Früchtchen

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Walther

Mitglied
Früchtchen


Du hast von den früchten gegessen
der erkenntnis wegen die süße
hat dir fast einen leber
schaden verpasst & ein pankreas
karzinom

Eva hat sich in eine hexe
verwandelt & dir den atem gestohlen
als sie dich zu schanden ritt
laut schimpfend

Nun hängst du am baum &
spielst mit dem galgen
strick atem los bewachst du
wald & flur

Dein singen ist nur würgen &
bloß stich deine bauch speichel
drüse - du hast kein hemd &
deine hose hängt anspruchslos
an den knien
 
X

xxandros

Gast
lieber walther,

ich versuche es einfach mal: nachdem die überschrift des gedichtes, eine verniedlichungsform, bei mir entsprechend positive assoziationen ausgelöst hat, fällt man mit dem gedicht, sobald man es anfängt zu lesen, abwärts und abwärts, bis hin zu einem spürbaren schmerz, der nicht mehr von einem lassen möchte...

hier wird mit nüchterner sprache und nüchternen bildern die vertreibung aus dem paradies dargestellt, das lässt sich nicht anders lesen, zunächst...

und diesen fehler, der begangen nicht mehr rückgängig zu machen ist, bezahlt dann adam, der erste mann, und er bezahlt es ganz schnell mit einer nicht mehr ausstehbaren eva, einem leberschaden und einem pankreaskarzinom: mehr strafe in einer form der "auflösung in sich" kann keiner in diesem tempo erfahren!

doch, es kommt mehr, wenn man es hinter den zeilen lesen möchte: wir alle sind davon betroffen, das macht mich so bedächtig, denn es steht ja schließlich so geschrieben: "...ich, der HERR, dein gott, bin ein eifriger gott, der da heimsucht der väter missetat an den kindern bis in das dritte und vierte glied,..." (2. mose, 20:5)

so endet dann adam, wie wir wohl enden werden:

Dein singen ist nur würgen &
bloß stich deine bauch speichel
drüse - du hast kein hemd &
deine hose hängt anspruchslos
an den knien
eine natürliche sprache ist endlos flexibel, sie erlaubt immer, wenn auch in grenzen, deren beherrschung von kompetenten sprachbenutzern erwartet wird, neue und unerwartete projektionen: mit diesem gedicht wird für mich die geschichte des menschen mit wörtern, die einem nahe gehen müssen, zusammengefasst und vor augen geführt...

es hat ganz schön weh getan, nach dem lesen, und es ist mitnichten kein schöner schmerz, aber unabdingbar, aber notwendig: damit wir nie vergessen wo wir herkommen und wo wir hingehen werden...

es hat weh getan, und genau das muss ein gedicht leisten: beim leser echte gefühle auslösen...

ich war ohne zu übertreiben überwältigt davon...

lg xx
 

Label

Mitglied
Huch Walther

da könnte man das Frauenbild des 16. Jhd herauslesen. Ich ziehe schon mal feuerfeste Unterwäsche an :D

lieber Gruß
Label
 

Walther

Mitglied
Hi xxandros,

zuerst ein herzl. willkommen in der leselupe. es ehrt mich, daß du diesen kleinen experimentellen text mit einem so ausführlichen kommentar versehen hast.

in der tat spielt s1 auf die genesis an; erkenntnis, vor allem die seiner selbst, hat einen preis: den doppelten verlust der unschuld. zum einen kann die welt nicht mehr naiv betrachtet werden, zum anderen man selbst eben auch nicht mehr. das duale / ambivalente ist teil unserer existenz.

die frage, ob das ein fehler war, habe ich nicht beantwortet - ja m.e. nicht einmal offensichtlich gestellt. ich habe - aufgrund des angesprochenen bezugsraums - sie aber billigend in kauf genommen. wer zu viel von der süße kostet und daraufhin meint zu wissen, den bestraft die umwelt - oder er selbst. zuviel vom geist genossen kann tatsächlich zum pankreas-karzinom führen, ebenso ein überbordender zuckergenuß nicht nur diabetes, sondern auch den angesprochenen bauchspeicheldrüsenkrebs auflösen, den man erst spürt, wenn es zu spät ist; dann bleiben noch drei bis 18 monate in über 80% der fälle.

ja, die eva und der adam: ein spiel, das sich in sich verkehrt. das stehlen des atems beim anderen durch zu große nähe - wer kennt es nicht. das geschlecht ist unerheblich, aber auf das ausgangsbild referenzierend. man könnte das weiter ausmalen - überlassen wir das dem leser. denn das ist die poetologie hinter dieser art text: assoziationen iterieren lassen, gedankengewitter anschieben und dann sich auf das ergebnis gespannt freuen. wie sagte Jan Wagner vor kurzem: ein gutes gedicht kann man immer wieder lesen, und es ist immer wieder neu. wer will keine guten gedichte schreiben?

in der tat sollen meine gedichte nicht streicheln, sie sollten anstiften, anspitzen, anstoßen, indem sie anreißen, bilder verfremdet verbinden und verweben. die überraschung ist programm, der leser selbst ist der gestalter des happenings, der dichter nur der rahmen- und evtl. taktgeber.

danke, daß das bei dir gelungen zu sein scheint; wenn es einmal nur gelingt, was man als dichter sich wünscht, war es der mühe mehr als wert.

lg w.
 
O

orlando

Gast
Ein sehr schöner Kommentar und eine angemessene Antwort. Leider gibt es das nicht immer ...
Es ist zum Text eigentlich (fast) alles gesagt worden, so dass mir nur zu erwähnen bleibt, dass du
in der tat sollen meine gedichte nicht streicheln, sie sollten anstiften, anspitzen, anstoßen, indem sie anreißen, bilder verfremdet verbinden und verweben. die überraschung ist programm, der leser selbst ist der gestalter des happenings, der dichter nur der rahmen- und evtl. taktgeber
.
dies alles immer wieder versuchst, es dir oft gelingt und zwar mit wechselnden Mitteln, und dass du dabei stets um lyrische Sprache bemüht bleibst.
Dies ist etwas, was mir persönlich wichtig ist, weil ich Gedichten mit reinem Erzähl- oder Beschreibungs- und Berichtscharakter rein gar nichts mehr abgewinnen kann.

Herzliche Grüße
orlando
 
E

Einsprengsel

Gast
Hallo Walther,

tut mir leid, ich kann meinen Vorrednern in dieser Emphase nicht folgen. Ich lese hier einen Ehekrieg oder einen Krankheitsverlauf, je nachdem, worauf man sich konzentriert, und das in einer geradezu verstaubten Sprache, die sich zudem künstlerisch gebärdet, eine reine Beschreibung einer missratenen Ehe. Mir fehlt in diesem Gedicht der Tiefgang, das Frauenbild ist eines aus der Bibel, also nicht gerade das modernste, der fehlerfreie alte Adam hockt in jeder Zeile. Der religiöse Touch des Ganzen macht den Kohl auch nicht fett, im Gegenteil. Er zeigt nur das Anpasserische an heutige Gegebenheiten. Ganz abgesehen von deiner manieristischen Spielerei, die deinen Text nun wahrlich nicht aufwertet. Ich könnte deinem Ich einen guten Internisten empfehlen.

Einsprengsel
 



 
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