Fräulein Becker

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semmel16

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Fräulein Becker (Jahrgang 23) ist glücklich. Sie fühlt sich, wie schon lange nicht mehr, mit allen Sinnen lebendig .
Saftiges Grün umschmeichelt ihren Körper. Ihre weit ausgebreiteten Arme und die vom Körper weg gestreckten Beine liegen ruhig in einem Meer von wogenden Gräsern, die jeden Luftzug nutzen, um sich an ihre nackte Haut zu schmiegen.
Ein kurzer kräftiger Windstoß zieht Wogen der verschiedensten Düfte nach sich, die die intensiven Farben der mannigfaltigen Blumenpracht zu interpretieren verstehen.
Blutrote luftige Mohnblüten, sonnengelbe stolze Narzissen, weiße hellklingende Maiglöckchenkelche, pfirsichfarbene kompakte Ringelblumen, zartgelbe Arnika-Korbblüten, violette strahlenblütige Kalkastern, rosa wilder Majoran und blassblaue langstielige Glockenblumen blitzen mal neugierig, mal forsch aus dem grünen Grashalmenmeer hervor.
Aus weiter Ferne wogt plötzlich ein sich anbahnendes Unwetter herbei: „Ich bringe Sie jetzt in Ihr Zimmer. Hier draußen auf dem Balkon wird es doch langsam kühl, und es gibt außerdem gleich Abendessen.“
Schwerfällig erhebt sich Fräulein Becker aus dem knarrenden Korbsessel und tastet nach Schwester Sigrids Arm, der sich in der Richtung, aus der sie ihre Stimme vernommen hat, befinden muss.
Viele Jahre schon lässt sie sich von Schwester Sigrid, deren Vorgängerinnen Schwester Alma, Schwester Ludmilla und Schwester Helga nach ihren Balkonausflügen den langen Flur entlang in ihr Zimmer führen. Schritt für Schritt verblassen die blumigfarbenen und –duftenden Glücksmomente und werden verdrängt von den hier überall aufflackernden Gerüchen nach Essen und uringetränkten, zur Abholung bereitstehenden Wäschesäcken.
 
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Ofterdingen

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Hallo Semmel 16

Du beschreibst eine alte Dame, die im Gras liegt und spürt, wie Gräser „sich an ihre nackte Haut [… ] schmiegen“. Es ist offenbar Sommer. In deinem Bemühen, ein sinnenfrohes Bild zu schaffen, sagst du dir wohl `viel hilft viel´ und irritierst damit deinen Leser. Die von dir genannten Blumen blühen in der freien Natur niemals gleichzeitig und vor allem nicht alle im Sommer: „Sonnengelbe stolze Narzissen“, auch Osterglocken genannt, im Frühling (März und April), ebenso die Maiglöckchen (März bis Mai), später dagegen Arnika (Mai bis August), Klatschmohn (Juni und Juli), Glockenblumen (Juni bis September) und Ringelblumen (Juni bis Oktober).

Dann sagst du Ätschebätsch, die Frau liegt ja gar nicht im Gras, sondern sie sitzt in einem Korbsessel auf dem Balkon, und die Blumen sieht sie nicht wirklich, denn sie ist blind: „Schwester Sigrids Arm, der sich in der Richtung, aus der sie ihre Stimme vernommen hat, befinden muss“. Das Gras, die Blumen und ihren Duft gibt es folglich nicht, sondern nur den Balkon, Schwester Sigrid und die uringetränkten Wäschesäcke - und möglicherweise existieren auch die bloß in ihrer Einbildung. In Wirklichkeit ist die Frau vielleicht bettlägerig und keiner kümmert sich um sie.

Was willst du darstellen? Einen magischen Moment im Leben einer alten Frau, der aus ihren Erinnerungen aufleuchtet? Einer alten Frau, deren Leben sonst aus Mühsal („Schwerfällig erhebt sich Fräulein Becker …“) und Uringestank besteht? Schön, ist gelungen! Und, ja klar, in einem magischen Moment kann sich Vieles zu einem Bild vereinigen, was in der Wirklichkeit nicht zusammenfindet. Ich Leser darf es dir also nicht ankreiden, dass du die Blütezeit der verschiedenen Pflanzen nicht nachgeschaut hast. Du kannst immer sagen; In dem Alter weiß Fräulein Becker das eben nicht mehr richtig und was kümmert sich im Übrigen ihre Phantasie um die Realität!

Eine Kleinigkeit noch: „Fräulein Becker (Jahrgang 23) spürt sich, wie schon lange nicht mehr, mit allen Sinnen lebendig und glücklich.“ Der Ausdruck „Fräulein Becker spürt sich […] glücklich“ hört sich nicht gut an. Besser wäre `Fräulein Becker (Jahrgang 23) ist glücklich. Sie fühlt sich, wie schon lange nicht mehr, mit allen Sinnen lebendig.‘

Gruß,

Ofterdingen
 

semmel16

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Hallo Ofterdingen,
danke für deine ausführliche Einschätzung. Man soll seine Texte ja nicht interpretieren, sondern dies dem Leser überlassen. Das machst du, und ich finde das Ergebnis deiner Überlegungen sehr interessant. Sie treffen zum großen Teil den reellen Hintergrund. Einem deiner Kritikpunkte möchte ich widersprechen. Ich finde botanische Korrektheit im Zusammenhang mit meiner Geschichte irrelevant. Es kam mir auf die farbenprächtigen Bilder in Frau Beckers Erinnerung an, die ihr Weiterleben im Pflegeheim erleichtern.
Eine Kleinigkeit noch: „Fräulein Becker (Jahrgang 23) spürt sich, wie schon lange nicht mehr, mit allen Sinnen lebendig und glücklich.“ Der Ausdruck „Fräulein Becker spürt sich […] glücklich“ hört sich nicht gut an. Besser wäre `Fräulein Becker (Jahrgang 23) ist glücklich. Sie fühlt sich, wie schon lange nicht mehr, mit allen Sinnen lebendig.‘
Vielleicht liegt's am Komma .... Fräulein Becker spürt sich wie schon lange nicht mehr. ..... Dein Vorschlag ist auch ok.
Gruß
semmel16
 

Ofterdingen

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Einem deiner Kritikpunkte möchte ich widersprechen. Ich finde botanische Korrektheit im Zusammenhang mit meiner Geschichte irrelevant. Es kam mir auf die farbenprächtigen Bilder in Frau Beckers Erinnerung an, die ihr Weiterleben im Pflegeheim erleichtern.
Du brauchst mir nicht zu widersprechen. Ich sagte mit meinen Worten in etwa dasselbe wie du hier: " Was willst du darstellen? Einen magischen Moment im Leben einer alten Frau, der aus ihren Erinnerungen aufleuchtet? . . . Schön, ist gelungen! . . .was kümmert sich im Übrigen ihre Phantasie um die Realität!" Das meinte und meine ich so, wie es da steht, nicht ironisch.
Deinen letzten Satz kannst du dir ja trotzdem noch einmal genauer anschauen oder besser: laut lesen. Auch wenn das eine Komma weg bleibt, ist er nicht genial: Entweder hängt das "glücklich" syntaktisch immer noch an "spürt sich" oder aber man macht nach "mehr" eine Sprechpause, sieht die Sequenz ab "mit . . ." als Teilsatz, dann fehlt jedoch das Prädikat.
 

semmel16

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Hallo Ofterdingen,
in der Tat dachte ich (ein wenig), dass du ironisch klangst. Ein öfters-Lesen deiner Ausführungen war hilfreich zum Verstehen, ok. Das Ende meiner Geschichte werde ich deinem Vorschlag entsprechend ändern. ( Macht man das dann hier im "alten" Text oder wie.....?)
Gruß, semmel16
 

semmel16

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Hallo hein,

danke für die Info. Irgendwie dachte ich, das geht nur kurz nach Einstellung eines Textes. Ich habe noch nicht alles gelesen, was hier so angeboten wird :).
weiß auch noch nicht wie "unnett" es ist, wenn man z.B. auf einen Kommentar oder eine empfangene Bewertung nicht eingeht......

LG
semmel16
 

Ofterdingen

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