aber Mze packte ihr Handgelenk mit eisernem Griff und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. Denk dran, zischte sie dicht an ihrem Ohr, den Lärm unterlaufend: "Die ist feindlicher Boden, bei aller Freude, zuerst das Gehirn einschalten, bist du dazu nicht fähig, mit Mutter Mze beraten!"
So schnell wie sie in Agadez eingestiegen, ging der Austieg in Hatta. Ein Jeep stand bereit, sie stiegen ein, ab ging die Post Richtung Zentrum. Am großen Zentralplatz stoppte der Soldat, bat sie auszusteigen, salutierte und fuhr davon.
Mze war noch nie in Hatta gewesen, Darja schon einigemale. Sie sah sich um, ging ein paar Schritte auf ein breit hingelagertes, eine Seite des Platzes beherrschendes Gebäude zu, und wußte wo sie sich befanden.
"Dies dort," erklärte sie Mze, "ist das Regierungsgebäude, darin und dahinter residiert die Staatsregierung, die Provinzverwaltung, die Polizei und sämtliche anderen wichtigen Institutionen."
"Schön wäre," antwortete Mze, und verlieh ihrer Stimme den Darja vertrauten Schuss Skepsis, "wir wüssten wo Dr.Gomba zufinden ist."
"Im Hospital zu den Barmherzigen Schwestern, hast du doch gesagt?"
"Stimmt, nur wo, wo sind die Barmherzigen?"
"Werden wir gleich haben, kleine Nama, fürchtest dich in der großen Stadt?" übernahm Darja das Kommando, steuerte auf das Regierungsgebäude los, trug an der Pförtnerloge ihr Anliegen vor und erhielt die gewünschte Auskunft. Sie nahm Mze bei der Hand, zog sie durch endlose Gänge hinter sich her, bis sie vor einer Doppeltür standen, auf der ein Emailleschild die hinter der Tür liegenden Räume, als das Hospital zu den Barmherzigen Schwestern, auswies.
 



 
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