Fortuna ist blind - Kapitel 8 und 9

VIII – Die Auflösung

Mit Constable Smith im Schlepptau erreichte Ariadne Oliver das Landhaus. Am Portal klingelte sie Sturm. Glover öffnete ihr sichtlich verärgert, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Wo befindet sich Mr. Kettridge?«
»Bei den anderen Herrschaften im Salon, Madam. Er berichtet wohl gerade allen von dem Unglück am Pier.«
»Danke, Mr. Glover«, brachte Smith noch schnell hervor. Er hatte Mühe der hastig davoneilenden Frau zu folgen.
Mrs. Oliver hatte den Salon erreicht, betrat ihn und schaute sich gehetzt um. Colonel Withers stand am Kamin und rauchte eine Pfeife, Dr. Rasmussen saß in einem Sessel und hatte einen Zeitschrift auf dem Schoß und Maxwell stand mit Eunice in der Nähe der Chaiselongue und wollte gerade mit ihr anstoßen. »Trinken Sie das nicht, das ist vergiftet!«
Der durchdringende Ausruf war nicht ohne Wirkung. Die beiden Gläser polterten zu Boden. Ebenso die Zeitschrift als Dr. Rasmussen aufsprang. Einzig der Oberst blieb gefasst. Alle Blicken lagen nun auf der Autorin.
»Was reden Sie denn da?«, fragte Eunice und schaute Mrs. Oliver mit einer Mischung aus Unglaube und Bestürzung an.
Dr. Rasmussen war indes zu dem Ehepaar getreten und hatte sich dort hingehockt. Vorsichtig schob er die zersprungenen Gläser zur Seite, tunkte einen Finger in die verschüttete Flüssigkeit und probierte. Schließlich hob er den Kopf wieder. »Veronal. Ein starkes Schlafmittel. Mrs. Kettridge benutzt es. In hoher Dosierung absolut tödlich.«
»Nur in welchem Glas war es?« Hilflos blickte der Constable zu der Schriftstellerin.
»Es war im Glas von Eunice Kettridge und hinein getan hat es ihr Mann«, antwortete Mrs. Oliver.
Dr. Rasmussen hievte sich wieder hoch. »Also jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ist das denn hier ein Irrenhaus?«
»Eher eine Mördergrube.« Mrs. Oliver atmete tief durch. »Mr. William Kettridge und seine Söhne waren sich gegenseitig sehr zugetan. Die Familienbande waren sehr stark. Doch einer ging weiter. Maxwell Kettridge. Für ihn ist das höchste Gut nicht allein die Familie, sondern auch die Familienehre. Als ich mich einmal herabwertend über Franklin äußerte, fühlte er sich gleich mit angegriffen. Ich hatte die Familienehre verletzt. Dann wurde sein Vater getötet und Maxwell muss geschworen haben, ihn eigenhändig zu rächen. Die Familienehre gebietet es. Vendetta nennt man es in Italien. Blutrache. Zuerst sah es so aus, als wäre Franklin der Täter gewesen. Also tötete Maxwell seinen Bruder. Familienehre über Familie. Doch Franklin war nicht der Mörder. Er hatte einen Unschuldigen umgebracht. Seinen Bruder noch dazu. Diesen Fehler wollte er nun wieder gut machen. In seinem Gespräch mit mir nach der Rettung seines Bruders, wurde ihm schließlich klar, wer seinen Vater wirklich ermordet hatte, und wollte sein Werk nun korrekt vollenden.«
»Aber … Aber …«, stammelte Dr. Rasmussen. »Das hieße ja, dass Eunice ihren Schwiegervater umgebracht hat. Das kann ich nicht glauben.«
»Oder, dass Maxwell wieder die falsche Person erwischt hat«, warf der überforderte Constable zaghaft ein. »Oder haben Sie Beweise für Ihre Behauptungen, Mrs. Oliver?«
»Ich fürchte die habe ich nicht. Nur meine weibliche Intuition. Aber hören Sie mir bitte weiter zu. Dann werden Sie selbst sehen, dass alles Sinn macht.«
»Bitte«, seufzte Smith.
»Gut.« Mrs. Oliver fuhr also fort. »Ich erwähnte in dem besagten Gespräch die Müdigkeit von Maxwell Kettrige in der Nacht nach dem ersten Mord. Bei ihm muss der Groschen sofort gefallen sein. Bei mir leider erst etwas später. Zum Glück aber nicht zu spät. Es ist alles so einfach. Eunice Kettridge hat ihr Schlafmittel ihrem Mann verabreicht anstatt es selbst zu nehmen. So stellte sie sicher, dass er nicht aufwachen würde, wenn sie ein Taschentuch und die Schlüssel von ihm nahm und dann das Zimmer verließ. Den Dolch hatte sie sich schon am Nachmittag während der Abwesenheit von Franklin angeeignet. Sie ging hinunter, fing ihren Schwiegervater bei seiner abendlichen Runde ab, erstach ihn und flüchtete zur Rückseite des Gebäudes. Den Dolch und das Taschentuch, das sie benutzt hatte, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, ließ sie einfach fallen. Sie würden sie ja nicht belasten. Dann betrat sie das Haus durch die Terrassentür mit Hilfe von Maxwells Schlüssel, eilte die hintere Treppe hinauf und schlüpfte in das gemeinsame Schlafzimmer zurück. Der perfekte Mord.«
»Biest«, presste Maxwell hervor. »Und dich habe ich geliebt. Oh, wie gut ich jetzt John verstehe.«
Doch Eunice achtete nicht auf ihn. »Was für ein Motiv soll ich denn gehabt haben? Ich habe hier doch alles, was ich brauche. Mir geht es doch gut.«
»Beides stimmt nicht, Mrs. Kettridge.« Mrs. Oliver blickte die junge Frau bedauernd an. »Ihnen ging es hier nicht gut. Sie waren kränklich. Deshalb wurde doch Dr. Rasmussen hergebeten. Doch nicht ihm ist es zu verdanken, dass es Ihnen jetzt besser geht. Ihnen fehlte nämlich die Freiheit. Sie waren hier eingesperrt. Hier im Landhaus. Hier in diesem ruhigen, langweiligen Badeort. Unfähig, sich aus der finanziellen Abhängigkeit zu befreien. Und ihr Mann? Der fühlte sich hier wohl und wollte gar nicht weg und dieses Leben aufgeben. Er hing zu sehr an seiner Familie. Da Sie das wussten und ihn liebten, haben Sie ihn auch nie gedrängt, von hier fort zu gehen. Dabei hätte er es vielleicht getan. Er liebte Sie doch mindestens genauso. Aber lieber haben Sie gelitten. Doch niemand kann unendlich viel Leiden ertragen. Ist es nicht so?«
Eunice blickte zu Boden und schwieg.
»Das klingt wirklich alles recht einleuchtend«, musste Smith bestätigen. »Haben Sie denn dafür wenigstens Beweise?«
»Nein«, musste Mrs. Oliver zugeben. »Leider auch nicht.«
»Und wie sieht es mit dem Mordanschlag auf John Kettridge aus?«, warf Dr. Rasmussen ein. »Eunice hatte ihre Freiheit doch nun mit dem Tod von William Kettridge. Haben Sie dafür zumindest eine Erklärung?«
Doch die hatte die Schriftstellerin ebenso wenig. Im Grunde konnte das auch das Werk eines skrupellosen Räubers sein, der John nach dem betäubenden Schlag noch um seine Brieftasche erleichtert hat. »Es tut mir leid.« Betroffen senkte sie ihr Haupt.
»Ich habe was Sie brauchen, Constable.«
Alle Augen wandten sich dem Sprechenden zu. Es war Colonel Withers.
»Dann bitte. Nur zu«, drängte Smith, dem schon der Kopf schwirrte. »Es wird Zeit, dass es hier endlich handfest wird.«
Withers nahm die Pfeife aus dem Mund und fing an. »Alles, was Mrs. Oliver über meine Tochter gesagt hat, stimmt. Ich gebe es ungern zu, aber ich sah sie draußen in jener Nacht. Anders als Mrs. Oliver habe ich den Schatten, der vom Tatort verschwand, genau erkennen können, da aus den Haushaltsräumen Licht fiel. Es war meine Tochter.« Er zupfte traurig an seinem Schnurrbart. »Es stimmt, dass niemand unendlich viel Leiden ertragen kann. Aber Eunice hätte es ertragen. Aus Liebe zu ihrem Mann. Das Fass wurde durch etwas anderes zum Überlaufen gebracht.«
»Hat das etwas mit den Briefen zu tun, die sie verbrannt haben?«, fragte Mrs. Oliver, einer spontanen Eingebung folgend.
Der Oberst nickte. »Das stimmt. Es war Korrespondenz von Eunice mit einem Detektivbüro in London. Sie wollte endlich wissen wer hinter meiner Pleite, wer hinter ihrem Elend steckte. Es war William Kettridge.«
»Vater!«, rief Eunice aus.
»Leg ein Geständnis ab, mein Kind. Bitte.« Das Gesicht von Withers war flehend. »Es ist doch jetzt sowieso alles vorbei.«
Eunice schloss die Augen. Die Farbe, die sie in den letzten Tagen bekommen hatte, wich wieder aus ihrem Gesicht. »Ja«, sprach sie dann nach einiger Zeit. »Es ist wahr, Constable. Ich war es. Ich habe auch den Anschlag auf John begangen.«
»Aber warum denn nur?«, fragte Dr. Rasmussen. Er war sichtlich erschüttert. »Warum auch noch John?«
Sie öffnete die Augen wieder. »Ich weiß nicht recht. Es … Es überkam mich einfach. Der alte Kettridge war tot. Franklin war tot. Nur noch eine Person stand zwischen mir und der Rückerlangung unseres Vermögens. Nur noch ein weiterer Mord. Nur noch einer. Und der erste hatte doch schon so gut geklappt. Er war perfekt gewesen. Die Akten wurden geschlossen und nie war auch nur der leiseste Verdacht auf mich gefallen. Nur noch ein einziger Mord mehr und es wäre so gewesen, als hätten wir unser Geld nie verloren und stattdessen als Mitgift in die Ehe mit Maxwell eingebracht. Oh, Max. Mir tut alles so leid. Ich liebe dich so. Nur noch der eine Mord und wir wären reich und unabhängig gewesen. Befreit von allem, was uns hier gehalten hat. Nur noch ein Mord …« Eunice sank in sich zusammen.
»Na«, schloss der Constable. »Das war dann wohl der berühmte Mord zu viel.«
Maxwells Hand ging langsam zu den zerbrochenen Gläsern am Boden. Niemand bemerkte es. Die Aufmerksamkeit lag auf Eunice. Mit festem Griff packte er eine Glasscherbe und holte aus, um sie seiner Frau in den Hals zu rammen. Mrs. Oliver sah es als Erstes und schrie auf. Dr. Rasmussen, der immer noch in der Nähe des Ehepaares stand, reagierte für seine Größe und Leibesfülle erstaunlich rasch. Gerade noch im letzten Moment bekam er den Arm von Maxwell zu fassen und hielt ihn fest. Nun kam auch der Constable herbei.
»Lasst mich!« Maxwell tobte. »Sie hat meinen Vater umgebracht und mich zum Brudermörder werden lassen. Sie hat meinen Vater umgebracht und mich zum Brudermörder werden lassen!«
Doch man ließ ihn nicht und Eunice nutzte die Rangelei, um aufzuspringen und auf die Terrasse zu laufen. »Vater. Maxwell. Ich liebe euch«, waren ihre letzten Worte bei einem Blick zurück, dann rannte sie weiter. Den Strandweg entlang, über den Sand und ins Meer. Immer tiefer ins Wasser, bis sie schließlich untertauchte und für immer in den kalten Fluten verschwand.
Maxwell, der mit den anderen auf die Terrasse geeilt war, spie voller Abscheu vor ihr aus und ließ sich dann widerstandslos die Handschellen anlegen. Nun hatte das verfluchte Weib ihm auch noch seine Rache genommen.

»Und im Polizeiauto ist Maxwell dann zusammengebrochen«, schloss Mrs. Oliver ihre Erzählung. Sie befand sich im Krankenhaus am Bett des verbliebenen Bruders. »Natürlich hat ihr Bruder seine Frau geliebt. Dem kaltschnäuzigen Verhalten bei seiner Verhaftung zum Trotz.«
»Man wird ihn sicher hängen, oder?«, fragte John, der sich in dem klobigen, weißen Bett aufgerichtet hatte. Dank des beherzten Eingreifens seines Bruders hatte er sein Zusammentreffen mit dem nassen Element überlebt und war nun über dem Berg. In den letzten Stunden schien er über Jahre gealtert zu sein.
»Das ist anzunehmen. Aber erstmal haben noch die Ärzte ein Wort mitzureden. Man wird sehen.«
»Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Und doch ist es wahr.«
»Ja.« Johns Hand verkrallte sich in der Bettdecke. »Wäre ich doch an dem Tag nicht zum Tee hinunter gegangen, sondern bei den beiden geblieben. Franklin würde noch leben und Maxwell wäre kein Mörder.« Verbittert starrte er an das Kreuz an der gegenüberliegenden Wand.
»Das kann man so nicht sagen, Mr. Kettridge. Maxwell hätte dann sicher einen anderen Weg gefunden.«
»Trotzdem. Ich habe darauf vertraut, dass Franklin auf mich aufpasst. Dabei hatte er den Schutz viel nötiger. Ich habe mich sicher gefühlt und mich um nichts gekümmert. Ich war ein schlechter Bruder.«
»Sie haben doch selbst gesagt, dass er im Gefängnis vielleicht sicherer wäre und mich gebeten, dem Inspektor das Taschentuch zu zeigen. Ich bin vielleicht auch mit schuld. Es konnte doch außerdem keiner ahnen, dass Maxwell …«, setzte Mrs. Oliver an, kam aber nicht weit.
John fuhr dazwischen. »Ich hätte es aber ahnen müssen. Ich kannte doch Maxwell und seinen Stolz. Ich hätte irgendetwas tun müssen. Warum haben wir Brüder nicht zusammengehalten? Wir haben es doch früher immer getan.«
»Die Umstände«, versuchte Mrs. Oliver zu erklären. »Der Tod ihres Vaters. Die Hinweise, die auf Franklin deuteten. Sie waren alle verwirrt und geschockt.«
John drehte seinen Kopf und schaute die ältere Frau mit ihrer Lebenserfahrung eine Weile an. Sie hatte sicher Recht. »Wissen Sie, wenn ich umbringen könnte?«, fragte er schließlich.
Ariadne Oliver schüttelte den Kopf.
»Inspektor Brook«, murmelte der junge Mann und ließ sich zurück in die Kissen sinken.
»Ja. Wenn eine Frau Chefin von Scotland Yard wäre …« Doch sie führte den Satz nicht zu Ende, sondern verfiel wieder in betretenes Schweigen. Sie dachte daran, was Dr. Rasmussen am Strand über Franklin gesagt hatte. Stattliches Aussehen, stattliche Konstitution, stattliches Vermögen. Das stattliche Vermögen gab es jetzt immer noch, doch was blieb sonst noch übrig? Nichts. Nur Leere. Gähnende Leere. »Fortuna ist blind.«
»Wie meinen Sie?«
»Ein Zitat, das Eunice erwähnte.« Mrs. Oliver atmete hörbar aus und schüttelte dann den Kopf, um all die wirren und traurigen Gedanken zu vertreiben. »Was werden Sie nun tun, Mr. Kettridge?«
»Die Beerdigung abwarten, meine Zelte hier abbrechen und mich in die Arbeit stürzen. Was hält mich denn noch hier? Meine Familie ist tot. Vater, Franklin, Eunice. Und Maxwell wird entweder gehenkt oder im Zuchthaus oder einer Heilanstalt lebendig begraben. Ich kann einfach nicht hier bleiben. In diesem Haus, wo mich alles an sie erinnert.«
Mrs. Oliver nickte. Das verstand sie gut. Und sogar noch besser, als sie etwas später wieder das Landhaus der Familie Kettridge betrat und ihr schmerzlich bewusst wurde, dass sie abgesehen vom Personal jetzt die einzige Bewohnerin hier war. So hell, freundlich und einladend dieses Haus zu Beginn des einen, schicksalhaften Wochenendes noch gewirkt hatte, so ungemütlich, trist und leer wirkte es nun. Ein unangenehmes Gefühl der Verlassenheit überkam die Autorin. »Und dann gab es keines mehr«, sagte sie leise zu sich selbst und läutete nach Glover.

IX – Die Abfahrt

Ermüdet ließ sich Mrs. Oliver in den Rücksitz des Ford Prefect sinken. Die Beerdigung von William und Franklin Kettridge war nun vorbei und sie auf dem Weg zum Bahnhof. Viele Leute waren da gewesen. Bekannte, Geschäftspartner, Berufskollegen, alte Studienfreunde, Nachbarn aus dem Ort, sogar Inspektor Brook war gekommen, was Mrs. Oliver dem Mann hoch anrechnete. John Kettridge hatte angekündigt, nach London zu ziehen und dort einen neuen Anfang zu wagen. Mrs. Oliver hatte ihm nahe gelegt, sich auch ein wenig um Colonel Withers zu kümmern. Peltonen, der das Fahrzeug lenkte, brachte die Sprache nun ebenfalls auf ihn. »Wirklich anständig von dem Oberst, dass er ausgesagt hat. Es handelte sich ja immerhin um seine Tochter. Sein eigen Fleisch und Blut. Stellen Sie sich das mal vor. In der Tat anständig. Verdammt anständig.«
»Natürlich«, erwiderte Mrs. Oliver höflich. Sie wusste nicht so recht worauf der Chauffeur gerade hinaus wollte.
»Ich meine, Beweise gab es ja keine gegen Maxwell und seine Frau. Ohne den alten Withers wären beide davongekommen. Aber was will man machen mit einem inkompetenten Inspektor und ohne einen guten Detektiv im Haus?«
Bei diesen Worten kam nun doch die Erleuchtung über die Autorin. Was wäre die Welt ohne gute Detektive? Wer würde wohl sonst die entscheidenden Hinweise finden? Wer würde für Gerechtigkeit sorgen? Man konnte nicht immer auf die Anständigkeit von Menschen und zufällige Beobachtungen hoffen. Die Welt brauchte gute Detektive, die die Lücken in den gut ausgearbeiteten Plänen der Mörder ausfindig machten. Die Welt brauchte Sven Hjerson. Sie konnte den Protagonisten ihrer Kriminalromane nicht einfach sterben lassen. Es wäre eine unverzeihliche Sünde. Sven Hjerson musste weiterleben. Und er würde es auch. Sein sympathischer, junger Landsmann hatte ihm mit dem Ausspruch gerade das Leben gerettet. Dafür hatte er sich eigentlich eine Belohnung verdient. Ja, sie würde ihm ein Exemplar ihres neuen Buches mit einer persönlichen Widmung zukommen lassen. Das war das Mindeste. Egal, wie sehr sie Hjerson noch ärgern würde. Diese Art von Leiden würde sie auch weiterhin aufrecht ertragen können. Sie strich ihre wirren, grauen Haare glatt, griff in die kleine Reisetasche neben sich, holte dort einen Apfel hervor und ließ dann lächelnd ihren Blick durch das Fenster auf die vorbeiziehende Küstenlandschaft gleiten während sie herzhaft in die saftige Frucht biss.
 
VIII – Die Auflösung

Mit Constable Smith im Schlepptau erreichte Ariadne Oliver das Landhaus. Am Portal klingelte sie Sturm. Glover öffnete ihr sichtlich verärgert, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Wo befindet sich Mr. Kettridge?«
»Bei den anderen Herrschaften im Salon, Madam. Er berichtet wohl gerade allen von dem Unglück am Pier.«
»Danke, Mr. Glover«, brachte Smith noch schnell hervor. Er hatte Mühe, der hastig davoneilenden Frau zu folgen.
Mrs. Oliver hatte den Salon erreicht, betrat ihn und schaute sich gehetzt um. Colonel Withers stand Pfeife rauchend am Kamin, Dr. Rasmussen saß mit einer Zeitschrift in einem Sessel und Maxwell stand mit Eunice in der Nähe der Chaiselongue und wollte gerade mit ihr anstoßen.
»Trinken Sie das nicht, das ist vergiftet!«
Der durchdringende Ausruf war nicht ohne Wirkung. Die beiden Gläser fielen zu Boden. Ebenso die Zeitschrift, als Dr. Rasmussen aufsprang. Einzig der Oberst blieb gefasst. Alle Blicken lagen nun auf der Autorin.
»Was reden Sie denn da?«, fragte Eunice und schaute Mrs. Oliver mit einer Mischung aus Unglaube und Bestürzung an.
Dr. Rasmussen war indes zu dem Ehepaar getreten und hatte sich dort hingehockt. Vorsichtig schob er die zersprungenen Gläser zur Seite, tunkte einen Finger in die verschüttete Flüssigkeit und probierte. Schließlich hob er den Kopf wieder. »Veronal. Ein starkes Schlafmittel. Mrs. Kettridge benutzt es. In hoher Dosierung absolut tödlich.«
»Nur in welchem Glas war es?« Hilflos blickte der Constable zu der Schriftstellerin.
»Es war im Glas von Eunice Kettridge und hinein getan hat es ihr Mann«, antwortete Mrs. Oliver.
Dr. Rasmussen hievte sich wieder hoch. »Also jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ist das denn hier ein Irrenhaus?«
»Eher eine Mördergrube.« Mrs. Oliver atmete tief durch. »Mr. William Kettridge und seine Söhne waren sich gegenseitig sehr zugetan. Die Familienbande waren sehr stark. Doch einer ging weiter. Maxwell Kettridge. Für ihn ist das höchste Gut nicht allein die Familie, sondern viel mehr noch die Familienehre. Als ich mich einmal herabwertend über Franklin äußerte, fühlte er sich gleich angegriffen. Ich hatte die Familienehre verletzt. Dann wurde sein Vater getötet und Maxwell muss geschworen haben, ihn eigenhändig zu rächen. Die Familienehre gebietet es. Vendetta nennt man es in Italien. Blutrache. Zuerst sah es so aus, als wäre Franklin der Täter gewesen. Also tötete Maxwell seinen Bruder. Familienehre über Familie. Doch Franklin war nicht der Mörder. Er hatte einen Unschuldigen umgebracht. Seinen Bruder noch dazu. Diesen Fehler wollte er nun wieder gut machen. In seinem Gespräch mit mir nach der Rettung seines Bruders, wurde ihm schließlich klar, wer seinen Vater wirklich ermordet hatte, und wollte sein Werk nun korrekt vollenden.«
»Aber … Aber …«, stammelte Dr. Rasmussen. »Das hieße ja, dass Eunice ihren Schwiegervater umgebracht hat. Das kann ich nicht glauben!«
»Oder, dass Maxwell wieder die falsche Person erwischt hat«, warf der überforderte Constable zaghaft ein. »Oder haben Sie Beweise für Ihre Behauptungen, Mrs. Oliver?«
»Ich fürchte, die habe ich nicht. Nur meine weibliche Intuition. Aber lassen Sie mich fortfahren. Ich erwähnte in dem besagten Gespräch die Müdigkeit von Maxwell Kettrige in der Nacht nach dem ersten Mord. Bei ihm muss der Groschen sofort gefallen sein. Bei mir leider erst etwas später. Zum Glück aber nicht zu spät. Es ist alles so einfach. Eunice Kettridge hat ihr Schlafmittel ihrem Mann verabreicht anstatt es selbst zu nehmen. So stellte sie sicher, dass er nicht aufwachen würde, wenn sie ein Taschentuch und seine Schlüssel nahm und dann das Zimmer verließ. Den Dolch hatte sie sich schon am Nachmittag während der Abwesenheit von Franklin angeeignet. Sie ging hinunter, fing ihren Schwiegervater bei seiner abendlichen Runde ab, erstach ihn und flüchtete zur Rückseite des Gebäudes. Den Dolch und das Taschentuch, das sie benutzt hatte, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, ließ sie einfach fallen. Sie würden sie ja nicht belasten. Dann betrat sie das Haus durch die Terrassentür mithilfe von Maxwells Schlüssel, eilte die hintere Treppe hinauf und schlüpfte in das gemeinsame Schlafzimmer zurück. Der perfekte Mord.«
»Biest«, presste Maxwell hervor. »Und dich habe ich geliebt. Oh, wie gut ich jetzt John verstehe.«
Doch Eunice achtete nicht auf ihn. »Was für ein Motiv soll ich denn gehabt haben? Ich habe hier doch alles, was ich brauche. Mir geht es doch gut.«
»Beides stimmt nicht, Mrs. Kettridge.« Mrs. Oliver blickte die junge Frau bedauernd an. »Ihnen ging es hier nicht gut. Sie waren kränklich. Deshalb wurde doch Dr. Rasmussen hergebeten. Doch nicht ihm ist es zu verdanken, dass es Ihnen jetzt besser geht. Ihnen fehlte nämlich die Freiheit. Sie waren hier eingesperrt. Hier im Landhaus. Hier in diesem ruhigen, langweiligen Badeort. Unfähig, sich aus der finanziellen Abhängigkeit zu befreien. Und ihr Mann? Der fühlte sich hier wohl und wollte gar nicht weg und dieses Leben aufgeben. Er hing zu sehr an seiner Familie. Da Sie das wussten und ihn liebten, haben Sie ihn auch nie gedrängt, von hier fort zu gehen. Dabei hätte er es vielleicht getan. Er liebte Sie doch mindestens genauso. Aber lieber haben Sie gelitten. Doch niemand kann unendlich viel Leid ertragen. Ist es nicht so?«
Eunice blickte zu Boden und schwieg.
»Das klingt wirklich alles recht einleuchtend«, musste Smith bestätigen. »Haben Sie denn dafür wenigstens Beweise?«
»Nein«, musste Mrs. Oliver zugeben. »Leider auch nicht.«
»Und wie sieht es mit dem Mordanschlag auf John Kettridge aus?«, warf Dr. Rasmussen ein. »Eunice hatte ihre Freiheit doch nun mit dem Tod von William Kettridge. Haben Sie dafür zumindest eine Erklärung?«
Doch die hatte die Schriftstellerin ebenso wenig. Im Grunde konnte das auch das Werk eines skrupellosen Räubers sein, der John nach dem betäubenden Schlag noch um seine Brieftasche erleichtert hat. »Es tut mir leid.« Betroffen senkte sie ihr Haupt.
»Ich habe, was Sie brauchen, Constable.«
Alle Augen wandten sich dem Sprechenden zu. Es war Colonel Withers.
»Dann bitte. Nur zu«, drängte Smith, dem schon der Kopf schwirrte. »Es wird Zeit, dass hier endlich handfeste Tatsachen vorgebracht werden.«
Withers nahm die Pfeife aus dem Mund und fing an. »Es muss ausgesprochen werden, was wirklich geschehen ist. Sonst nimmt dieser Wahnsinn nie ein Ende.« Sein Blick war trübsinnig. »Ich gebe es ungern zu, aber anders als Mrs. Oliver habe ich den Schatten, der vom Tatort verschwand, genau erkennen können, weil aus den Haushaltsräumen Licht fiel. Es war in der Tat meine Tochter.« Er zupfte traurig an seinem Schnurrbart. »Es stimmt, dass niemand unendlich viel Leid ertragen kann. Aber Eunice hätte es ertragen. Aus Liebe zu ihrem Mann. Das Fass wurde durch etwas anderes zum Überlaufen gebracht.«
»Hat das etwas mit den Briefen zu tun, die sie verbrannt haben?«, fragte Mrs. Oliver, einer spontanen Eingebung folgend.
Der Oberst nickte. »Das stimmt. Es war Korrespondenz von Eunice mit einem Detektivbüro in London. Sie wollte endlich wissen wer hinter meiner Pleite, wer hinter ihrem Elend steckte. Es war William Kettridge.«
»Vater!«, rief Eunice aus.
»Leg ein Geständnis ab, mein Kind. Bitte.« Das Gesicht von Withers war flehend. »Es ist doch jetzt sowieso alles vorbei. Oder willst du dich wirklich in eine Fehde mit Maxwell verstricken?«
Eunice schloss die Augen. Die Farbe, die sie in den letzten Tagen bekommen hatte, wich wieder aus ihrem Gesicht. »Ja«, sagte sie dann nach einiger Zeit. »Es ist wahr, Constable. Ich war es. Ich habe auch den Anschlag auf John begangen.«
»Aber warum denn nur?«, fragte Dr. Rasmussen. Er war sichtlich erschüttert. »Warum auch noch John?«
Sie öffnete die Augen wieder. »Ich weiß nicht recht. Es … Es überkam mich einfach. Der alte Kettridge war tot. Franklin war tot. Nur noch eine Person stand zwischen mir und der Rückerlangung unseres Vermögens. Nur noch ein weiterer Mord. Nur noch einer. Und der erste hatte doch schon so gut geklappt. Er war perfekt gewesen. Die Akten wurden geschlossen und nie war auch nur der leiseste Verdacht auf mich gefallen. Nur noch ein einziger Mord mehr und es wäre so gewesen, als hätten wir unser Geld nie verloren und es stattdessen als Mitgift in die Ehe mit Maxwell eingebracht. Oh, Max. Mir tut alles so leid. Ich liebe dich so. Nur noch der eine Mord und wir wären reich und unabhängig gewesen. Befreit von allem, was uns hier gehalten hat. Nur noch ein Mord …« Eunice sank in sich zusammen.
»Nun«, schloss der Constable. »Das war dann wohl der berühmte Mord zu viel.«
Während der Beamte noch sprach, ging Maxwells Hand langsam zu den zerbrochenen Gläsern am Boden. Niemand bemerkte es, da die Aufmerksamkeit in diesem Augenblick allein auf Eunice lag. Mit festem Griff packte ihr Mann eine Glasscherbe, holte aus und stürzte sich auf sie. Mrs. Oliver bemerkte die Bewegung als Erste und schrie auf. Dr. Rasmussen, der immer noch in der Nähe des Ehepaares stand, reagierte trotz seiner plumpen Statur erstaunlich rasch. Im letzten Moment bekam er den Arm von Maxwell zu fassen und hielt ihn fest. Nun eilte auch der Constable herbei.
»Lasst mich!« Maxwell tobte. »Sie hat meinen Vater umgebracht und mich zum Brudermörder werden lassen!«
Eunice nutzte das Chaos, um aufzuspringen und auf die Terrasse zu laufen. Ohne einen Blick zurück zu werfen, rannte sie weiter. Den Strandweg entlang, über den Sand und ins Meer. Immer tiefer ins Wasser, bis sie schließlich für immer in den kalten Fluten verschwand.
Maxwell, der mit den anderen auf die Terrasse gelaufen war, spie voller Abscheu vor ihr aus und ließ sich dann widerstandslos die Handschellen anlegen. Nun hatte das verfluchte Weib ihm auch noch seine Rache genommen.

»Und im Polizeiauto ist Maxwell dann zusammengebrochen«, schloss Mrs. Oliver ihre Erzählung. Sie befand sich im Krankenhaus am Bett des verbliebenen Bruders. »Natürlich hat ihr Bruder seine Frau geliebt. Dem kaltschnäuzigen Verhalten bei seiner Verhaftung zum Trotz.«
»Man wird ihn sicher hängen, oder?«, fragte John, der sich in dem klobigen, weißen Bett aufgerichtet hatte. Dank des beherzten Eingreifens seines Bruders hatte er sein Zusammentreffen mit dem nassen Element überlebt und war nun über dem Berg. In den letzten Stunden schien er um Jahre gealtert zu sein.
»Das ist anzunehmen. Aber erst einmal haben noch die Ärzte ein Wort mitzureden. Man wird sehen.«
»Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Und doch ist es wahr.«
»Ja.« Johns Hand verkrallte sich in der Bettdecke. »Wäre ich doch an dem Tag nicht zum Tee hinunter gegangen, sondern bei den beiden geblieben. Franklin würde noch leben und Maxwell wäre kein Mörder.« Verbittert starrte er an das Kreuz an der gegenüberliegenden Wand.
»Das kann man so nicht sagen, Mr. Kettridge. Maxwell hätte dann sicher einen anderen Weg gefunden.«
»Trotzdem. Ich habe darauf vertraut, dass Franklin auf mich aufpasst. Dabei hatte er den Schutz viel nötiger. Ich habe mich sicher gefühlt und mich um nichts gekümmert. Ich war ein schlechter Bruder.«
»Sie haben doch selbst gesagt, dass er im Gefängnis vielleicht sicherer wäre und mich gebeten, dem Inspektor das Taschentuch zu zeigen. Ich bin vielleicht auch mitschuldig. Es konnte doch außerdem keiner ahnen, dass Maxwell …«, setzte Mrs. Oliver an, kam aber nicht weit.
John fuhr dazwischen. »Ich hätte es aber ahnen müssen. Ich kannte doch Maxwell und seinen Stolz. Ich hätte irgendetwas tun müssen. Warum haben wir Brüder nicht zusammengehalten? Wir haben es doch früher immer getan.«
»Die Umstände«, versuchte Mrs. Oliver zu erklären. »Der Tod ihres Vaters. Die Hinweise, die auf Franklin deuteten. Sie waren alle verwirrt und geschockt.«
John drehte seinen Kopf und schaute die ältere Frau mit ihrer Lebenserfahrung eine Weile an. Sie hatte sicher Recht. »Wissen Sie, wen ich umbringen könnte?«, fragte er schließlich.
Ariadne Oliver schüttelte den Kopf.
»Inspektor Brook«, murmelte der junge Mann und ließ sich zurück in die Kissen sinken.
»Ja. Wenn eine Frau Chefin von Scotland Yard wäre …« Doch sie führte den Satz nicht zu Ende, sondern verfiel wieder in betretenes Schweigen. Sie dachte daran, was Dr. Rasmussen am Strand über Franklin gesagt hatte. Stattliches Aussehen, stattliche Konstitution, stattliches Vermögen. Das stattliche Vermögen gab es jetzt immer noch, doch was blieb sonst noch übrig? Nichts. Nur Leere. Gähnende Leere. »Fortuna ist blind.«
»Wie meinen Sie?«
»Ein Zitat, das Eunice erwähnte.« Mrs. Oliver atmete hörbar aus und schüttelte dann den Kopf, um all die wirren und traurigen Gedanken zu vertreiben. »Was werden Sie nun tun, Mr. Kettridge?«
»Die Beerdigung abwarten, meine Zelte hier abbrechen und mich in die Arbeit stürzen. Was hält mich denn noch hier? Meine Familie ist tot. Vater, Franklin, Eunice. Und Maxwell wird entweder gehenkt oder im Zuchthaus oder einer Heilanstalt lebendig begraben. Ich kann einfach nicht hier bleiben. In diesem Haus, wo mich alles an sie erinnert.«
Mrs. Oliver nickte. Das verstand sie gut. Und sogar noch besser, als sie etwas später wieder das Landhaus der Familie Kettridge betrat und ihr schmerzlich bewusst wurde, dass sie abgesehen vom Personal jetzt die einzige Bewohnerin hier war. So hell, freundlich und einladend dieses Haus zu Beginn des einen, schicksalhaften Wochenendes noch gewirkt hatte, so ungemütlich, trist und leer wirkte es nun. Ein unangenehmes Gefühl der Verlassenheit überkam die Autorin. »Und dann gab es keines mehr«, sagte sie leise zu sich selbst und läutete nach Glover.

IX – Die Abfahrt

Ermüdet ließ sich Mrs. Oliver in den Rücksitz des Ford Prefect sinken. Die Beerdigung von William und Franklin Kettridge war nun vorbei und sie auf dem Weg zum Bahnhof. Viele Leute hatten sich zu der Trauerfeier eingefunden. Bekannte, Geschäftspartner, Berufskollegen, alte Studienfreunde, Nachbarn aus dem Ort, sogar Inspektor Brook war gekommen, was Mrs. Oliver dem Mann hoch anrechnete. John Kettridges Ankündigung, nach London zu ziehen und dort einen neuen Anfang zu wagen, hatte Mrs. Oliver mit der Bitte verbunden, dass er sich doch auch ein wenig um Colonel Withers kümmern möge. Peltonen, der das Fahrzeug lenkte, brachte die Sprache nun ebenfalls auf ihn. »Wirklich anständig von dem Oberst, dass er ausgesagt hat. Es handelte sich ja immerhin um seine Tochter. Sein eigen Fleisch und Blut. Stellen Sie sich das mal vor. In der Tat anständig. Verdammt anständig.«
»Natürlich«, erwiderte Mrs. Oliver höflich. Sie wusste nicht so recht worauf der Chauffeur gerade hinaus wollte.
»Ich meine, Beweise gab es ja keine gegen Maxwell und seine Frau. Ohne den alten Withers wären beide davongekommen. Aber was will man machen mit einem inkompetenten Inspektor und ohne einen guten Detektiv im Haus?«
Bei diesen Worten kam nun doch die Erleuchtung über die Autorin. Tatsächlich: Was wäre die Welt ohne gute Detektive? Wer würde wohl sonst die entscheidenden Hinweise finden? Wer würde für Gerechtigkeit sorgen? Man konnte nicht immer auf die Anständigkeit von Menschen und zufällige Beobachtungen hoffen. Die Welt brauchte gute Detektive, die die Lücken in den gut ausgearbeiteten Plänen der Mörder ausfindig machten. Die Welt brauchte Sven Hjerson. Sie konnte den Protagonisten ihrer Kriminalromane nicht einfach sterben lassen. Es wäre eine unverzeihliche Sünde. Sven Hjerson musste weiterleben. Und er würde es auch. Sein sympathischer, junger Landsmann hatte ihm mit dem Ausspruch gerade das Leben gerettet. Dafür hatte er sich eigentlich eine Belohnung verdient. Ja, sie würde ihm ein Exemplar ihres neuen Buches mit einer persönlichen Widmung zukommen lassen. Das war das Mindeste. Egal, wie sehr sie Hjerson noch ärgern würde. Diese Art von Leid würde sie auch weiterhin aufrecht ertragen können. Sie strich ihre wirren grauen Haare glatt, griff in die kleine Reisetasche neben sich, holte dort einen Apfel hervor und ließ dann lächelnd ihren Blick durch das Fenster auf die vorbeiziehende Küstenlandschaft gleiten, während sie herzhaft in die saftige Frucht biss.
 



 
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