Friday for Future - Ein selbstversuch

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Baxi

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Friday for Future
Was für eine Bewegung! Angespornt von der Jugend schaue ich mich in meinem Leben um. Was kann ich persönlich für den Umweltschutz tun? Als erstes fällt mein Blick auf den Berg von Verpackungsmüll, der sich nach jedem Einkauf bei mir ansammelt. Das geht doch sicher besser. Am einfachsten erscheint es mir, die Einwegflaschen der Getränke durch Mehrwegglasflaschen zu ersetzen. Kein Problem. Vor allem, weil mein Mann die schweren Kisten in den Keller schleppt.
Schokolade kaufe ich nur noch in Pappe und Alufolie. Immerhin besser als Plastik, denke ich mir. Aber da geht doch sicher noch was. Auf Fleisch verzichte ich schon länger. Doch ich beschließe, meinen Käse jetzt an der Theke im Supermarkt um die Ecke in mitgebrachten Vorratsdosen abpacken zu lassen. Wo ich noch mit dem skeptischen Blick der Verkäuferin rechne, als sie mir Leerdamer und Grünländer abwiegt, scheint das für sie wohl eher normal zu sein. Mit Erstaunen sehe ich, dass sogar extra Kunststoffdosen dafür angeboten werden. Ebenso in der Obst- und Gemüseabteilung. Statt Plastiktüten kommen hier feine Stoffbeutelchen zum Einsatz, die ich dort erwerben kann. Wunderbar. Ist doch alles easy. Auch meinen Lieblingsjoghurt finde ich im Pfandglas. Als ich meine Einkäufe nach Hause fahre, fühle ich mich großartig. Ich parke meinen SUV in der Garage und denke mir zunächst nichts dabei. Dann kommen mir doch Zweifel. Okay, der nächste Wagen wird kleiner, verspreche ich mir selbst.

Als ich zwei Tage später unseren Urlaub planen will, hat mein Mann das Kistenschleppen scheinbar noch nicht vergessen. Er schlägt mir statt einer Flugreise nach Teneriffa ein Hotel im bayrischen Wald vor. Breit grinsend erklärt er mir, eine Bahnreise sei besser für unsere Umweltbilanz - und sein Portemonnaie. Etwas murrend stimme ich schließlich zu, obwohl ich mir noch nicht sicher bin, ob es dort auch eine Sonnengarantie gibt. Aber notfalls kann man mit der Bahn ja auch bis Italien fahren.

Apropos Sonne, meint mein Mann und grinst immer noch. Ich könnte doch bei gutem Wetter die 8 km bis zur Arbeit auch locker mit dem Rad fahren. Das würde neben den Abgasen auch Sprit sparen. Ein Fahrrad besitze ich sogar, mit Gangschaltung und Korb auf dem Gepäckträger. Weil ich immer noch den Ansporn der Friday-for-Future-Bewegung spüre, verspreche ich ihm, es auszuprobieren. Schließlich fühle ich mich sportlich genug, um auch den kleinen Höhenzug dazwischen im eigentlich platten Münsterland zu schaffen. Mit bloßem Auge ist er kaum zu erkennen, aber mit dem Fahrrad spürt man ihn deutlich. Und wofür habe ich eine Gangschaltung? Außerdem will ich mir nicht die Blöße geben, es mit dem Umweltschutz doch nicht so ernst zu meinen.

Mutig radle ich an einem sonnigen Aprilmorgen los. Ich lasse mir etwas mehr Zeit und plane vorsichtig 30 Minuten für den Weg ein. Ich möchte ja nicht durchgeschwitzt und atemlos im Büro erscheinen. Zum Glück kann ich ausnahmslos über Radwege fahren. Trotzdem fühle ich mich mit einem Fahrradhelm sicherer. Schon beim ersten Linksabbiegen im dichter Verkehr muss ich den Radweg verlassen und mich vor einem LKW auf der Abbiegespur einordnen. Hoffentlich sieht mich der Fahrer, denke ich noch. Ich komme heil über die Kreuzung. Der Radweg danach zeigt sich allerdings als wahrer Hindernislauf. Überall stehen Mülltonnen auf meinem Weg. Zusätzlich wird der Radweg immer holpriger. Die schönen Linden am Straßenrand, die einen angenehmen Schatten spenden, haben leider auch dicke Wurzeln, die die Pflasterung stellenweise aufwerfen. Ich denke an die Glasflasche mit der Apfelschorle in meiner Arbeitstasche auf dem Gepäckträger und hoffe inständig, dass sie ganz bleibt.
Dann quäle ich mich im 2. Gang die kleine Anhöhe hinauf. Bin ich wirklich so schlapp? Mein Gesicht ist schon rot angelaufen und die 17°C, die mir vorhin noch etwas kühl vorkamen, sind mir nun doch zu warm. Meine langen Haare liegen mir heiß wie ein Pelzkragen im Nacken. Hochstecken geht ja nicht, wenn ich Helm trage. Dafür liege ich wenigstens noch gut in der Zeit, wie mir ein Blick zur Armbanduhr verrät. Ich habe noch ganze 20 Minuten vor mir. Ein älterer Herr, geschätzte 70 Jahre, überholt mich locker auf seinem E-Bike. Für einen kurzen Moment möchte ich mich an seinem Gepäckträger festklammern und mich mitziehen lassen. Aber er ist viel zu schnell an mir vorbei.
Der kleine Hügel ist dann doch geschafft. Ich muss noch einem Paketwagen ausweichen, der frech meine Spur blockiert und dann geht es parallel zur Landstraße im Schatten von noch mehr Bäumen über Schlaglöcher und notdürftig geflickte Stellen weiter. Was für eine Buckelpiste. Dafür brauche ich nicht mehr treten, sondern lasse mich lässig rollen. Mit Sorge denke ich an den Rückweg, wenn ich nach Feierabend hier wieder rauf fahren muss. Ich flitze dann noch im 4. Gang an mehreren Querstraßen vorbei, immer die Hände auch an den Bremsen. Wer weiß schon, ob mich der Autofahrer auch rechtzeitig sieht, wenn er das raus kommt. So ohne metallische Knautschzone und Airbag fühle ich mich sehr verletzlich.
Etwas weiter folgt ein Stückchen durch einen kleinen Wald. Im Dunkeln möchte ich hier nicht langfahren, denke ich noch. Aber um diese Jahreszeit ist es ja schon lange hell. Die Insekten scheinen dann doch die größte Gefahr zu sein. Nach knapp 30 Minuten komme ich endlich zwar pünktlich, aber ziemlich abgekämpft im Büro an. Die 16 Stufen zu meiner Etage fallen mir mit meinen weichen Knien richtig schwer. Aber einen Fahrstuhl gab es hier noch nie. Erschöpft lasse ich mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. Meine Kollegin bringt mir ein Glas Wasser und fragt besorgt, ob alles in Ordnung sei. Nicht ohne Stolz erkläre ich ihr, dass ich mit dem Fahrrad gekommen bin. Der Umwelt wegen, Friday for Future halt. Und meine Gesundheit profitiert auch noch davon. Dann denke ich nur noch: hoffentlich regnet es morgen und ich habe eine gute Ausrede, um den Wagen zu nehmen.

Nach zwei Wochen habe ich ganze 160 km mit dem Fahrrad geschafft. Ich bin fitter und brauche für den ganzen Weg zur Arbeit nur noch 25 Minuten, ohne weiche Knie. Ich bleibe Unfallfrei. Nur im Waldstück gab es Verluste. Fünf Mücken oder Fliegen (ließ sich nicht so genau unterscheiden am Geschmack), zwei Nacktschnecken und eine Blindschleiche fielen meinem Fahrradfahren zum Opfer.
Ich überlege sogar, mein Auto abzuschaffen. Aber dann regnet es wieder.
 



 
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