Hafer-Milch-Bursche
Mitglied
Der November war grausam und zog sich bis ins nächste Jahr hinein. Im Frühling starb ich.
Mein Wohnheim lag neben einem Park, welcher früher mal ein Friedhof gewesen sein soll. Im Winter führte mich der Weg zu meiner Liebschaft beinahe täglich durch ihn hindurch, aber meistens war er mir dabei bloß ein Hindernis auf tristem Weg.
Noch vor meinem Geburtstag verließ sie mich und so gab es für mich keinen Grund mehr dahinaus zu gehen. Wochen und monatelang sah die Sonne mich nur selten, denn mein Zimmer verließ ich nur noch, um beim Späti am Ost-Platz Zigaretten, Bier und Cola zu kaufen. Manchmal ging ich auch zur Station am MDR, um in den Trümmern einer alten Gurken Fabrik abzutauchen und den Zügen zu lauschen. Züge mochte ich.
Mein Leben veränderte sich schlagartig als ich sah, dass die Bäume wieder blühen. Endlich schien ich aus meinem Koma erwacht.
Frühling!
Seit dem ersten Augenblick
Ersparst du mir
Den Galgenstrick
Die ersten Schritte waren zaghaft. Schnell aber erkannte ich die Chance, wurde beinahe hoffnungsvoll, und floh öfters in den Park. Sobald die Sonne sich zeigte, ging ich raus, lief weltvergessen, unbeirrt und fröhlich durch helle Wiesen, suhlte mich im Blütenschnee. Stunde um Stunde lag ich in Gräsern, sah spielende Hunde, Rehe und Hasen, verlor mich träumend in Baumkronen und in sternenklaren Nächten. Viel Zeit verbrachte ich dabei alleine mit den Bäumen; schnell verstand ich ihre Sprache und lernte mich ihnen anzuvertrauen. Einen Baum in diesem Park hatte ich besonders gern. Es war eine anmutige, einsam stehende Trauerbuche, die zu meinem Leidensgenossen wurde. Ihre Zweige trugen dunkle Blätter und hingen bis zum Boden. Im Dunstkreis dieses Baumes fühlte ich mich sicher und geborgen. Meine Schmerzen wurden erträglich, wenn seine Blätter im Wind über meine Torheit lachten.
Vom Baum lernte ich
Zu lachen und vergeben
Lernte göttlich
Durch die Wolken schweben
Es gab immer ein Zurückkommen.
Auch im Frühling war ich am Ende des Tages oder der Nacht immer gezwungen zurück nach Hause zu gehen. Zurück in die Einsamkeit. Weg von den Hunden, weg von den fliederfarbenen Sträuchern und den Vögeln, weg von Leidenschaft und Hoffnung. Zurück in mein Schlafzimmer.
Als ich mein Handtuch zum letzten Mal im nicht gemähten Gras ausbreitete, wollte und konnte ich daran noch nicht denken. Ich war schon seit einigen Stunden auf den Beinen und habe mich gerade erst wieder einigermaßen vom Aufwachen erholt. Ich zog mein Shirt aus, um es mir um die Stirn zu binden, denn ich mochte es bei gutem Wetter meine Kette auf der Brust kleben zu sehen. Ich drehte eine Zigarette, rauchte sie und las dabei ein Buch. Die Stunden gingen dahin, ich hörte meinen Magen knurren und rauchte gegen den Hunger. Ich las weiter, vertrat mir zwischenzeitlich die Beine, streckte mich und sah, durch die Äste spähend, den Menschen zu. Ich wurde hungriger, aß Nüsse und rauchte.
Als ich abends über die Schwelle zu meiner Wohnung ging, kam mir der Magen hoch. Ich kotzte lange und ich kotzte Magensäure. Ich war so dreckig wie ich mich fühlte, war müde und ausgelaugt. Als ich wieder zu Kräften kam, zog ich mich an unserem versifften Waschbecken hoch. Aus dem Badspiegel blickte ich mir selbst entgegen – entstellt und zerfressen. Aus meinem linken Auge kroch ein Ungeziefer, über meine Stirn lief Blut aus vielen Pickeln.
Am offenen Fenster rauchte ich, während neben mir eine Kerze brannte. Ich spürte ein Kribbeln in den Zehen und begann zu weinen.
Wovor rannte ich weg? Welchen Sinn hat diese Flucht, haben all die Stunden im Park überhaupt, wenn immer noch jeder verschissene Tag hier an dieser Stelle endet? Und auch dieser Frühling wird enden, dachte ich. Es wird der Sommer kommen und mein lieber Park wird geflutet werden von partywütigen Trinker*innen, die ihn missachten und verschmutzen werden. Ohne Frage wird das mein Freund, der Baum, überleben und weiter in satten Farben erstrahlen – bis der Winter kommt und die Welt wieder nur dunkel sein wird.
Welchen Sinn hat diese Flucht noch, dachte ich erneut. Ich hatte Sehnsucht nach Gott. Ich wollte Eins werden, mich ergeben. Ich wollte endlich sterben und zum letzten Mal allein sein.
Die Nacht war still, so dass ich auf der anderen Straßenseite das Rascheln und Rauschen des Parks hören konnte. Durch einen Windstoß erlosch die Kerze und mein Schlafzimmer wurde stockdunkel.
Vom Baum lernte ich
Zu lachen und vergeben.
Lernte letztlich
Mich dem Tode zu ergeben.
Mein Wohnheim lag neben einem Park, welcher früher mal ein Friedhof gewesen sein soll. Im Winter führte mich der Weg zu meiner Liebschaft beinahe täglich durch ihn hindurch, aber meistens war er mir dabei bloß ein Hindernis auf tristem Weg.
Noch vor meinem Geburtstag verließ sie mich und so gab es für mich keinen Grund mehr dahinaus zu gehen. Wochen und monatelang sah die Sonne mich nur selten, denn mein Zimmer verließ ich nur noch, um beim Späti am Ost-Platz Zigaretten, Bier und Cola zu kaufen. Manchmal ging ich auch zur Station am MDR, um in den Trümmern einer alten Gurken Fabrik abzutauchen und den Zügen zu lauschen. Züge mochte ich.
Mein Leben veränderte sich schlagartig als ich sah, dass die Bäume wieder blühen. Endlich schien ich aus meinem Koma erwacht.
Frühling!
Seit dem ersten Augenblick
Ersparst du mir
Den Galgenstrick
Die ersten Schritte waren zaghaft. Schnell aber erkannte ich die Chance, wurde beinahe hoffnungsvoll, und floh öfters in den Park. Sobald die Sonne sich zeigte, ging ich raus, lief weltvergessen, unbeirrt und fröhlich durch helle Wiesen, suhlte mich im Blütenschnee. Stunde um Stunde lag ich in Gräsern, sah spielende Hunde, Rehe und Hasen, verlor mich träumend in Baumkronen und in sternenklaren Nächten. Viel Zeit verbrachte ich dabei alleine mit den Bäumen; schnell verstand ich ihre Sprache und lernte mich ihnen anzuvertrauen. Einen Baum in diesem Park hatte ich besonders gern. Es war eine anmutige, einsam stehende Trauerbuche, die zu meinem Leidensgenossen wurde. Ihre Zweige trugen dunkle Blätter und hingen bis zum Boden. Im Dunstkreis dieses Baumes fühlte ich mich sicher und geborgen. Meine Schmerzen wurden erträglich, wenn seine Blätter im Wind über meine Torheit lachten.
Vom Baum lernte ich
Zu lachen und vergeben
Lernte göttlich
Durch die Wolken schweben
Es gab immer ein Zurückkommen.
Auch im Frühling war ich am Ende des Tages oder der Nacht immer gezwungen zurück nach Hause zu gehen. Zurück in die Einsamkeit. Weg von den Hunden, weg von den fliederfarbenen Sträuchern und den Vögeln, weg von Leidenschaft und Hoffnung. Zurück in mein Schlafzimmer.
Als ich mein Handtuch zum letzten Mal im nicht gemähten Gras ausbreitete, wollte und konnte ich daran noch nicht denken. Ich war schon seit einigen Stunden auf den Beinen und habe mich gerade erst wieder einigermaßen vom Aufwachen erholt. Ich zog mein Shirt aus, um es mir um die Stirn zu binden, denn ich mochte es bei gutem Wetter meine Kette auf der Brust kleben zu sehen. Ich drehte eine Zigarette, rauchte sie und las dabei ein Buch. Die Stunden gingen dahin, ich hörte meinen Magen knurren und rauchte gegen den Hunger. Ich las weiter, vertrat mir zwischenzeitlich die Beine, streckte mich und sah, durch die Äste spähend, den Menschen zu. Ich wurde hungriger, aß Nüsse und rauchte.
Als ich abends über die Schwelle zu meiner Wohnung ging, kam mir der Magen hoch. Ich kotzte lange und ich kotzte Magensäure. Ich war so dreckig wie ich mich fühlte, war müde und ausgelaugt. Als ich wieder zu Kräften kam, zog ich mich an unserem versifften Waschbecken hoch. Aus dem Badspiegel blickte ich mir selbst entgegen – entstellt und zerfressen. Aus meinem linken Auge kroch ein Ungeziefer, über meine Stirn lief Blut aus vielen Pickeln.
Am offenen Fenster rauchte ich, während neben mir eine Kerze brannte. Ich spürte ein Kribbeln in den Zehen und begann zu weinen.
Wovor rannte ich weg? Welchen Sinn hat diese Flucht, haben all die Stunden im Park überhaupt, wenn immer noch jeder verschissene Tag hier an dieser Stelle endet? Und auch dieser Frühling wird enden, dachte ich. Es wird der Sommer kommen und mein lieber Park wird geflutet werden von partywütigen Trinker*innen, die ihn missachten und verschmutzen werden. Ohne Frage wird das mein Freund, der Baum, überleben und weiter in satten Farben erstrahlen – bis der Winter kommt und die Welt wieder nur dunkel sein wird.
Welchen Sinn hat diese Flucht noch, dachte ich erneut. Ich hatte Sehnsucht nach Gott. Ich wollte Eins werden, mich ergeben. Ich wollte endlich sterben und zum letzten Mal allein sein.
Die Nacht war still, so dass ich auf der anderen Straßenseite das Rascheln und Rauschen des Parks hören konnte. Durch einen Windstoß erlosch die Kerze und mein Schlafzimmer wurde stockdunkel.
Vom Baum lernte ich
Zu lachen und vergeben.
Lernte letztlich
Mich dem Tode zu ergeben.