Fröhliche Poeten ?

Ich hab da mal ne Frage:

Muß man traurig, verzweifelt oder gar lebensmüde sein, um "wertvolle" Gedichte schreiben zu können?

Ich tummle mich erst seit kurzer Zeit in Literatur-Foren und versuche, mich ein wenig in die Eigenschaften der verschiedenen Textkategorien hineinzudenken und zu -fühlen. Am schwersten fällt mir der Umgang mit Gedichten, sowohl beim Lesen als auch beim Schreibversuch. Vor allem deshalb, weil ein Großteil der Anschauungsobjekte, die ich hier und anderswo finde, vor Depression und Traurigkeit nur so triefen. Das ist nicht böse gemeint, ich will mich nur deutlich ausdrücken. Dann gibt es da noch eine Menge alberne, ironische, sarkastische Werke - mehr ist mir selbst noch nicht gelungen.

Woran liegt das? Gibt die Sprache nicht genug freudige Wörter her? Haben fröhliche Menschen was anderes zu tun?

Eure Meinung interessiert mich. Und habt Ihr ein paar Beispiele für frohsinnige und lebensbejahende, aber nicht nur komische Gedichte?

Martin
 
G

Gegge

Gast
Hallo Martin,

als erstes stellt sich mir hier die Frage, was genau für Dich denn wertvolle Gedichte sind?

als zweites frage ich mich, ob nicht sogar das Gegenteil deiner Theorie zutrifft. Nämlich, daß man nicht traurig und verzweifelt sein darf, um wirklich "wertvolle" Gedichte schreiben zu können.
Traurigkeit und Verzweiflung in gefällige Worte zu fassen und (be)greifbar zu machen, gehört wohl zu den schwierigsten Herausforderungen - und dementsprechend viele scheitern auch bei dem Versuch ;-)

albern, ironisch und sarkastisch in eine gemeinsame Nebenschauplatz-Gruppe zu werfen finde ich diesen Kategorien gegenüber unfair und abwertend. Vor allem die ironischen und sarkastischen Gedichte finde ich oft ausgesprochen wertvoll.
Und selbst die (albernen?) humorvollen, geistreichen und witzigen Gedichte sind mit Ihrer erheiternden Wirkung voller "Wert". (siehe Bruno Bansen, hier in der Leselupe)


Der Wert eines Gedichtes liegt ganz bestimmt nicht in seinem Thema oder dem Gefühlsstatus des Autors.
Ob ein Gedicht wertvoll ist, ist eine sehr individuell vom Leser (für sich selbst) zu beurteilende Sache, die größtenteils von der momentanen Stimmung des Lesers abhängt. Dieser will sich als Person oder in seinen Ansichten im Gedicht wiedererkennen und dabei nicht auf abgedroschene, triefende Phrasen stoßen.

Die wesentlichste Frage deines Postings steht etwas zwischen den Zeilen. "Warum schreiben die Leute soviel Herzschmerz und sowenig glückliches, harmonisches und Lebensfrohes?"

Ich denke für sehr viele Menschen ist das Schreiben ein Ventil für Ihren Frust und Kummer, Sie schreiben sich sozusagen etwas von der Seele. Sie beschreiben den Teil Ihres Daseins, der nicht in Gesprächen mit den Mitmenschen bereits in Worte gefasst wurde. Sie schreiben über das, was sie belastet und bedrückt und verzweifeln läßt.
Die einfache Faustformel, die sich daraus ableiten läßt ist:
"meinen Kummer will ich loswerden - meine Freude will ich bei mir behalten."
Dadurch erklärt sich die Masse an Herzschmerz-Gedichten. (aber mit deren "Qualität" hat es nichts zu tun)




DREI FRAGEN ZUGLEICH

Darf ein Gedicht
in einer Welt
die an ihrer Zerrissenheit
vielleicht untergeht
immer noch einfach sein?

Darf ein Gedicht
in einer Welt
die vielleicht untergeht
an ihrer Zerrissenheit
anders als einfach sein?

Darf eine Welt
die vielleicht an ihrer
Zerrissenheit untergeht
einem Gedicht
Vorschriften machen?

(Erich Fried)


hier noch ein paar (wie ich denke) nicht triefende Beispiele.
http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=6384
http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=6549
http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=8358

gruß Gegge
 
Die wesentlichste Frage deines Postings steht etwas zwischen den Zeilen. "Warum schreiben die Leute soviel Herzschmerz und sowenig glückliches, harmonisches und Lebensfrohes?"
Genau das ist meine Frage, Du hast Sie deutlicher ausgesprochen als ich. Keineswegs will ich Wertunterschiede einführen, die Anführungszeichen sollten eher das Gegenteil ausdrücken.

Und ich freue mich über Deine Antwort, Gegge. Du hast wohl recht, ein wesentlicher Grund liegt sicher darin, dass Gefühle der Freude nicht so dringend des Ausdrucks bedürfen. Ich finde das freilich schade, denn Momente der Freude und Zuversicht wären es wert, geteilt zu werden.

Um jedes Mißverständnis zu vermeiden:
"Wertvoll" ist sicherlich jedes Gedicht, allein schon deshalb, weil es etwas ausdrückt. Und kein Gedicht wird dadurch "wertlos", dass es vielleicht irgendwelchen literarischen Maßstäben nicht genügt. Hinter dem etwas provokanten Gebrauch des Wortes "wertvoll" steckt die Überlegung, ob vielleicht Gedichte mit trauriger Grundstimmung deswegen so oft gepostet werden, weil sie - bei wem auch immer - als literarisch wertvoll gelten. Meine Ansicht ist das nicht, und ein literarisches Urteil mag ich mir als Laie sowieso nicht anmaßen. Und gegen Albernheiten habe ich garnichts, im Gegenteil.

Die Beispiele, die Du zitierst, treffen genau meine Anfrage: heiter, nicht wolkig.

Danke
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo Martin,

dieses Phänomen ist mir auch schon aufgefallen – und es ist tatsächlich was dran: Oft sind Texte (aber auch Lieder), die in oder unmittelbar nach einer Tief-Phase entstehen, stärker, besser, wirkungsvoller.

Sicher hat es mit dem Effekt zu tun, den Gegge so treffend mit "meinen Kummer will ich loswerden - meine Freude will ich bei mir behalten." umschreibt – viel mehr Trübsinn-Texte bedeutet natürlich auch, dass die Chance, dass was Gutes dabei ist, steigt.

Aber so einfach scheint es doch nicht zu sein, denn ähnlich hoch ist die „Trefferquote“ auch bei Texten, die sich mit der völligen Zufriedenheit, der erreichten Perfektion, kurz: dem absolut mit sich im Reinen Sein, in sich Ruhenden und aus dieser Position mit einer gewissen Weisheit auf den Alltag Sehenden beschäftigen. (Und ist hier die bloße Masse an Texten viel viel geringer, weil dieser Zustand viel viel seltener einrtrtt.)

Verliebt sein z. B. ist noch nicht so ein Zustand – erst Liebe im Grad des Teil-vom-Ganzen-sein. Oder eine Spiritualität (natur- oder auch religionsbezogen), die nichts mehr danach streben zu müssen übrig lässt. So wie man im Zustand tiefer Depression nach nichts mehr streben kann. Man IST. Was sich in so einem Zustand einstellt, ist nur durch das ICH-SEIN geprägt – ganz unmittelbar. Ohne künstlerische Schnörkel, ohne ausgedachte Verschlüsselungen, ohne "Anspruch".

Natürlich schlägt bei Schreibern dann doch das Handwerk zu – man feilt an einem Wort, einem Satz. Aber – und vielleicht ist dir das auch schon passiert – bis auf dieses noch unperfekte Detail, "stimmt" der Text einfach. Und oft – nicht immer – trifft dieser Spiegel des eigenen ICH-SEINs auf Leser, die sich darin ebenso gespiegelt sehen, weil es ein Stück MENSCH-SEIN spiegelt, auf einer Ebene, die (relativ) unabhängig von Bildung, Erfahrung und Charakter ist, eine Ebene ganz ganz ganz nah am menschlichen Instinkt.

Deshalb: Wenn du solche Texte gut findest und selbst schreiben willst, dann vertraue deinem Instinkt: Er gibt dir die richtigen Worte. An den Details kannst du später, bevor du es "rausgibst", immer noch feilen.

Vertrau beim Schreiben deinen Worten. Alles andere kannst du später machen. (P.S. …und musst es auch.)

Übrigens: Als ich die ersten – eigentlich ungebetenen, weil von "heimlichen" Lesern" – Reaktionen auf solche Trübsinn/Sehnsuchts-Texte bekam, war ich überrascht: Ich hielt sie bis dahin für lediglich tagebuchtauglich. Vielleicht musst du's nur immer wieder versuchen.

Zum Schluß ein ganz schnörkelloser Gruß von
jon
 
S

Sanne Benz

Gast
hallo anderermartin,
ich denke, man sollte jeden das schreiben lassen, was er möchte. Vielleicht ist es ja so, das dieser "Trauerkloss"..der "Traurigschreiber" draussen fröhlich ist..und nur in diesem Forum mal die "andere Seite" raus lässt(?)
Mir hat da mal so ein Wichtigtuer vor geworfen..ich würde ja immer nur so trauriges Zeug schreiben..und war der Meinung, ich würde wohl draussen nur traurig umher laufen.
Es ist genau das Gegenteil..ich lass es einfach,manchmal übertrieben, manchmal aber betrifft es mich auch nicht..einfach HIER raus.Mal ne Trauerphasenschreibe,mal lustig,mal ironsich..etc..Phasen..weisste?
Also, ich hab da immer meine Probleme,wenn ein "Neuer" kommt und gleich da was aus zu setzen hat.
Hier gibt es Rubriken..für jeden was..für jede Stimmung..
Dann geh doch einfach NICHT in die Rubrik: HERZSCHMERZ z.B. Ist doch wohl LOGO, das Du DORT eben trauriges findest.

Sorry, habe die anderen Kommentare nicht gelesen..
viel spass in der Lupe..
lg
Sanne
 
Vorweg zu Deiner Antwort, Sanne Benz:
Also, ich hab da immer meine Probleme,wenn ein "Neuer" kommt und gleich da was aus zu setzen hat.
Habe ich mich denn sooo ungeschickt ausgedrückt, dass ich bei jedem Posting klarstellen muß:
Ich werfe mit diesem Thema keinem was vor, will nichts kritisieren und nichts bewerten. Ich habe eine Frage gestellt.

Dank an alle für die ausführlichen und konstruktiven Stellungnahmen. Mir wird klar, dass beim Schreiben - gerade von Gedichten - mehr Menschliches zu Tage tritt als ich angenommen hatte. Andererseits erkenne ich, dass sowohl Form als auch Inhalt nicht notwendig die gerade vorherrschende Stimmung des Autors wiedergeben müssen. (Das führt mich zu der anscheinend endlosen Diskussion um die These "Schreiben ist Handwerk", die will ich aber hier nicht aufwärmen.)

Ein weiterer Gesichtspunkt spielt aber doch sicher auch eine Rolle, oder? Ich hatte ihn schon mal angesprochen:
Hinter dem etwas provokanten Gebrauch des Wortes "wertvoll" steckt die Überlegung, ob vielleicht Gedichte mit trauriger Grundstimmung deswegen so oft gepostet werden, weil sie - bei wem auch immer - als literarisch wertvoll gelten.
Ich schätze, keineswegs alle Autoren, die hier oder anderswo an die Öffentlichkeit gehen, schreiben um des reinen Vergnügens willen. Der eine oder die andere will doch auch das tägliche Brot damit verdienen. Liegt dann nicht die Vermutung nahe, dass Arten oder Gattungen von Gedichten bevorzugt "produziert" werden, die vermeintlich bei der Leserschaft besonders gut ankommen? Wenn das so ist und darum Gedichte mit trauriger Grundstimmung in der Mehrheit sind, stellt sich mir die Frage: warum kommen sie besonders gut an oder: wer bestimmt, was "gut" ist?

Meine Vermutung: Maßgeblich ist nicht nur die Stimmung oder Absicht des Autors, sondern auch oder vor allem der Geschmack des Lesers. Und wenn das richtig ist: warum lesen wir lieber traurige als fröhliche Gedichte?

Liebe Grüße an alle Martin
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo andererMartin!

***„... warum lesen wir lieber traurige als fröhliche Gedichte?“

... vielleicht, weil wir im Glück keine Aufmunterung / Selbstbestätigung / Trost brauchen aber sehr sehr dankbar sind, wenn wir erfahren, dass wir nicht die Einzigen sind, die leiden, und dass – da andere es überwinden konnten – wir nicht immer im Tief stecken bleiben werden. Diese "vorbeugende" Bestätigung tut auch gut, wenn man gerade nicht ganz unten ist, man hat dann das Gefühl: Was auch kommt – es wird überlebbar sein.

Insofern: Traurige Texte (besser: Texte von "So kann Leben weh tun") heilen den Schreiber und den Leser. Und darum ist auch gar nichts einzuwenden, wenn „Brot-Schreiber“ Trauriges schreiben.

***„wer bestimmt, was "gut" ist?“

Gut ist ein so allgemeiner Begriff… Es kommt immer auf den Anpsruch an. Für Verlage ist gut, was sich gut verkauft. Für Literaten ist gut, was in Ideengehalt und Ausführung die richtige Mischung aus solidem Handwerk, Individualität und Neuheit aufweist. Für den (Normal-)Leser ist gut, was sich – für ihn – leicht, mindestens aber nicht zu schwer lesen lässt, was seiner Erwartung an den Text nicht oder nur mit angenehmer Überraschung widerspricht, was ihn unterhält, was ihn berührt, was ihn sich wandeln lässt oder ihn in seinem Ich bestätigt. Und – bis auf die Verkaufszahlen – sind alles sehr sehr subjektive Einschätzungen.

Tschüß!
jon
 
Liebe Jon,

das überzeugt mich nicht ganz.

Objektiv gesehen (wenn das möglich ist) sollten wir in Zeiten der Traurigkeit nach Erbauung durch Freude suchen. Subjektiv wehrt man sich natürlich bisweilen dagegen und sucht eher nach Gleichklang mit anderer Leute Traurigkeit.

Die "Masse" der Käufer von Lyrik sind aber, wenn ich richtig informiert bin, nicht Gelegenheitskonsumenten, sondern Lyrik-Fans. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Gruppe permanent traurig ist. Ich vermute, dass Gedichtbände, wenn sie gekauft werden, aus irgendeinem anderen Grund gekauft und für gut befunden werden.

Ich merke, ich spekuliere. Aber die Frage interessiert mich.

Martin
 
S

Sanne Benz

Gast
liebe jon,
ich stimme dir zu..du hast es(für mich) richtig getroffen.

lieber anderermartin,
"wertvoll"..
als ich noch nicht selbst..(da war ja internet auch noch kein thema) anfing zu schreiben..rein für mich, da hab ich schon mal geschaut in ner buchhandlung..was gekauft.
mein erstes buch war eines von der Heidenreich. ich kaufte es NUR, wegen EINEM text. in der stimmung in der ich war..passte er genau. alle anderen texte fand ich doof. ich sagte zu mir: mei,wieso wird sowas verlegt?
Mein neusestes buch ist von TRC, den ich hier in der lupe sehr schätze. Mittlerweile habe ich sein ganzes werk gelesen..texte/gedichte/gedanken..von ihm. der grossteil gefällt mir, an manchem würde ich meines empfindens nach, etwas ändern in der satztstellung.anders, als bei der bekannten heidenreich sage ich: der kauf ist es mir wert. auch TRC hat bei den vielen texten mal einen dabei, der vielleicht NUR für ihn selbst sein sollte..aber er liegt besser "im Schnitt".
WAS ist "wertvoll"..was ist gut,was ist schlecht.?
ICH bin der Meinung..es liegt "im auge des betrachters/lesers" wonach ihm ist..demnach kauft er ein buch.
ich kenne meine freunde..also werde ich demnach auch etwas kaufen. Goethe nicht für den einen,sondern lieber dem anderen..Hesse für wieder einen anderen.
Das blöde,denke ich mir oft,ist..einer,der vor 50Jahren (ein bekannter autor/lyriker) hat dann was geschrieben..mit wenigen worten..ganz was kurzes,was ICH heute eben mit meinen worten schreibe,aussage. NUR:
Der bkannte autor..der ist der tolle..ICH dagegen bin dann nur ein abkupferer, oder? Ich bin "wertloser" weil ich in der heutigen..zeit schreibe.
Es gibt oder gab hier ja auch leute die meinen, alles was nicht schreibt wie ein Goethe z.B. ist scheisse.
He: wir haben das jahr 2001.
die sprache ist eine andere..und wer mal im kopf auch hat,etwas zu verkaufen..wird auch in DIESER sprache etwas schreiben.
Ich schäm mich nicht, wegen meinen schnulzen..
Die hitparaden werden rauf und runter gedudelt davon und die die das gedudele schrieben, verdienen kohle damit.
aber ich würd mich auch nicht verbiegen mit meinen texten..nur um kohle zu verdienen..
so..sorry,etwas lang geworden, meine gedanken..
lg
sanne
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Grüß dich andrerMartin!

... zugegeben: Ich bin kein Lyrik-Käufer (nur bei Kästner werd ich schwach) und bin deshalb auch nicht sicher, ob „traurige“ Lyrik mehr gekauft wird als andere. Ich weiß überhaupt nicht, nach welchen Kriterien ausgesprochene Lyrik-Leser kaufen. Ich glaube allerdings, dass die viel und meist extrem gefühlten Themen (Trauer und Liebe) die Lyrik-Favoriten sind. Und das nicht nur in dem Moment, in dem der Leser dieses Gefühl teilt. Im Gegesatz zu den meisten anderen Theme fallen Worte zu Liebe (auch Liebe zur /Verbundenheit mit der Natur übrigens) und Trauer / Depression / "Es ist schon ein hartes Leben"-Gefühle immer auf fruchtbaren, zumindest aber nicht auf ausgedörrten Boden. Weil jeder, der sie auch nur einmal erlebt hat, sie immer als Echo in sich trägt. Seit der frühen Jugend, spätestens seit der Pubertät. Alles andere – „rettet die Umwelt“, "es darf nie Krieg geben", „wieso sind Vorgesetzte immer so schwierig?" und ähnliches – ist zwar auch da, aber nicht auf dieser Instinkt-Ebene. Es wird (im Durchschnitt gesehen) viel weniger stark GEFÜHLT (und ist noch nicht mal für alle ein Denk-Thema). Das aber bedeutet: Wenn irgend ein Leser ein Gedicht zur Hand nimmt, ist die (rein mathematische) Wahrscheinlichkeit größer, dass es ihn anspricht, wenn es ein Liebes- oder (Liebes)Kummer-Gedicht ist, als wenn es z.B. von einer schönen Stadt erzählt. (Sterben übrigens müsste auch so ein erfolgsträchtiges Thema sein – wenn der Mensch nicht Neigung hätte, nicht darüber nachzudenken, weil es ihn an die eigene Endlichkeit erinnert.)

Dass, um das Thema wirken zu lassen, auch noch die (Text)Sprache von Schreiber und Leser sich genügend stark ähneln muss, ist der zweite Aspekt (siehe "Was ist gut?")

Hilft dir das weiter?

Tschüß!
jon
 

Tanshee

Mitglied
Hi,anderMartin!

Womöglich liegt das "Übergewicht" der traurigen Gedichte
daran, daß man eher dazu neigt über "negstive" Empfindungen
zu reflektieren. Wer sich freut, freut sich und ist damit beschäftigt - basta. Oder teilt es seiner Umgebung ganz unmittelbar und ungefiltert und spontan mitSo geht es sicher vielen. Wer traurig ist zieht sich vielleicht eher zurück, und in dieser Situation muß das, was auf der Seele lastet "irgenwie raus"?!

Liebe Grüße,
Tanshee
 
Liebe Sanne,

freilich ist sowohl beim Schreiben als auch Lesen/Kaufen der persönliche Geschmack ausschlaggebend. Zumindest sollte er es sein. Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendein Autor überhaupt in der Läge wäre, sich um des Publikumserfolges willen so sehr zu verbiegen, dass seine persönliche Note vollständig verblasst. Die Frage bleibt aber, warum und wie eine Mehrheit ihren persönlichen Geschmack teilt und ihn dadurch zum Geschmack des Publikums wandelt. Du hast eine Parallele zu den Musik-Hitparaden gezogen. Ein guter Vergleich, denke ich, doch dort wird vielleicht die Antwort durch die Werbe-Maschinerie kaschiert. Oder gibt es die bei Literatur - insbesondere Lyrik - auch?

Liebe Jon,

prägende eigene Gefühlserlebnisse - das leuchtet mir ein. Was so jeder und jede für sich in der Pubertät durchgemacht hat, bleibt natürlich hängen. Meistens wohl ein Leben lang, und selten handelt es sich um Glücksorgien.

Liebe(r) Tanshee,

ja, das ist wohl richtig. Und ist vielleicht die gewisse Distanz und Anonymität einer schriftlichen Äußerung - hier unter einem Nick mehr als bei einer Buchveröffentlichung - eine Erleichterung, wenn es um die Offenbarung von "seelischen Abgründen geht"? Kann es sein, das auch Scham etwas damit zu tun hat?

Grüße an alle, Martin
 

jon

Mitglied
Teammitglied
******
…Und ist vielleicht die gewisse Distanz und Anonymität einer schriftlichen Äußerung - hier unter einem Nick mehr als bei einer Buchveröffentlichung - eine Erleichterung, wenn es um die Offenbarung von "seelischen Abgründen geht"? Kann es sein, das auch Scham etwas damit zu tun hat?
*******


Absolut richtiger Gedankengang! Wenn wir (wer immer das ist – Schreiber vor allem) darüber reden könnten, dann würden wir darüber reden und nicht darüber schreiben.

Ob es die Tatsache ist, dass man so Intimes wie Schmerz (und Extase. Verzückung etc.) wenn schon mitteilen dann mit den perfekten Worten mitteilen will – die man (zumindest meiner Erfahung nach) nicht findet, wenn einem einer forschend zuschaut/zuhört; man sucht sie also schreibend, weil man da "Zeit hat".
Oder ob es tatsächlich "nur" die Scham ist, so Intimes überhaupt mitzuteilen.
…auf jeden Fall (und ich glaube, in wirklich jedem dieser Fälle) kommt es erst dann zur Öffentlichmachung, wenn man selbst Abstand hat, es nicht mehr so intim, weil nicht mehr "wirklich" (im Sinne von „jetzt wirklich“) ist.
Und warum gefällt es dem Leser? Weil ein anderer dem Mut hat, so Intimes zu sagen und/oder weil jemand eben die perfekten Worte gefunden hat, "es" mitzuteilen – man kann nun (bewusst oder nicht, gezielt oder nicht) diese Worte verwenden (oder glaubt beimn Lesen jedenfalls, das man könnte, was in Wirklichkeit dann doch nur selten zutrifft). Und – mir jedenfalls geht es so – was den Anschein hat, dass ich es mal verwenden könnte, das erzeugt bei mir Interesse.

…puh! Das ist alles ziemlich psychologisch. Ineressant, es mal so zu zerpflücken…

Gruß! Jon
 
M

marcoboehm

Gast
(Info: Ich habe viele Antworten nur quer gelesen.)

Ich sehe die Leselupe als Forum, um für Werke Lob zu bekommen und mal richtig einen an den Latz dazu, so das man sich schlecht fühlt (vielleicht kann man dann mal wieder besonders gut schreiben - oder nicht - oder wie), aber so ein Sturm, der sich in einem entlädt, ist hilfreich für die weitere Arbeit. Auch ich bin ein "Neuer" in der LL, schreibe aber schon seit langer Zeit (vieles im Kämmerlein, einiges öffentlicher), das heißt nicht dass ich mir noch keinen Überblick im Forum geschaffen habe und keine eigene Meinung habe... Die Problematik der depressiven Texte ist aber keines der LL sondern die des Hobbys, denn mehr ist es für viele (hier) nicht. Wann schreibt man als Hobby?
Wenn man glücklich verliebt ist = schmalz
Wenn man unglücklich verliebt ist = schmalz, schmalz
Wenn man eine Kise hat = melancholisch
Wenn man jemanden/ etwas verloren hat = puh ha
Wenn man eine gute Idee hat = von ... bis
Wenn man was zu erzählen hat = gähn
Wenn es einem gut geht = oberflächlich
Also, warum schreibt man überhaupt? Weil man im Hinterkopf hat - vielleicht werde ich ja endeckt und so bekannt wie ...
Oder weil man selbst etwas verarbeiten will, Gedanken in eine Reihe bringen möchte, etwas im Kopf zerknüllen möchte, da es schlecht war, um es in den Papierkorb zu schmeissen (und es landet als Text auf dem Papier). Oder weil man sich mitteilen möchte, eine Diskussion mit sich selbst eingeht und nun andere daran teilhaben lassen möchte.
Alles eine schlechte Voraussetzung für Kritik!
Jeder Psychologe würde sagen, es gibt nichts besseres, um seine Seele zu reinigen, also schreibe. Was dieser aber nie sagen würde ist sein zweiter Satz: Aber bitte langweilen sie damit keine anderen.
Trotz dieses Verisses von mir selbst und allen anderen ambitionierten Schreibern möchte ich hinzufügen, dass diese Plattform eine sehr gute Sache ist, um zu sehen, dass es anderen Menschen auch so gehen kann wie einem selbst, dass andere Menschen auch Probleme haben zu schreiben, oder - und das ist hier das schönste - das andere einfach ein Talent haben zu schreiben, Dinge zu vermitteln und Umstände auszudrücken. Dann kann man sich ärgern, dass man es selber nicht kann und freuen, dass man diese Texte lesen durfte..
Gruß
 
Mir scheint, an dem Gesichtspunkt der Schamhaftigkeit laufen die Fäden tatsächlich zusammen.

Gerade die Erlebnisse unserer vergangenen Gefühlswelt, die uns besonders stark beeindruckt oder sogar dauerhaft geprägt haben, können wir nicht ohne weiteres durch einfaches DarüberReden teilen. Obwohl unser (Mit-)teilungsbedürfnis hier oft besonders groß ist. Der Ausweg ist Sprechen durch distanziertes Schreiben.

Diese Zusammenfassung ist sicherlich nicht die erschöpfende Antwort auf meine Ausgangsfrage, erklärt mir aber viel. Ich danke an dieser Stelle nochmal für alle Diskussionsbeiträge.

Mit lieben Grüßen Martin
 

klara

Mitglied
Hallo,
ich sende dir GERNE
einige Zeilen aus den Gedichten von Nazim Hikmet, die voller Hoffnung, Lebensbejahend, mutig...und überhaupt, er ist mein "Lieblingsdichter".(Erich Fried auch)

".........
Die Welt ist ein harter Nuß.
Und ich?
Ich bin, wie 32 gesunde Zähne.
............"

".........
wie man ein schweres Paket,
von dem man weder Inhalt noch absender kennt,
neugierig, mißtraurisch, aufgeregt
öffnet,
so liebe ich dich.
......."

"......
Leben,
einzeln und frei,
wie ein Baum.
Und brüderlich,
wie ein Wald,
ist
unsere Sehnsucht."

Grüße.
 



 
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