Fräulein Samari (1.Teil)

Tallit

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Fräulein Samari



Wir alle liebten Fräulein Samari. Nach heutigen Vorstellungen klingt das vielleicht übertrieben, aber für unser damaliges Leben war sie eine Bereicherung wie eine Blüte für einen Baum. Wir Kinder hielten sie für eine vergessene Prinzessin, obwohl wir von den Erwachsenen immer und immer wieder hörten, sie sei die Witwe eines verarmten Händlers, der in der Tamaratwüste ums Leben kam. Man hätte seine Kamele gefunden, er aber sei von den Dünen begraben worden. Seit ich das wusste, hatte ich eine gewisse Ehrfurcht vor der Wüste.
Fräulein Samari war, wie ich erst sehr spät erfuhr, in Wirklichkeit einmal aus dem Harem eines Scheichs entflohen. Sie war nicht gehorsam, wie es sich schickte, sie hielt sich an keine Regeln, und, was für die Erwachsenen, nicht aber für uns Kinder ein Problem war, sie stahl. Jeder wusste es. Die Neugeborenen wimmerten es, wenn sie in den Armen ihrer Mütter schaukelten, die Hunde jaulten davon, wenn sie um Futter bettelten und selbst die alten Greise, die seit jeher ihr nie Bett verließen, murmelten es, während sie ihren Tee schlürften. Doch uns störte das nicht. Wir waren ja selbst dazu verurteilt zu stehlen, wenn wir überleben wollten. Wir bewunderten sie, denn sie wurde nie dabei erwischt. Und ich glaube, niemand hätte es gewagt, Fräulein Samari offen ins Gesicht zu sagen, sie solle es lassen. Niemand hatte diesen Mut. Sie war unberührbar, erhaben, fast majestätisch. Wenn sie ging, in ihren Sari gewickelt, wirkte sie immer anmutig und wie beflügelt, keine ihrer Bewegungen schien nicht irgendwie beherrscht, oder vorherbestimmt, als wäre sie ein fremdes Wesen, zu vollendet für diese Welt. Vielleicht nannten wir sie deshalb auch immer heimlich Prinzessin...




(Ich erzähle weiter, wenn es jemanden interessiert...)
 

Lukas L.

Mitglied
Hallo Talit,
ich würde nach dem ersten Satz (Wir alle liebten Fräulein Samari), diese Samari versuchen zu zeigen, nicht zu erklären oder Empfindungen wiederzugeben, die Samari bei anderen provozierte. Auf diese Weise wird sich der Leser mit Samari identifizieren und später die Bewunderung der anderen Personen für sie nachempfinden können.
Als Beispiel: Wir alle liebten Fräulein Samari. Sie sah unauffällig aus: pechschwarzes Haar, grüne Augen und trug meistens graue Kleider ... Uns ist sie erst aufgefallen, als sie eines Tages ein kleines Mädchen zum Brunnen führte und ...
 

Tallit

Mitglied
Na ja...

... vielleicht hast du ja recht. Auf alle Fälle vielen Dank, das du geantwortet hast!
Aber ich weiß nicht. Dieses Fräulein Samari, wie du sie beschreibst, ist deine Vorstellung. (Ich stelle sie mir ganz anders vor!)
Meinst du, ich sollte dem Leser seine eigenen Vorstellungen nehmen?
Wahrscheinlich hast du sogar recht...
dann wird er später nicht enttäuscht sein...
 

Amarinya

Mitglied
Ich finde diesen Auszug - ein solcher ist es doch? - zu kurz, um erkennen zu können, wohin sich die Geschichte entwickeln könnte.

Lust auf die Entwicklung macht der anfang mir aber schon!

Die Neugeborenen und die Hunde finde ich übrigens etwas weit hergeholt, selbst als Metapher.
 

Lukas L.

Mitglied
Das war ja nur ein Beispiel. Du kannst sie ja auch anders beschreiben, doch es ist wichtig, daß man dem Leser die Charaktere ZEIGT.
 

Tallit

Mitglied
Überarbeitung & Fortsetzung

Fräulein Samari



Wir alle liebten Fräulein Samari. Nach heutigen Vorstellungen klingt das vielleicht übertrieben, aber für unser damaliges Leben war sie eine Bereicherung wie eine Blüte für einen Baum. Wir Kinder hielten sie für eine vergessene Prinzessin. Keiner konnte sagen, wie alt sie war, denn ihr Gesicht war seit jeher schön und blank wie ein Spiegel. Ihre mandelbraunen, lebendigen Augen waren ebenso anziehend wie geheimnisvoll, ihr Mund bewegte sich nur hinter einem Schleier und auch ihre Haare waren unter einem Tuch verborgen. Sie besaß sprechende Finger und keiner konnte ihren Geschichten entgehen. Sie war eine Schamanin, eine Sehende, eine Heilende, und jeder hatte Ehrfurcht vor ihren Kräften.
Von den Erwachsenen hörten wir immer und immer wieder, sie sei die Witwe eines verarmten Händlers, der in der Tamaratwüste ums Leben kam. Man hätte seine Kamele gefunden, er aber sei von den Dünen begraben worden. Seit ich das wusste, hatte ich eine gewisse Ehrfurcht vor der Wüste.
Fräulein Samari war, wie ich erst sehr spät erfuhr, in Wirklichkeit einmal aus dem Harem eines Scheichs entflohen. Sie war nicht gehorsam, wie es sich schickte, sie hielt sich an keine Regeln, und, was für die Erwachsenen, nicht aber für uns Kinder ein Problem war, sie stahl. Jeder wusste es. Die Neugeborenen wimmerten es, wenn sie in den Armen ihrer Mütter schaukelten, die Hunde jaulten davon, wenn sie um Futter bettelten und selbst die alten Greise, die seit jeher ihr Bett nie verließen, murmelten es, während sie ihren Tee schlürften. Doch uns störte das nicht. Wir waren ja selbst dazu verurteilt zu stehlen, wenn wir überleben wollten. Wir bewunderten sie, denn sie wurde nie dabei erwischt. Und ich glaube, niemand hätte es gewagt, Fräulein Samari offen ins Gesicht zu sagen, sie solle es lassen. Niemand hätte diesen Mut gehabt. Sie war unberührbar, erhaben, fast majestätisch. Wenn sie ging, in ihren Sari gewickelt, wirkte sie immer anmutig und wie beflügelt, keine ihrer Bewegungen schien nicht irgendwie beherrscht, oder vorherbestimmt, als wäre sie ein fremdes Wesen, zu vollendet für diese Welt. Vielleicht nannten wir sie deshalb auch immer heimlich Prinzessin.

Die Sonne neigte sich dem Horizont und tauschte ihre hellen, goldenen Strahlen in blutrote ein. Wir hatten den Bazar mit all seinem Gefeilsche, Geschrei und Geschimpfe hinter uns gelassen, auf dem wir den Tag mit Betteln und Stehlen zugebracht hatten. Die Gassen waren erfüllt von Gerüchen. Hier duftete es nach frischem Huhn, nach Curry und Mango, dort stank es nach Eselsmist und Verwestem. Wir bahnten uns einen Weg durch all die Menschen. Die meisten waren geschäftig, nur mit sich selbst beschäftigt, drängten oder verwünschten jeden, der ihnen zu nahe kam, andere saßen in kleinen Gruppen vor den Häusern, scherzten, spielten Karten oder beobachteten die Passanten. Wir waren zu siebt, und wir fühlten uns äußerst unerwünscht, wenngleich ich wusste, dass man uns nicht beachtete. Hier galt ich nichts. Im Vorrübergehen griff ich in eine Tasche und zog eine rote Murmel hervor. Ich war nicht bemerkt worden und meine Finger umklammerten fest das kleine Ding. Es war glatt, rund, aus Glas. Ich wollte es noch länger betrachten, doch aus Angst erwischt zu werden, ließ ich es rasch in meine Tasche gleiten. Ich spürte es deutlich an meinem Bein, es war wie eine kleine Brennende Sonne und machte mich auf eine eigentümliche Art und Weise zufrieden.
Nur noch der Rest von violettem Licht, das sich über den Himmel ergoss, ließ darauf schließen, dass die Nacht noch nicht begonnen hatte. Die Mondsichel hatte sich bereits einen Platz in die Wolken geschnitten und die ersten Sterne erglommen unbemerkt. Es war nicht mehr weit bis zu dem Zelt von Fräulein Samari. Die Menschenmassen waren verschwunden, man sah nur noch streunende Hunde und vereinzelte Leute. Unser Schritt beschleunigte sich, wir wollten keinen Augenblick bei Fräulein Samari verpassen. Den ganzen Weg über hatten wir kaum miteinander gesprochen, doch jetzt kam Leben in die Gesichter der Kinder. Unsere Tage hatten immer ein bestimmtes Ziel, die Nacht. Wir zeigten uns gegenseitig unsere Beute, soweit noch etwas davon übrig war und ich sah neidisch auf Elia hinab, die eine ganze Mango geschenkt bekommen hatte, nur weil sie so klein und süß war. Geschenkte Dinge hielten wir meistens für wertvoller. Als alle von ihren Fang erzählt hatten, spürte ich die Glaskugel, die an meinem Bein brannte. Ich war gerade dabei, die Murmel hervorzuholen, da zögerte ich unwillkürlich. Etwas hinderte mich daran, und ich konnte nicht erraten, was es sein mochte.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
das

scheint mir ein hübsches märchen werden zu wollen. bin gespannt, wie es weitergeht. ganz lieb grüßt
 



 
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