Freitag [Not today *]

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Hundsstern

Mitglied
Wir warten. Besser: Ich. Du bist irgendwo jenseits von Gut und Böse unterwegs.

Ich habe alle Zeit der Welt, deinen Unterarm zu betrachten. Nicht die Kanüle. So viele Falten, dazwischen Sommersprossen, wie wenn ein Augustgewitter über einen Teich voller Seerosen fegt, zwischen ihnen zitternd Linien zeichnet.

Die Ärztin. Vielleicht 24? 25? Maximal. So verzweifelt jung. Vermutlich muss sie im Supermarkt manchmal noch ihren Ausweis zeigen, wenn sie für den river sunset am weekend einen ready-to-drink-Cocktail aufs Kassenband legt.

6, 7, in Weiss, 4, 5 in Blau. "Ihr Geburtstag?". "Welcher Tag ist heute?" . Kinderfragen hängen ohne deine Antwort im Raum herum. Fliegenfänger ohne Leim. Vergeudete Zeit. Sagen ihre Gesichter. Deines? Sagt nichts.

Die Visite neigt sich dem Ende zu.
Die Sonne scheint herein, durch die Lamellen der Verschattung. Plappert, macht sich wichtig, fragt: Was tut ihr hier im Dunkeln? Kommt raus. Feiert mich.

Aber nur kurz. Dann sind wir zu dritt. Du weisst es, ich weiss es, wir beide wissen es. Und nun auch die Sonne. Eine wird dieses Zimmer nicht lebend verlassen.

Irgendwann später. Du öffnest die Augen. Nur für mich. Allein.
Sprichst, das erste Mal seit Tagen. Flüsterst: "Mein Geburtstag... 7.12.".

"Und welcher Tag ist heute?", frage ich sanft zurück. Wundergläubig. Voller Liebe. Und voller Angst, ohne dich allein zu sein auf dieser Welt.

"Mein letzter", sagst du zärtlich, ganz langsam ... und das auf deinem Gesicht, könnte fast so was wie ein Lächeln sein.

* Für Syrio Forel
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Hundsstern,

herzlich Willkommen im Literaturforum!

Meiner Meinung nach hast du ein sehr starkes Debüt präsentiert. Mit jedem Satz, den ich von dieser Kurzprosa gelesen habe, spürte ich mehr von der Trauer, aber auch von der Liebe, die in diesen Zeilen steckt. Dabei will ich aber nicht außer Acht lassen, wie stark dieser Text handwerklich umgesetzt ist.

Durch die teils extrem kurzen Sätze erzählt sich dein Text in einem Staccato-Stil, welcher dem Leser offenbart, dass er es hier mit Gedanken einer Person in einer emotionalen Ausnahmesituation zu tun hat. Dadurch nimmt man beim Lesen des Textes an diesen Gedankensplittern unmittelbar teil und kann sich in eine gewisse Verzweiflung hineinfühlen.

Eine weitere Stärke des Textes ist die Fokussierung auf Details. Bilder, die nach dem Tod der geliebten Person bleiben sollen, das Erzählerische Ich will sich förmlich alles einprägen, seien es die Sommersprossen auf dem Unterarm oder die Atmosphäre im Krankenzimmer, wunderbar eingefangen durch das Bild der hereinscheinenden Sonne.

Und als drittes ist mir noch aufgefallen, wie pointiert du die Wortart der Adjektive einzusetzen weißt. Die Ärztin ist nicht nur jung, nein, sie ist verzweifelt jung. Da steckt so viel drin. Unerfahrenheit, Überforderung, aber auch der Gedanke, dass diese Person noch nicht abgestumpft sein kann wie vielleicht ihre älteren Kollegen und deshalb am Leid der anderen mitleidet. Verzweifelt mitleidet, weil sie nicht helfen kann.

Allein einmal im Text hast du deinen erzählerischen Stil, welcher elliptisch wirkt und die Dinge kaum zu Ende ausspricht, verlassen. Und zwar, als du schreibst:

Aber nur kurz. Dann sind wir zu dritt. Du weisst es, ich weiss es, wir beide wissen es. Und nun auch die Sonne. Eine wird dieses Zimmer nicht lebend verlassen.
Aber der Leser weiß es auch. Und ich finde, da schwächst du deinen Text zu sehr, denn wenn es der Leser weiß, solltest du es ihm nicht sagen. Deshalb wäre mein Vorschlag, den letzten Satz zu überdenken oder gar zu streichen:

Aber nur kurz. Dann sind wir zu dritt. Du weisst es, ich weiss es, wir beide wissen es. Und nun auch die Sonne. Eine wird dieses Zimmer nicht lebend verlassen.

Obwohl ich einen alternativen Satz, der aber nichts so direkt verrät, besser finden würde als einen völligen Verzicht auf einen Satz.

Insgesamt hat mich dein erster Text hier im Forum auf ganzer Linie überzeugt und ich hoffe, wir werden dich hier in Zukunft noch öfter begrüßen dürfen.

Viele Grüße
Frodomir

PS: Hier ist dir der Punkt ein bisschen zu weit nach rechts gerutscht: "Welcher Tag ist heute?" .
 
Zuletzt bearbeitet:

Shallow

Mitglied
Bei einem solch kurzen Text dermaßen viel Emotion glaubwürdig hineinzupacken, ist schon erstaunlich. Sehr berührend, teilweise wunderbar formuliert! Die einzige Ausnahme (da möchte ich @Frodomir recht geben) ist der Satz "Eine wird dieses Zimmer nicht lebend verlassen". Streich das, das musst du nicht erklären, überlass das dem Leser, die Wirkung ist viel stärker! Toller Einstieg!

Schönen Gruß von

Shallow
 



 
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