Ilona B
Mitglied
Freiheit
Agathe zog fröstelnd die dünne Strickjacke fester um ihre Schultern. Trotz des sonnigen Wetters fror sie. Es war ein vertrautes Gefühl, denn diese Kälte diente ihr als Schutzschild in den zurückliegenden Jahren. Sie senkte den Kopf und starrte auf ihre Schuhe. „Ich hätte mir heute Morgen die Zeit nehmen sollen, sie zu polieren“, murmelte sie. Sie hob den Kopf und ihr Blick wanderte über die vielen Personen. Einige kannte sie von früher, als sie noch aktiv am Leben ihres Mannes teilgenommen hatte. Ziellos irrte sie durch die Menge. Stimmengewirr drang an ihr Ohr.
„Mein Gott, ist der Junge groß geworden!“
„Lange nicht gesehen!“
„Ist der Typ da etwa der Neue von Elke?“
Agathe überquerte den Rasen und betrat den Parkplatz vor der Kirche. Sie blieb vor einem dunkelblauen Bentley stehen. Wie schön er ist. Bewundernd strich sie mit den Fingerspitzen über den Kotflügel. Sie liebte Autos. Diese Leidenschaft hatte sie mit ihrem, vor zehn Jahren verstorbenen, Vater geteilt. Der Wagen war nicht abgeschlossen. Agathe öffnete die Fahrertür und ließ sich stöhnend auf den weichen Sitz fallen. Der Platz war wie geschaffen für ihren steifen Körper. Mit einem dumpfen Knall schloss sie die Tür. Herrliche Ruhe und ein intensiver Geruch nach Leder umgaben sie. Ihre Hände glitten über das seidenglatte Holzlenkrad und streiften den Zündschlüssel, der achtlos im Schloss steckte. Der Eigentümer musste sehr sicher sein, dass niemand es wagen würde sein Auto zu stehlen. Sie drehte den Schlüssel und der Motor schnurrte leise. Langsam rollte das Fahrzeug auf die Straße. Ihr Fuß drückte das Gaspedal nieder. Erst vorsichtig und dann immer energischer. Die Bäume flogen an ihr vorbei. Es kribbelte in ihrem Bauch und ein kleines Lächeln schlich sich auf Agathes Gesicht. Dieses Gefühl war ungewohnt, jedoch schöner als die undurchdringliche Kälte.
Nach einem gewagten Überholmanöver ließ sie einen weißen Sportwagen hinter sich. Aus den Augenwinkeln glaubte sie eine Bewegung auf dem Rücksitz wahrzunehmen. Sie fröstelte und ihr Lächeln verschwand. Agathe warf einen unsicheren Blick über die Schulter. Niemand da. Natürlich war niemand da, dachte sie kopfschüttelnd. Sie drehte das Radio an und summte leise die erklingende Melodie von Benny Goodman mit. Die Zeit flog dahin. Sie öffnete das Fester einen Spalt und der eindringende Fahrtwind löste einzelne Strähnen aus ihrem Dutt, wirbelte sie durch die Luft. Einfach herrlich! Wie im Traum, Nichts störte, bis auf dieses Geräusch das immer näher kam. Kurze Zeit später überholte sie ein Polizeiauto. Einer der Beamten winkte mit einer Kelle aus dem Seitenfenster und erschrocken hielt Agathe an. Der Polizist schritt mit strenger Miene auf ihren Wagen zu.
„Schönen guten Tag, meine Dame! Zeigen Sie mir bitte Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere.“
Agathe sah ihn schweigend an.
„Würden Sie bitte aussteigen!“
Agathe blieb sitzen. Ratlos blickte der Beamte zu seinem Kollegen hinüber. Der zuckte mit den Schultern.
„Wenn Sie sich nicht ausweisen können, müssen wir Sie mit auf die Wache nehmen.“
Agathe schaute ihn weiterhin mit großen Augen an. Sie wusste einfach nicht was sie tun sollte. Den Führerschein hatte ihr Mann eingesteckt, da sie nicht ohne ihn fahren durfte und sie hatte ihn noch nicht zurück. Fahrzeugpapiere hatte sie nicht, denn es war ja nicht ihr Wagen.
„Augenblick, Mario. Komm mal her“, erklang es in diesem Moment.
„Sie warten bitte hier“, sagte der Polizist und ging zu seinem Kollegen hinüber.
„Ich glaube ich kenne die Frau.“
„Echt jetzt?“
„Ja warte.“ Er holte die Tageszeitung aus dem Auto und fing an zu blättern.
„Sag nicht, da steht was über sie drin.“
„Doch, bestimmt. Moment, gleich hab ich’s. – Hier!!!“ Triumphierend hielt er Mario die Seite vor die Nase.
„Heute ist die Beerdigung von Eberhard Krohn. Das ist der Regisseur, der unter anderem diese Wahnsinns-Serie mit den bestechlichen Richtern gedreht hat!“
Mario lass den Artikel.
„Mann, sogar der Bundespräsident soll kommen.“
Beeindruckt hob er eine Augenbraue.
„Was hat das jetzt mit unserer Raserin zu tun?“
„Unten das kleine Bild, siehst du. Sie war seine Frau!“
„Ach du heilige …! Ich wusste nicht, dass der überhaupt verheiratet war. Der hatte doch dauernd was mit seinen Schauspielerinnen und wenn man den Gerüchten glauben darf, war es von deren Seite nicht immer freiwillig.“ Sein Kollege nickte zustimmend.
„Aber wieso ist Frau Krohn hier, wenn doch die Beerdigung jetzt ist?“
„Sie steht bestimmt noch unter Schock. Der schwere Autounfall. Und vielleicht hat sie ja gedacht, dass er durchkommt.“
„Hmm, tja. – Und was machen wir jetzt?“
Die beiden sahen sich an und musterten anschließend die Umgebung. Es war niemand zu sehen. Sie gingen zu Agathe hinüber, drückten ihr Mitgefühl aus und nachdem sie eindringlich darauf hingewiesen hatten, die erlaubte Geschwindigkeit nicht mehr zu überschreiten, durfte Agathe weiterfahren. Wesentlich langsamer rollte sie die Straße entlang, da ihr der Schreck noch in allen Gliedern saß. Sie warf erneut einen Blick auf die Rückbank und beschloss umzudrehen. Der kleine Ausflug war vorbei. In dieser kurzen Zeit hatte sie intensivere Gefühle durchlaufen, als in den letzten Jahren. Sie war auf einmal sehr erschöpft und wollte nach Hause, doch auf den Friedhof würde sie nicht zurück fahren. Langsam kehrte das Lächeln auf ihr Gesicht zurück. Den Wagen musste sie aber abgeben und vielleicht würde sie noch etwas essen, bevor sie nach Hause ging. Mal sehen, wozu sie Lust hatte, denn sie konnte nun tun was sie wollte. Sie war jetzt frei.
Agathe zog fröstelnd die dünne Strickjacke fester um ihre Schultern. Trotz des sonnigen Wetters fror sie. Es war ein vertrautes Gefühl, denn diese Kälte diente ihr als Schutzschild in den zurückliegenden Jahren. Sie senkte den Kopf und starrte auf ihre Schuhe. „Ich hätte mir heute Morgen die Zeit nehmen sollen, sie zu polieren“, murmelte sie. Sie hob den Kopf und ihr Blick wanderte über die vielen Personen. Einige kannte sie von früher, als sie noch aktiv am Leben ihres Mannes teilgenommen hatte. Ziellos irrte sie durch die Menge. Stimmengewirr drang an ihr Ohr.
„Mein Gott, ist der Junge groß geworden!“
„Lange nicht gesehen!“
„Ist der Typ da etwa der Neue von Elke?“
Agathe überquerte den Rasen und betrat den Parkplatz vor der Kirche. Sie blieb vor einem dunkelblauen Bentley stehen. Wie schön er ist. Bewundernd strich sie mit den Fingerspitzen über den Kotflügel. Sie liebte Autos. Diese Leidenschaft hatte sie mit ihrem, vor zehn Jahren verstorbenen, Vater geteilt. Der Wagen war nicht abgeschlossen. Agathe öffnete die Fahrertür und ließ sich stöhnend auf den weichen Sitz fallen. Der Platz war wie geschaffen für ihren steifen Körper. Mit einem dumpfen Knall schloss sie die Tür. Herrliche Ruhe und ein intensiver Geruch nach Leder umgaben sie. Ihre Hände glitten über das seidenglatte Holzlenkrad und streiften den Zündschlüssel, der achtlos im Schloss steckte. Der Eigentümer musste sehr sicher sein, dass niemand es wagen würde sein Auto zu stehlen. Sie drehte den Schlüssel und der Motor schnurrte leise. Langsam rollte das Fahrzeug auf die Straße. Ihr Fuß drückte das Gaspedal nieder. Erst vorsichtig und dann immer energischer. Die Bäume flogen an ihr vorbei. Es kribbelte in ihrem Bauch und ein kleines Lächeln schlich sich auf Agathes Gesicht. Dieses Gefühl war ungewohnt, jedoch schöner als die undurchdringliche Kälte.
Nach einem gewagten Überholmanöver ließ sie einen weißen Sportwagen hinter sich. Aus den Augenwinkeln glaubte sie eine Bewegung auf dem Rücksitz wahrzunehmen. Sie fröstelte und ihr Lächeln verschwand. Agathe warf einen unsicheren Blick über die Schulter. Niemand da. Natürlich war niemand da, dachte sie kopfschüttelnd. Sie drehte das Radio an und summte leise die erklingende Melodie von Benny Goodman mit. Die Zeit flog dahin. Sie öffnete das Fester einen Spalt und der eindringende Fahrtwind löste einzelne Strähnen aus ihrem Dutt, wirbelte sie durch die Luft. Einfach herrlich! Wie im Traum, Nichts störte, bis auf dieses Geräusch das immer näher kam. Kurze Zeit später überholte sie ein Polizeiauto. Einer der Beamten winkte mit einer Kelle aus dem Seitenfenster und erschrocken hielt Agathe an. Der Polizist schritt mit strenger Miene auf ihren Wagen zu.
„Schönen guten Tag, meine Dame! Zeigen Sie mir bitte Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere.“
Agathe sah ihn schweigend an.
„Würden Sie bitte aussteigen!“
Agathe blieb sitzen. Ratlos blickte der Beamte zu seinem Kollegen hinüber. Der zuckte mit den Schultern.
„Wenn Sie sich nicht ausweisen können, müssen wir Sie mit auf die Wache nehmen.“
Agathe schaute ihn weiterhin mit großen Augen an. Sie wusste einfach nicht was sie tun sollte. Den Führerschein hatte ihr Mann eingesteckt, da sie nicht ohne ihn fahren durfte und sie hatte ihn noch nicht zurück. Fahrzeugpapiere hatte sie nicht, denn es war ja nicht ihr Wagen.
„Augenblick, Mario. Komm mal her“, erklang es in diesem Moment.
„Sie warten bitte hier“, sagte der Polizist und ging zu seinem Kollegen hinüber.
„Ich glaube ich kenne die Frau.“
„Echt jetzt?“
„Ja warte.“ Er holte die Tageszeitung aus dem Auto und fing an zu blättern.
„Sag nicht, da steht was über sie drin.“
„Doch, bestimmt. Moment, gleich hab ich’s. – Hier!!!“ Triumphierend hielt er Mario die Seite vor die Nase.
„Heute ist die Beerdigung von Eberhard Krohn. Das ist der Regisseur, der unter anderem diese Wahnsinns-Serie mit den bestechlichen Richtern gedreht hat!“
Mario lass den Artikel.
„Mann, sogar der Bundespräsident soll kommen.“
Beeindruckt hob er eine Augenbraue.
„Was hat das jetzt mit unserer Raserin zu tun?“
„Unten das kleine Bild, siehst du. Sie war seine Frau!“
„Ach du heilige …! Ich wusste nicht, dass der überhaupt verheiratet war. Der hatte doch dauernd was mit seinen Schauspielerinnen und wenn man den Gerüchten glauben darf, war es von deren Seite nicht immer freiwillig.“ Sein Kollege nickte zustimmend.
„Aber wieso ist Frau Krohn hier, wenn doch die Beerdigung jetzt ist?“
„Sie steht bestimmt noch unter Schock. Der schwere Autounfall. Und vielleicht hat sie ja gedacht, dass er durchkommt.“
„Hmm, tja. – Und was machen wir jetzt?“
Die beiden sahen sich an und musterten anschließend die Umgebung. Es war niemand zu sehen. Sie gingen zu Agathe hinüber, drückten ihr Mitgefühl aus und nachdem sie eindringlich darauf hingewiesen hatten, die erlaubte Geschwindigkeit nicht mehr zu überschreiten, durfte Agathe weiterfahren. Wesentlich langsamer rollte sie die Straße entlang, da ihr der Schreck noch in allen Gliedern saß. Sie warf erneut einen Blick auf die Rückbank und beschloss umzudrehen. Der kleine Ausflug war vorbei. In dieser kurzen Zeit hatte sie intensivere Gefühle durchlaufen, als in den letzten Jahren. Sie war auf einmal sehr erschöpft und wollte nach Hause, doch auf den Friedhof würde sie nicht zurück fahren. Langsam kehrte das Lächeln auf ihr Gesicht zurück. Den Wagen musste sie aber abgeben und vielleicht würde sie noch etwas essen, bevor sie nach Hause ging. Mal sehen, wozu sie Lust hatte, denn sie konnte nun tun was sie wollte. Sie war jetzt frei.