freitag

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ENachtigall

Mitglied
Hallo Archi,

vielen Dank für Deine intensive Auseinandersetzung mit meinem Gedicht und der Vorstellung dieser Zeilen in "Deinem Korsett" :), wie Du es nennst.

Die Zeilenumbrüche in ungereimten Gedichten lasse ich gerne ungeachtet der Silbenzahl entstehen, weil mir dadurch mehr Möglichkeiten zu assoziativen Brücken bleiben. Bei "reiche mir" z.B. klingt an, dass ich mir in dem Moment genug bin.

Und da haben wir auch schon den Salat; diese Formatierung, zeilentechnisch, aus der ersten Version ist mir beim Hin und Her der nachträglichen Veränderungen abhanden gekommen - und schon liest und teilt es sich ganz anders mit.

Des Glases bedarf es m.E. beim Wasser nicht, weil dadurch die Nähe zur Redewendung "jemandem das Wasser reichen können" verloren ginge. Das ist mir vorrangig wichtig zu dem - zugegebenermaßen klanglich schöneren "Glas Wasser".

Das etwas verwirrende "ich sitze mit mir zu Gast" hat einen vagen Bezug zu "mit sich zu Gericht gehen", wo auch durch eine vorgetäuschte Doppelung der Person eine spezielle Situation/Befindlichkeit herausgestellt ird, die sich sonst in so wenigen Worten nicht darstellen lässt.

Diese Art des tastenden, auch selbstbewussten Umgangs mit Sprache, ist für mich das A und O der Lyrik. Immer laufen wir damit auch Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen oder vermeintliche Peinlichkeiten hervorzubringen. Stellen wir uns also ins Kreuzfeuer der Kritik. Vielen Dank noch einmal für Deinen mir sehr wertvollen Beitrag!

Liebe Grüße,

Elke
 

ENachtigall

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freitag


jeder tisch ist eine insel
ich sitze mit
mir zu gast
reiche mir
wasser
zerteile mein
brot und spiele
mit weinen und fisch



© elke nachtigall
juni 2011
 
A

Architheutis

Gast
Hallo Elke,

dein Gedicht verdient halt entsprechend Aufmerksamkeit. Vielen Dank für deine ausführliche Antwort; sie hat einigen Aufschluss, aber auch neue Anregungen gebracht.

Bei "reiche mir" z.B. klingt an, dass ich mir in dem Moment genug bin.
Genau das ist die Chance und das Problem: Der Zeilenbruch im Ungreimten kann ein gewichtiges Stilmittel sein, wenn man ihn denn einzusetzen weiß. Anderenfalls ist das Kind schnell im Brunnen. Dir ist der Bruch aber gelungen; bei meiner Version geht das verloren. 1:0 für den Zeilenbruch.

Des Glases bedarf es m.E. beim Wasser nicht, weil dadurch die Nähe zur Redewendung "jemandem das Wasser reichen können" verloren ginge. Das ist mir vorrangig wichtig zu dem - zugegebenermaßen klanglich schöneren "Glas Wasser".
Das "Glas Wasser" war nur eine spontane Auffüllung, damit die Silbenzahl stimmt. Natürlich gibt es einen riesigen Unterschied zwischen dem Wasser an sich und einem Glas dessen. Da muss man sich nicht weiter unterhalten. Deine Intention war mir bislang nicht aufgefallen. Auf keinen Fall soll gelten, dass du jemanden genügen willst, dessen Wasser in ein einziges Glas passt. :)

...die sich sonst in so wenigen Worten nicht darstellen lässt.
Darum geht es ja bei der Lyrik. Wenn man erklären möchte, muss man halt Prosa schreiben. Das (gute) Gedicht ist komprimierte Prosa, finde ich jedenfalls. Wofür die Prosa oft Seiten braucht, schafft ein gut gemachtes Gedicht in wenigen Zeilen. Wenn es dann noch gefällig klingt - Dichterherz, was willst du mehr?
Ich kann aber gar nicht mit Gedichten, die keine Botschaft, keinen Sinn oder roten Faden haben. Schöne Worte aneinander zu reihen reicht halt nicht.

Ich sagte ja bereits: Dein Gedicht hat eine klare Struktur, ist handwerklich einwandfrei und öffnet eine Tür zum Kopfkino. Alles, was drin sein muss. Darum gefällt es mir ja so gut.

Diese Art des tastenden, auch selbstbewussten Umgangs mit Sprache, ist für mich das A und O der Lyrik. Immer laufen wir damit auch Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen oder vermeintliche Peinlichkeiten hervorzubringen. Stellen wir uns also ins Kreuzfeuer der Kritik.
"Peinlich" ist eher, seine eigenen Empfindungen, Gefühle und Gedanken nicht aus-, sondern zu unterdrücken. Jedenfalls zeugt das von Verklemmung. Wer sich selbst kennenlernen möchte, muss halt von der Oberfläche der "Coolness" hinab in die Abgründe der eigenen Seele tauchen. Sollen die Harten doch oben bleiben und hilflos als Spielball der Wellen anderer umhergetrieben werden. Wir haben wenigstens versucht, uns bei dem Tauchgang selbst kennen zu lernen; und wir sitzen selbst am Ruder. Lassen wir die da oben blubbern, es ist genug Wasser dazwischen, wir hören sie nicht.

Sicher hat nicht jeder den Weg des Schreibens als Mittel der Darstellung. Viele machen zB Musik, malen etc. Darauf kommt es aber nicht an.

Wer besser schreiben möchte, muss Kritik verkraften können. Darum geht es hier ja, gell? :)

Deswegen: Bei meinen Werken darf gerne der Dampfhammer schwingen. Ich bin nicht wegen der Streicheleinheiten für ein gelungenes Werk hier. Aber gefallen lasse ich sie mir dennoch gerne; wie jeder andere auch. :)

Gruß,
Archi
 

ENachtigall

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freitag


jeder tisch ist eine insel
ich sitze mit
mir zu gast
reiche mir selbst
das wasser
zerteile mein
brot und spiele
mit weinen und fisch



© elke nachtigall
juni 2011
 



 
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