5
Als der Wecker klingelte war Felix schon wach, er ging ins Bad, spülte sich den Mund und zog sich an. Ein Blick in den Spiegel, wirkte nicht feingemacht sein Outfit. Er schlenderte die Straße zum Markt hinunter, guckte in die Schaufenster. Angelausrüstungen, Bootszubehör, klar, das Meer bestimmte das Leben der Menschen. Als er den Markt erreichte, war es fünf vor acht. Er maß das langgezogene Rechteck mit seinen Schritten, sah hinein in die Restaurants und Bistros, sämtlich boten sie Austern und Fisch in allen Variationen. Irgendwo hier würde er gleich mit Charlie sitzen oder auch nicht, möglich sie rümpfte das Näschen und befand das hier als zu touristisch. Acht Uhr, er näherte sich dem verabredeten Treffpunkt, ob sie ihn warten ließ?
Nein tat sie nicht, er erkannte sie in der Gasse, sie würden beide zugleich pünktlich einlaufen.
„Hallo Charlie!“ „Hallo Felix!“ „Pünktlich wie die Staatsbahn,“ begann er das Gespräch, „und wer ist die totschicke Dame, die da aus der ersten Klasse steigt? Mein Gott das ist ja Charlie, die ich versehentlich heute Mittag, so viel anders gesehen habe. War Fatamorgana, Schwamm drüber. Jetzt liebe Charlie, überlasse ich mich Ihrer Führung.“
„Geht klar, der guten Ordnung halber sag ich jetzt auch, lieber Felix. Vertrauen Sie sich mir an, wir navigieren in mir seit Kindsbeinen vertrauten Gewässern, da kann nichts schiefgehen.“
„Ay ay, Sir!“ Felix straffte sich militärisch und sah ihr fest in die grauen Augen.
Wie er vermutet hatte, waren die Marktplatz Restaurants nicht ihr Ziel. Charlie nahm eine der schmalen Gassen, an der Tür eines Hauses ohne jeden Hinweis auf ein Bistro oder Restaurant, klingelte sie. Ein kugelbauchiger, mehr breit als hoher Glatzkopf öffnete, wurde von Charlie Onkel Sascha genannt und zärtlich auf beide Wangen geküsst.
„Kommt, Kinder,“ befahl Onkel Sascha, reichte Felix die Hand und spießte ihn, mit einem gar nicht zu seinem Äußeren passenden, stahlblauen Blick. Es ging durch eine Art Keller, vollgestellt mit großen Bottichen, zu einer von herrlich blauen Clematis umrankten Pergola.
„Sucht euch einen Tisch, Charlie du weißt, wo Karte und Wein zu finden sind. Madelaine kommt, sobald ihr klingelt. Ich komm später nochmal, bis dahin lasst es euch schmecken.“
In Charlies Augen flimmerte ein Lächeln, als sie fragte: „Na wie gefällt es Ihnen?“
„Sehr orginell, zuerst einmal, wobei der Leibesumfang des Onkels beruhigt, ist sicher ein Leckermaul.“
„Und ob, er ist Austernzüchter und Händler, beliefert die halbe Region mit den delikaten Glibbertierchen. Er, und auch ich, schwören auf die Sorte Portugaise, vor Jahrhunderten von portugiesischen Schiffen hier eingeschleppt. Andere mögen die Belons lieber, sind schwerer, dicker und teurer. Belons kommen vorwiegend aus der Bretagne, kosten hier dreimal so viel wie die Portugaise.
Setzen wir uns an die Brüstung? Die Abendbrise ist so schön lau, das hebt Appetit und Stimmung. Ich hole den Wein, darf ich Sancerre vorschlagen? Der geht gut mit den Austern.“
Charlie kam mit einer Flasche und Gläsern zurück, entkorkte die Flasche bevor Felix eingreifen konnte und schenkte ein. Sie tranken, als beide gleichzeitig die Gläser absetzten, kreuzten sich ihre Blicke und er sagte: „Verdammt Charlie, ich fühl mich so sauwohl, vergessen wir das Sie!“
„A votre“ lachte sie, nahm ihr Glas und sie stießen an. „Bevor ich nach Madelaine klingele, Felix, mein Menüvorschlag: Erschrick nicht, pro Nase 18 Portugaise und 6 Belons, mag viel erscheinen, ist es aber nicht. Dazu gibt es Baguettes, Schwarzbrot und Butter. Schnickschnack wie Essig, Zwiebeln oder Zitrone sind überflüssig, erfunden um den Geschmack nicht mehr taufrischer Ware zu überdecken. Danach, sollten wir noch hungrig sein, wieder Austern oder Kurzgebratenes aus der Pfanne. Einverstanden?“
„Absolut Charlie, der Sancerre Nachschub versiegt hoffentlich nicht?“
„O Felix, Onkel Saschas Keller tränken wir in einem Jahr nicht leer, zu den Austern liefert er seinen Kunden auch den passenden Wein, vielleicht zeigt er uns seine Gewölbe.“
Charlie klingelte und Madelaine erschien mit einer grossen, drehbaren, dreistöckigen Platte, auf deren Etagen die Austern in Eis gebettet lagen.
„Die ganz oben, Felix, sind die Belons, die schlürfen wir mittendrin, zuerst müssen die Portugaise dran glauben, bitte kauen Monsieur, nicht einfach schlucken, das wär Perlen vor die Säue geworfen. Durch gründliches kauen lösen sich die Mineralstoffe, und der betörende Meerduft steigt in die Nase.“
Felix hatte schon Austern gegessen, in Frankreich aber auch in Afrika. In Afrika hatte er es schnell gelassen, die in Paris genossenen Tierchen hatte er noch in guter Erinnerung. Was er nun erlebte kam einem Kulturschock gleich. Er saugte das erste Tier vorsichtig von der Schale, wendete und drehte es mit der Zunge und zerbiss dann die weiche Moluske. Schon beim Einschlürfen glaubte er das Meer zu trinken. Doch jetzt, als die von seinen Zähnen zermalmte Auster, die Essenz ihres Gezeiten Lebens über seine Geschmacksknospen ergoß, ihr Duft seinen Riechkolben umhüllte, packte es ihn wie ein Rausch. Nie wurden seine Geschmackssinne derart gefordert. Vertieft in den unvergleichlichen Genuss, versuchte er ihn flach atmend, nicht enden zu lassen.
„Felix! Wie sie seinen Namen mit ihrem Lachen verquirlte, ließ ihn zu sich kommen, gleichzeitig trug es ihn hoch, intensivierte den Rausch. Vorsicht alter Junge, blitzte eine Warnlampe, verderb es nicht! Also die Augen noch ein wenig geschlossen halten, konzentrieren und wahrheitsgemäß stöhnen: „Charlie, hätte mir mein bester Freund prophezeit, wie on top ich heute sein würde, nie und nimmer hätte ich ihm geglaubt. Wie wäre es auszumalen gewesen? Dieser so deftige, Blumenduft und Seeluft umfächerte Ort, die unvermutete Sensation für Zunge und Nase, das alles übertrumpfend, Charlie, die sehr Charlotte ist, jedenfalls Charlotte sein kann.“
„Das mit der Charlotte, erklär mir bitte näher, Felix! Austern und Ort versteht sich, aber.., nein sag du es.“
„Charlotte ist weiblich, weich, träumerisch. Charlie ist keck, kompetent, selbstsicher. Beides bist du, im Alltag und bei flüchtigem Hinsehen, Charlie, lässt man sich ein auf dich, erscheint die Charlotte.“
„Wie erkennt man das so schnell, Felix?“
„Erkennen die Charlotte, gar nicht. Intuitiv erfühlen, schon.“
„Gut lassen wir es dabei, vor dir sitzt Charlie die dich fragt dich, ist dir bewußt, 46 Austern, frisch, frischer geht’s nicht, warten darauf gefressen zu werden! Also los, stürzen wir uns in den nächsten Gaumenkitzel!“
Hat sie gut pariert, möchte sich bedeckt halten, Schluss mit Tiefsinn. Wichtig ihr war klar, er fand sie interessant.
„Aber bitte vorher mit dem Sancerre anstoßen, Auster und Wein sind wie Schwester und Bruder, begegnen sie sich auf der Zunge.“
„Ein guter Spruch, Felix, den wird Onkel Sascha in sein Repertoire aufnehmen, da bin ich sicher.“
Es stellte sich als herrliches Vergnügen heraus, sich mit der springlebendigen Charlie durch den Austernberg zu schlürfen, zu kauen, zu schnuppern. Nicht nur die Geschmacksnerven wurden unentwegt gekitzelt, je später der Abend, umso mehr fühlte er, welch ein Sog von diesen grauen Augen ausging. Er suchte ihren Blick, hielt ihn fest und zu seinem Entzücken, war sie von mal zu mal bereiter, ihren Blick mit seinem zu verschränken.
Die zweite Flasche Sancerre war fast getrunken, acht Austern übriggeblieben. Charlie leckte sich die Lippen und sagte: „Der Abend steht noch in voller Blüte, was hälst du von weiteren 12 Austern, das macht für jeden 10, mit den 8 die uns da so allein gelassen ansehen?“
„Viel Charlie, die Blüte düngen wir mit einem Fläschchen Veuve Cliquot, ich denke der Schampus verträgt sich mit den Schalentieren?“
„Gemacht, ich klingele der Madelaine, vielleicht hat sie schon geahnt was wir wollen, und bringt es gleich mit.“
Madelaine erschien, „was darf es noch sein?“
„Du weißt es nicht, Madelaine?“
„Wie sollt ich, wir belauschen unsere Gäste nicht.“
„Siehst du, Felix so kann Frau sich irren,“ kicherte Charlie.
Wir bestellte die Austern, den Champagner, und es dauerte keine drei Minuten bis serviert war. Charlie saß da und nickte, als Madelaine weg war, meinte sie: „wer so schnell auftischt, lauscht!“
Felix lachte und schenkte ein, sie prosteten sich zu, tranken und er merkte wie ihm das Kribbelwasser zu Kopf stieg. Vorsicht Felix, langsam trinken, viel Baguette mit Butter dazu essen!
Da kam schon Charlies Kommentar: „Das Zeugs steigt mir zu Kopf, nimm dich in Acht, Felix, wir hätten beim Sancerre bleiben sollen.“
Sie hatte es kaum gesagt, als Onkel Sascha auftauchte, den Champagner durch eine Flasche Sancerre ersetzte und Charlie anmeckerte: „Du solltest es besser wissen, nach zwei Flaschen Sancerre, haut das den stärksten Mann um. Ich habe noch nichts gehabt, ich übernehm die Flasche und setz mich einen Moment zu euch.“
Wie sich herausstellte, war Sascha Begret, ein weit gereister Mann.
Nicht als Matrose oder Skipper auf einem Schiff, dafür bin ich zu kurz, lachte er. Aber als Handlungsreisender in Austern und Wein, bin ich durch ganz Europa gekommen. Auch die USA haben wir eine Weile im Visier gehabt, aber deren Zollbestimmungen waren uns zu abartig, da haben wir es gelassen. So vergingen die Austern, die dritte Flasche und der Abend, bis kurz bevor sie aufbrachen, Sascha wissen wollte: „Womit fristest du dein Leben, Felix?“ und die Antwort erhielt: „Ich bin der oberste Polizist von Hatta. „Das Hatta, Felix? soviel ich weiß gibt es nur eins, muss also der Moloch in Afrika sein.“
„Ist der Moloch, Sascha.“ „Darf ich fragen, was dich hierher verschlagen hat?“
„Ganz einfach, Sascha, Urlaub und Sehnsucht nach Frankreich. Afrika ist so ganz anders, als das hier. Ich spreche nicht von Paris, Paris in der Banlieu ist wie Hatta. Aber dies hier ist Heile Welt, Friede. Habe mir nicht vorstellen können, einen solchen Abend wie diesen zu erleben. Mein ganzer Urlaub ist jetzt schon gelungen.“
Sascha lachte, „Charlie ist eine Hexenmeisterin, die begehrteste Dame am Ort, doch sie verschmäht jeden.“
„Das stimmt nicht, Onkel Sascha, war Julien etwa kein Mann?“ protestierte Charlie.
„Klar trug der Hosen und rasierte sich, war dir aber nicht gewachsen. Ich bin froh, dass du ihn weggejagt hast,“ feixte Sascha.
„Lieber Onkel, ich hab ihn nicht weggejagt! Wir haben uns getrennt, das kommt vor.“
„d’accord, ihr habt euch getrennt und er hat jedem erzählt, wie sehr er dich liebe, wie schrecklich es für ihn ohne dich sei. Vergessen wir Julien. Julien ist nur gut als Jus.“
„Charlie strampelte mit den Beinen, und schrie vor Lachen. Sascha pass auf, das du nicht Jus wirst, bist weit ergiebiger als der dürre Julien.“
So ging das weiter, Charlie und Sascha wollten immer mehr von Afrika hören, warum er dort bliebe, ob es für Weiße nicht gefährlich sei? und er erzählte von der Farbenblindheit die sich einstelle, ließ man sich auf das Land ein. Natürlich konnte sich Sascha nicht verkneifen, nach einer Ehefrau zu fragen.
„War nie verheiratet, Sascha. Warum das so ist, kann ich erklären. Die weißen Frauen kommen mit ihren Männern nach Hatta, bis deren Job erledigt ist, dann geht es ab nach Europa oder Amerika. Also heiraten ist nicht. Die ledigen weißen Frauen, es gibt nicht viele, aber es gibt sie, sind nur des Geldes wegen dort. Nichts hält sie in Hatta, wenn sie genug gerafft haben.“
Sascha nickte verständnisvoll: „Ist zu verstehen, wenn die so schnell wie möglich wegwollen, was hält dich eigentlich bei den Wollköppen?“
Bevor Felix antworten konnte, warf Charlie das Handtuch. „Stopp Sascha, noch zwei Fragen weiter, und wir sind mitten in der Politik. Für ein solches Ende ist mir der schöne Abend zu schade. Ich meine wir haben gut gegessen und getrunken, machen wir Schluss. Kluge Leute hören auf, wennn es am Schönsten ist. Madelaine die Rechnung!“
Madelaine die sicher auch Feierabend haben wollte, war sofort mit der Rechnung da, Felix zahlte, Charlie küsste ihren Onkel, der brachte sie zur Tür, schüttelte beiden kräftig die Hand und lud sie ein, bald möglichst wieder zukommen.
Auf der Gasse pustete Charlie laut, „Gott sei Dank, dem sind wir entkommen. Weißt du, Felix,“ fuhr sie fort, „der Onkel ist ein herzensguter Mensch, politisch jedoch ein ausgemachter Esel. Ein Le Penist von reinstem Wasser, glaubt wir Franzosen seien die einzig wirklichen Menschen, der Rest der Welt zweitklassig. Es ist völlig sinnlos mit ihm zu diskutieren, er hört nicht zu, verkündet zusammenhanglos seine verquasten Phrasen. Genug davon, sein Wein, Austern und Gastfreundschaft sind legender, ich sah du gabst Madelaine 50.- Euro, wie hoch war die Rechnung?“
„42.- Euro, Charlie für das was aufgefahren wurde, geschenkt.“ „Absolut, darauf wollte ich hinaus, hätten wir das in einem der Bistros am Markt verzehrt, hätten die dir 150.- Euro abgenommen.“
„Wie findet er seine Rechnung, Charlie?“
„Ganz einfach, er bewirtet keine normalen Gäste, die Pergola ist das Probierstübchen für Kunden die ihn besuchen kommen, um Wein und Austern für den Wiederverkauf bei ihm zu bestellen. Ich als seine Lieblingsnichte, darf kommen, mit wem und so oft ich lustig bin. Sascha ist der Zwilligsbruder meiner früh verstorbenen Mutter, sie und er waren ein Herz und eine Seele.“
„Verstehe, doch wie geht es weiter, kleine Schönheit? Der Abend ist noch jung, gibt es hier einen Schwof?“
„Sicher, nicht nur einen, lass mich nachdenken, ich war seit ewig nicht mehr tanzen. Der Vorschlag ist verlockend, komm, ich weiß wo was los ist, keine Viertelstunde von hier.“
Er nahm ihre Hand, und sie gingen los. Schon bald bestimmte der wummernde Beat, der ihnen entgegenschallte, ihren Schritt. Geht in die Knochen, lachte Charlie und probierte ein paar Schritte, ließ ihre Hand aber in seiner. Vor dem Laden ein Haufen Leute, der Türsteher erklärte kategorisch, nichts geht mehr, ich darf keinen mehr reinlassen. Wir bekommen sonst Ärger mit der Feuerwehr.
Felix stülpte die Lippen vor, sah Charlie an, die zuckte die Schulter: „Wer nicht will der hat,“ murrte sie, und schlug vor: „Komm gehen wir den Strand entlang, sehen nach ob Pierre noch im Hafen ist, er hat immer Rat für Gestrandete parat.“
Gestrandet? Nein gestrandet fühlte er sich nicht, die Dame die ihr Händchen in seine Hand schmiegte, machte auch nicht den Eindruck. Pierre, war der Mann vom Bootsverleih, wenn er sich richtig erinnerte. Pierre, der Herr mit der strengen Prüfung. Dazwischen schätzte er, lagen zwanzig Minuten Strandweg, ein Vergnügen für zwei wie sie, voll Verlangen, die nichts überstürzen wollen.
Langsam angehen lassen, Felix. Charlie war eine offene Frau, die keine Spielchen spielte, umso mehr, das war zu ahnen, beobachtete sie, wie er sich verhielt. Da mochte der Mond das Meer zu seinem Spiegel machen, der laue Wind noch so säuseln, er hielt sich im Zaum. Ihre Finger sanft drücken, Zärtlichkeit in die Stimme legen, alles weitere der Intuition und dem Augenblick überlassen. Nachdem sie eine Weile, im Takt der allmählich verwehenden Musik, stumm nebeneinander hergegangen waren, brach er das Schweigen und fragte:
„Charlie, Pierre ist doch der Bootsverleiher?“
„Richtig, Felix, er führt das „Bon Voyage“, der Mann mit der strengen Prüfung, von dem ich erzählt habe.“
„Hab es mir durch den Kopf gehen lassen, ich würde das Examen nicht bestehen, dabei glaube ich ein passabler Segler zu sein. Vor der Küste von Hatta haben Achmed und ich, schon manchen Sturm abgeritten. Ganz ohne nautisches Tralala.“
„Felix, wirf es nicht so weit weg. Unsere Küste ist tückisch, für die Schwimmer mag der so sacht abfallende Grund ideal sein, aber ein Boot fährt sich blitzschnell fest. Von einem großen Pott ganz zu schweigen. Vor einigen Jahren ist ein Zwanzigtausend Tonner hier gestrandet, der Steuermann muss sternhagelvoll gewesen sein, anders ist die Havarie nicht vorstellbar. Zwei Hochseeschlepper haben einen Tag gebraucht, um den Eimer freizuschleppen. Gott sei Dank, ist niemand zu Schaden gekommen. Die Besatzung hat ein Fallrepp runtergelassen und am Strand Fußball gespielt, bis ihr Pott wieder flott war.“
O Charlie, dachte er, welch großartige Information. An sich wusste er jetzt schon, was er auf einem Segeltörn in Erfahrung bringen wollte. Ein dickes Schiff, sanft an Land geglitten. Die Matrosen mit dem Fallrepp zum Fußballspielen an den Strand. Das hieß bis zum Gürtel oder den Schultern im Wasser. Halleluja! Achmed wird seinen dicken Bauch nicht mehr ruhig bekommen, so wird ihn das Freudenlachen schütteln.
„Hört sich kurios an Charlie, möchte nicht in der Haut des Kapitäns gesteckt haben, als der rapportieren musste.“
„Heutzutage halb so schlimm, Felix, die Christliche Seefahrt ist auf den Hund gekommen, seit es nur noch um Profit geht. Es ist fraglich ob der Kapitän überhaupt ein Kapitän war, mit Patent für Große Fahrt, meine ich. Unser Gendarm hat seine Papiere eingesehen, ein Araber aus dem Jemen. Wenn die Reederei ihn rauswerfen sollte, bekommt er schnell ein neues Schiff, der fährt für ein Zehntel des Lohns eines richtigen Kapitäns.
Allerdings würde ein Kapitän mit Patent, nicht auf einem Seelenverkäufer wie der „Lingua“, so hieß die Rostlaube, anheuern. Humor hatten die Eigner, Lingua, sollte nehm ich an, darauf hinweisen: Jedes Besatzungsmitglied spricht eine andere Sprache, Verständigung ist nicht.“
„Dann könnte ein solcher Unfall sich wiederholen, Charlie?“
„Darauf kannst du Gift nehmen. Von der Mündung der Loire bis La Rochelle, ist die Küste wie hier. Bei Flut kannst du, mit etwas Glück, bis auf die Strandpromenade fahren. Unten im Süden, von der Gironde bis Bayonne, ist es nicht viel anders.“
Mission erfüllt, Felix, mehr Info ist nicht nötig. Entspannen und den Erkundungsdrang auf die entzückende Charlie konzentrieren. Ein Licht tauchte aus der Dunkelheit auf.
„Wir sind gleich da,“ Charlie zeigte auf das Licht, „Pierre ist noch nicht gegangen, bosselt sicher an einem Boot, er kann kein Ende finden. Kein noch so kleiner Verschleiß entgeht seinem ständig prüfenden Blick. Dieser Blick gilt nicht nur Dingen, auch Menschen verschont er nicht. Manche halten das nicht aus und meiden Pierre. Ich sprech nicht von Gästen, denen ist der Bootsverleiher gleichgültig.
Einheimische dichten ihm den bösen Blick an, dabei ist er eine Seele von einem Menschen.“
Wir standen vorm „Bon Voyage“ die Tür war abgeschlossen. Charlie klopfte, nach einer Weile tauchte aus dem Hintergrund, ein strengblickender, weißhaariger Riese auf. Charlie rief seinen Namen. Sofort verwandelte sich sein Gesicht, unzählige Lachfältchen um die Augen, wischten die Strenge fort.
„Bon soir, mon Patron!“ dröhnte es aus der breiten Brust. Er hob Charlie vor sein Gesicht, und sie küsste seine bärtigen Wangen. Als er sie abstellte, nieste sie und schimpfte: „Wie oft muss ich dir noch sagen, Pierre, wer geküsst werden will, muss sich pflegen. Dein Bart hat sicher eine Woche keine Schere gesehen, die vorwitzig langen Haare, kitzeln bis in die Nebenhöhlen.“
„Patron,“ wieherte Pierre, „Nebenhöhlen ist gut, du kennst mein Credo: Inspektion ist alles, was tu ich den lieben langen Tag? Ich untersuche, kratze, beklopfe, suche nach Dingen, die es nicht gibt und finde sie. Warum? Weil ich unsere Boote liebe. So ist es, ich liebe unsere Boote, beglucke und untersuche sie ständig, da soll ich bei dir, lieber Patron, eine Ausnahme machen? Wann, sag, wurden deine Nebenhöhlen zuletzt inspiziert? Vor Jahren nehm ich an, also sei mir dankbar für die Fürsorge.“
Jetzt ging ihm auf, das Patron einen Begleiter hatte. Die Lachfältchen wurden zu Runzeln. Er bot seine Pranke und sagte: „Pierre Moulin, Guten Abend!“
Felix nannte seinen Namen, ließ seine Hand in der Pranke verschwinden und erwiderte seinen Blick mit gleicher Intensität.
Pierre stand ein wenig vornübergebeugt und sagte nichts weiter. Den ganzen Abend konnten wir nicht uns fixierend stehen bleiben, da sollte Charlie eingreifen. Das tat sie, anders als Felix es erwartete.
„Hallo ihr Beiden, seit ihr fertig mit gucken? Pierre, Felix hat einen erstklassigen 5000 Pixel Apparat, da könnt ihr euch morgen wechselseitig fotografieren, die Bilder auf eure Nachttischchen stellen, müsst euch nicht länger ansehen.“
Patrons Stimme schien Zauberkraft über den vierschrötigen Kerl zu besitzen, er drehte sich zu ihr, die Wolke über seinem Gesicht verwandelte sich in Lächeln.
„Aye, Aye Sir!“ schnaufte er, und im gleichen Atemzug: „Setzt euch doch bitte, was wollen wir trinken? Wein rot oder weiß? Cognac, hochklassig, privat schwarz gebrannt, den nehm ich, ihr Wein?“
„Ich Wein, weiß, entschied Charlie, du Felix?“
„Cognac, hochklassig, privat schwarz gebrannt, Wein ist für Damen.“
Pierre schnaufte und verschwand. „Komm mit,“ Charlie nahm seine Hand und zog ihn durch mehrere dunkle Kammern, in einen großen Raum mit einem zum Meer gewandten Riesenfenster. Das Interieur war einer Kajüte nachgebildet, oder früher Kajütenmöbel gewesen. Felix sah sich um und Charlie erklärte: „Pierre ist dreißig Jahre zur See gefahren, zwei Tage nach seinem fünfzigsten Geburtstag geriet sein Schiff, er war der Steuermann, in einen Tornado, schlug leck und versank innerhalb von zehn Minuten mit Mann und Maus. Halt nicht ganz, Pierre und ein Schiffsjunge klammerten sich an einen Container der sich losgerissen hatte und nicht unterging. Der Junge hatte seine Schwimmweste angelegt, die mit einem Peilsender versehen war. Nach 48 stürmischen Stunden wurden sie von einem Dampfer, der nahe genug vorüberkam den Sender zu registrieren, aus dem Meer gefischt .
Pierre kam mit drei Gläsern und zwei Flaschen zurück. Felix nahm die Weinflasche, entkorkte und goß Charlie ein. Pierre wickelte voll Andacht den Cognac aus einer Ausgabe des Matin. Die Flasche, eine Mineralwasserflasche mit Drehverschluss. Er öffnete, hielt die Nase über die Öffnung, schnupperte und lächelte selig. Wortlos schob er Felix die Flasche unter die Nase, der saugte den Duft hoch und war verblüfft. Das war tatsächlich Extra Klasse. Er sah Pierre an, sagte nichts, ließ den Duft nachwirken und fragte: „Woher?“
Pierre lächelte überlegen und erklärte: „Keine gewerbsmäßige Destille kann es sich leisten so zu brennen. Der Stoff würde einfach zu teuer, es gibt edle Tropfen die fünfzig oder hundert Jahre alt sind, doch die kann kein Mensch bezahlen. Snobs die die Preise zahlen, mögen von Geld Ahnung haben, aber nicht von Cognac. Ich behaupte und mit mir die Leute die den Stoff herstellen, nach so vielen Jahren Lagerung, ist die Essenz des Cognacs durch den Korken diffundiert, verflogen. Heute haben die Flaschen einen Metalldrehverschluss, die alten sind mit Kork und Wachs gesichert, organischem Material. Genau wie der Korken altert auch das Wachs.“
So ging das eine ganze Weile, neben Segelbooten schien Pierre eine zweite Leidenschaft zu haben, den Cognac. „Das ist nicht verwunderlich,“ erklärte er, „meine Mutter kommt aus der Region Cognac, meine Familie mütterlicherseits lebt vom Cognacgeschäft. Mich hat die Herstellung des edlen Brandes fasziniert, verkaufen wollte ich das Zeugs nicht, bin kein Händler, habe schon früh mein Herz an die See verloren. Dreißig Jahre hatte ich sichere Schiffsplanken unter den Füßen, bis ein Tornado sie mir um die Ohren schlug. War mir Warnung, schulte um auf Landratte, was nicht heißt, ich hätte dem Meer total gekündigt, ein Segeltörn in Küstenreichweite muss ab und zu sein. Dabei komm ich aufs Geschäft. Mein Patron hier ist ein erstklassiger Skipper, sollte der Teich sie locken, ihm können sie sich anvertrauen.“
Pierre, schien Charlie nicht als Frau wahrzunehmen, für ihn war sie der Patron und der Skipper. Eine günstige Gelegenheit, einen Törn zu verabreden.
„Bedarf keiner Überlegung, Pierre,“ fasste Felix die Gelegenheit beim Schopf. „Wenn der Skipper mich anheuern lässt, kann es meinetwegen schon morgen losgehen. Was kostet ein Boot nach des Skippers Wahl pro Tag?“
„Das handle mit dem Skipper aus, Kumpel, ich halt den Laden auf Vordermann, Geschäft ist meine Sache nicht.“
Charlie’s Grauaugen glitzerten belustigt, als Felix sie ein wenig hilflos ansah. „Er spricht beinah die Wahrheit,“ erklärte sie. „Aber ich berichtige, wir sind Teilhaber, ich bin nicht sein Patron. Ist zu lange zur See gefahren, der gute Pierre, Tag und Nacht nur Kerle, kann mich deshalb nur als Patron und Skipper wahrnehmen, mich stört es nicht.“
Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen gegen zehn Uhr, nachdem ein passabler Preis mit einem deftigen Abschlag ausgehandelt war, gähnte
Charlie ungeniert, stand auf und befand: „Es ist gleich Mitternacht, morgen will ich frisch sein, also Gute Nacht, meine Herren,“ weg war sie.
„Kumpel, du musst auch ins Bett,“ Pierre nahm die Cognacflasche vom Tisch.
„Wo wohnst du?“ „Bei Bertot.“ „Gute Wahl, komm, ich zeig dir einen Weg, da brauchst du nicht über den Markt, schneidest die Hälfte ab.“
Zehn Minuten später hockte Felix auf seinem Bett und wählte Achmeds Nummer. Es war kurz nach zwölf, da würde er gerade schlafen gehen, eine Zeitverschiebung gab es nicht. Seine etwas verschlafene Stimme meldete sich. Felix erklärte ihm, wo er war und was er über die Küste in Erfahrung gebracht hatte. „Das hört sich gut an, meinte Achmed. Da werde ich langsam Gas geben. Darja und Robert, sind unterwegs nach Timbuktu. Was hast du jetzt vor?“ „Was ich erfahren habe, hieb-und stichfest machen, die Küste mit dem Segelboot in Augenschein nehmen. Habe einen tollen weiblichen Skipper aufgetan, vielleicht kann ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Also bis dann, Achmed, sollte sich Neues ergeben rufe ich an, ansonsten tauche ich ab. Schlaf gut!“
Als der Wecker klingelte war Felix schon wach, er ging ins Bad, spülte sich den Mund und zog sich an. Ein Blick in den Spiegel, wirkte nicht feingemacht sein Outfit. Er schlenderte die Straße zum Markt hinunter, guckte in die Schaufenster. Angelausrüstungen, Bootszubehör, klar, das Meer bestimmte das Leben der Menschen. Als er den Markt erreichte, war es fünf vor acht. Er maß das langgezogene Rechteck mit seinen Schritten, sah hinein in die Restaurants und Bistros, sämtlich boten sie Austern und Fisch in allen Variationen. Irgendwo hier würde er gleich mit Charlie sitzen oder auch nicht, möglich sie rümpfte das Näschen und befand das hier als zu touristisch. Acht Uhr, er näherte sich dem verabredeten Treffpunkt, ob sie ihn warten ließ?
Nein tat sie nicht, er erkannte sie in der Gasse, sie würden beide zugleich pünktlich einlaufen.
„Hallo Charlie!“ „Hallo Felix!“ „Pünktlich wie die Staatsbahn,“ begann er das Gespräch, „und wer ist die totschicke Dame, die da aus der ersten Klasse steigt? Mein Gott das ist ja Charlie, die ich versehentlich heute Mittag, so viel anders gesehen habe. War Fatamorgana, Schwamm drüber. Jetzt liebe Charlie, überlasse ich mich Ihrer Führung.“
„Geht klar, der guten Ordnung halber sag ich jetzt auch, lieber Felix. Vertrauen Sie sich mir an, wir navigieren in mir seit Kindsbeinen vertrauten Gewässern, da kann nichts schiefgehen.“
„Ay ay, Sir!“ Felix straffte sich militärisch und sah ihr fest in die grauen Augen.
Wie er vermutet hatte, waren die Marktplatz Restaurants nicht ihr Ziel. Charlie nahm eine der schmalen Gassen, an der Tür eines Hauses ohne jeden Hinweis auf ein Bistro oder Restaurant, klingelte sie. Ein kugelbauchiger, mehr breit als hoher Glatzkopf öffnete, wurde von Charlie Onkel Sascha genannt und zärtlich auf beide Wangen geküsst.
„Kommt, Kinder,“ befahl Onkel Sascha, reichte Felix die Hand und spießte ihn, mit einem gar nicht zu seinem Äußeren passenden, stahlblauen Blick. Es ging durch eine Art Keller, vollgestellt mit großen Bottichen, zu einer von herrlich blauen Clematis umrankten Pergola.
„Sucht euch einen Tisch, Charlie du weißt, wo Karte und Wein zu finden sind. Madelaine kommt, sobald ihr klingelt. Ich komm später nochmal, bis dahin lasst es euch schmecken.“
In Charlies Augen flimmerte ein Lächeln, als sie fragte: „Na wie gefällt es Ihnen?“
„Sehr orginell, zuerst einmal, wobei der Leibesumfang des Onkels beruhigt, ist sicher ein Leckermaul.“
„Und ob, er ist Austernzüchter und Händler, beliefert die halbe Region mit den delikaten Glibbertierchen. Er, und auch ich, schwören auf die Sorte Portugaise, vor Jahrhunderten von portugiesischen Schiffen hier eingeschleppt. Andere mögen die Belons lieber, sind schwerer, dicker und teurer. Belons kommen vorwiegend aus der Bretagne, kosten hier dreimal so viel wie die Portugaise.
Setzen wir uns an die Brüstung? Die Abendbrise ist so schön lau, das hebt Appetit und Stimmung. Ich hole den Wein, darf ich Sancerre vorschlagen? Der geht gut mit den Austern.“
Charlie kam mit einer Flasche und Gläsern zurück, entkorkte die Flasche bevor Felix eingreifen konnte und schenkte ein. Sie tranken, als beide gleichzeitig die Gläser absetzten, kreuzten sich ihre Blicke und er sagte: „Verdammt Charlie, ich fühl mich so sauwohl, vergessen wir das Sie!“
„A votre“ lachte sie, nahm ihr Glas und sie stießen an. „Bevor ich nach Madelaine klingele, Felix, mein Menüvorschlag: Erschrick nicht, pro Nase 18 Portugaise und 6 Belons, mag viel erscheinen, ist es aber nicht. Dazu gibt es Baguettes, Schwarzbrot und Butter. Schnickschnack wie Essig, Zwiebeln oder Zitrone sind überflüssig, erfunden um den Geschmack nicht mehr taufrischer Ware zu überdecken. Danach, sollten wir noch hungrig sein, wieder Austern oder Kurzgebratenes aus der Pfanne. Einverstanden?“
„Absolut Charlie, der Sancerre Nachschub versiegt hoffentlich nicht?“
„O Felix, Onkel Saschas Keller tränken wir in einem Jahr nicht leer, zu den Austern liefert er seinen Kunden auch den passenden Wein, vielleicht zeigt er uns seine Gewölbe.“
Charlie klingelte und Madelaine erschien mit einer grossen, drehbaren, dreistöckigen Platte, auf deren Etagen die Austern in Eis gebettet lagen.
„Die ganz oben, Felix, sind die Belons, die schlürfen wir mittendrin, zuerst müssen die Portugaise dran glauben, bitte kauen Monsieur, nicht einfach schlucken, das wär Perlen vor die Säue geworfen. Durch gründliches kauen lösen sich die Mineralstoffe, und der betörende Meerduft steigt in die Nase.“
Felix hatte schon Austern gegessen, in Frankreich aber auch in Afrika. In Afrika hatte er es schnell gelassen, die in Paris genossenen Tierchen hatte er noch in guter Erinnerung. Was er nun erlebte kam einem Kulturschock gleich. Er saugte das erste Tier vorsichtig von der Schale, wendete und drehte es mit der Zunge und zerbiss dann die weiche Moluske. Schon beim Einschlürfen glaubte er das Meer zu trinken. Doch jetzt, als die von seinen Zähnen zermalmte Auster, die Essenz ihres Gezeiten Lebens über seine Geschmacksknospen ergoß, ihr Duft seinen Riechkolben umhüllte, packte es ihn wie ein Rausch. Nie wurden seine Geschmackssinne derart gefordert. Vertieft in den unvergleichlichen Genuss, versuchte er ihn flach atmend, nicht enden zu lassen.
„Felix! Wie sie seinen Namen mit ihrem Lachen verquirlte, ließ ihn zu sich kommen, gleichzeitig trug es ihn hoch, intensivierte den Rausch. Vorsicht alter Junge, blitzte eine Warnlampe, verderb es nicht! Also die Augen noch ein wenig geschlossen halten, konzentrieren und wahrheitsgemäß stöhnen: „Charlie, hätte mir mein bester Freund prophezeit, wie on top ich heute sein würde, nie und nimmer hätte ich ihm geglaubt. Wie wäre es auszumalen gewesen? Dieser so deftige, Blumenduft und Seeluft umfächerte Ort, die unvermutete Sensation für Zunge und Nase, das alles übertrumpfend, Charlie, die sehr Charlotte ist, jedenfalls Charlotte sein kann.“
„Das mit der Charlotte, erklär mir bitte näher, Felix! Austern und Ort versteht sich, aber.., nein sag du es.“
„Charlotte ist weiblich, weich, träumerisch. Charlie ist keck, kompetent, selbstsicher. Beides bist du, im Alltag und bei flüchtigem Hinsehen, Charlie, lässt man sich ein auf dich, erscheint die Charlotte.“
„Wie erkennt man das so schnell, Felix?“
„Erkennen die Charlotte, gar nicht. Intuitiv erfühlen, schon.“
„Gut lassen wir es dabei, vor dir sitzt Charlie die dich fragt dich, ist dir bewußt, 46 Austern, frisch, frischer geht’s nicht, warten darauf gefressen zu werden! Also los, stürzen wir uns in den nächsten Gaumenkitzel!“
Hat sie gut pariert, möchte sich bedeckt halten, Schluss mit Tiefsinn. Wichtig ihr war klar, er fand sie interessant.
„Aber bitte vorher mit dem Sancerre anstoßen, Auster und Wein sind wie Schwester und Bruder, begegnen sie sich auf der Zunge.“
„Ein guter Spruch, Felix, den wird Onkel Sascha in sein Repertoire aufnehmen, da bin ich sicher.“
Es stellte sich als herrliches Vergnügen heraus, sich mit der springlebendigen Charlie durch den Austernberg zu schlürfen, zu kauen, zu schnuppern. Nicht nur die Geschmacksnerven wurden unentwegt gekitzelt, je später der Abend, umso mehr fühlte er, welch ein Sog von diesen grauen Augen ausging. Er suchte ihren Blick, hielt ihn fest und zu seinem Entzücken, war sie von mal zu mal bereiter, ihren Blick mit seinem zu verschränken.
Die zweite Flasche Sancerre war fast getrunken, acht Austern übriggeblieben. Charlie leckte sich die Lippen und sagte: „Der Abend steht noch in voller Blüte, was hälst du von weiteren 12 Austern, das macht für jeden 10, mit den 8 die uns da so allein gelassen ansehen?“
„Viel Charlie, die Blüte düngen wir mit einem Fläschchen Veuve Cliquot, ich denke der Schampus verträgt sich mit den Schalentieren?“
„Gemacht, ich klingele der Madelaine, vielleicht hat sie schon geahnt was wir wollen, und bringt es gleich mit.“
Madelaine erschien, „was darf es noch sein?“
„Du weißt es nicht, Madelaine?“
„Wie sollt ich, wir belauschen unsere Gäste nicht.“
„Siehst du, Felix so kann Frau sich irren,“ kicherte Charlie.
Wir bestellte die Austern, den Champagner, und es dauerte keine drei Minuten bis serviert war. Charlie saß da und nickte, als Madelaine weg war, meinte sie: „wer so schnell auftischt, lauscht!“
Felix lachte und schenkte ein, sie prosteten sich zu, tranken und er merkte wie ihm das Kribbelwasser zu Kopf stieg. Vorsicht Felix, langsam trinken, viel Baguette mit Butter dazu essen!
Da kam schon Charlies Kommentar: „Das Zeugs steigt mir zu Kopf, nimm dich in Acht, Felix, wir hätten beim Sancerre bleiben sollen.“
Sie hatte es kaum gesagt, als Onkel Sascha auftauchte, den Champagner durch eine Flasche Sancerre ersetzte und Charlie anmeckerte: „Du solltest es besser wissen, nach zwei Flaschen Sancerre, haut das den stärksten Mann um. Ich habe noch nichts gehabt, ich übernehm die Flasche und setz mich einen Moment zu euch.“
Wie sich herausstellte, war Sascha Begret, ein weit gereister Mann.
Nicht als Matrose oder Skipper auf einem Schiff, dafür bin ich zu kurz, lachte er. Aber als Handlungsreisender in Austern und Wein, bin ich durch ganz Europa gekommen. Auch die USA haben wir eine Weile im Visier gehabt, aber deren Zollbestimmungen waren uns zu abartig, da haben wir es gelassen. So vergingen die Austern, die dritte Flasche und der Abend, bis kurz bevor sie aufbrachen, Sascha wissen wollte: „Womit fristest du dein Leben, Felix?“ und die Antwort erhielt: „Ich bin der oberste Polizist von Hatta. „Das Hatta, Felix? soviel ich weiß gibt es nur eins, muss also der Moloch in Afrika sein.“
„Ist der Moloch, Sascha.“ „Darf ich fragen, was dich hierher verschlagen hat?“
„Ganz einfach, Sascha, Urlaub und Sehnsucht nach Frankreich. Afrika ist so ganz anders, als das hier. Ich spreche nicht von Paris, Paris in der Banlieu ist wie Hatta. Aber dies hier ist Heile Welt, Friede. Habe mir nicht vorstellen können, einen solchen Abend wie diesen zu erleben. Mein ganzer Urlaub ist jetzt schon gelungen.“
Sascha lachte, „Charlie ist eine Hexenmeisterin, die begehrteste Dame am Ort, doch sie verschmäht jeden.“
„Das stimmt nicht, Onkel Sascha, war Julien etwa kein Mann?“ protestierte Charlie.
„Klar trug der Hosen und rasierte sich, war dir aber nicht gewachsen. Ich bin froh, dass du ihn weggejagt hast,“ feixte Sascha.
„Lieber Onkel, ich hab ihn nicht weggejagt! Wir haben uns getrennt, das kommt vor.“
„d’accord, ihr habt euch getrennt und er hat jedem erzählt, wie sehr er dich liebe, wie schrecklich es für ihn ohne dich sei. Vergessen wir Julien. Julien ist nur gut als Jus.“
„Charlie strampelte mit den Beinen, und schrie vor Lachen. Sascha pass auf, das du nicht Jus wirst, bist weit ergiebiger als der dürre Julien.“
So ging das weiter, Charlie und Sascha wollten immer mehr von Afrika hören, warum er dort bliebe, ob es für Weiße nicht gefährlich sei? und er erzählte von der Farbenblindheit die sich einstelle, ließ man sich auf das Land ein. Natürlich konnte sich Sascha nicht verkneifen, nach einer Ehefrau zu fragen.
„War nie verheiratet, Sascha. Warum das so ist, kann ich erklären. Die weißen Frauen kommen mit ihren Männern nach Hatta, bis deren Job erledigt ist, dann geht es ab nach Europa oder Amerika. Also heiraten ist nicht. Die ledigen weißen Frauen, es gibt nicht viele, aber es gibt sie, sind nur des Geldes wegen dort. Nichts hält sie in Hatta, wenn sie genug gerafft haben.“
Sascha nickte verständnisvoll: „Ist zu verstehen, wenn die so schnell wie möglich wegwollen, was hält dich eigentlich bei den Wollköppen?“
Bevor Felix antworten konnte, warf Charlie das Handtuch. „Stopp Sascha, noch zwei Fragen weiter, und wir sind mitten in der Politik. Für ein solches Ende ist mir der schöne Abend zu schade. Ich meine wir haben gut gegessen und getrunken, machen wir Schluss. Kluge Leute hören auf, wennn es am Schönsten ist. Madelaine die Rechnung!“
Madelaine die sicher auch Feierabend haben wollte, war sofort mit der Rechnung da, Felix zahlte, Charlie küsste ihren Onkel, der brachte sie zur Tür, schüttelte beiden kräftig die Hand und lud sie ein, bald möglichst wieder zukommen.
Auf der Gasse pustete Charlie laut, „Gott sei Dank, dem sind wir entkommen. Weißt du, Felix,“ fuhr sie fort, „der Onkel ist ein herzensguter Mensch, politisch jedoch ein ausgemachter Esel. Ein Le Penist von reinstem Wasser, glaubt wir Franzosen seien die einzig wirklichen Menschen, der Rest der Welt zweitklassig. Es ist völlig sinnlos mit ihm zu diskutieren, er hört nicht zu, verkündet zusammenhanglos seine verquasten Phrasen. Genug davon, sein Wein, Austern und Gastfreundschaft sind legender, ich sah du gabst Madelaine 50.- Euro, wie hoch war die Rechnung?“
„42.- Euro, Charlie für das was aufgefahren wurde, geschenkt.“ „Absolut, darauf wollte ich hinaus, hätten wir das in einem der Bistros am Markt verzehrt, hätten die dir 150.- Euro abgenommen.“
„Wie findet er seine Rechnung, Charlie?“
„Ganz einfach, er bewirtet keine normalen Gäste, die Pergola ist das Probierstübchen für Kunden die ihn besuchen kommen, um Wein und Austern für den Wiederverkauf bei ihm zu bestellen. Ich als seine Lieblingsnichte, darf kommen, mit wem und so oft ich lustig bin. Sascha ist der Zwilligsbruder meiner früh verstorbenen Mutter, sie und er waren ein Herz und eine Seele.“
„Verstehe, doch wie geht es weiter, kleine Schönheit? Der Abend ist noch jung, gibt es hier einen Schwof?“
„Sicher, nicht nur einen, lass mich nachdenken, ich war seit ewig nicht mehr tanzen. Der Vorschlag ist verlockend, komm, ich weiß wo was los ist, keine Viertelstunde von hier.“
Er nahm ihre Hand, und sie gingen los. Schon bald bestimmte der wummernde Beat, der ihnen entgegenschallte, ihren Schritt. Geht in die Knochen, lachte Charlie und probierte ein paar Schritte, ließ ihre Hand aber in seiner. Vor dem Laden ein Haufen Leute, der Türsteher erklärte kategorisch, nichts geht mehr, ich darf keinen mehr reinlassen. Wir bekommen sonst Ärger mit der Feuerwehr.
Felix stülpte die Lippen vor, sah Charlie an, die zuckte die Schulter: „Wer nicht will der hat,“ murrte sie, und schlug vor: „Komm gehen wir den Strand entlang, sehen nach ob Pierre noch im Hafen ist, er hat immer Rat für Gestrandete parat.“
Gestrandet? Nein gestrandet fühlte er sich nicht, die Dame die ihr Händchen in seine Hand schmiegte, machte auch nicht den Eindruck. Pierre, war der Mann vom Bootsverleih, wenn er sich richtig erinnerte. Pierre, der Herr mit der strengen Prüfung. Dazwischen schätzte er, lagen zwanzig Minuten Strandweg, ein Vergnügen für zwei wie sie, voll Verlangen, die nichts überstürzen wollen.
Langsam angehen lassen, Felix. Charlie war eine offene Frau, die keine Spielchen spielte, umso mehr, das war zu ahnen, beobachtete sie, wie er sich verhielt. Da mochte der Mond das Meer zu seinem Spiegel machen, der laue Wind noch so säuseln, er hielt sich im Zaum. Ihre Finger sanft drücken, Zärtlichkeit in die Stimme legen, alles weitere der Intuition und dem Augenblick überlassen. Nachdem sie eine Weile, im Takt der allmählich verwehenden Musik, stumm nebeneinander hergegangen waren, brach er das Schweigen und fragte:
„Charlie, Pierre ist doch der Bootsverleiher?“
„Richtig, Felix, er führt das „Bon Voyage“, der Mann mit der strengen Prüfung, von dem ich erzählt habe.“
„Hab es mir durch den Kopf gehen lassen, ich würde das Examen nicht bestehen, dabei glaube ich ein passabler Segler zu sein. Vor der Küste von Hatta haben Achmed und ich, schon manchen Sturm abgeritten. Ganz ohne nautisches Tralala.“
„Felix, wirf es nicht so weit weg. Unsere Küste ist tückisch, für die Schwimmer mag der so sacht abfallende Grund ideal sein, aber ein Boot fährt sich blitzschnell fest. Von einem großen Pott ganz zu schweigen. Vor einigen Jahren ist ein Zwanzigtausend Tonner hier gestrandet, der Steuermann muss sternhagelvoll gewesen sein, anders ist die Havarie nicht vorstellbar. Zwei Hochseeschlepper haben einen Tag gebraucht, um den Eimer freizuschleppen. Gott sei Dank, ist niemand zu Schaden gekommen. Die Besatzung hat ein Fallrepp runtergelassen und am Strand Fußball gespielt, bis ihr Pott wieder flott war.“
O Charlie, dachte er, welch großartige Information. An sich wusste er jetzt schon, was er auf einem Segeltörn in Erfahrung bringen wollte. Ein dickes Schiff, sanft an Land geglitten. Die Matrosen mit dem Fallrepp zum Fußballspielen an den Strand. Das hieß bis zum Gürtel oder den Schultern im Wasser. Halleluja! Achmed wird seinen dicken Bauch nicht mehr ruhig bekommen, so wird ihn das Freudenlachen schütteln.
„Hört sich kurios an Charlie, möchte nicht in der Haut des Kapitäns gesteckt haben, als der rapportieren musste.“
„Heutzutage halb so schlimm, Felix, die Christliche Seefahrt ist auf den Hund gekommen, seit es nur noch um Profit geht. Es ist fraglich ob der Kapitän überhaupt ein Kapitän war, mit Patent für Große Fahrt, meine ich. Unser Gendarm hat seine Papiere eingesehen, ein Araber aus dem Jemen. Wenn die Reederei ihn rauswerfen sollte, bekommt er schnell ein neues Schiff, der fährt für ein Zehntel des Lohns eines richtigen Kapitäns.
Allerdings würde ein Kapitän mit Patent, nicht auf einem Seelenverkäufer wie der „Lingua“, so hieß die Rostlaube, anheuern. Humor hatten die Eigner, Lingua, sollte nehm ich an, darauf hinweisen: Jedes Besatzungsmitglied spricht eine andere Sprache, Verständigung ist nicht.“
„Dann könnte ein solcher Unfall sich wiederholen, Charlie?“
„Darauf kannst du Gift nehmen. Von der Mündung der Loire bis La Rochelle, ist die Küste wie hier. Bei Flut kannst du, mit etwas Glück, bis auf die Strandpromenade fahren. Unten im Süden, von der Gironde bis Bayonne, ist es nicht viel anders.“
Mission erfüllt, Felix, mehr Info ist nicht nötig. Entspannen und den Erkundungsdrang auf die entzückende Charlie konzentrieren. Ein Licht tauchte aus der Dunkelheit auf.
„Wir sind gleich da,“ Charlie zeigte auf das Licht, „Pierre ist noch nicht gegangen, bosselt sicher an einem Boot, er kann kein Ende finden. Kein noch so kleiner Verschleiß entgeht seinem ständig prüfenden Blick. Dieser Blick gilt nicht nur Dingen, auch Menschen verschont er nicht. Manche halten das nicht aus und meiden Pierre. Ich sprech nicht von Gästen, denen ist der Bootsverleiher gleichgültig.
Einheimische dichten ihm den bösen Blick an, dabei ist er eine Seele von einem Menschen.“
Wir standen vorm „Bon Voyage“ die Tür war abgeschlossen. Charlie klopfte, nach einer Weile tauchte aus dem Hintergrund, ein strengblickender, weißhaariger Riese auf. Charlie rief seinen Namen. Sofort verwandelte sich sein Gesicht, unzählige Lachfältchen um die Augen, wischten die Strenge fort.
„Bon soir, mon Patron!“ dröhnte es aus der breiten Brust. Er hob Charlie vor sein Gesicht, und sie küsste seine bärtigen Wangen. Als er sie abstellte, nieste sie und schimpfte: „Wie oft muss ich dir noch sagen, Pierre, wer geküsst werden will, muss sich pflegen. Dein Bart hat sicher eine Woche keine Schere gesehen, die vorwitzig langen Haare, kitzeln bis in die Nebenhöhlen.“
„Patron,“ wieherte Pierre, „Nebenhöhlen ist gut, du kennst mein Credo: Inspektion ist alles, was tu ich den lieben langen Tag? Ich untersuche, kratze, beklopfe, suche nach Dingen, die es nicht gibt und finde sie. Warum? Weil ich unsere Boote liebe. So ist es, ich liebe unsere Boote, beglucke und untersuche sie ständig, da soll ich bei dir, lieber Patron, eine Ausnahme machen? Wann, sag, wurden deine Nebenhöhlen zuletzt inspiziert? Vor Jahren nehm ich an, also sei mir dankbar für die Fürsorge.“
Jetzt ging ihm auf, das Patron einen Begleiter hatte. Die Lachfältchen wurden zu Runzeln. Er bot seine Pranke und sagte: „Pierre Moulin, Guten Abend!“
Felix nannte seinen Namen, ließ seine Hand in der Pranke verschwinden und erwiderte seinen Blick mit gleicher Intensität.
Pierre stand ein wenig vornübergebeugt und sagte nichts weiter. Den ganzen Abend konnten wir nicht uns fixierend stehen bleiben, da sollte Charlie eingreifen. Das tat sie, anders als Felix es erwartete.
„Hallo ihr Beiden, seit ihr fertig mit gucken? Pierre, Felix hat einen erstklassigen 5000 Pixel Apparat, da könnt ihr euch morgen wechselseitig fotografieren, die Bilder auf eure Nachttischchen stellen, müsst euch nicht länger ansehen.“
Patrons Stimme schien Zauberkraft über den vierschrötigen Kerl zu besitzen, er drehte sich zu ihr, die Wolke über seinem Gesicht verwandelte sich in Lächeln.
„Aye, Aye Sir!“ schnaufte er, und im gleichen Atemzug: „Setzt euch doch bitte, was wollen wir trinken? Wein rot oder weiß? Cognac, hochklassig, privat schwarz gebrannt, den nehm ich, ihr Wein?“
„Ich Wein, weiß, entschied Charlie, du Felix?“
„Cognac, hochklassig, privat schwarz gebrannt, Wein ist für Damen.“
Pierre schnaufte und verschwand. „Komm mit,“ Charlie nahm seine Hand und zog ihn durch mehrere dunkle Kammern, in einen großen Raum mit einem zum Meer gewandten Riesenfenster. Das Interieur war einer Kajüte nachgebildet, oder früher Kajütenmöbel gewesen. Felix sah sich um und Charlie erklärte: „Pierre ist dreißig Jahre zur See gefahren, zwei Tage nach seinem fünfzigsten Geburtstag geriet sein Schiff, er war der Steuermann, in einen Tornado, schlug leck und versank innerhalb von zehn Minuten mit Mann und Maus. Halt nicht ganz, Pierre und ein Schiffsjunge klammerten sich an einen Container der sich losgerissen hatte und nicht unterging. Der Junge hatte seine Schwimmweste angelegt, die mit einem Peilsender versehen war. Nach 48 stürmischen Stunden wurden sie von einem Dampfer, der nahe genug vorüberkam den Sender zu registrieren, aus dem Meer gefischt .
Pierre kam mit drei Gläsern und zwei Flaschen zurück. Felix nahm die Weinflasche, entkorkte und goß Charlie ein. Pierre wickelte voll Andacht den Cognac aus einer Ausgabe des Matin. Die Flasche, eine Mineralwasserflasche mit Drehverschluss. Er öffnete, hielt die Nase über die Öffnung, schnupperte und lächelte selig. Wortlos schob er Felix die Flasche unter die Nase, der saugte den Duft hoch und war verblüfft. Das war tatsächlich Extra Klasse. Er sah Pierre an, sagte nichts, ließ den Duft nachwirken und fragte: „Woher?“
Pierre lächelte überlegen und erklärte: „Keine gewerbsmäßige Destille kann es sich leisten so zu brennen. Der Stoff würde einfach zu teuer, es gibt edle Tropfen die fünfzig oder hundert Jahre alt sind, doch die kann kein Mensch bezahlen. Snobs die die Preise zahlen, mögen von Geld Ahnung haben, aber nicht von Cognac. Ich behaupte und mit mir die Leute die den Stoff herstellen, nach so vielen Jahren Lagerung, ist die Essenz des Cognacs durch den Korken diffundiert, verflogen. Heute haben die Flaschen einen Metalldrehverschluss, die alten sind mit Kork und Wachs gesichert, organischem Material. Genau wie der Korken altert auch das Wachs.“
So ging das eine ganze Weile, neben Segelbooten schien Pierre eine zweite Leidenschaft zu haben, den Cognac. „Das ist nicht verwunderlich,“ erklärte er, „meine Mutter kommt aus der Region Cognac, meine Familie mütterlicherseits lebt vom Cognacgeschäft. Mich hat die Herstellung des edlen Brandes fasziniert, verkaufen wollte ich das Zeugs nicht, bin kein Händler, habe schon früh mein Herz an die See verloren. Dreißig Jahre hatte ich sichere Schiffsplanken unter den Füßen, bis ein Tornado sie mir um die Ohren schlug. War mir Warnung, schulte um auf Landratte, was nicht heißt, ich hätte dem Meer total gekündigt, ein Segeltörn in Küstenreichweite muss ab und zu sein. Dabei komm ich aufs Geschäft. Mein Patron hier ist ein erstklassiger Skipper, sollte der Teich sie locken, ihm können sie sich anvertrauen.“
Pierre, schien Charlie nicht als Frau wahrzunehmen, für ihn war sie der Patron und der Skipper. Eine günstige Gelegenheit, einen Törn zu verabreden.
„Bedarf keiner Überlegung, Pierre,“ fasste Felix die Gelegenheit beim Schopf. „Wenn der Skipper mich anheuern lässt, kann es meinetwegen schon morgen losgehen. Was kostet ein Boot nach des Skippers Wahl pro Tag?“
„Das handle mit dem Skipper aus, Kumpel, ich halt den Laden auf Vordermann, Geschäft ist meine Sache nicht.“
Charlie’s Grauaugen glitzerten belustigt, als Felix sie ein wenig hilflos ansah. „Er spricht beinah die Wahrheit,“ erklärte sie. „Aber ich berichtige, wir sind Teilhaber, ich bin nicht sein Patron. Ist zu lange zur See gefahren, der gute Pierre, Tag und Nacht nur Kerle, kann mich deshalb nur als Patron und Skipper wahrnehmen, mich stört es nicht.“
Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen gegen zehn Uhr, nachdem ein passabler Preis mit einem deftigen Abschlag ausgehandelt war, gähnte
Charlie ungeniert, stand auf und befand: „Es ist gleich Mitternacht, morgen will ich frisch sein, also Gute Nacht, meine Herren,“ weg war sie.
„Kumpel, du musst auch ins Bett,“ Pierre nahm die Cognacflasche vom Tisch.
„Wo wohnst du?“ „Bei Bertot.“ „Gute Wahl, komm, ich zeig dir einen Weg, da brauchst du nicht über den Markt, schneidest die Hälfte ab.“
Zehn Minuten später hockte Felix auf seinem Bett und wählte Achmeds Nummer. Es war kurz nach zwölf, da würde er gerade schlafen gehen, eine Zeitverschiebung gab es nicht. Seine etwas verschlafene Stimme meldete sich. Felix erklärte ihm, wo er war und was er über die Küste in Erfahrung gebracht hatte. „Das hört sich gut an, meinte Achmed. Da werde ich langsam Gas geben. Darja und Robert, sind unterwegs nach Timbuktu. Was hast du jetzt vor?“ „Was ich erfahren habe, hieb-und stichfest machen, die Küste mit dem Segelboot in Augenschein nehmen. Habe einen tollen weiblichen Skipper aufgetan, vielleicht kann ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Also bis dann, Achmed, sollte sich Neues ergeben rufe ich an, ansonsten tauche ich ab. Schlaf gut!“