Framed

Vitelli

Mitglied
Oder: Das sprachlose Rendezvous

Sie erwachte in ihrem Hotelzimmer, das sie, übermüdet wie sie war, bei der Anreise kaum wahrgenommen hatte.
Oh, da bin ich ja wieder.
Sie sah sich um. Das Zimmer gefiel ihr.
Hm, sieht ja richtig gut aus. So viele Details.
Sie stand auf und ging ins Bad. Sie war nackt.
Männer.
Im Badezimmerspiegel betrachte sie sich. Sie war 29, hübsch, nicht ganz schlank aber wohlproportioniert.
Eigentlich wie immer. Okay, die Haare sind kürzer.
Sie warf sich den Hotelbademantel über, verließ das Bad, öffnete die Tür zum Balkon und betrat diesen.
Sie steckte sich eine Zigarette an und ließ ihren Blick über die Außenalster wandern, die sie so sehr liebte.
Hamburg. Warum immer Hamburg?
Die Tür des Nachbarbalkons öffnete sich und ein Mann - Ende 30, Anzug, schlaues Gesicht - trat heraus.
Er schaute zu ihr herüber und nickte ihr zu. Sie erwiderte sein Nicken.
Oh Gott, bitte nicht. Nicht schon wieder.
Die beiden unterhielten sich, machten Smalltalk, wie man so schön sagt.
Scheinbar beiläufig erwähnte der Mann, dass er zu einem wichtigen Kongress in der Stadt sei.
Die Frau beeindruckte das wenig, tat aber halbwegs interessiert - grade soviel, um nicht unhöflich zu wirken.
Ich hasse diese Wichtigtuer-Anzugtypen wirklich.
Sarah, so hieß die Frau, drückte ihre Zigarette, eine Gauloises, wen es interessiert, aus und verabschiedete sich unter einem Vorwand.
Der Mann sagte irgendwas Unverständliches.
Klang wie „Vielleicht sehen wir uns ja noch“ oder so, dachte Sarah beim Hineingehen.
Puh, das ging ja nochmal gut.
Sarah schaltet den Fernseher ein und öffnete die Minibar, die sich in dem Schränkchen unter dem Flachbildschirm befand.
Ohne die Preisliste zu beachten, nahm sie eine 0,25l-Flasche Rotwein heraus und schenkte sich ein.
Warum muss ich eigentlich immer trinken?
Während sie trank, zappte sie sich durch die zahlreichen Programme.
Bei einem alten Howard-Hawks-Western (dem, mit dem unmotivierten Ende) blieb sie hängen.
Lachend: Eine rotweintrinkende Frau, die auf alte Western steht. Nicht mehr lachend: Lachhaft.
Sarah öffnete den Koffer und holte ihr Cocktailkleid, das sie extra für diesen Abend gekauft hatte, hervor.
Ein Cocktail-Kleid? Junge, hol dir Hilfe.
Das Hoteltelefon klingelte.
Sarah nahm den altmodisch-anmutenden Hörer ab. „Hallo … Ja, das bin ich … Sagen Sie ihm, ich bin in circa ´ner halben Stunde unten - ich muss erst noch duschen … Danke … Ihnen auch.“
Nachdem Sarah getan hatte, was sie den Portier hatte ausrichten lassen, cremte sie sich ein und schlüpfte - ein wenig umständlich aber zielführend - in ihre Dessous.
Sie betrachte sich im Spiegel, der sie, aufgrund einer diffusen Lichtquelle, vorteilhaft erschienen ließ. Das erfreute sie und stärkte, wie der Rotwein zuvor, ihr Selbstbewusstsein.
Ich sehe aus ein wie ein zu fetter Victoria-Secret-Engel ... ohne Flügel … Du Idiot.

Sarah nahm den Lift und fuhr nach unten in die Lobby.
Als sie die Rezeption passierte, nahm sie peripher den fovealen Blick des Portiers wahr.
Ob sein Mund wohl immer leicht geöffnet ist?, fragte sie sich beim Betreten der Lounge.
Ja. Genau.
Ein an der Bar sitzender Mann - Mitte dreißig, schlank, gepflegt - reckte sich wie ein Erdmännchen.
Das wird er wohl sein, dachte Sarah.
Er winkte, und sie ging auf ihn zu.
„Sarah?“
„Marten?“
Sie umarmten sich unbeholfen zur Begrüßung - er mehr, sie weniger.
Anschließend vergewisserten sich beide noch, wie schön es doch sei, den jeweils anderen endlich persönlich kennenzulernen.

Nachdem Marten seinen noch nicht ausgetrunkenen Drink bezahlt hatte, nahm Sarah dessen (also Martens) Einhak-Einladung an und die beiden gingen asynchron Richtung Restaurant. (Marten wirkte ziemlich stolz dabei.)
Auf dem Weg dorthin, sagte Marten: „Tolles Kleid, Sarah.“
„Danke. Du siehst aber auch gut aus.“
Das wird ja immer besser. Warum kann ich nichtmal an ´ne Frau geraten. Die wüsste was mit mir anzufangen. Das hier ist doch oberpeinlich.

Im Restaurant rückte Marten Sarah den Stuhl zurecht, und Sarah bedankte sich höflich.
Nachdem Marten sein Sportsakko über die Stuhllehne gehängt hatte, setzte er sich ihr gegenüber - und stutzte.
„Was?“
„Weiß nicht. Hab so ´ne Art Deja-vu (Marten sprach es Zirkumflex-frei aus) … als hätten wir hier schonmal zusammengesessen.
„Glaube mir“, sagte Sarah, „mir kommt es auch bekannt vor. Mehr als bekannt.“
Marten nickte zustimmend, ohne zu wissen, was Sarah damit meinte.
Sarah lächelte.
Marten sah sie fragend an.
„Was ist los, Marten?“
„Ich weiß nicht weiter.“
Sarah tätschelte liebevoll seine Hand. „Ich weiß. Aber es liegt nicht an dir.“
„Nein?“
„Nein.“
Marten nickte wieder zustimmend, obwohl er erneut keinen Plan hatte, was Sarah meinte.
„Es ist eh gleich vorbei - ich kenne das schon.“
„Gleich vorbei?“, wiederholte Marten.
„Vielleicht bestellen wir noch, aber das war’s dann.“
„Ah ja?“
„Merkst du denn nicht, dass wir uns schon selbstständig unterhalten?!“
Marten war nun völlig verwirrt.
„Ihm fällt nichts mehr ein.“
„Wem?“
„Na dem Autor.“
„Dem Autor…?“
„Ja. Er kann nämlich keine Dialoge schreiben. Aber das hört er nicht gerne.“
 
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