Freitach wird jebadet
Sonntag in den Sommerferien.
Der Physiklehrer Karsten Briem wachte auf, ohne dass der Wecker geklingelt hätte. Dafür läuteten an diesem Morgen schon zum dritten Mal irgendwelche Glocken. Berlin eben. Er rieb sich die Augen, schlüpfte in seine Pantoffeln und hing für Augenblicke Traumfetzen nach. Ach was, dachte er, Träume sind Schäume. Heute ist ein freier Tag, der nach Gestaltung verlangt. „Denn was wäre die Freiheit wert“, wiederholte er nun laut einen seiner selbstverfassten Leitsätze, „würde sie nicht von ihrer Schwester begleitet, der Disziplin.“
Etwas später stand er geduscht und rasiert in der Küche, ein frisches Hemd hatte er sich herausgesucht, diesmal ein grüngelbgestreiftes, passend zur Jahreszeit. Karsten Briem bereitete sich das Frühstück, heute mit dem berühmten Briemschen Frühstücksei.
Tatsächlich hatte er vor Jahren einen Aufsatz darüber verfasst, wie es jedermann gelingen könnte, das perfekte Frühstücksei zu kochen, immer und an jedem Ort der Welt. Das Geheimnis liege in der gleichzeitigen Beachtung der Höhe des Kochortes über dem Meeresspiegel und dem eigentlichen Ei-Gewicht. Die daraus resultierende Kochzeit hatte er für drei verschiedene Geschmacksstufen in einer übersichtlichen Tabelle erfasst und versucht, diese an Frauenzeitschriften zu verkaufen – doch eine nach der anderen hatte abgelehnt.
Es blieb ihm ein Rätsel, wie seine Arbeit schließlich nach England gelangen konnte, dort jedenfalls titelte auf einmal eine Zeitschrift auf Seite eins: „Der Fritz lehrt uns das Eierkochen!"
Immerhin gab es ein anständiges Honorar in englischen Pfund, etwas später dann doch noch einen kleinen Bericht in der deutschen Presse mit dem Abdruck der Tabelle.
Das alles war inzwischen Jahre her, jetzt galt es, das Ei zu wiegen und danach die perfekte Kochzeit auf dem Sekundenwecker einzustellen. 6 Minuten, 7 Sekunden. Der Tisch war gedeckt, die Toastscheibe im Toaster, es war also noch Zeit. Zeit, die man nutzen konnte - wie jeden Sonntag.
Karsten Briem ging in sein Arbeitszimmer, schaltete den alten Rechner an – der brauchte zum Hochfahren 2 Minuten und 30 Sekunden -, nahm den schon am Vorabend zurecht gelegten Zettel vom Schreibtisch, dazu einen Stift, schaute auf seine Uhr und ging mit großen Schritten zur Wohnungstür. Im Vorbeigehen griff er nach dem Schlüssel und lief die Treppe hinab, in den Keller. Hier öffnete er die Blechtür des Zählerschranks, und notierte die sechs Ziffern vor und die eine nach dem Komma, die Zählerscheibe drehte sich nur langsam, die Welt schien in bester Ordnung. Er hörte das Quietschen der Haustür, sah wieder auf die Uhr. Dann ein Poltern. Jetzt also kommt sie erst nach Hause, dachte der Lehrer, ach von mir aus, soll sie doch. Wir waren alle einmal jung. Er schloss den Schrank und stieg die Treppe hinauf.
„Guten Morgen, Fräulein Schubert“, grüßte er höflich die Person, die in einem kurzen dunkelblauen Kleid auf der Treppe saß und in ihrer Handtasche offensichtlich nach dem Schlüssel suchte. Er mochte sie, irgendwie.
„Det mit det Frollein is aba nu ooch schon’n paa Jährchen vorbei“, lallte sie ihm nach. „Nenn Se mir eenfach Lola!“
„Lola?“
Der Lehrer blieb kurz stehen. „Aber so heißen Sie nicht. Ihr Name ist doch Karin, Karin Schubert!“
„Aba Lola passt bessa zu mia! Fin’n Se nich ooch?“
Karsten Briem murmelte ein: „Na, wenn Sie meinen…“, und schloss gleich darauf hinter sich die Wohnungstür.
2 Minuten 50 Sekunden waren vergangen, noch also war Zeit, den Zählerstand in die Excel-Tabelle einzutragen. Der Lehrer stutzte, das konnte nicht sein! Der Verbrauch lag um 4230 Watt höher, als in der Vorwoche. Wie denn, wann denn, dachte er nach. Ich habe doch nichts außer der Reihe getan?! Ein Ablesefehler, analysierte er blitzschnell, es kann nur ein Ablesefehler sein, na klar, was sonst! Er schnellte hoch und eilte in die Küche, noch 1 Minute und 38 Sekunden. Das schaffe ich, wetten? Er riss die Wohnungstür auf – die neue Lola suchte weiter nach ihrem Schlüssel -, rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab, riss den Zählerschrank auf und glaubte seinen Augen nicht: Die Zahlen vor dem Komma stimmten! Im gleichen Augenblick hörte er eine Wohnungstür zuknallen.
„Mein Schlüssel!“, rief er erschrocken und eilte zurück.
„Rums!“, griente die Frau über beide Wangen, „die wär nu ma zu, wa?“
Breitbeinig und immer wieder nach Gleichgewicht suchend, lehnte sie am Geländer.
„Fräulein Schubert! Waren Sie das?“
„Icke? Erlauben Se mal! Ick kann noch nich ma eener Flieeje wat zuleide tun. Icke doch nich!“
„Scheiße!“, entfuhr es dem Physiklehrer, der damit drei Sachen gleichzeitig meinte: die vor sich hin kochenden Eier, den erhöhten Stromverbrauch und die zugeschlagene Wohnungstür. In diesem Moment hörten sie die Sekundenuhr bimmeln. Eiersalat, dachte er, optimistisch gesehen wird das allenfalls noch Eiersalat.
„Fräulein Schubert“, überlegte Karsten Briem laut, „ich habe Ihnen doch vor einiger Zeit meinen Schlüssel anvertraut. Genau für solche Fälle!“
„Kann sein“, murmelte sie müde und setzte sich auf die Treppe zurück.
„Würden Sie mir ihn schnell bringen? Ich habe einen Topf auf dem Herd.“
„Nee!“
„Was heißt hier ‚nee’!?“
„Ick find ja noch nich ma meenen!“, nuschelte sie und reichte ihm die Handtasche. „Hier! Vielleicht ham Se ja mehr Jlück wie icke.“
„Als ich“, verbesserte der Lehrer, „es heißt: als ich!“. Er setzte sich neben die Frau und begann in ihrer Handtasche zu kramen, wunderte sich über die vielen, seiner Meinung nach überflüssigen Dinge, die zusammen ein bizarres Konglomerat ergaben.
„Ist er das hier?“
„Juuuut!“, strahlte die Frau. „Nu müssen Se nur noch de Türe uffschließen und mir ins Bette trajen. Det schaff ick nämlich irgendwie nich.“
„Aber Fräulein Schubert! Sie sind ja betrunken!“
„Ja nu machen Se schon, oder soll ick hier Wurzeln schlajen?“
„Tür aufschließen: ja. Ins Bett schleppen: nein!“
„Und ausziehen müssen Se mir och noch, und zwar janz, oder soll ick etwa in meene Klamotten schlafen? Det könn Se nu ooch wieder nich wolln, oda?“
Karsten Briem schloss ihre Wohnungstür auf, machte im Flur Licht und schaute oberflächlich, ob er seinen Schlüssel irgendwo entdecken könnte.
„Also, wo ist er?“
„Sag ick, wenn Se mir zujedeckt ham. Und een Jutenachtkuss will ick ooch, da besteht meene Persönlichkeit druff… Aber wehe Se varjreifen sich an mir, det will ick nich, det nu jleich jar nich.“
Eine Weile ging er im Hausflur auf und ab, schaute immer wieder in die offene Wohnung. Hatte er eine Wahl?
„Das ist Erpressung, Lola“, raunzte er und hob sie, nachdem er sich nochmals versichert hatte, dass keine anderen Hausbewohner in Sichtweite waren, auf seine Arme.
„Weeß ick doch, aber warum soll ick dir nich een bisschen ausnützen, wo de doch schon ma da bist?“
Er fand das Schlafzimmer, stieß mit dem Fuß die angelehnte Tür auf und legte die Frau auf das Bett, schob ein Kopfkissen zurecht und fragte erneut nach dem Schlüssel.
„Erst mich ausziehen“, flüsterte sie. „Wat schenierste dir denn, haste noch nie ne nackte Frau jesehn? Keene Angst, jebadet hab ick letzten Freitach, da bin ick ja ordentlich, wat det betrifft.“
Lola kicherte und Karsten Briem überlegte, wann er zum letzten Mal eine nackte Frau gesehen hatte.
„Noch nie eine so schöne“, murmelte er, als er ihr Kleid abstreifte. Seine Hände zitterten, als sie ihr Becken hob und er ihren Slip auszog. Dann die Strümpfe. Sie drehte sich zur Seite, er öffnete den BH und entblößte ihre Brüste.
„Noch nie eine so schöne“, flüsterte er in ihr Ohr. „Und wo ist jetzt der Schlüssel?"
„Mir is schlecht“, stöhnte Lola. „Kannste aus'm Bad ’n Eima bring’?“
Der Physiklehrer deckte die Frau zu, ging ins Bad, fand den Eimer und wollte, wie es früher seine Mutter getan hatte, etwas warmes Wasser in den Eimer lassen. Merkwürdig, auch nach einiger Zeit des Wartens blieb das Wasser kalt.
Den Eimer stellte er neben das Bett, fragte:
„Warum wird das Wasser nicht warm?“
„Durchlauferhitza is kaputt“, murmelte Lola, schon halb schlafend. Er küsste sie vorsichtig, fragte zugleich nach dem Schlüssel.
„…Kaffetasse“, war das letzte, was er verstand, wenig später schlief sie schon und schnarchte leise vor sich hin.
Karsten Briem saß auf der Bettkante und dachte nach. Eier auf dem Herd, Abweichung des Stromverbrauchs, kaltes Wasser, Kaffeetasse. War das eine kausale Kette? Und freitags hatte sie gebadet. Wie denn, wenn das Ding kaputt ist? Plötzlich kam ihm eine Idee, die alles erklären könnte. Sollte sie etwa heimlich bei ihm...? Vor Schreck hielt er sich die Hand vor den Mund, sprang aber sofort auf, als ihm seine Frühstückseier einfielen.
‚Kaffeetasse’ hatte sie gesagt. So schwer konnte das ja nicht sein. In irgendeiner musste der Schlüssel liegen. Lange brauchte er nicht zu suchen, der Schlüssel fand sich in einer einzelnen blauen im Küchenschrank. Nochmals warf er einen Blick ins Schlafzimmer, zog die Decke über ihre nackten Schultern und streichelte über ihr Haar. Dann endlich verließ er die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu.
Die Eier kochten noch immer, schnell nahm er sie vom Herd und schreckte sie ab. Eiersalat also. Die Exceltabelle speicherte er und schloss die Datei, jetzt, da es eine Erklärung für den erhöhten Stromverbrauch gab. Eine Weile saß er ganz still, spürte etwas Verlorengeglaubtes in seiner Brust aufsteigen. Da lässt sich was draus machen, dachte Karsten Briem und steckte den einzelnen Wohnungsschlüssel in einen Briefumschlag. Dazu schrieb er auf einen Zettel:
„Liebe Frau Lola, solange Sie nicht über warmes Wasser verfügen, können Sie ja bei mir baden. Bis Freitag also!“
Sonntag in den Sommerferien.
Der Physiklehrer Karsten Briem wachte auf, ohne dass der Wecker geklingelt hätte. Dafür läuteten an diesem Morgen schon zum dritten Mal irgendwelche Glocken. Berlin eben. Er rieb sich die Augen, schlüpfte in seine Pantoffeln und hing für Augenblicke Traumfetzen nach. Ach was, dachte er, Träume sind Schäume. Heute ist ein freier Tag, der nach Gestaltung verlangt. „Denn was wäre die Freiheit wert“, wiederholte er nun laut einen seiner selbstverfassten Leitsätze, „würde sie nicht von ihrer Schwester begleitet, der Disziplin.“
Etwas später stand er geduscht und rasiert in der Küche, ein frisches Hemd hatte er sich herausgesucht, diesmal ein grüngelbgestreiftes, passend zur Jahreszeit. Karsten Briem bereitete sich das Frühstück, heute mit dem berühmten Briemschen Frühstücksei.
Tatsächlich hatte er vor Jahren einen Aufsatz darüber verfasst, wie es jedermann gelingen könnte, das perfekte Frühstücksei zu kochen, immer und an jedem Ort der Welt. Das Geheimnis liege in der gleichzeitigen Beachtung der Höhe des Kochortes über dem Meeresspiegel und dem eigentlichen Ei-Gewicht. Die daraus resultierende Kochzeit hatte er für drei verschiedene Geschmacksstufen in einer übersichtlichen Tabelle erfasst und versucht, diese an Frauenzeitschriften zu verkaufen – doch eine nach der anderen hatte abgelehnt.
Es blieb ihm ein Rätsel, wie seine Arbeit schließlich nach England gelangen konnte, dort jedenfalls titelte auf einmal eine Zeitschrift auf Seite eins: „Der Fritz lehrt uns das Eierkochen!"
Immerhin gab es ein anständiges Honorar in englischen Pfund, etwas später dann doch noch einen kleinen Bericht in der deutschen Presse mit dem Abdruck der Tabelle.
Das alles war inzwischen Jahre her, jetzt galt es, das Ei zu wiegen und danach die perfekte Kochzeit auf dem Sekundenwecker einzustellen. 6 Minuten, 7 Sekunden. Der Tisch war gedeckt, die Toastscheibe im Toaster, es war also noch Zeit. Zeit, die man nutzen konnte - wie jeden Sonntag.
Karsten Briem ging in sein Arbeitszimmer, schaltete den alten Rechner an – der brauchte zum Hochfahren 2 Minuten und 30 Sekunden -, nahm den schon am Vorabend zurecht gelegten Zettel vom Schreibtisch, dazu einen Stift, schaute auf seine Uhr und ging mit großen Schritten zur Wohnungstür. Im Vorbeigehen griff er nach dem Schlüssel und lief die Treppe hinab, in den Keller. Hier öffnete er die Blechtür des Zählerschranks, und notierte die sechs Ziffern vor und die eine nach dem Komma, die Zählerscheibe drehte sich nur langsam, die Welt schien in bester Ordnung. Er hörte das Quietschen der Haustür, sah wieder auf die Uhr. Dann ein Poltern. Jetzt also kommt sie erst nach Hause, dachte der Lehrer, ach von mir aus, soll sie doch. Wir waren alle einmal jung. Er schloss den Schrank und stieg die Treppe hinauf.
„Guten Morgen, Fräulein Schubert“, grüßte er höflich die Person, die in einem kurzen dunkelblauen Kleid auf der Treppe saß und in ihrer Handtasche offensichtlich nach dem Schlüssel suchte. Er mochte sie, irgendwie.
„Det mit det Frollein is aba nu ooch schon’n paa Jährchen vorbei“, lallte sie ihm nach. „Nenn Se mir eenfach Lola!“
„Lola?“
Der Lehrer blieb kurz stehen. „Aber so heißen Sie nicht. Ihr Name ist doch Karin, Karin Schubert!“
„Aba Lola passt bessa zu mia! Fin’n Se nich ooch?“
Karsten Briem murmelte ein: „Na, wenn Sie meinen…“, und schloss gleich darauf hinter sich die Wohnungstür.
2 Minuten 50 Sekunden waren vergangen, noch also war Zeit, den Zählerstand in die Excel-Tabelle einzutragen. Der Lehrer stutzte, das konnte nicht sein! Der Verbrauch lag um 4230 Watt höher, als in der Vorwoche. Wie denn, wann denn, dachte er nach. Ich habe doch nichts außer der Reihe getan?! Ein Ablesefehler, analysierte er blitzschnell, es kann nur ein Ablesefehler sein, na klar, was sonst! Er schnellte hoch und eilte in die Küche, noch 1 Minute und 38 Sekunden. Das schaffe ich, wetten? Er riss die Wohnungstür auf – die neue Lola suchte weiter nach ihrem Schlüssel -, rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab, riss den Zählerschrank auf und glaubte seinen Augen nicht: Die Zahlen vor dem Komma stimmten! Im gleichen Augenblick hörte er eine Wohnungstür zuknallen.
„Mein Schlüssel!“, rief er erschrocken und eilte zurück.
„Rums!“, griente die Frau über beide Wangen, „die wär nu ma zu, wa?“
Breitbeinig und immer wieder nach Gleichgewicht suchend, lehnte sie am Geländer.
„Fräulein Schubert! Waren Sie das?“
„Icke? Erlauben Se mal! Ick kann noch nich ma eener Flieeje wat zuleide tun. Icke doch nich!“
„Scheiße!“, entfuhr es dem Physiklehrer, der damit drei Sachen gleichzeitig meinte: die vor sich hin kochenden Eier, den erhöhten Stromverbrauch und die zugeschlagene Wohnungstür. In diesem Moment hörten sie die Sekundenuhr bimmeln. Eiersalat, dachte er, optimistisch gesehen wird das allenfalls noch Eiersalat.
„Fräulein Schubert“, überlegte Karsten Briem laut, „ich habe Ihnen doch vor einiger Zeit meinen Schlüssel anvertraut. Genau für solche Fälle!“
„Kann sein“, murmelte sie müde und setzte sich auf die Treppe zurück.
„Würden Sie mir ihn schnell bringen? Ich habe einen Topf auf dem Herd.“
„Nee!“
„Was heißt hier ‚nee’!?“
„Ick find ja noch nich ma meenen!“, nuschelte sie und reichte ihm die Handtasche. „Hier! Vielleicht ham Se ja mehr Jlück wie icke.“
„Als ich“, verbesserte der Lehrer, „es heißt: als ich!“. Er setzte sich neben die Frau und begann in ihrer Handtasche zu kramen, wunderte sich über die vielen, seiner Meinung nach überflüssigen Dinge, die zusammen ein bizarres Konglomerat ergaben.
„Ist er das hier?“
„Juuuut!“, strahlte die Frau. „Nu müssen Se nur noch de Türe uffschließen und mir ins Bette trajen. Det schaff ick nämlich irgendwie nich.“
„Aber Fräulein Schubert! Sie sind ja betrunken!“
„Ja nu machen Se schon, oder soll ick hier Wurzeln schlajen?“
„Tür aufschließen: ja. Ins Bett schleppen: nein!“
„Und ausziehen müssen Se mir och noch, und zwar janz, oder soll ick etwa in meene Klamotten schlafen? Det könn Se nu ooch wieder nich wolln, oda?“
Karsten Briem schloss ihre Wohnungstür auf, machte im Flur Licht und schaute oberflächlich, ob er seinen Schlüssel irgendwo entdecken könnte.
„Also, wo ist er?“
„Sag ick, wenn Se mir zujedeckt ham. Und een Jutenachtkuss will ick ooch, da besteht meene Persönlichkeit druff… Aber wehe Se varjreifen sich an mir, det will ick nich, det nu jleich jar nich.“
Eine Weile ging er im Hausflur auf und ab, schaute immer wieder in die offene Wohnung. Hatte er eine Wahl?
„Das ist Erpressung, Lola“, raunzte er und hob sie, nachdem er sich nochmals versichert hatte, dass keine anderen Hausbewohner in Sichtweite waren, auf seine Arme.
„Weeß ick doch, aber warum soll ick dir nich een bisschen ausnützen, wo de doch schon ma da bist?“
Er fand das Schlafzimmer, stieß mit dem Fuß die angelehnte Tür auf und legte die Frau auf das Bett, schob ein Kopfkissen zurecht und fragte erneut nach dem Schlüssel.
„Erst mich ausziehen“, flüsterte sie. „Wat schenierste dir denn, haste noch nie ne nackte Frau jesehn? Keene Angst, jebadet hab ick letzten Freitach, da bin ick ja ordentlich, wat det betrifft.“
Lola kicherte und Karsten Briem überlegte, wann er zum letzten Mal eine nackte Frau gesehen hatte.
„Noch nie eine so schöne“, murmelte er, als er ihr Kleid abstreifte. Seine Hände zitterten, als sie ihr Becken hob und er ihren Slip auszog. Dann die Strümpfe. Sie drehte sich zur Seite, er öffnete den BH und entblößte ihre Brüste.
„Noch nie eine so schöne“, flüsterte er in ihr Ohr. „Und wo ist jetzt der Schlüssel?"
„Mir is schlecht“, stöhnte Lola. „Kannste aus'm Bad ’n Eima bring’?“
Der Physiklehrer deckte die Frau zu, ging ins Bad, fand den Eimer und wollte, wie es früher seine Mutter getan hatte, etwas warmes Wasser in den Eimer lassen. Merkwürdig, auch nach einiger Zeit des Wartens blieb das Wasser kalt.
Den Eimer stellte er neben das Bett, fragte:
„Warum wird das Wasser nicht warm?“
„Durchlauferhitza is kaputt“, murmelte Lola, schon halb schlafend. Er küsste sie vorsichtig, fragte zugleich nach dem Schlüssel.
„…Kaffetasse“, war das letzte, was er verstand, wenig später schlief sie schon und schnarchte leise vor sich hin.
Karsten Briem saß auf der Bettkante und dachte nach. Eier auf dem Herd, Abweichung des Stromverbrauchs, kaltes Wasser, Kaffeetasse. War das eine kausale Kette? Und freitags hatte sie gebadet. Wie denn, wenn das Ding kaputt ist? Plötzlich kam ihm eine Idee, die alles erklären könnte. Sollte sie etwa heimlich bei ihm...? Vor Schreck hielt er sich die Hand vor den Mund, sprang aber sofort auf, als ihm seine Frühstückseier einfielen.
‚Kaffeetasse’ hatte sie gesagt. So schwer konnte das ja nicht sein. In irgendeiner musste der Schlüssel liegen. Lange brauchte er nicht zu suchen, der Schlüssel fand sich in einer einzelnen blauen im Küchenschrank. Nochmals warf er einen Blick ins Schlafzimmer, zog die Decke über ihre nackten Schultern und streichelte über ihr Haar. Dann endlich verließ er die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu.
Die Eier kochten noch immer, schnell nahm er sie vom Herd und schreckte sie ab. Eiersalat also. Die Exceltabelle speicherte er und schloss die Datei, jetzt, da es eine Erklärung für den erhöhten Stromverbrauch gab. Eine Weile saß er ganz still, spürte etwas Verlorengeglaubtes in seiner Brust aufsteigen. Da lässt sich was draus machen, dachte Karsten Briem und steckte den einzelnen Wohnungsschlüssel in einen Briefumschlag. Dazu schrieb er auf einen Zettel:
„Liebe Frau Lola, solange Sie nicht über warmes Wasser verfügen, können Sie ja bei mir baden. Bis Freitag also!“