Walther
Mitglied
Frank W. stellt sich in Frage
Als Frank W. morgens in seine Firma kommt, erwartet ihn eine weniger erfreuliche Nachricht. Er solle doch kurz vor Mittag zur Chefin kommen, wird ihm ausgerichtet. Die Kollegin, die das Vorzimmer der Abteilungsleiterin bewacht, macht das mit einer gewissen Süffisanz in der Stimme. Frank W. weiß, dass das nichts Gutes verheißt.
Seit die Firma verkauft worden ist und die neuen Leute die Kontrolle übernommen haben, ist alles anders geworden. Die familiäre Stimmung, der freundliche Umgang, der offene Führungsstil, das war einmal.
Auch die Chefin ist neu eingestellt worden vor einem halben Jahr. Frank W. ist der letzte aus der alten Truppe in seiner Abteilung, der noch eine Leitungsfunktion hat. Die anderen sind entweder nicht mehr da oder versetzt. Ihm ist immer bewußt gewesen, dass auch er demnächst drankommt. Heute ist es nun soweit. Lang genug hatte es gedauert.
Er ordnet die Papiere auf seinen Schreibtisch und bekämpft das Aufkommen einer ängstlichen Spannung mit tiefem Durchatmen. Danach ruft er sein Team zusammen und geht die Projekte noch einmal durch. Er ist ein Pflichtmensch. Wenn er schon gehen müssen sollte, dann ordentlich. Sein Stolz lässt Anderes nicht zu. Auch wenn er weiß, dass das eigentlich dumm ist, aber lieber heute von gestern als morgen ohne Ehre im Leib. So ist er nun einmal gestrickt.
Er macht seine Anrufe von der Checkliste. Es muss ja weitergehen, Politik hin oder her. Die Kollegen, die Produktion erwarten, dass im Verkauf die Aufträge geholt werden, die man braucht, damit die Fertigung ausgelastet ist. Von nichts kommt nichts, sagt man so schön. „Wenn wir keine Aufträge heranholen, wer sonst?“, denkt er bei sich. Die Lage ist besser geworden in den letzten Wochen, aber die Zahlen stimmen immer noch nicht, sagt die Chefetage. „Sie müssen einfach mehr bringen!“, sagt die neue Vertriebschefin, „machen Sie Ihren Leuten draußen Beine!“
Die hat gut reden, sagt sich Frank W. Wenn wir nicht die richtigen Produkte haben und nichts investieren, wenn wir die Kunden in ihren Fragestellungen nicht ernstnehmen, dann kann es nicht nachhaltig werden. Er weiß, wovon er spricht. Er macht das jetzt seit zehn Jahren, und immer hatte er die besten Ergebnisse, besser als alle Kollegen. Deshalb war er wohl auch der Letzte der Aufrechten. Der Preis war teuer genug gewesen: Frau weg, Haus weg, Freunde weg. Alles wegen der verrückten Überstunden und der vielen Reisen.
Als es Zeit wird, steht Frank W. auf und geht gefasst zum Zimmer der Abteilungsleiterin. Die Assistentin bietet ihm einen Stuhl an und murmelt, er müsse noch warten. Frank W. hört eine laute Auseinandersetzung, dann geht die Tür auf und sein neuer Teamleiterkollege Müller stürmt wutentbrannt an ihm vorbei, die Tür ins Schloss stoßend, ohne einen Blick zu verlieren. Frank W. ist fast ein wenig geschockt und bekommt feuchte Hände.
Nach einer gewissen Zeitspanne geht die Tür erneut auf, und er wird freundlich hereingebeten, als wäre nichts gewesen. Er folgt der Aufforderung und nimmt auf dem angebotenen Stuhl am Besprechungstisch Platz.
Er sieht seine Akte offen liegen mit einigen handschriftlichen Notizen auf dem letzten Personalbewertungsbogen. „Herr Walther, wir kennen uns nun seit sechs Monaten.“, wird das Gespräch begonnen. Der Ton ist geschäftsmäßig. „Seit unser Unternehmen in neuer Hand ist, hat sich einiges geändert.“ Der Satz ist wie eine offene Frage formuliert, fast eine Aufforderung zum Tanz.
Frank W. geht auf das Angebot zu einer Replik nicht ein. Er hat sich entschlossen, erst einmal abzuwarten, was nun kommt, beim ersten Personalgespräch. „Wie Sie wissen, ist der Absatz in Ihrem Produktsegment seit längerem nicht zufriedenstellend. Die vorgegebenen Zahlen sind nicht erreicht. Wir haben zwar einen leichten Zuwachs in den letzten beiden Monaten, und der Auftragseingang zieht an. Dennoch kann das so nicht bleiben. Was ist Ihr Vorschlag?“
Frank W. schaut von seinen Notizen auf, er ist wie immer gut vorbereitet. „Unsere Kunden beschweren sich seit einigen Jahren zunehmend über die Qualität unserer Produkte. Ebenso halten sie uns vor, dass uns der Wettbewerb technisch so nahe gekommen sei, dass die Preisdifferenz nicht mehr gerechtfertigt ist. Wir müssen mehr in die Entwicklung und den Service, mehr in die Qualität unserer Produkte investieren, anstatt noch mehr zu sparen.“
„Das verhilft aber nicht zu besseren Verkäufen heute, wir brauchen die Umsätze jetzt!“ kommt die kühle Klarstellung postwendend. Er sieht wieder auf seine Notizen, dreht die Tabelle herum. „Sehen Sie, das sind alles Kunden, die wir in den letzten beiden Jahren verloren haben. Meine Leute draußen tun ihr Bestes, ich habe alle Kunden mehrfach besucht, habe – wo es ging - nachverhandelt, hier und da ein wenig am Preis gedreht, dort kostenlosen Service geleistet. So kommen wir nicht weiter!“, legt er dar.
„Ich muss annehmen, dass Sie mir sagen wollen, Sie könnten angesichts der Umstände gerade keine besseren Zahlen liefern. Nun gut, das habe ich erwartet. Ich darf Ihnen daher mitteilen, dass die Geschäftsleitung mich beauftragt hat, Ihnen zum Ende des Quartals einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Hier ist das Angebot, den Empfang quittieren Sie bitte hier.“ Der Ton ist immer noch geschäftsmäßig, das Gesicht, zurückhaltend geschminkt, lässt kein Mitgefühl erahnen. Die grauen Augen hinter der Brille mustern ihn wenig interessiert.
Unter normalen Umständen wäre ein Mensch jetzt vom Donner gerührt, denkt er bei sich, nimmt das Formular, zückt den Kugelschreiber mit dem Firmenemblem und unterschreibt. Er ist es nicht. Normalerweise wäre hier ein Gefühlsausbruch angezeigt. Er bekommt keinen. Das kam ja mit Ansage. Er nimmt das fast gelassen hin, wie eine selbstverständliche Alltäglichkeit, wie sie es exekutiert. Ihn exekutiert.
„Sie sind ab sofort von Ihren Aufgaben freigestellt.“, sagt sie. „Meine Assistentin geht mit Ihnen und übernimmt Ihren Schreibtisch, Ihren Ausweis und Ihren Dienstfahrzeugschlüssel sowie Ihren Blackberry.“ Er steht gemessen auf, greift sich die Papiere und sein Notizbuch. „Guten Tag!“ verabschiedet er ruhig und wie abwesend, als er sich zur Tür aufmacht. Mit der Süffisanz des Morgens sagt die Assistentin, als er an ihr vorübergehen will: „Warten Sie, Herr Walther, nicht so eilig, ich begleite Sie.“
Als er alles übergeben und sich bei seinem Team verabschiedet hat, begibt er sich zum Eingang hinunter. „Auf Wiedersehen, Frau Peter!“, sagt er zur Empfangsdame. „Sie auch?“, antwortet diese nur. Frank W. nickt. Er auch. Ja, in der Tat, auch er.
Als er in die Stadt kommt, ist es erst um die Mittagszeit. Der Frühlingstag ist warm und einladend. Er setzt sich in ein großes Straßencafé und bestellt sich eine Latte Macchiatto. Und zum ersten Mal in seinem Leben, zum allerersten Mal, stellt Frank W. sich in Frage.
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Das Gedicht zum Beitrag: http://www.leselupe.de/lw/titel-Umsatz - dritte Version - neu eingestellt-82431.htm
Als Frank W. morgens in seine Firma kommt, erwartet ihn eine weniger erfreuliche Nachricht. Er solle doch kurz vor Mittag zur Chefin kommen, wird ihm ausgerichtet. Die Kollegin, die das Vorzimmer der Abteilungsleiterin bewacht, macht das mit einer gewissen Süffisanz in der Stimme. Frank W. weiß, dass das nichts Gutes verheißt.
Seit die Firma verkauft worden ist und die neuen Leute die Kontrolle übernommen haben, ist alles anders geworden. Die familiäre Stimmung, der freundliche Umgang, der offene Führungsstil, das war einmal.
Auch die Chefin ist neu eingestellt worden vor einem halben Jahr. Frank W. ist der letzte aus der alten Truppe in seiner Abteilung, der noch eine Leitungsfunktion hat. Die anderen sind entweder nicht mehr da oder versetzt. Ihm ist immer bewußt gewesen, dass auch er demnächst drankommt. Heute ist es nun soweit. Lang genug hatte es gedauert.
Er ordnet die Papiere auf seinen Schreibtisch und bekämpft das Aufkommen einer ängstlichen Spannung mit tiefem Durchatmen. Danach ruft er sein Team zusammen und geht die Projekte noch einmal durch. Er ist ein Pflichtmensch. Wenn er schon gehen müssen sollte, dann ordentlich. Sein Stolz lässt Anderes nicht zu. Auch wenn er weiß, dass das eigentlich dumm ist, aber lieber heute von gestern als morgen ohne Ehre im Leib. So ist er nun einmal gestrickt.
Er macht seine Anrufe von der Checkliste. Es muss ja weitergehen, Politik hin oder her. Die Kollegen, die Produktion erwarten, dass im Verkauf die Aufträge geholt werden, die man braucht, damit die Fertigung ausgelastet ist. Von nichts kommt nichts, sagt man so schön. „Wenn wir keine Aufträge heranholen, wer sonst?“, denkt er bei sich. Die Lage ist besser geworden in den letzten Wochen, aber die Zahlen stimmen immer noch nicht, sagt die Chefetage. „Sie müssen einfach mehr bringen!“, sagt die neue Vertriebschefin, „machen Sie Ihren Leuten draußen Beine!“
Die hat gut reden, sagt sich Frank W. Wenn wir nicht die richtigen Produkte haben und nichts investieren, wenn wir die Kunden in ihren Fragestellungen nicht ernstnehmen, dann kann es nicht nachhaltig werden. Er weiß, wovon er spricht. Er macht das jetzt seit zehn Jahren, und immer hatte er die besten Ergebnisse, besser als alle Kollegen. Deshalb war er wohl auch der Letzte der Aufrechten. Der Preis war teuer genug gewesen: Frau weg, Haus weg, Freunde weg. Alles wegen der verrückten Überstunden und der vielen Reisen.
Als es Zeit wird, steht Frank W. auf und geht gefasst zum Zimmer der Abteilungsleiterin. Die Assistentin bietet ihm einen Stuhl an und murmelt, er müsse noch warten. Frank W. hört eine laute Auseinandersetzung, dann geht die Tür auf und sein neuer Teamleiterkollege Müller stürmt wutentbrannt an ihm vorbei, die Tür ins Schloss stoßend, ohne einen Blick zu verlieren. Frank W. ist fast ein wenig geschockt und bekommt feuchte Hände.
Nach einer gewissen Zeitspanne geht die Tür erneut auf, und er wird freundlich hereingebeten, als wäre nichts gewesen. Er folgt der Aufforderung und nimmt auf dem angebotenen Stuhl am Besprechungstisch Platz.
Er sieht seine Akte offen liegen mit einigen handschriftlichen Notizen auf dem letzten Personalbewertungsbogen. „Herr Walther, wir kennen uns nun seit sechs Monaten.“, wird das Gespräch begonnen. Der Ton ist geschäftsmäßig. „Seit unser Unternehmen in neuer Hand ist, hat sich einiges geändert.“ Der Satz ist wie eine offene Frage formuliert, fast eine Aufforderung zum Tanz.
Frank W. geht auf das Angebot zu einer Replik nicht ein. Er hat sich entschlossen, erst einmal abzuwarten, was nun kommt, beim ersten Personalgespräch. „Wie Sie wissen, ist der Absatz in Ihrem Produktsegment seit längerem nicht zufriedenstellend. Die vorgegebenen Zahlen sind nicht erreicht. Wir haben zwar einen leichten Zuwachs in den letzten beiden Monaten, und der Auftragseingang zieht an. Dennoch kann das so nicht bleiben. Was ist Ihr Vorschlag?“
Frank W. schaut von seinen Notizen auf, er ist wie immer gut vorbereitet. „Unsere Kunden beschweren sich seit einigen Jahren zunehmend über die Qualität unserer Produkte. Ebenso halten sie uns vor, dass uns der Wettbewerb technisch so nahe gekommen sei, dass die Preisdifferenz nicht mehr gerechtfertigt ist. Wir müssen mehr in die Entwicklung und den Service, mehr in die Qualität unserer Produkte investieren, anstatt noch mehr zu sparen.“
„Das verhilft aber nicht zu besseren Verkäufen heute, wir brauchen die Umsätze jetzt!“ kommt die kühle Klarstellung postwendend. Er sieht wieder auf seine Notizen, dreht die Tabelle herum. „Sehen Sie, das sind alles Kunden, die wir in den letzten beiden Jahren verloren haben. Meine Leute draußen tun ihr Bestes, ich habe alle Kunden mehrfach besucht, habe – wo es ging - nachverhandelt, hier und da ein wenig am Preis gedreht, dort kostenlosen Service geleistet. So kommen wir nicht weiter!“, legt er dar.
„Ich muss annehmen, dass Sie mir sagen wollen, Sie könnten angesichts der Umstände gerade keine besseren Zahlen liefern. Nun gut, das habe ich erwartet. Ich darf Ihnen daher mitteilen, dass die Geschäftsleitung mich beauftragt hat, Ihnen zum Ende des Quartals einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Hier ist das Angebot, den Empfang quittieren Sie bitte hier.“ Der Ton ist immer noch geschäftsmäßig, das Gesicht, zurückhaltend geschminkt, lässt kein Mitgefühl erahnen. Die grauen Augen hinter der Brille mustern ihn wenig interessiert.
Unter normalen Umständen wäre ein Mensch jetzt vom Donner gerührt, denkt er bei sich, nimmt das Formular, zückt den Kugelschreiber mit dem Firmenemblem und unterschreibt. Er ist es nicht. Normalerweise wäre hier ein Gefühlsausbruch angezeigt. Er bekommt keinen. Das kam ja mit Ansage. Er nimmt das fast gelassen hin, wie eine selbstverständliche Alltäglichkeit, wie sie es exekutiert. Ihn exekutiert.
„Sie sind ab sofort von Ihren Aufgaben freigestellt.“, sagt sie. „Meine Assistentin geht mit Ihnen und übernimmt Ihren Schreibtisch, Ihren Ausweis und Ihren Dienstfahrzeugschlüssel sowie Ihren Blackberry.“ Er steht gemessen auf, greift sich die Papiere und sein Notizbuch. „Guten Tag!“ verabschiedet er ruhig und wie abwesend, als er sich zur Tür aufmacht. Mit der Süffisanz des Morgens sagt die Assistentin, als er an ihr vorübergehen will: „Warten Sie, Herr Walther, nicht so eilig, ich begleite Sie.“
Als er alles übergeben und sich bei seinem Team verabschiedet hat, begibt er sich zum Eingang hinunter. „Auf Wiedersehen, Frau Peter!“, sagt er zur Empfangsdame. „Sie auch?“, antwortet diese nur. Frank W. nickt. Er auch. Ja, in der Tat, auch er.
Als er in die Stadt kommt, ist es erst um die Mittagszeit. Der Frühlingstag ist warm und einladend. Er setzt sich in ein großes Straßencafé und bestellt sich eine Latte Macchiatto. Und zum ersten Mal in seinem Leben, zum allerersten Mal, stellt Frank W. sich in Frage.
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Das Gedicht zum Beitrag: http://www.leselupe.de/lw/titel-Umsatz - dritte Version - neu eingestellt-82431.htm