Forever And Ever

GerRey

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Heute Morgen stand ich schon um acht Uhr bei der Bushaltestelle, um die letzten Teile meiner Ausrüstung in die Firma zu bringen, nachdem ich vorige Woche gekündigt hatte. Zwischen neun und halb zehn war der Abgabetermin. Bei dem prall gefüllten Trolly, der da neben mir an der Haltestelle stand, bekam ich leichte Bauchschmerzen. Aber noch war ich am Anfang meiner Reise, wo ich auf den Bus als erstes öffentliches Verkehrsmittel wartete. Diesen Trolly hatte ich jetzt quer durch die Stadt zu fahren: Bus, U-Bahn und noch einmal U-Bahn (eine andere Linie).Ich sah vor meinem inneren Auge Tausende von Menschen, die mich am freien Weiterkommen behindern würden - mit dem Trolly als zusätzliche Hürde, aber es war nicht sein Inhalt, sondern sein Umfang, der die Reise sperrig machte. Am liebsten hätte ich das Zeug in die nächste Mülltonne geworfen. Samt Trolly.
In dem Vorort-Bus war alles ganz easy; nicht einmal ein paar alte Weiblein fuhren zum Einkaufen aus. Auch am Campingplatz stiegen von den Appartementhäusern her nur zwei junge Frauen ein - vielleicht Schülerinnen einer höher bildenden Schule?
Ich hatte mich ganz nach hinten gesetzt; der Trolly war mir vom Mitteleinstieg, der uns automatisch geöffnet wurde, durch den fahrenden Bus fast von ganz allein nachgelaufen. Ich hielt ihn in der hintersten Reihe (und blockierte die zwei Sitze neben mir). Aber ich musste kein brutales Gesicht aufsetzen, um meine Position zu verteidigen: die beiden Sitze wollte sowieso keiner. Die Fahrt bis zur U-Bahn verlief problemlos - im Bus saßen nie mehr als fünf oder sechs Leute. Allerdings stieg mit mir eine schwangere Frau aus, die wie auf rohen Eiern ging.
“Ist Ihnen schlecht?” fragte ich fürsorglich. Aber sie watschelte langsam weiter, als hätte sie mich nicht gehört, beide Hände am stark gewölbten Bauch. Also überholte ich sie weiträumig, überquerte die Straße und machte mich auf zur U-Bahn. Bis Stephansplatz musste ich fahren und dort umsteigen. Auch im Zug, auf den ich in der Station nicht warten musste, war anfänglich alles locker. Ich blieb beim Ausstieg stehen, weil ich wusste, dass sich die U-Bahn spätestens zwei Stationen weiter schnell füllen würde. Und da ich mich mit meinen klobigen Gefährt nicht zwischen den Leuten durchzwängen wollte, um später zum Ausstieg zu kommen, verzichtete ich darauf zu sitzen. Es tat sich aber nicht besonders viel, und ich stand dann da an der Tür, in die Ecke gelehnt zwischen Trennwand zu den Sitzen und dem Rahmen der Tür, den Trolly neben mir - wie ein Aussätziger! -, während sich die Sitze kontinuierlich füllten.
Mitten drin spürte ich plötzlich, dass mich jemand beobachtete. Ich ließ die Blicke auf die Sitze in meiner Richtung schweifen; die Frau vor mir: schlank, um die Vierzig, langes, glattes braunes Haar, Brille, angenehme Züge - nur ein wenig flach in der Oberweite für meinen Geschmack (was jedoch nie ein Hinderungsgrund war oder ist) -, sah schnell zum Fenster hinaus, als ich sie mit meinem Blick erfasste.
Habe ich den Hosenschlitz offen? fragte ich mich. Mein Black Sabbath Shirt wird’s ihr doch nicht angetan haben? Möglicherweise hatte sie auch einmal was mit einem Typen, der gerne Black Sabbath hörte, und der steckte vielleicht immer noch in ihr - eine Handbreit hinter der Pforte der Glückseligkeit? Gib mir ein Zeichen, Süße, und ich werfe den Trolly an der nächsten Station zur Tür hinaus!
Ich musterte sie; Jeans, eine modisch verzerrte Army-Jacke; darunter eine zweifarbig gestreifte Bluse in unauffälligen Farben (die obersten drei Knöpfe offen). Ihre Augen blieben in dem draußen vorbeirauschenden Dunkel haften. Also ließ auch ich meine Blicke wieder unwillkürlich schweifen.
Jedoch spürte ich es gleich darauf abermals, wie mir ihre scheue Aufmerksamkeit zuteil wurde. Als ich zu ihr hin blickte, richtete sie ihren Blick schnell wieder nach draußen. Jetzt blieb ich mit den Augen auf ihr. Würde sie mich anschauen, würde ich mich in ihren Blick hängen. Und so war es. Wir blieben - blick-mäßig - ineinander verschlungen, für sechs, sieben Augenblicke - dann schweifte sie nach oben ab.
Okay, dachte ich: Zur Strafe schaue ich Dich jetzt überhaupt nicht mehr an! Wer nicht zwischen den Blicken zu lesen vermag, ist des Bebens der Liebe nicht würdig.
Ein Komiker, der in sein Handy irgendetwas von fünf oder sechs Badezimmern quasselte, erleichterte die Entscheidung, da er sich zwischen uns stellte und uns die Sicht aufeinander nahm. Zwei Stationen später war ich mit meinem Trolly out - forever and ever.
 



 
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